CHRONIK DER KATHOLISCHEN KIRCHE LITAUENS Nr. 11 

IN DER SOWJETISCHEN SCHULE (1940—1970)

Nach der Besetzung Litauens im Jahre 1940 galt die Aufmerksamkeit der Sowjetregierung in erster Linie den Schulen mit dem Ziel, sie atheistisch zu machen. Zuallererst wurde das Gebet vor und nach dem Unterricht ver­boten, und aus den Klassenräumen wurden die Kreuze entfernt. Der Direktor einer Mittelschule in Panevėžys befahl, während der Ab­wesenheit der Schüler die Kreuze aus den Klassenräumen zu entfernen und zu vernichten. Die Schüler stellten sich jedoch dem Schuldiener in den Weg. „Wir lassen es nicht zu, daß das Kreuz geschändet wird!" riefen die Schüler. „Ich befolge nur den Befehl des Direktors", erklärte der Diener. Die Schüler nahmen ihm den Korb mit den Kreuzen ab, verteilten die Kreuze unter sich und nahmen sie mit nach Hause.

In der Berufsschule von Panevėžys befahl die Lehrerin den Schülerinnen, die Kreuze abzuhängen. Die Mädchen weigerten sich jedoch, diesen Befehl auszuführen.

„Ihr seid aber Angsthasen!" tadelte die Lehrerin. „Du, Suveizyte, bist doch eine Komsomolzin; gib allen ein Beispiel und hänge in allen Klassen die Kreuze ab." Das Mädchen wurde bleich und begann zu weinen. „Frau Lehrerin, so zu handeln, verbietet mir mein Gewissen." An jenem Tag wurden die Kreuze von niemandem angerührt. Am folgen­den Tag jedoch nahmen russische Soldaten die Kreuze ab und warfen sie durchs Fenster auf die Straße. Weinend lasen die Menschen die zerbroche­nen Kreuze von der Straße auf und küßten sie ehrfürchtig. Nach Kriegsende wurde das Beten in den Schulen erneut verboten. Dessen ungeachtet standen die Schüler bei Eintritt des Lehrers auf und begannen manchmal zu beten. Viele Lehrer „bemerkten" die betenden Schüler nicht. Als an einer Schule die Direktorin in die Unterrichtsstunde kam, schrie sie beim Anblick der betenden Schüler auf und rannte aus dem Klassenraum. „Unsere Direktorin ist vom Teufel besessen, denn sie fürchtet sich vor dem Kreuz", lachten die Schüler. Die Direktorin hatte bis vor kurzem noch die Kirche besucht und auch die Schüler aufgefordert, in die Kirche zu gehen. Aber ganz plötzlich hatte sie sich „umerzogen".

„Die Evolution geht schrittweise voran. Unsere Direktorin scheint jedoch von einer besonderen Affenart abzustammen — bei ihr trat die Verände­rung plötzlich ein", kommentierten die Schüler.

Nicht alle Pädagogen ließen sich „umerziehen". Der Direktor der Mittel­schule für Erwachsene in Vilnius, Pavilonis, wurde zum Kultusministerium vorgeladen, wo er aufgefordert wurde, das Gebet vor und nach dem Unter­richt zu untersagen. Da der Direktor dies ablehnte, wurde er aus dem Amt

entfernt.

Alle Lehrer müssen aktive Atheisten sein", forderte im ersten Nachkriegs-jahr Chmieliauskas, der Leiter der Kultusabteilung im Rayon Rokiškis, auf einer Lehrerkonferenz. „Diejenigen Lehrer, die sich nicht vom religiösen Aberglauben lösen, werden in sowjetischen Schulen nicht arbeiten können." Damit setzte die Verfolgung der gläubigen Lehrer ein. Allein im Rayon Rokiškis wurden mehr als 50 Lehrer entlassen. In dem Erlaß des Leiters der Kultusabteilung stand der schablonenhafte Vermerk: „Entlassen wegen reli­giösen Aberglaubens".

Während der Zeit der Verfolgung wurde auch die Charakterfestigkeit der einzelnen Persönlichkeiten deutlich.

„Sie sind eine gute Pädagogin, sagen Sie sich vom religiösen Aberglauben los, gehen Sie nicht zur Kirche, und ich werde Sie an die beste Schule im Rayon versetzen", mit diesen Versprechungen lockte Chmieliauskas die Lehrerin Šlepštienė.

„Meine Uberzeugung werde ich nicht für ein Linsengericht verkaufen. Ohne

Religion und ohne Kirche wäre ich keine gute Lehrerin."

Nach kurzer Zeit wurde die Lehrerin Šlepštienė an eine kleine Dorfschule

versetzt.

Ein Teil der Lehrer konnte die Repressalien nicht ertragen und wechselte den Beruf. Es kam häufiger vor, daß ein Lehrer mit Hochschulbildung eine schwere körperliche Arbeit verrichten mußte, während seine Stelle von einem anderen mit geringerer Ausbildung, aber „ohne religiösen Aberglau­ben" besetzt wurde.

„Ihr glaubt an die ewigen Wahrheiten, so watet durch den Lehm!" spottete der Direktor Vilkys von der Mittelschule in Salantai über die beim Bau ar­beitenden Lehrer.

Der Direktor der Mittelschule von Skuodas, Pakrovskis, wurde von Partei­funktionären in einer Lehrerkonferenz dafür gerügt, daß er den Gemeinde­pfarrer des Ortes grüßte. Der Direktor erklärte, daß der Priester ein Mensch sei und als solcher Respekt verdiene.

»Wenn Sie in der sowjetischen Schule arbeiten, und besonders wenn Sie ihr vorstehen wollen, müssen Sie die Freundschaft mit dem Priester unterlas­sen!" schrie ein Funktionär.

Eine Lehrerin berichtete über ihre Erlebnisse aus der Nachkriegszeit:

»Als man den Lehrer N. nach Sibirien verbannt hatte, blieb ich allein an

der Schule. Mit den Kindern beschloß ich, vor dem Unterricht ein „Vater

Unser" und nach dem Unterricht ein „Gegrüßet seist du, Maria!" zu beten. Das war sehr schön, und niemand hat dies angezeigt. Einmal fragte der Inspektor aus dem Rayon anläßlich eines Besuches in der Schule, welche sowjetischen Feste die Kinder kennten.

„Ostern und Weihnachten", antworteten die Kinder. Der Inspektor sagte lächelnd, daß die Kinder den Revolutionstag und den Tag des 1. Mai ken­nen müßten. An Sonntagen gingen wir mit der Dorfjugend gemeinsam in die Kirche. Die Schule war im Gebäude eines nach Sibirien verbannten Bauern eingerichtet. Im Getreidespeicher erlaubte ich der Jugend, einen Marienaltar aufzubauen. An Maiabenden besuchten zahlreiche Dorfbe­wohner den Speicher. Gemeinsam sangen wir Marienlieder. Leider wurde ich jedoch angezeigt und aus der Schule entlassen. In meiner Charakter­beurteilung prangte der Vermerk: „Im Speicher der Schule hatte sie eine Kirche eingerichtet."

In der Schule von N. wurde 1951 befohlen, eine Komsomolzengruppe zu organisieren. Aus dem Rayon kamen Funktionäre. Diese luden einen Lehrer nach dem anderen in das Zimmer des Direktors und versuchten, sie zum Beitritt in den Komsomol zu bewegen. Niemand schrieb sich jedoch ein. Drei Wochen lang erschienen die Funktionäre und gaben keine Ruhe. Schließlich kamen sie zu dem Schluß, daß die Lehrerin V. das größte Hin­dernis sei. Ihr wurde gedroht, daß sie aus der Arbeit entlassen werde, falls sie nicht dem Komsomol beitreten würde. Die Lehrerin blieb jedoch stand­haft: den Beitritt zum Komsomol hielt sie für ein Ärgernis und einen Verrat an Eltern und Schülern.

Die Lehrer von Sangrūda, die sich weigerten dem Komsomol beizutreten, wurden eine Nacht lang in den Schulkeller gesperrt. Am folgenden Tag sind einige Lehrer „freiwillig" dem Komsomol beigetreten. Die Lehrerin Lansbergienė von der Mittelschule in Palanga ging jeden Sonntag zur Kirche. Auf die Vorwürfe der Funktionäre hin erwiderte sie: „Mischt Euch nicht in meine Gewissensangelegenheiten ein. Ich bin ein er­wachsener Mensch, habe eine feste Weltanschauung und werde sie nicht än­dern. Wenn es Euch nicht paßt, könnt Ihr mich aus der Arbeit entlassen." „Was soll man mit ihr machen?" überlegten die Funktionäre. Es war schwer, eine Lehrerin zu bekommen, die die Fremdsprachen so gut beherrschte. Die Lehrerin Lansbergienė nahm sogar die unter Zwang gestellten Schüler in Schutz.

„Verfolgt die Schüler nicht!" sprach sie zu den anderen Lehrern. „Laßt sie selbst entscheiden, ob sie in die Kirche gehen wollen oder nicht." Ende August 1952 versammelten sich die Lehrer aus dem Rayon N. zu einer Konferenz. Der Lektor sprach vorwiegend über Religion, daß viele Schüler die Kirche besuchten usw. Er erwähnte auch, daß es noch viele Leh­rer gebe, die an Gott glaubten. Die Lehrerin M. wurde zur Tribüne gerufen. In dem Saal, wo 30 Lehrer aus dem ganzen Rayon versammelt waren,

herrschte Todesstille. Der Sekretär der Komsomolorganisation fragte: Nun, Du glaubst an Gott?" Ja, ich glaube", antwortete kurz die Gefragte.

Verlasse die Konferenz und hole Dir Deine Papiere bei der Erziehungs­abteilung ab — solche Lehrer brauchen wir nicht?"

Die Lehrerin M. wurde entlassen, obwohl sie ihre Pflichten gewissenhaft erfüllt hatte.

Die Lektorin Lažinskaitė vom Technikum für angewandte Kunst in Telšiai wurde deshalb aus ihrer Arbeitsstelle entlassen, weil sie bei der Kirchen­dekoration Hilfe geleistet hatte.

„Bedauerst Du nicht, daß Du wegen der Kirche so viel Schaden erleiden mußtest?" wurde sie von jemandem gefragt.

„Ich bedauere es nicht", antwortete die Lehrerin. „Wenn ich auch noch ein­mal Schaden erleiden müßte, der Kirche würde ich trotzdem helfen." Die Lehrer berichten weiter über die verschiedensten Erlebnisse, als sie Wahlstimmen sammeln mußten. Am Samstag vor den Wahlen wurde der Unterricht früher beendet, und es begann die große Vorbereitung. Am Abend gab es dann Tanz. Die Wahlen fanden gewöhnlich in der Fastenzeit statt. Die Wahlgehilfen tanzten absichtlich, um zu zeigen, daß sie die Fastenzeit nicht beachteten. Einige der Lehrerinnen lehnten das Tanzen ka­tegorisch ab, andere wiederum gaben nach. Das waren die ersten Schritte zur Anpassung.

„Morgens um 6 Uhr fuhren wir los, um Wahlstimmen zu sammeln", be­richtete die Lehrerin N. „Wir fuhren zu dritt: der Wahlgehilfe, der Fahrer und ich. Die Menschen schliefen noch. Wir klopften an die Tür, wediten die Leute aus dem Schlaf, damit sie schnell wählten. Einerlei, ob jemand wählte oder nicht, der Befehl lautete, ein „Ja" einzutragen. In einem Haus fanden wir einen alten kranken Mann im Bett."

„Gib Deine Stimme ab, Väterchen! Steck diese Wahlscheine in die Urne!" sagte der Wahlhelfer, indem er dem Alten die Wahlscheine in die Hand drückte.

„Geh von mir, böser Geist! Siehst Du nicht, daß ich sterben werde, und Du willst, daß ich meine Seele dem Satan verkaufe?"

Dem Alten versuchte man zu erklären, daß die Wahl obligatorisch und daß es außerdem eine Ehre sei, wählen zu dürfen.

»Man sagt, daß nur der Rosenkranz einen vor dem Satan schützen kann", mit diesen Worten holte der Alte einen Rosenkranz unter dem Kopfkissen hervor, bekreuzigte damit den Wahlgehilfen und rief: »Weiche von mir, Satan!"

Der Wahlgehilfe stieß einen Fluch aus und ließ den Alten in Ruhe. Wir fuhren weiter. Bei einigen kehrten wir ein, einige ließen wir aus, aber alle Wahlscheine wanderten in die Urnen. Die Listen enthielten überwiegend »Ja"-Stimmen.

Die Mittelschule von N. wurde von Funktionären des Parteikomitees und der Erziehungsabteilung visitiert. Die Beamten folgten aufmerksam der Geographiestunde und äußerten sich nach dem Unterricht: „Frau Lehrerin, Sie haben den Unterricht sehr gut geleitet. Er hat uns ge­fallen. Ihre Stunde enthielt jedoch keinerlei antireligiöse Elemente. Das ist ein großes Minus in Ihrer Arbeit und muß geändert werden." „Was hat der Atheismus mit der Geographie zu tun?" fragte die Lehrerin erstaunt. Die Besucher bezeichneten die Geographielehrerin als rückständig und informierten die Erziehungsabteilung, die ihrerseits den Inspektor be­auftragte, den Unterricht dieser Lehrerin ständig zu kontrollieren. „Und wieder enthielt Ihr Unterricht keine antireligiösen Momente", rügte sie der abermals kontrollierende Inspektor. „Wie oft werde ich noch Ihren Unterricht besuchen müssen?"

„Auch wenn Sie jeden Tag kommen", erwiderte die Lehrerin, „werde ich nicht gegen die Religion sprechen."

Der Lehrer Lazdauskas von der Mittelschule in Kaltinėnai sollte ein athei­stisches Thema vorbereiten:

„Darauf werden Sie vergeblich warten", erklärte der gläubige Lehrer. „Selbst wenn Sie mich aus der Schule entlassen wollen, werde ich aber eine antireligiöse Rede weder vorbereiten noch abhalten." Der Lehrer wurde aus dem Schuldienst entlassen. Da er eine große Familie — acht Kinder — zu unterhalten hatte, mußte er eine körperliche Arbeit annehmen. Erst nach einigen Jahren erhielt er eine Stelle an einer Mittelschule für Erwachsene. Die Klassenlehrer müssen der Erziehungsabteilung Rechenschaft darüber ablegen, wieviel Pioniere und Komsomolzen es in den einzelnen Klassen gibt.

An der 8klassigen Schule von Skudutiškis im Rayon Molėtai lagen die Dinge in dieser Hinsicht im argen. Die gläubigen Eltern widersetzten sich kategorisch dem Beitritt ihrer Kinder in die sowjetischen Jugendorganisa­tionen.

Der Schuldirektor nahm sich die Tochter des Molkereileiters und des Ge­meindevorstehers vor:

„Ihr beide müßt dem Komsomol beitreten!" forderte er. „Wir wollen und werden aber nicht eintreten."

„Auf euren Willen wird niemand Rücksicht nehmen. Wenn ihr nicht bei­treten wollt, werdet ihr aus der Schule verwiesen", drohte ihnen die Schul­direktorin Jackevičiūtė.

Die Mädchen mußten den ganzen Tag im Lehrerzimmer verbringen. Am folgenden Tag wiederholte sich die gleiche Prozedur, die Schülerinnen blie­ben aber standhaft.

„Marsch nach Hause und daß Ihr Euch in der Schule nicht mehr sehen laßt!" schrie die Direktorin. Die Mädchen gingen weinend nach Hause.

Nach zwei Wochen durften die Mädchen wieder am Unterricht teilnehmen, aber der Terror wurde fortgesetzt.

„Meldet Euch beim Komsomol an, sonst werdet Ihr wieder vom Unterricht ausgeschlossen und auch nicht wieder zugelassen!"

Die Mädchen wurden erneut für eine Woche aus der Schule zum „Nach­denken" verwiesen. Nicht nur die Mitschüler zeigten ihnen Mitgefühl, son­dern auch in den Gesichtern der Lehrer konnte man ein mitfühlendes Ver­ständnis bemerken.

Nach einer Woche wurde die Methode geändert: die Drohungen erfolgten diemal seitens der Parteifunktionäre des Rayons.

„Wenn Ihr nicht dem Komsomol beitretet, werden Eure Eltern aus der Ar­beit entlassen. Ihr werdet zu den Examen nicht zugelassen und bekommt auch keine Führungszeugnisse" riefen die Regierungsfunktionäre. Die Mäd­chen brachten den ganzen Tag stehend im Lehrerzimmer zu, füllten aber die Anmeldezettel nicht aus. Zum Protest gegen diese Gewalttätigkeit ging die ganze Klasse gemeinsam Ostern in die Kirche.

„Na, Ihr Betschwestern, wart Ihr in der Kirche?" tadelten die Direktorin

Jackevičiūtė und der Lehrer Tropikas.

„Ja, wir waren", antworteten die Schüler im Chor.

„Nehmt Eure Bücher und geht nach Hause. Morgen kommt Ihr alle mit Euren Eltern in die Schule!" befahl die Direktorin. Die erschienenen Eltern stellten sich auf die Seite ihrer Kinder.

„Was hat Euch so bockig gemacht?" rief die Direktorin den beiden Mädchen

zu.

„Ihr Zwang hat uns widerstandsfähig gemacht. Sie mühen sich umsonst, Frau Direktorin, wir werden trotzdem dem Komsomol nicht beitreten." Die erzürnte Dirketorin lief aus dem Lehrerzimmer, und die beiden Mäd­chen gingen in die Maiandacht. Der Zwang war besiegt. Der Lektor Buržinskas vom Technikum für angewandte Kunst in Telšiai kam nach dem Examen in das Schülerinnenwohnheim und erklärte den Schülerinnen des 3. Kursus, daß sie die Prüfung nur mit einer „Drei" be­standen hätten und somit kein Stipendium bekommen würden. „Wenn Ihr dem Komsomol beitretet, könnt Ihr die Prüfung nachmachen. Ich gebe Euch drei Stunden Zeit zum Überlegen."

Zwei Schülerinnen füllten die Anmeldeformulare aus. Später stellte es sich heraus, daß sie die Prüfung mit einer „Vier" (Nach deutscher Notengebung eine „Zwei"; Anmerkung des Ubersetzers) bestanden hatten. Der Lehrer hatte gelogen, weil er auf diese Weise die Zahl der Komsomolzen vergrö­ßern wollte.

Eine Schülerin des 3. Kursus wurde in das Lehrerzimmer gerufen, wo ihr unter Drohungen der Beitritt zum Komsomol nahegelegt wurde. Das Mäd­chen wurde ohnmächtig und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. »Wenn Du dem Komsomol beitrittst, werden sich auch andere Mädchen an­schließen. Sie treten deshalb nicht bei, weil Du im Kursus Autorität hast", sprach eine Lehrerin auf die Schülerin N. ein. „Wenn Du dem Komsomol nicht beitrittst, werden wir Dich durchs Examen fallen lassen, und Du be­kommst kein Diplom. Und selbst wenn Du ein Diplom erhälst, bekommst Du keine Arbeit."

Die Schülerin betete und nahm es auf sich, alles zu erleiden, wollte aber dem Zwang nicht nachgeben.

„Erkläre schriftlich, warum Du dem Komsomol nicht beitreten willst", forderte J., der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung. Das Mädchen schrieb: „Die sowjetische Verfassung erteilt allen Bürgern — den Parteizugehörigen sowie den Parteilosen — das Recht auf Bildung und Arbeit. Warum zwingen mich die Lehrer zum Beitritt in den Komsomol und drohen mir, daß ich kein Diplom und keine Arbeit bekommen werde? Auch als Nichtkomsomolzin bin ich fähig, gut zu arbeiten und zu lernen." Auf der Lehrerkonferenz wurde beschlossen, dem Mädchen für drei Monate das Stipendium zu streichen. Das Mädchen mußte eine Zeitlang fast hun­gern. Als dann später andere Menschen von seiner schweren Lage erfuhren, begannen sie, es zu unterstützen. Nach drei Monaten erhielt es wieder ein Stipendium und wurde von nun an in Ruhe gelassen.

Der Schüler R. aus der 1. Klasse einer Mittelschule in Klaipėda wurde in die Kinderorganisation des Roten Oktober eingeschrieben. Das Kind begann zu weinen:

„Ich muß erst meinen Vater fragen. Wenn er es erlaubt, dann können Sie mich anmelden."

„Sag Deinem Vater gar nicht, daß Du der Oktoberorganisation angehörst. Wenn er es nicht weiß, wird er Dich auch nicht ausschimpfen." „Mein Vati hat mich lieb, und ich sage ihm alles. Was er nicht will, das tue ich auch nicht."

Am folgenden Tag erklärte der Knabe, daß man ihn wieder abmelden solle, da seinem Vater die Oktoberorganisation nicht gefalle. Auf diese Weise war die Lehrerin gezwungen, den Jungen wieder abzumelden. Den Schüler Kušleikis aus der Mittelschule von Šatės im Rayon Skuodas brachte der Lehrer Micijauskas ins Lehrerzimmer, drückte ihm einen Feder­halter in die Hand und nötigte ihn, ein Anmeldeformular für die Kom­somolzengruppe auszufüllen. Der Schüler widersetzte sich dem und lief weinend nach Hause. Der Vater ging zur Schule und verteidigte seinen Sohn.

„Da hast Du Dich also schon bei Deinem Alten beklagt?" bemerkte der Lehrer. „Wenn er auch Dein Vater ist, aber auf so einen Alten brauchst Du nicht zu hören."

„Würde es Ihnen gefallen, wenn man Ihre Kinder lehrte, Ihnen nicht zu ge­horchen?" entgegnete der Schüler.

Die Lehrerin Benetienė bedrängte lange Zeit den Schüler K. aus der

6. Klasse, damit dieser den Pionieren beitrete. Da ihre Bemühungen erfolg­los blieben, lud sie die Mutter des Schülers vor.

Ich bin religiös, halte meinen Sohn zum Beten an, nehme ihn zur Kirche mit und werde daher niemals zustimmen, daß mein Sohn den Pionieren bei­tritt. Die Seele meines Kindes werde ich niemals dem Teufel verschreiben. Laden Sie mich daher nie wieder in dieser Angelegenheit vor", entgegnete die mutige Frau.

Die Werbung zum Beitritt in den Komsomol wurde an der Mittelschule in Kulautuva aktiviert, als der Direktor Stropus und der Unterrichtsleiter Jauniškis an die Schule kamen. Um ein Exempel zu statuieren, wurde 1957/58 die Schülerin der 10. Klasse, M. Sidaravičiūtė von der Schule ver­wiesen. So vorzugehen, wurde der Schulleitung vom Parteisekretär des Rayons Kaunas, Strelcovas, geraten. Nur nach erheblichen Bemühungen wurde der Schülerin M. Sidaravičiūtė gestattet, die Mittelschule abzu­schließen.

Anhand dieser Beispiele erkennt man die praktische Bedeutung des Ar­tikels 124 der sowjetischen Verfassung — „Die Schule ist von der Kirche

getrennt".

Anmerkung der Redaktion

Aus Sicherheitsgründen wurden einige Familien- und Ortsnahmen ausge­lassen.

Strafprozeß Nr. 345

Am Morgen des 4. Juli 1974 durchsuchten Sicherheitsbeamte die Wohnung des festgenommenen J. Gražis in Kaunas. Am Nachmittag wurde die Durchsuchung fortgesetzt. Am folgenden Tag wurde die Durchsuchung zum dritten Mal durchgeführt.

Obwohl 9 Monate seit den Massendurchsuchungen und Verhaftungen ver­gangen sind, scheint der Staatssicherheitsdienst die vorbereitenden Ermitt­lungen nicht einzustellen, weil die „Chronik der katholischen Kirche Li­tauens" auch weiterhin erscheint.

Dem Untersuchungsrichter wurden verschiedene Personen vorgeführt, bei denen Durchsuchungen vorgenommen wurden. Diese wurden dann mit Inhaftierten zusammengeführt.

Unter welchen Bedingungen die Verhafteten gehalten werden, ist nicht bekannt.

Die Katholiken Litauens bedauern es sehr, daß die freie Welt so wenig No­tiz von den Willkürakten des Staatssicherheitsdienstes nimmt. In den Ge­fängnissen leiden völlig unschuldige Menschen!

ERZBISTUM VILNIUS

Vilnius

An den Generalstaatsanwalt der UdSSR;

An den Vorsitzenden des Staatssicherheitskomitees beim Ministerrat der UdSSR in Moskau;

Eingabe

des Vladas Lapienis, wohnhaft in Vilnius, Dauguviečio gatvė 5—11.

Am 20. November 1973 durchsuchten Sicherheitsdienstbeamte unter Leitung des Oberleutnants Gudas meine Wohnung, hierbei wurden eine Schreib­maschine und zahlreiche alte religiöse Bücher mitgenommen. Ein Teil der Bücher war mit der Schreibmaschine geschrieben. Nicht alle Bücher wurden im Durchsuchungsprotokoll oder auf der Zusatzliste aufgeführt, sondern einfach in Säcke geworfen und abtransportiert. Die Säcke waren nicht ver­siegelt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß die Bücher von kulturellem Wert sind und eine entsprechende Behandlung erfordern. Durch dieses Vorgehen wurde der Paragraph 192 des Strafgesetzbuches der SSR Litauen grob verletzt.

Am 4. Januar 1974 wandte ich mich daher an den Staatsanwalt der Sowjet­republik Litauen mit der Bitte, die Gesetzesübertretung in Übereinstim­mung mit Paragraph 24 des Strafgesetzbuches wieder gutzumachen und mir die Bücher zurückzugeben oder sie wenigstens in einer Zusatzliste aufzu­führen. Auf diese Weise wäre die Verletzung der sowjetischen Gesetze sei­tens der Sicherheitsdienstbeamten wieder gutgemacht.

Meine Bemühung blieb jedoch ohne Erfolg. Am 14. Januar 1974 erhielt ich von der Staatsanwaltschaft ein Schreiben folgenden Inhalts: „In Beant­wortung Ihres Schreibens vom 4. Januar teile ich Ihnen mit, daß die Durch­suchung Ihrer Wohnung am 20. November 1973 in Verbindung zu Ermitt­lungen in einem Strafprozeß vom Staatsanwalt gebilligt war. Die Frage über die Rückgabe der bei Ihnen während der Durchsuchung beschlag­nahmten Literatur wird im Ermittlungsverfahren geklärt." Diese Antwort des Staatsanwaltes ist im Grunde genommen nicht befriedi­gend, denn mir war schon während der Haussuchung klar, daß diese vom Staatsanwalt gebilligt war. Meine Frage richtete sich nicht hierauf, sondern ich konstatierte lediglich, daß die Sicherheitsbeamten den Paragraphen 192 des Strafgesetzbuches grob verletzt hatten. Eine solche Antwort erzeugt geradezu den Gedanken, daß der Staatsanwalt selbst vom Staatssicherheits­dienst abhängig ist oder daß er zusammen mit diesem den Bürger noch ein­mal verhöhnen will. Wenn der Staatsanwalt wenigstens etwas guten Willen gehabt hätte, dann wären die Bücher auf seine Anordnung hin mir ent­weder zurückgegeben oder in ein neues Verzeichnis aufgenommen worden und ich wäre darüber informiert. Wie kann man erwarten, daß der gewöhn­liche Bürger die sowjetischen Gesetze beachtet, wenn die Staatsanwaltschaft selbst diese ignoriert? Oder ist es gar so, daß bestimmte Gesetzesnormen auf dem Papier stehen und andere nur für die ausländische Propaganda gel­ten?

Im Paragraph 12 des Strafgesetzbuches der SSR Litauen wird erklärt, daß alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, aber im täglichen Leben erleben wir es anders. Gläubige, in diesem Falle Katholiken — werden Schreibmaschi­nen, Bücher religiösen Inhalts und Handschriften weggenommen und ihre Wohnungen werden durchsucht. Die Atheisten hingegen kennen das alles nicht. Sie können ihre Anschauungen frei verbreiten; zu ihrer Verfügung stehen die staatlichen Massenmedien — die Presse, der Rundfunk, das Fernsehen, die Kinos und die Theater.

Die Katholiken werden wegen alter religiöser oder neuer mit der Schreib­maschine geschriebener Bücher zum Staatsicherheitskomitee vorgeladen, dem Untersuchungsrichter vorgeführt, bedroht oder leiden gar in Gefängnissen. In den 30 Jahren sowjetischer Staatsordnung in Litauen konnten und kön­nen die Katholiken weder eine Zeitung noch eine Zeitschrift herausgeben noch den Katechismus drucken lassen.

Wenn vor dem Gesetz alle gleich sind, wie es die sowjetischen Gesetze ver­künden, warum werden für uns Katholiken nicht die gesetzlichen Bestim­mungen angewandt, sondern die Anschauungen und Instruktionen der Atheisten — der Sicherheitsdienstbeamten und anderer Regierungsfunk­tionäre?

In Presse und Rundfunk wird ständig erklärt, daß allen sowjetischen Bür­gern die größtmöglichen Freiheiten und Rechte zugebilligt werden. Wir Ka­tholiken können mit völliger Uberzeugung behaupten, daß wir weder die Freiheit des Wortes noch der Presse haben, im Gegenteil, wir haben nicht einmal die elementarsten Menschenrechte. Die Priester Antanas Šeškevičius, Juozas Zdebskis, Prosperas Bubnys wurden allein dafür bestraft, daß sie mutig genug waren, bei der Ausübung ihrer Amtspflichten den Kindern die Wahrheiten des katholischen Glaubens — den Katechismus — zu erklären. Jonas Stašaitis, Petras Plumpa, Paulius Petronis und V. Jaugelis wurden allein dafür verhaftet und verurteilt, daß sie es gewagt hatten, Gebetbücher zu drucken.

Die Allgemeine Deklaration für Menschenrechte, die auch von der Sowjet­union unterzeichnet wurde, hat keine praktische Bedeutung in unserem Le­ben. Die Katholiken erfahren fortwährend, daß die sowjetische Verfassung, die die Gewissensfreiheit gerantiert, nicht beachtet wird. Sie sind ständig

Diskriminierungen an ihren Arbeitsstellen, in den Schulen und im Leben ausgesetzt.

Ich nehme an, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß die Menschen — seien sie gläubig oder ungläubig — ebenso wie Sie zum Leben Luft und Nahrung nötig haben auch Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz bei den gleichen Rechten und Pflichten zugebilligt und beachten müssen. „Ohne Freiheit der Versammlung, der Presse und des Wortes", lehrte Lenin „sind alle Reden über Religion eine Lüge". (Lenins Schriften, Bd. VI, 1951, Art. „Die Willkürherrschaft schwankt").

Wenn die Staatsorgane ihre Bürger wegen ihrer religiösen Überzeugung dis­kriminieren, so schaden sie gleichzeitig dem ganzen Volke. Auf diese Weise werden nämlich die Gläubigen, die ja die Mehrheit bilden, zur Auflehnung gegen die bestehende Staatsordnung veranlaßt.

Wenn jemand glaubt, daß er durch Verfolgung die Kirche und die Gläubigen vernichten kann, so irrt er sich gewaltig. Auch Lenin erklärte, daß die Ver­breitung des Atheismus „im Lande der siegreichen proletarischen Revolu­tion" nicht durch Religionsverbot (dies würde den religiösen Fanatismus nur noch verstärken) zu erzielen sei, sondern durch gezielte Beweise der Wahrheit und indem man die Gläubigen aktiv in das gesellschaftliche Le­ben einbezöge („Wissenschaftliche Weltanschauung und atheistische Erzie­hung" in „Tiesa" [Wahrheit] vom 1. 3. 1974).

Das Leben beweist, daß die Atheisten die Anweisungen Lenins mißachten und groben Zwang ausüben. Aber es gibt auch Anzeichen dafür, daß die Zahl der Gläubigen nicht nur nicht geringer wird, sondern sogar zunimmt. Das Leben ist vielfältig, und so sind auch die Menschen. Es ist nicht recht und auch nicht human, die Menschen durch Zwang zu Atheisten zu machen. Eine Politik, die die Anschauungen der Menschen gleich machen und ihre Verhaltensweisen automatisieren will, ist sowohl für den Staat als auch für seine Bürger schädlich.

Ist die Zunahme von Trunksucht, Rowdytum, Scheidungen, Diebstahl, von Arbeitskolonien für Minderjährige, Gefängnissen und Lagern nicht ein Re­sultat des zwangsweisen Atheismus?

„Die Respektierung der Rechtsgesetze", erklärte L. Breschnew auf der XXIV. Parteiversammlung, „muß zum persönlichen Uberzeugungsgut eines jeden Menschen werden. Dies trifft um so mehr auf die Aktivität der Staats­organe zu. Kein Versuch, sich vom Gesetz abzuwenden oder es zu umgehen, einerlei womit dies begründet ist, kann geduldet werden. Für uns Kommu­nisten, Verfechter der humansten Ideale, muß dies eine Sache des Prinzips sein."

Deshalb bitte ich, die Rechtsorgane der sozialistischen Sowjetrepublik Li­tauen anzuweisen, damit die Verletzung der sowjetischen Gesetze wieder­gutgemacht (Paragraph 192 des Strafgesetzbuches der SSR Litauen), die Diskriminierung der Gläubigen eingestellt und die Mißachtung der elemen­tarsten Menschenrechte, wie sie von der sowjetischen Verfassung und von der Allgemeinen Deklaration für Menschenrechte garantiert werden, nicht weiter fortgesetzt wird."

12. Juli 1974

Vladas Lapienis

Ignalina

Am 28. März 1974 wurden alle Vorsitzenden der katholischen Pfarr-cemeinden sowie die Vorsitzenden der Revisionskommissionen der Gemein­den zum Exekutivkomitee des Raons Ignalina vorgeladen. Die Vorgelade­nen wurden drei Stunden lang vom stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Vaitonis, und dem Leiter der Finanzabteilung, A. Žiukas, belehrt.

Am Anfang sprach Vaitonis von dem demokratischsten Land der Welt, der Sowjetunion, in der alle Bürger die gleichen Rechte bezüglich Arbeit, Er­holung sowie Gewissens-, Religions- und Pressefreiheit hätten. Nadidem er den Vorgeladenen „bewiesen" hatte, daß in Litauen vollkommene Reli­gionsfreiheit herrscht, begann er mit dem Aufzählen dessen, was verboten ist:

1. Verboten ist, die Kinder in Gruppen auf die Erstkommunion vorzuberei­ten. Die Priester haben nur das Recht, die Kinder einzeln zu esaminieren.

2. Den Kindern ist es nicht erlaubt, bei der heiligen Messe zu ministrieren, im Kirchenchor zu singen oder an Prozessionen teilzunehmen. Sollten die Kinder ministrieren, im Kirchenchor mitsingen oder an Prozessionen teil­nehmen, werden die Eltern dafür bestraft. Die Eltern sollten daran denken, daß die Kinder mehr dem Staate als ihnen gehören.

„Ist ein Kind geboren, ist es nicht deins, sondern das des Staates", führte Vaitonis aus.

3. Zu Kirchweihfesten dürfen Priester nur vom Pfarrkomitee, nicht aber vom Gemeindepfarrer eingeladen werden. Von der Einladung muß der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayon schriftlidi in Kenntnis gesetzt werden, damit dieser dann bestimmen kann, welchen Priestern die Genehmigung erteilt werden kann und welchen nicht. Nur der Dechant darf ohne Genehmigung der Rayonverwaltung zu Kirchweih­festen reisen. Aus fremden Rayons drüfen Priester nicht eingeladen werden.

4. Auch für die geringsten Renovierungsarbeiten an Kirchen- oder Pfarr­gebäuden muß die Erlaubnis bei der Rayonverwaltung eingeholt werden. Die Renovierungsarbeiten müssen mit der Rayonverwaltung abgesprochen Verden, und nicht mit dem Gemeindepfarrer.

5. Kollektengelder dürfen nur vom Vertreter des Kirchenkomitees gesam­melt werden. Die eingesammelten Gelder müssen in Sparkassen deponiert werden. Bestimmte Summen sind unbedingt dem Friedensfonds zu über­weisen.

6. Sollte jemand aus einer gläubigen Familie Selbstmord verüben, hat der Preister kein Recht, ihm ein katholisches Begräbnis zu verweigern.

7. Den Priestern ist es nicht erlaubt, über die niedrige Moral der Menschen zu sprechen, sondern nur über Gott.

8. Den Priestern ist es nicht gestattet, Eheschließungen oder Taufen vorzu­nehmen, bevor nicht zivile Heirats- oder Geburtsurkunden ausgestellt wur­den. Ohne Geburtsurkunde kann auch ein schwächliches Kind nicht getauft werden.

9. Die Gläubigen haben kein Recht, Unterschriften zu sammeln oder Be­schwerden vorzubringen, daß die Religionsfreiheit beschränkt sei.

Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees Vaitonis verbot al­len das Wort, die sich dazu gemeldet hatten. Verärgert schlug er mit der Faust auf den Tisch.

Der Vorstand des Kirchenkomitees der Gemeinde Vosiünai wandte sich an Vaitonis mit der Erklärung, daß er seine Kinder an Sonntagen nicht allein zu Hause lassen könne, denn wer würde es verantworten, wenn sie ihm das Haus ansteckten? Vaitonis drohte ihm, daß der Staat ihm die Vaterrechte absprechen werde, falls er die Kinder in die Kirche führe. „Ihr werdet sie mir nicht absprechen, denn die Kinder gehören mir! Befolgt zuerst eure anderen Gesetze" war die Antwort.

Der Leiter der Finanzabteilung überprüfte die Bücher über die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden.

In manchen Ortschaften hat sich der Brauch eingebürgert, die Geburts­urkunden für die Neugeborenen nur ein paar Mal im Jahr auszustellen. Am festgesetzten Tag müssen die Paten mit dem Kinde bei der Gemeindever­waltung erscheinen, wo die Feier der Namensgebung stattfindet und die Ur­kunde ausgestellt wird. Sollen nun etwa katholische Eltern einige Monate ihr Kind ungetauft lassen, wo doch der Glaube vorschreibt, auch ein ge­sundes Kind so schnell wie möglich taufen zu lassen?

Adutiškis

An den Justizminister der SSR Litauen Arankevičius;

An den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten K. Tu-mėnas;

An die Bischöfe und Bistumsverwalter Litauens; Eingabe

Die Verfassung der UdSSR garantiert allen Bürgern die Freiheit für die Ausübung religiöser Kulte (Artikel 124). Desgleichen wird auch durch die

Gesetzgebung die Freiheit des Wortes, der Presse, der Versammlung sowie der Straßenumzüge (Paragraph 125) garantiert, und das Strafgesetzbuch der SSR Litauen (Paragraph 145) sieht sogar Strafen für diejenigen vor, die die Ausübung religiöser Kulte stören. In der Praxis sieht es jedoch ganz an­ders aus.

In der Kirche von Adutiškis fanden zwischen dem 15.—17. März 1974 Fastenexerzitien statt. Diese verliefen sogar während der Stalinzeit ruhig. Gleich nach den Exerzitientagen wurde ich am 20. März zum Gemeinde­vorsitzenden von Adutiškis vorgeladen, wo ein Protokoll über „administra­tives Vergehen" verfaßt wurde, in dem ich beschuldigt wurde, an den Tagen vom 15.—17. März den Absatz 2 des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjet der SSR Litauen vom 12. Mai 1966 verletzt zu haben. Nach kurzer Zeit erhielt ich sogar zwei Bescheide, daß die Administrativkommission des Exekutivkomitees des Rayons Švenčionys am 25. März meinen Fall verhan­deln werde und daß ich dabei anwesend sein müsse.

An der Sitzung nahmen der stellvertretende Vorsitzende des Exekutiv­komitees des Rayons, Mačionis, der Leiter der Miliz Archipow und andere Mitglieder der Administrativkommission teil. Mačionis beschuldigte mich, daß ich den zweiten Absatz des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjet der SSR Litauen vom 12. Mai 1966 verletzt hätte, indem ich ohne Erlaub­nis der Rayonverwaltung Priester zu Exerzitien eingeladen hätte. In das Urteil schrieb man jedoch: „Verletzte die Gesetze, indem er religiöse Ver­sammlungen organisierte." Gewöhnliche Fastenexerzitien in der Pfarrei wurden als Versammlungen deklariert!

In dem zweiten Absatz des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjet der SSR Litauen vom 12. Mai 1966 heißt es: „Wegen Verletzung der im Gesetz festgelegten Bestimmungen, indem religiöse Versammlungen, Pro­zessionen und andere Kulthandlungen organisiert und durchgeführt wer­den". Dieser Absatz steht klar im Widerspruch zum Artikel 125 der Ver­fassung der UdSSR, der den Bürgern die Versammlungsfreiheit garantiert. In der Kirche von Adutiškis fanden keinerlei Versammlungen statt, son­dern nur die üblichen Exerzitien in der Fastenzeit.

In dem Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjet vom 12. Mai 1966 ist nichts erwähnt von Einladungen von Priestern zu Kirchweihfesten oder Exerzitien noch daß hierfür Genehmigungen der Rayonverwaltungen ein­geholt werden müßten. Es wurde mir nicht gesagt, wer ein solches Gesetz erlassen hat, das verbietet, Priester ohne Erlaubnis der Rayonverwaltung Zu kirchlichen Veranstaltungen einzuladen.

Als ich nach Anhörung der Anschuldigung den Sitzungsteilnehmern er­klären wollte, daß ihre Beschuldigung ohne jede Begründung sei, schrie der bei der Sitzung anwesende Milizionär: „Schweig! Du bist hier nicht in der Kirche!" Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees Mačionis fragte mich: „Hast du Priester eingeladen?" Ich bestätigte dies. Darufhin antwortete Mačionis: „Das genügt uns", und der Leiter der Miliz Archipow drohte: „Wir werden dich schon zur Ordnung bringen!" Es ist sehr bedauerlich, daß der Leiter der Miliz nichts gegen Rowdies unter­nimmt, die sogar auf den Friedhöfen die Grabsteine und Kreuze umwerfen. In unserer Pfarrgemeinde haben sie 1969 den Friedhof von Davaisiai ver­wüstet, 1972 warfen sie auf dem Friedhof von Jakeliai einen künstlerisch wertvollen Bildstock um, der Jahrhundertelang den Friedhof schmückte. An einem Oktoberabend des Jahres 1973 rissen Rowdies Kreuze auf dem Friedhof von Adutiškis aus und trieben damit in den Straßen der Stadt ihr Unwesen. Und wieviel Trinker und andere Raufbolde gibt es, aber um all die erwähnten Vergehen scheint sich der Leiter der Miliz nicht zu küm­mern, sondern verbraucht seine ganze Energie im Kampf gegen die Kirche. „Wir werden dich schon zur Ordnung bringen!" Einen rechtlosen und un­schuldigen Priester kann man sehr leicht „zur Ordnung bringen". Jemanden zu verleumden und zu beschuldigen, dazu haben alle das Recht. Jedoch einen Priester zu verteidigen, hat niemand das Recht — das wäre ein Ver­gehen.

Zu der Sitzung wurde ich vorgeladen, aber zu den Beschuldigungen könnt ich nichts erklären. Wozu wurde ich vorgeladen, wenn man mir das Wor verbot? Daher sehe ich mich gezwungen, an die sowjetischen Staatsorgan zu schreiben.

1. Von meinen priesterlichen Pflichten werde ich mich nicht lossagen, wede zum Nutzen des Kirchenkomitees noch zum Nutzen der zivilen Regierung.

2. Die Priester habe ich zu Exerzitien eingeladen, denn dazu ist der Ge meindepfarrer durch das Kirchenrecht und die Beschlüsse der Synode d Erzbistums Vilnius verpfliditet:

a) „Die Gemeindepfarrer haben dafür zu sorgen, daß alljährlich wenigsten dreitätige Exerzitien durchgeführt werden, damit die Gläubigen sich ge bührend auf die heiligen Sakramente vorbereiten können" (Artikel 22).

b) „Die Gemeindepfarrer haben dafür zu sorgen, daß die ihnen anvertrau ten Gläubigen sich sorgfältigst auf den Empfang der österlichen Kommu nion vorbereiten, sei es durch Exerzitien, sei es durch spezielle Predigten Die Pfarrer sollen genügend Priester zum Beichtehören einladen" (Artik 381).

In den Beschlüssen der Synode heißt es: „Die Pfarrer haben dafür zu sor gen", und nicht das Kirchenkomitee oder die zivile Regierung.

3. Ich habe nur solche Priester eingeladen, von denen in dem 1948 zwische dem Kirchenkomitee von Adutiškis und dem Exekutivkomitee des Rayon Švenčionėliai abgeschlossenen Vertrag, gesprochen wird. Dort heißt es ganz deutlich: „Denjenigen Kultdienern, die nicht beim Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten der SSR Litauen registriert sind, ist es nicht gestattet, Kulthandlungen vorzunehmen." Ich aber habe nur solche Priester eingeladen, die registriert sind. Der erwähnte Vertrag ist immer noch gültig, denn es existieren derselbe Staat und dieselbe Kirche. Der Vertrag kann nicht einseitig gelöst oder abgeändert werden.

4. Die Priester habe ich ohne Erlaubnis eingeladen, da mir der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons, Švenčionys Mačionis, am 10- Juli 1973 erklärte: „Sucht um Erlaubnis nach, wir werden euch 23 Priester geben." Könnten denn drei Preister bei einer solchen Anzahl von Gläubigen die Beichte hören, wie wir während dieser Exerzitien hatten, nämlich bei 2105 Personen?

Außerdem erklärte mir Mačionis am 21. November 1973: „In Zukunft wird das Kirchenkomitee um Reiseerlaubnis für die Priester zu Kirchweih-festen nachsuchen müssen. Wir werden die Erlaubnis erteilen, aber nicht im­mer für so viele, wie gefordert werden und nicht immer für diejenigen, die verlangt werden — wir werden auch unsere hinschicken." In der Kirchen­geschichte ist es nie bekannt gewesen, daß eine Regierung — und noch dazu eine atheistische — „ihre Priester" für die Sakramentenerteilung bestimmt hätte. Das ist eine grobe und illegale Einmsichung in die inneren Angelegen­heiten der Kirche. In der sowjetischen Presse wird häufig betont, daß der Staat sich nicht in die inneren Belange der Kirche einmische. Als Beispiel führe ich von J. Anicas und J. Rimaitis „Tarybiniai įstatymai apie reli­ginius kultus ir sąžinės laisvė" (Sowjetische Gesetze über religiöse Kulte und Gewissensfreiheit), Band V, 1970, Seite 21, an.

5. Bischof M. Valančius schreibt in seinem Buch: „Maskoliams katalikus persekiojant" (Als die Moskowiter die Katholiken verfolgten), Kaunas, 1929, S. 39 und auch A. Alekna schreibt in „Bažnyčios istorijoje" (Kirchengeschichte), Tilsit, 1920, S. 223, daß der Zar einen „Ukas" erlassen hatte, wodurch es den Priestern nicht erlaubt war, ohne Genehmigung zu Kirchweihfesten zu fahren. Ich bin sicher, daß Lenin, als er die Verordnungen des Zaren annullierte, auch diesen Erlaß, der den Spott herausfordert, annulliert hat. In der sowjetischen Zeit wurde ein ähnliches Gesetz nicht herausgegeben. Somit habe ich kein Gesetz verletzt, als ich die Priester eingeladen hatte. Das Gutdünken der einzelnen Staatsbeamten ist noch kein Gesetz. Eine gesetzliche Bestimmung ist nur dann gültig, wenn sie öffentlich bekanntgegeben ist und der Verfassung nicht widerspricht. Die Administrativkommission hat mich also grundlos verhört und verwarnt.

In dem Beschluß der Administrativkommission wird erklärt, daß ich gegen dieses Urteil Revision beim Volksgericht einlegen könne. Das habe ich nicht getan. Ich habe in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß das Volksgericht keinerlei Dokumente beachtet, auch solche nicht, die von sowje­tischen Juristen als gewichtig angesehen worden waren, um zum Beispiel die widerrechtliche Beschlagnahme des Hauses, das ich bei der Kirche von Švenčionėliai errichten ließ, rückgängig zu machen. Das Gericht gab den Staatsorganen allein deshalb recht, weil ich mich weigerte, vor ihnen knie­fällig zu werden.

Ich bitte den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten höf­lich, die an mich grundlos gerichtete Verwarnung zu annullieren und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rayons Švenčionys, Mačionis, zu er­klären, daß er kein Recht hatte, gegen mich auf Grund des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjet der SSR Litauen vom 12. Mai 1966 vor­zugehen und mich zu verwarnen, da ich dieses Gesetz nicht verletzt habe.

Adutiškis, den 30. 4. 1974

Pfarrer B. Laurinavičius

Varėna

Am 13. April 1974 haben Rowdies während des Gottesdienstes die Kirche von Varėna mit Ziegelsteinen beworfen. Die Miliz weigerte sich einzu­greifen, denn es sei „kein Blut geflossen".

Am 20. April 1974 wurde anläßlich eines atheistischen Schülerabends die Figur des Gekreuzigten, die offenbar von einem Friedhofskreuz abgerissen war, verhöhnt. Man verspottete die Persönlichkeit, die für das Ideal ge­storben ist. Die Korrespondentin der Rayonzeitung „Raudonoji Vėliava" (Rote Fahne) hat in einem Artikel am 28. 5. 1974 ihrer Freude darüber Ausdruck verliehen, daß die Jugend gut erzogen werde, wenn sie die reli­giösen Riten verlache. Bei einer solchen „Erziehung" wird bei den Kindern jeglicher Respekt zerstört vor dem, was ideal und heilig ist. Man kann sich fragen, ob solche Kinder nicht zu Insassen von Strafkolonien werden?

Dubičiai

Der Vorsitzende des Exekutivkomitees von Dubičiai, J. Vaicekauskas, sandte Ende 1971 dem Vorstand des Kirchenkomitees von Dubičiai, B. Šve­das, folgendes Schreiben zu:

„Am 4. Dezember 1971, gegen 14 Uhr, geleitete der Kultdiener Ihrer Reli­gionsgemeinschaft, Mykolas Petravičius, ohne Genehmigung des Exekutiv­komitees die Leiche der verstorbenen Ieva Raginienė mit Trauerfahnen durch die Hauptstraße des Dorfes Dubičiai in die Kirche. Gemäß Punkt 9 Absatz 6 der Anwendungsbestimmungen für die Kult­ordnung sind religiöse Umzüge sowie religiöse Kulthandlungen unter freiem Himmel, mit Ausnahme von Beerdigungszeremonien auf dem Friedhof, verboten. Deshalb bitten wir Sie, den Kultdiener Mykolas Petravičius zu verwarnen, damit er in Zukunft die gesetzlichen Bestimmungen nicht ver­letzt."

ERZBISTUM KAUNAS

Kaunas

Nach dem Prozeß von Šarūnas Žukauskas und seiner Freunde beschloß der Staatssicherheitsdienst, sich die übrigen in Freiheit befindlichen aktiveren Volkskundler und weitere Personen vorzunehmen.

Aus dem Polytechnischen Institut wurde der Aspirant Jucevičius, der an der Fakultät für chemische Technologie arbeitete, entfernt. Desgleichen wur­den aus der Fakultät für sanitäre Bautechnik der Student Albinas Jonkus, aus dem medizinischen Institut die Studentin des 6. Kursus Levija Mozery-tė und der Assistent des Lehrstuhles für chirurgische Stomatologie, Remigi­jus Morkūnas, entfernt.

Einen strengen Verweis wegen ihrer „Führung", die der Ethik des sowje­tischen Arztes widerspreche, erhielt die Studentin des 6. Kursus am medi­zinischen Institut, Nijolė Muraškaite. Bei der Überprüfung ihres Falles warf ihr das Rektorat den Glauben und den Kirchenbesuch vor. Ähnliche strenge Verweise wurden den Studenten des 6. Kursus: Virginijus Skabui-skas und Kazimieras Preikšą erteilt. In ihren Arbeitsstätten wurden überprüft:

Jūratė Eitniravičiūte (Industrieplanung),

Eligijus Morkūnas (Museum für Volkskunde),

Margarita Sakalauskienė (Verantwortliche Sekretärin

des Vereins für Volkskunde in Kaunas),

Audronė Pieseckaitė (Čiurlionis-Museum),

Vilius Semaška (Radio-Fabrik),

Lukas Mackevičius (Fabrik für endrokine Präparate),

Regimantas Kurklietis (Fabrik für endrokine Präparate).

Margarita Sakalauskienė wurde aus ihrer Arbeitsstelle entlassen. Die übri­gen Personen wurden zum Komitee des Staatssicherheitsdienstes vorgeladen, wo man ihnen zuredete, ein Schriftstück zu unterschreiben, daß sie in Zu­kunft an keinen antisowjetischen Aktionen teilnehmen würden. Die oben aufgeführten Personen wurden in ihren Arbeitsstätten auf Grund von Schreiben des Parteikomitees überprüft.

Verärgert über diese Repressalien, sammelten die Volkskundler bei ihren Vereinsmitgliedern Austrittserklärungen und reichten diese der Stadtver­waltung von Kaunas ein.

Folgende Volkskundler wurden zum Komitee des Sicherheitsdienstes in Vilnius vorgeladen und gezwungen, Verwarnungen zu unterschreiben:

Alfonsas Juška, Birutė Burauskaitė,

Jonas Trinkūnas, Rimas Matulis, Kazys Misius.

Der Letztere wurde auch beschuldigt, Fotografien litauischer Kreuze ins Ausland geschickt zu haben. Wie die Ermittlungsbeamten erklärten, ist es gestattet, Aufnahmen von Kreuzen zu sammeln, nicht aber sie zu ver­breiten.

An den Tagen vom 14.—16. Juni 1974 wurde in der Pfarrei des hl. Anta­nas das Kirchweihfest gefeiert. Das Fest wurde am 13. Juni mit einer feier­lichen Prozession eingeleitet. Die feierliche Stimmung wurde jedoch durch Dreharbeiten gestört. Es entstand eine Panik. Viele wollten nicht in die Objektive der unbekannten Filmleute kommen. Am 2. Tag des Festes gab der Gemeindepfarrer P. Šniukšta den Gläubigen folgende Erklärung ab: „Vor 4 Jahren beschloß das litauische Filmstudio, einen Film über das reli­giöse Leben in Litauen und Lettland zu drehen. Gefilmt wurden eine vom Bischof von Riga zelebrierte Messe und die Beerdigung von S. E. Bischof Maželis. Danach wurden die Dreharbeiten unterbrochen. Mir wurde die Verantwortung für die Herstellung dieses Films übertragen. Einige Bi­schöfe und ich hatten die Möglichkeit, den gedrehten Film zu sehen. Jetzt waren die Leute aus dem Filmstudio wieder hier. Die Filmproduzenten er­klärten, daß die Prozession in der Pfarrei des hl. Antanas die schönste sei und daß die Filmarbeit in Ubereinstimmung mit der kirchlichen Hierarchie erfolge. Unter den Prozessionsteilnehmern entstand jedoch bei Beginn der Dreharbeiten eine Panik. Das Filmstudio versprach, daß der Film nieman­dem zum Schaden gereichen werde. Wir werden den Film vielleicht nicht sehen, aber es gibt Menschen, die ihn sehen werden .. ." „Die Chronik der katholischen Kirche Litauens" rät dem Pfarrer P. Šniuk­šta und anderen Priestern dringend, die Regiearbeit an atheistischen Pro-pagandafilmen abzulehnen und keine subjektiven Artikel für die atheisti­schen Zeitungen des Auslandes zu sdireiben, sondern sich vielmehr der ei­gentlichen priesterlichen Arbeit zu widmen.

Šiauliai

Die Arbeiter des Blindenkombinats in Šiauliai wurden am 15. März 1974 zu einem atheistischen Vortrag gebracht, der von Professor J. Zaksas vom medizinischen Institut in Kaunas gehalten wurde.

Der Professor sprach davon, daß im Ausland falsche Dinge über die Be­schränkung der religiösen Presse in Litauen, über die Verurteilung von un­schuldigen Priestern usw. verbreitet würden. Ferner erklärte er, daß nie­mand in das Priesterseminar in Kaunas eintreten wolle und daß es keine

Beschränkungen hierfür seitens der sowjetischen Regierung gebe. Wenn es vorkomme, daß ein Priester mehrere Gemeinden zu betreuen habe, dann liege es daran, daß bei der geringen Zahl von Gläubigen mehrere Priester nicht erforderlich seien.

Nach dem Vortrag stellten die Zuhörer eine Reihe von Fragen: „Ich habe soeben gehört, daß die Atheisten die Freunde von Gläubigen seien. Ich bin selbst gläubig und habe auch meine Kinder gläubig erzogen. Die Atheisten in Šiauliai haben mir jedoch schon einige Male bei Ver­sammlungen erklärt, daß meine Kinder in höhere Schulen nicht eintreten dürften. Wo ist da wohl die Freundschaft?" fragte der Arbeiter Šileikis. Der Professor versicherte, daß die Kinder von Šileikis in die Schulen auf­genommen würden, wenn sie die Prüfungen nicht schlechter bestünden als andere. Über das Verhalten der Atheisten von Šiauliai sei er nicht orien­tiert.

Auch der Arbeiter Jurevičius erwähnte, daß er keine Freundschaft seitens der Atheisten bemerkt habe. Zwei junge Leute hätten voriges Jahr ein Kreuz auf dem „Kreuzberg" aufgestellt. Für dieses „Vergehen" seien sie schwer bestraft worden. V. Ivanovas sei aus der Musikschule entfernt und Z. Mištautas zu den staatlichen Examen nicht zugelassen worden. Ferner sei Mištautas gezwungen worden, am Heiligen Abend einen atheistischen Vor­trag zu halten. Sei das nicht Verhöhnung eines Gläubigen? Oder sei das etwa Kameradschaft?

Professor Zaksas antwortete, daß die Atheisten sich nicht richtig verhalten hätten, als sie Mištautas für den atheistischen Vortrag bestimmt hatten. Zu der Nichtzulassung zum Examen hat er gar nichts erklärt. Jurevičius bemerkte auch, daß die religiöse Presse in Litauen nur in sehr geringen Auflagen erscheinen dürfe und daß es fast unmöglich sei, sie zu er­halten. Zum Beispiel seien die Gläubigen bereit, für den „Maldynas" (Ge­betbuch) 30 Rubel zu zahlen, wenn sie ihn nur bekommen könnten. Das Buch „II Vatikano susirinkimo nutarimai" (Die Beschlüsse des II. Vatika­nischen Konzils) habe er nur im atheistischen Museum gesehen. Der Direktor des Kulturhauses Alminas erklärte, daß er kein Gläubiger sein könne, denn aus irgendwelchen Gründen gebe es heutzutage keine Wunder, und alle früheren Wunder seien erfunden worden. Der Arbeiter Jurevičius erwiderte, daß es auch heute noch Wunder in Lour-des und Fatima gebe, aber den meisten blieben diese Fakten unbekannt, weil es keine religiöse Presse gebe.

Professor Zaksas sprach davon, daß während des Zweiten Weltkrieges die Deutschen im Namen Gottes Greueltaten verübt hätten. Ein Arbeiter er­klärte daraufhin, daß Hitler gottlos gewesen sei und daß in den Lagern der Faschisten Tausende von Priestern umgebracht worden seien. »Was werden die Atheisten machen, wenn es keine Gläubigen mehr gibt?" fragte Šileikis.

Nachdem er etwas nachgedacht hatte, antwortete der Professor, daß dann die Atheisten gegen Trinker und andere Übeltäter kämpfen würden. Auf viele Fragen gab der Professor gar keine Antwort oder beantwortete sie nur mit ungenauen Erklärungen.

„Die Existenz Gottes beweist sogar Ihr Vortrag", mit diesen Worten schloß ein Arbeiter seine Rede. Im Saal erscholl Beifall.

Der Schülerin Virginija Šileikytė schrieb die Klassenlehrerin Dukaitienė folgende Charakterbeurteilung: „Steht unter dem Einfluß religiöser Eltern. Virginijas Anschauungen entsprechen denen ihrer fanatischen Eltern .. ." Am 3. März 1974 brachte ein Sicherheitsdienstbeamter V. Ivanovas zum Sicherheitsdienstkomitee von Šiauliai. Virginijus wurde dort verhört, war­um er über die Verhöre im Zusammenhang mit dem Tragen des Kreuzes zum Burghügel Meškuičiai berichtet und wer seiner Mutter bei der Abfas­sung der Beschwerde geholfen habe u. a. mehr.

Am 11. Februar 1974 hielt der Lektor Gorodickis im Blindenkombinat von Šiauliai einen atheistischen Vortrag, während dessen er die Gläubigen ver­spottete. In seiner Rede erklärte er, man solle den Gläubigen zum Geburts­oder Namenstag einen Sarg schenken, wenn sie sich so sehr nach dem ewigen Leben sehnten.

Nach dem Vortrag wurde der Lektor von Zuhörern angesprochen, und es begann eine Diskussion. Der Lektor beeilte sich jedoch, den Saal zu ver­lassen.

Žagarė

Am 25. Februar 1974 tadelte der stellvertretende Vorsitzende des Exeku­tivkomitees von Joniškis, V. Mičiūnas, den Pfarrer von Žagarė G. Gudana-vičius, daß er im Trauerzug mitgehe und daß dabei das Kreuz vorangetragen werde, daß er den Kindern das Ministrieren bei der Messe erlaube, die El­tern auffordere, ihre Kinder in die Kirche zu schicken und daß er im Som­mer 1973 den Schülern Katechismusunterricht erteilt habe? „Kindern Katechismusunterricht zu erteilen", erklärte Pfarrer G. Guanavi-čius, „sie zum Altar hinzuführen, die Eltern aufzufordern, selbst in die Kirche zu gehen und ihre Kinder mitzubringen — das ist die Pflicht des Priesters. Ich wäre ein schlechter Priester, wenn ich diese Pflichten nicht ge­wissenhaft erfüllen würde."

„Die Kinder gehören uns, und wir werden sie euch nicht abgeben", erklärte Mičiūnas.

„Und wir werden die Kinder von euch nicht erbitten. Sie gehören den El­tern. Wenn die Eltern um unsere Hilfe bitten, werden wir ihnen auch gern helfen, ihre Kinder religiös zu erziehen", konterte der Pfarrer von Žagarė. „Ein Kreuz im Trauerzug voranzutragen, das erfordert der liturgische pitus. Dagegen hat auch der Bevollmächtigte des Rates für Religions­angelegenheiten, K. Tumėnas, nichts einzuwenden."

Tumėnas ist nicht unser Vorgesetzter", erwiderte der Funktionär. „In Vilnius kann er anordnen, was er will, aber nicht hier. Hier sind wir die Herren. Und überhaupt, uns mißfällt Ihre Tätigkeit in Žagare. Wir werden strengere Maßnahmen ergreifen."

„Das ist eure Angelegenheit. Ich aber werde meine Pflichten gewissenhaft

erfüllen."

Kurze Zeit darauf begann man in der Schule die Kinder zu verfolgen, die in die Kirche gingen. Die Lehrer gingen in die Häuser, luden die Eltern zu sich und redeten ihnen zu, die Kinder von der Kirche fernzuhalten. Die Kinder könnten auch zu Hause beten, für den Kirchenbesuch würden sie bestraft werden.

Am meisten mußten die Kinder der Familie Valančius leiden. Die Schülerin Genė Valančiūtė hat bis zur 6. Klasse nur „Fünfen" (nach deutscher Noten-gebung „Zwei") im Zeugnis gehabt und bekam jedes Jahr eine Ehren­urkunde. Auch in diesem Jahr hat sie das Schuljahr nur mit „Fünfen" be­endet, erhielt aber keine Ehrenurkunde und in Führung die Note „befrie­digend". Der Schülerin Zita Valančiūtė, die gut lernt und von beispielhaf­ter Führung ist, wurde die Note im Betragen auf „nicht befriedigend" redu­ziert.

Die gewissenhaften Lehrer sowie Eltern und Schüler sind über die Maß­nahmen des Klassenleiters der 8. Klasse V. Maižius und des Direktors Stel­mokas verärgert.

Vosiliškis

1974 wurde die atheistische Tätigkeit in Vosiliškis von der Lehrerin Lionė Kmieliauskienė und ihrem Mann Algis Kmieliauskas, der Vorsitzender der Gemeinde Vosiliškis ist, sehr aktiviert.

Zu Ostern schlichen beide auf dem Kirchplatz umher. Den Schülern spio­nierten zwei von ihnen bestimmte Personen nach — die Komsomolzin Urbaitė und die Lehrerin Vaišvilaitė. Sogleich nach dem Fest begann der Terror gegen Schüler und Eltern.

Der Gemeindevorsteher Kmieliauskas ordnete an, daß die Blaskapellenspie-Jer ihre Instrumente abzugeben hätten. Diese hatten nämlich Ostern gewagt, >n der Kirche zu spielen.

Die Schüler der 8klassigen Schule von Vosiliškis wurden wegen des Kir­chenbesuchs, insbesondere aber wegen der Teilnahme an der Prozession, ge­rügt. Die Lehrerin Bakienė lachte den Schüler der 3. Klasse Peseckas und seine Eltern wegen des Kirchenbesuchs aus.

»Wenn dir deine Mutter erzählt, daß dich der Storch gebracht hat, wirst du es auch glauben?", spottete die Lehrerin.

Das Ehepaar Kmieliauskas begnügte sich nicht mit seiner „Tätigkeit". Sie meldeten dem Direktor der Mittelschule von Grinkiškis, Kirtiklis, welche Schüler der höheren Klassen, die die Schule von Grinkiškis besuchen, Ostern in der Kirche waren. Der Direktor Kirtiklis bestellte diese Schüler ins Leh­rerzimmer und zwang sie, Erklärungen zu unterschreiben, warum sie Ostern in der Kirche gewesen waren. Der Schüler der 8. Klasse R. Jančius wurde sogar genötigt, fünfmal die Erklärung abzuschreiben, warum er Ostern bei der Messe ministriert habe. Dem Schüler der 11. Klasse J. Kilbauskas er­klärte der Direktor Kirtiklis: „Wähle entweder die Schule oder die Kirche". Der Schüler reichte ein Schreiben ein, daß er die Schule verlassen wolle. Daraufhin versprach der Direktor die Beleidigungen künftig zu unterlassen und redete ihm zu, die Schule weiter zu besuchen.

Am 14. Mai kam der Leiter des Sicherheitsdienstes aus dem Rayon Raseiniai in die Mittelschule von Grinkiškis und versuchte den Schüler J. Kilbauskas umzustimmen, bei der Messe nicht mehr zu ministrieren. „Du bist schon volljährig und brauchst nicht mehr auf deine Eltern zu hören", belehrte ihn der Sicherheitsdienstfunktionär.

In der Bauernschaft Puodžiai in der Gemeinde Vosiliškis fiel ein altes Weg­kreuz um. Pranas Poškus wollte ein neues aufstellen, aber der Gemeinde­vorsteher Kmieliauskas unterrichtete die Rayonverwaltung darüber, die dem Poškus untersagte, ein neues Kreuz aufzustellen.

„Wir reißen Kreuze nicht aus", sprach der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees, Z. Butkus, aus dem Rayon, „aber wenn ein Kreuz um­fällt, dann hat es seine Zeit gelebt, und ein neues darf nidit mehr aufgestellt werden.

Am 13. Mai 1974 hat der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomi­tees des Rayons Raseiniai, Butkus, den Gemeindepfarrer von Vosiliškis, Jonas Survila, vorgeladen und ihm Vorhaltungen gemacht, daß er unge­horsam und aggressiv sei, weil er Kinder bei der heiligen Messe ministrie­ren lasse, und dafür sei er auch schon bestraft worden. Tatsächlich mußte sich Pfarrer J. Survila am 13. Mai 1971 deshalb vor dem Leiter des Si­cherheitsdienstes Gardauskas verantworten, und am 18. Juli 1972 wurde er wegen des Meßdienstes der Kinder mit einer Geldbuße von 50 Rubeln be­legt.

Der stellvertretende Vorsitzende Z. Butkus befahl dem Pfarrer, eine Er­klärung zu schreiben, warum die Kinder bei der heiligen Messe dienen. Pfarrer J. Survila sandte folgendes Schreiben ab:

„Die Väter und Mütter der Kinder wünschen, daß ihre Kinder in die Kirche gehen und sich nicht der Trunksucht ergeben. Würde ich die Kinder agitie­ren, dann hätte ich eine Schar davon. Und übrigens, können Sie die Mütter der Kinder fragen, wer agitiert?

Warum ich die Kinder nicht vom Altar fernhalte? Ich kann sie deshalb nicht vom Altar weisen, weil Jesus Christus sagte: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht.. . (Neues Testament, V., 1972, S. 190,

118, 67).

Also „Gott muß man mehr hören als den Menschen" (N. T., S. 298, 295)." Nach Erhalt dieses Schreibens lud der stellvertretende Vorsitzende Butkus den Pfarrer J. Survila zur Rayonverwaltung vor, wo ihn die Administra­tivkommission zu einer Geldstrafe von 50 Rubeln verurteilte. Butkus war besonders darüber erzürnt, daß der Pfarrer schrieb „Gott muß man mehr hören als den Menschen". Demnach würde er sich auch in Zukunft nicht bessern. Man drohte dem Pfarrer, daß künftig strengere Maßnahmen gegen ihn ergriffen würden.

Surviliškis

Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons Kė­dainiai, Juškevičius, verbot dem Pfarrer von Surviliškis, Vytautas Užku­raitis, zu Kirchweihfesten in die Nachbargemeinden zu fahren und dort zu predigen. Uber dieses Verbot unterrichtete Pfarrer V. Užkuraitis die Gläubigen in Surviliškis, Gudžiūnai und Šaravai:

„Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons verbot mir, zu Kirchweihfesten in die Nachbargemeinden zu fahren und dort zu predigen. Ich bin jedoch Priester der von Christus gegründeten Kirche und muß auf die Worte des Herrn hören, der da sagt: „Gehet hin in die Welt und predigt das Evangelium allen Geschöpfen." Kann ich mich einem sol-dien kategorischen Befehl entziehen? Ich werde deshalb auch in Zukunft zu Kirchweihfesten fahren und predigen, und denjenigen, die mir Verbote erteilen, möchte ich die Worte der Apostel Petrus und Johannes ins Ge-däditnis rufen: „Prüfet selbst, ob es recht ist, Euch mehr zu hören als Gott?"

Nach dem Kirchweihfest wurde Pfarrer V. Užkuraitis zum stellvertreten­den Vorsitzenden Juškevičius vorgeladen, der sich anschickte, den „unge­horsamen" Priester zu belehren:

».Warum hielten Sie sich nicht an unsere Gesetze und fuhren ohne unsere Erlaubnis zu Kirchweihfesten und predigten dort?"

»Kirchweihfeste, Gottesdienste, Sakramentenspendung gehören nicht in Ihre Kompetenz, sondern in die des Bischofs und der Priester", erklärte der Pfarrer von Surviliškis. Mit welchem Recht mischen Sie sich in die inneren Angelegenheiten der Kirche, in das Gebiet des kanonischen Rechts und hindern die Priester und die Gläubigen daran, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen? Mit einem solchen Verhalten verletzen Sie und nicht wir die Ver­fassung der Sowjetunion und die Deklaration für Menschenrechte. Sie als Funktionäre der sowjetischen Administration werden zu Handlangern der Atheisten und dienen nicht allen Bürgern, sondern nur einer Minderheit. Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie als stellvertretender Vorsitzender keiner­lei juristisches oder gar moralisches Recht haben, den Priestern zu befehlen: „Fahre du zum Kirchweihfest und predige und du fahre nicht!" „Für dieses Benehmen und für diese Worte werden wir Sie noch zur Ord­nung bringen!" drohte Juškevičius. „Sie werden sich noch selbst die Grube schaufeln ..."

Die Frau Eidukienė aus Surviliškis ging jeden Tag mit ihrem Sohn in die Kirche. Dafür wurde der Junge in der Schule auf die verschiedenste Weise verspottet und beschimpft. Der Lehrer Klanauskas drohte der Mutter so­gar:

„Wenn Sie auch weiterhin das Kind so oft in die Kirche führen, werden wir Ihnen die Mutterrechte abnehmen und Ihren Mann aus der Buchhalterstelle entlassen."

BISTUM PANEVĖŽYS

Utena

An den Apostolischen Administrator des Bistums Panevėžys S. E. Bischof Dr. R. Krikščiūnas

Erklärung

des Dechanten von Utena Pfarrer J. Niurka

Am 28. März 1974 habe ich im Krankenhaus von Utena der Frau Ona Katiniene, die durch einen Autounfall verletzt und bewußtlos war, das Sakrament der Letzten Ölung gespendet. Die Verletzte verstarb am fol­genden Tag.

Am 29. März wurde ich zum stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutiv­komitees des Rayons Utena, Labanauskas, vorgeladen. Dieser befragte mich, ob ich am vorhergehenden Tag im Krankenhaus bei einer Kranken gewesen wäre und ob ich dafür die Genehmigung des leitenden Arztes ge­habt hätte.

Ich erklärte ihm, daß mich die Schwester der Verstorbenen um den Besuch gebeten habe und versichert hätte, daß der Besuch mit dem Krankenhaus­personal abgesprochen sei und man mich nicht aus dem Krankenhaus wei­sen würde. Ich versorgte die Verletzte und wurde von niemand gestört. Der stellvertretende Vorsitzende begnügte sich nicht mit meiner Erklärung und bat mich, sie schriftlich einzureichen. Ich fühlte mich nicht schuldig, eigenmächtig ins Krankenhaus eingedrungen zu sein, weil ich nur meine priesterlichen Pflichten erfüllt hatte. Aus diesem Grunde habe ich die Er­klärung auch geschrieben.

Eines Nachts wurde ich geweckt, um ins Krankenhaus zu fahren. Es stellte sich jedoch heraus, daß man sich nicht mit dem Krankenhauspersonal abge­sprochen hatte. Ich versprach zu warten, bis man die Erlaubnis eingeholt habe, aber ich wurde nicht mehr gerufen.

Nach einigen Tagen wurde ich wiederum ins Krankenhaus gerufen. Der Bittende hatte jedoch keine Genehmigung vom leitenden Arzt. Als er um Erlaubnis nachsuchte, kam er nicht mehr wieder zu mir zurück. Am 7. März verkündigte ich den Gläubigen von der Kanzel, daß wir Prie­ster ohne Genehmigung des leitenden Arztes ein Krankenhaus nicht betreten dürften.

Am 24. April bat die 82jährige Frau Agota Graužinienė aus der Bauern­schaft Drončinėnai, die im Krankenhaus lag, um den Besuch eines Priesters. Ihre Kinder suchten beim Arzt um Erlaubnis nach. Der Arzt erklärte je­doch: „Sie ist noch nicht schwach. Wir haben kein separates Zimmer ..." So kann man das nicht einmal einem von der Herrschaft unterdrückten Häusler erklären, denn die Kranke stand kurz vor ihrem Tode. Pro Tag verbrauchte sie 12 Sauerstoffkissen, und für die Versorgung der Kranken steht im Krankenhaus von Utena dem Priester das Sprechzimmer des leiten­den Arztes zur Verfügung. Am 25. April starb Frau Graužinienė ohne den Beistand des Priesters. Schlußfolgerungen:

1. Im Krankenhaus von Utena ist es den Priestern nicht erlaubt, Kranke oder Sterbende zu betreuen, ganz zu schweigen von denjenigen, die die Osterbeichte ablegen möchten.

2. Welchen Sinn hat die Bestimmung, vom leitenden Arzt die Erlaubnis ein­zuholen, wenn diese doch nicht erteilt wird?

3. Es hat den Anschein, daß irgend jemand dem leitenden Arzt verboten hat, die Genehmigung zu erteilen, ähnlich wie es den diensthabenden Ärzten nicht gestattet ist, Priester zu Kranken zuzulassen.

Ich bitte deshalb Ihre Exzellenz, bei den zuständigen Instanzen vorstellig zu werden, damit in Utena die in diesem Zusammenhang entstandenen Mißverständnisse behoben werden und der Priester, der Kranke betreut, nicht wie ein Übeltäter angesehen wird.

Utena, den 9. Mai 1974

Pfarrer J. Niurka

Am 15. April 1974 hat das Exekutivkomitee des Rayons Utena den Vor­sitzenden der Exekutivkomitees der Städte und Gemeinden folgendes Schreiben zugesandt:

„Sie werden gebeten, zusammen mit dem Mitglied der Kontrollkommission
für die Einhaltung der Kultgesetze beim Exekutivkomitee des Rayons
Utena......... folgende Arbeiten zu den festgesetzten Terminen auszufüh-
ren:

1. Bis zum 19. April ist dem Exekutivkomitee nach dem beigefügten Muster
ein Terminkalender aller im Jahre 1974 in den Kirchen stattfindenden
Kirchweihfeste und anderer religiöser Feiern einzureichen:
In der Kirche von....... wurden/werden 1974 folgende Feste gefeiert:

Lfd. Bezeichnung des Datum Welche Priester werden

Nr. Kirchweihfestes oder (oder wurden)

anderen Festes zur Aushilfe eingeladen?

Vorstand des ausführenden Organs der Religionsgemeinschaft in Bemerkungen:

1. Dieser Kalender der religiösen Feste ist vom Komitee der Religionsge­meinschaft zu erstellen und zu unterschreiben.

2. Stellen Sie Kopien des Terminkalenders her: ein Durchschlag verbleibt für Kontrollzwecke beim Exekutivkomitee der Gemeinde, ein weiterer wird dem Mitglied der Kontrollkommission für die Einhaltung religiöser Kulte Genosse ... ausgehändigt, und das Original ist an mich zu schicken.

3. An Arbeitstagen können feststehende religiöse Feste nur nach der Ar­beitszeit gefeiert werden. Deshalb ist unter der Rubrik „Datum" die Uhr­zeit anzugeben, zu der die Feier beginnt. Man sollte vorschlagen, nicht fest­stehende Feste auf den nächsten Sonntag zu verlegen.

4. Dem Vorstand des ausführenden Organs ist klarzumachen, daß auch in Zukunft, trotz der Erstellung des Terminkalenders für religiöse Feste, vor jedem Kirchweihfest oder einem anderen religiösen Feiertag beim Exekutiv­komitee des Rayons um Genehmigung nachzusuchen ist, wenn ein oder meh­rere Priester aus den Nachbargemeinden zur Aushilfe eingeladen werden sollen. Ihr Wunsch allein besagt nämlich noch nicht, daß er auch von der Rayonverwaltung gebilligt wird. Kurz, will man einen Priester aus der Nachbargemeinde zur Aushilfe einladen, muß vorher dafür die Genehmi­gung nach der festgesetzten Ordnung eingeholt werden.

5. Bis zum 10. Mai sind die Verträge mit den Religionsgemeinschaften über die weitere Nutzung des Kirchenraums und des religiösen Inventars zu er­neuern.

Der Vertrag ist in dreifacher Ausführung anzufertigen: ein Exemplar bleibt in der Akte des ausführenden Organs der Religionsgemeinschaft, das zweite und dritte Exemplar werden dem Exekutivkomitee des Rayons zugestellt (ein Exemplar davon wird dann dem Rat für Religionsangelegenheiten in Vilnius zugesandt).

Sollten bei der Ausfüllung des Vertragsformulars Unklarheiten entstehen, so wenden Sie sich bitte an mich.

6. Zusammen mit den Verträgen ist auch ein Verzeichnis der Kultgegen­stände (vom ausführenden Organ der Religionsgemeinschaft anzufertigen und zu unterschreiben) nach folgendem Muster einzureichen:

Verzeichnis

der Kultgüter, die unentgeltlich zur Nutzung der Religionsgemeinschaft in
........ zur Verfügung gestellt sind:

Inv. Bezeichnung des Gegenstandes Material Länge Wert des Gegen- Bemerkungen
Nr. und seine besonderen oder Standes ohne

Unterscheidungsmerkmale Gewicht Abnutzung

............ Vorstand des ausführenden Organs der Religionsgemeinschaft.

in.........

7. Zu überprüfen und, wo erforderlich, zu erneuern sind der Zwanzigerrat, das ausführende Organ der Religionsgemeinschaft sowie die Revisionskom­mission. In diese Listen sind nur loyale Personen aufzunehmen. Nicht auf­zunehmen sind alle Personen, die bestraft oder verbannt waren sowie son­stige Reaktionäre.

Aus den Mitgliedern des Zwanzigerrates ist das auführende Organ, be­stehend aus drei Personen, zu wählen (Vorstand, Sekretär, Kassierer) sowie die ebenfalls aus drei Personen bestehende Revisionskommission (Vorstand und zwei Mitglieder).

Sie werden gebeten, die angegebenen Arbeiten gründlich und pünktlich aus­zuführen.

Anlage: 1. Erklärung über die Anwendungsordnung zur Einhaltung der

Kultgesetze.

2- 3 Vertragsformulare.

Stellvertretender Vorsitzender des Exekutivkomitees des Delegiertenrates des Werkvolkes im Rayon Utena.

Anmerkung der Redaktion: Ähnliche Schreiben erhielten alle Exekutiv­komitees der Städte und Gemeinden in Litauen.

 

Biržai

Am 12. Juni 1974 wurde der Kanonikus Antanas Misevičius zur stell­vertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Rayons Biržai, Fräu­lein Steckaitė, vorgeladen, wo er sich erklären mußte, warum er es gewagt hatte, Frau Stiklerienė, Mutter eines Atheisten, zu beerdigen. Auf Wunsch der Verwandten hat der Kan. A. Misevičius Frau Stik­lerienė, die Mutter des Lehrers aus Pabirže, eines eifrigen Atheisten, beerdigt. Vorher hatte er die Frau mehrmals mit den heiligen Sakramenten versorgt. Während der Krankheit wurde die Frau nicht von ihrem atheisti­schen Sohn, sondern von der Tochter betreut.

Die stellvertretende Vorsitzende Steckaitė verwarnte den Kan. A. Misevi­čius, daß sie künftig bei einem solchen „Vergehen" entsprechende Maßnah­men ergreifen werde.

BISTUM TELŠIAI

Šilalė

Im März 1974 hat der Vikar der Gemeinde Šilalė, A. Šeškevičius, einige Beschwerden an den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenhei­ten gerichtet. Wir bringen hier einige Auszüge daraus:

1. „Der Pfarrer von Kvėdarna lud mich zu den am 5.—6. April 1974 stattfindenden Fastenexerzitien ein. Der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees von Šilalė, Jankus, strich meinen Namen aus und erteilte nur einem Priester die Reiseerlaubnis. Warum diese Diskriminierung? Im vergangenen Jahr haben es 5 Priester kaum geschafft, die große Anzahl von Gläubigen in der Fastenzeit zu versorgen. Wie sollen es jetzt 2 schaffen? Der stellvertretende Vorsitzende Jankus sollte den Sowjetbürgern, die sich der von der Verfassung garantierten Religionsfreiheit bedienen, mehr Menschlichkeit zeigen.

Wird das Verhalten des stellvertretenden Vorsitzenden Jankus nicht dazu führen, daß die Priester, wie sie es schon anderswo tun, überhaupt um keine Reiseerlaubnis mehr nachsuchen? Wozu soll man die längst überlebten Zei­ten des Zaren oder des Murajev wieder zurückholen? Wird dem Kommunis­mus nicht auf diese Weise selbst die Grube geschaufelt?

2. Am 15. März 1974 wurde ich zusammen mit dem Pfarrer Kan. Valaitis zum stellvertretenden Vorsitzenden von Šilalė, Jankus, vorgeladen. Dort war auch ein Vertreter des Sicherheitsdienstes anwesend.

Der stellvertretende Vorsitzende Jankus und der Sicherheitsbeamte drohten mir mit Gefängnis, da ich ungeachtet aller Strafen immer noch die Gesetze verletze. Ich erklärte ihnen, ich sei bereit, im Gefängnis der Kommunisten zu sterben.

Ich bat sie, mir ein Gesetz zu zeigen, das ich verletze, aber keiner von ihnen hat mir ein solches Gesetz gezeigt. Der stellvertretende Vorsitzende Jankus drohte mir nur in grober Weise, daß er mit mir nicht mehr sprechen werde, sondern nur noch handeln.

Ich bitte Sie daher um Ihre Hilfe, damit ich nicht diskriminiert und ver­leumdet werde und damit man mich wie einen Menschen behandelt."

BISTUM VILKAVIŠKIS

Plutiškės

An das Kultusministerium der SSR Litauen

Eingabe

des Kirchenkomitees der katholischen Gemeinde von Plutiškės.

Beim Kirchweihfest am 5. Mai 1974 verschaffte sich während des Gottes­dienstes der Direktor der Mittelschule von Plutiškės, J. Jakštas, mit Gewalt Zugang zum Kirchplatz und verletzte mit seinem groben Benehmen die Gläubigen. Ohne Anwesenheit eines Milizvertreters und ohne Wissen des Kirchenkomitees durchsuchte er den Glockenturm und den Kirchenvorraum. Als Jakštas den Kirchplatz verlassen hatte, erschien kurz darauf eine Grup­pe von Schülern der Mittelschule von Plutiškės auf dem Kirchplatz, die sich anschickten, alten Frauen die Rosenkränze und andere Devotionalien ab­zunehmen. Einer Frau wurde sogar das Geld weggenommen. Als schließlich Lärm entstand, gelang es, die Halbwüchsigen vom Kirchplatz zu entfernen. Daraufhin lärmten sie auf der Straße und warfen mit Steinen auf die auf dem Kirchplatz betenden Menschen. Die ältere Frau Deltuvienė wurde da­bei von einem Steinwurf getroffen.

Es hat den Anschein, daß die Halbwüchsigen von irgend jemand aufgehetzt worden sind, denn früher benahmen sie sich nicht derartig. Es ist zu be­merken, daß der Direktor J. Jakštas nicht zum ersten Mal so auftrat. Wir bitten daher das Kultusministerium, den Direktor J. Jakštas zu ver­warnen, denn sein Benehmen gereicht weder der sowjetischen Schule noch einem sowjetischen Bürger zur Ehre.

Plutiškės, den 10. Mai 1974

Im Juli 1974 wurde der Vorstand des Kirchenkomitees von Plutiškės vom stellvertretenden Vorsitzenden des Rayons Kapsukas, Liolys, befragt, wer die Beschwerde geschrieben habe. Er wurde dafür gerügt, daß sich das Kirchenkomitee nicht an ihn, sondern an das Ministerium gewendet habe.. „In Zukunft müßt ihr euch nur an mich wenden", schloß Liolys die Unredung.

BISTUM KAIŠIADORYS

Molėtai

Ostern 1974 erschienen in allen Kirchen des Rayons Molėtai Spitzel, um zu beobachten, welche Schüler in die Kirche gingen. Als die Lehrer erfuhren, welche Schüler Ostern in der Kirche waren, besuchten sie die Eltern und rügten diese, daß ihre Kinder in die Kirche gingen. In Molėtai suchten sie Antanas Paliukas auf und tadelten ihn dafür, daß seine Tochter, Schülerin der 11. Klasse, in der Kirche war. Einem anderen Schüler der 11. Klasse wurde gedroht, daß man ihm eine schlechte Charakterbeurteilung schreiben und daß er deshalb bei keiner Hochschule ankommen werde. „Dann gehe ich eben ins Priesterseminar. Dort werden sie mich aufnehmen", gab der Schüler zurück.

Als sich die Eltern beschwerten, legte sich ein wenig der Fanatismus der atheistischen Lehrer.

Bagaslaviškis

Die Direktorin Sviderskienė von der Mittelschule in Bagaslaviškis im Rayon Širvintai befahl den Schülern am Karfreitag 1974, in der Karwoche nicht in die Kirche zu gehen. Wenn sie trotzdem gingen, müßten die Eltern dafür Geldstrafen zahlen. Am folgenden Tag wiederholte sie den Befehl, daß kein Schüler Ostern in die Kirche gehen dürfte.

Ostern beobachtete dann die Direktorin aus dem Wohnungsfenster der Lehrerin Aldona Černiauskaitė die Kirchgänger, unter denen sich auch viele Schüler befanden. Nach Ostern befahl die Direktorin allen Schülern, die in der Kirche waren, die Eltern mitzubringen. Die versammelten Eltern wur-den damit eingeschüchtert, daß den Kindern, die in die Kirche gingen, die Note in Betragen reduziert werde. Einige der Mütter, z. B. Frau F. Jablons­kienė, L. Strazdienė, B. Balandienė, E. Miliauskienė, Paukštienė wurden mehrere Stunden terrorisiert. Nicht weniger Unannehmlichkeiten mußten auch die Schüler erdulden, die in der Kirche waren.

Am 3. Mai 1974 wurde in Bagaslaviškis Jonas Gatelis beerdigt, dessen Sohn die Mittelschule des Ortes besuchte. Die Schüler, die den Verstorbenen zur Kirche geleiteten, mußten während des Gottesdienstes auf dem Vorplatz warten, denn die Direktorin A. Sviderskienė ließ sie nicht in die Kirche.