Im Winter 1956/57 bemerkte die Parteisekretärin L. Gangapaseva am Halse der Lehrerin S. Jasiūnaite der Mittelschule Kulautuva ein Kreuzchen, das sich aus der Kleidung herausgesdioben hatte. Die Gangapaseva meldete das dem Parteikomitee des Bezirks Kaunas und der Bildungsabteilung. In der Schule erschien aus Kaunas die Parteiinstruktorin Filomenova, berief eine dringende Lehrerkonferenz ein und behandelte das Vergehen der „Kreuzträgerin". In der Konferenz stellte die Instruktorin das Kreuzchen als ein historisches Schreckbild und eine Bedrohung der Sowjetunion und die Lehrerin Jasiūnaitė als Vollzieherin dieser Bedrohung dar. „Diese Jasiūnaite wird an unserer Schule nicht mehr arbeiten", erklärte die Filomenova und schlug mit der Faust auf den Tisch. Allein die Lehrerin wurde in dem Jahr nicht aus der Schule entlassen. Der Hauptgrund dafür war wohl die proletarische Herkunft der Lehrerin Jasiūnaitė. Aus einer Arbeiterfamilie stammend, verlor sie im sechsten Lebensjahr die Eltern, die ganze Kindheit verbrachte sie als Hütemädchen bei Bauern und arbeitete später als Magd. Bereits erwachsen besuchte sie abends die Primärschule und das Gymnasium in Kaunas. Während ihrer Tätigkeit als Lehrerin absolvier­te sie als Externe das Lehrerinstitut in Šiauliai. So war es geradezu un­sinnig, die Jasiūnaitė als Feindin der Sowjetordnung anzusehen. Der Partei­sekretär Strelzow bestellte die Lehrerin Jasiünaite und sprach sein Bedauern darüber aus, daß sie, eine Vertreterin der Arbeiterklasse, sich gegen die Sowjetordnung stelle und legte ihr nahe zu erklären, sie trage das Kreuz nicht, sondern bewahre es bloß als Schmuck oder als bedeutungslosen Ge­genstand auf. Im Sommer 1958 wurde die Lehrerin Jasiūnaitė ins Bildungs­ministerium bestellt. Der Kaderchef Paskuaskas eröffnete ihr, daß man sie aus der Mittelschule in Kulautuva würde entfernen müssen.

· Warum? — fragte die Lehrerin.

· Ist es wahr, daß Sie ein Kreuzchen besitzen?

· Das ist wahr!

· Besitzen Sie es nur zum Schmuck, oder als religiöses Attribut?

· Für mich ist das Kreuzchen kein Spielzeug. Ich halte es hoch als Zeichen des Glaubens.

· Demnach glauben Sie?

· Ja, ich glaube!

A. Paskauskas verließ das Zimmer um sich zu beraten und führte dann die Jasiünaite zur stellvertretenden Ministerin Virniauskaite. Diese wiederholte die Fragen wegen des Kreuzchens und erklärte, nachdem sie die gleichen Antworten erhalten hatte, die Jasiūnaitė würde in Zukunft weder an einer Schule noch an einer sonstigen Einrichtung, die Beziehungen zur Ideologie hätte, arbeiten.

Einige Tage danach erhielt die Jasiūnaite ihre Entlassungsurkunde mit der Unterschrift des Bildungsministers der Litauischen SSR, M. Gedvilas: „Ja­siūnaitė, Stase, Tochter des Vincas, wird von mir aus der Mittelschule Ku-lautuva mit dem 1. September 1958 entlassen."

Die Jasiūnaitė wandte sich schriftlich an den Bildungsminister mit der Bitte, ihr den Entlassungsgrund mitzuteilen. Nach einer zweiten Anfrage befahl das Bildungsministerium der Rayonabteilung für Bildung, der Jasiūnaitė mündlich den Entlassungsgrund zu erläutern.

Die der Arbeit enthobene Jasiūnaitė begann eine andere Tätigkeit zu su­chen. Im November 1958 nahm sie die Arbeit einer Küchenhilfe im Tuber­kulosesanatorium Kulautuva auf. Die von einem Fortbildungskursus zu­rückgekehrte Direktorin P. Čaikauskaitė entließ sie. Als die Jasiūnaitė darum bat, ihr wenigstens Reinmachearbeit zu gaben, sagte die Direktorin lachend: „Die Lehrerin soll in der Schule arbeiten". Vergeblich beschwerte sich die Jasiūnaite bei den Rayonbehörden von Kaunas. Sie bat den Ober­sten Sowjet der Litauischen SSR, sie als Schwarzarbeiterin an das Tuber­kulosesanatorium zurückkehren zu lassen. Für alle antwortete das Exeku­tivkomitee des Kanener Rayons, sie seien doch kein Arbeitsamt und nicht verpflichtet, ihr Arbeit zu geben.

Es stellte sich heraus, daß die Behördenvertreter in Kulautuva und im Rayon die Absprache getroffen hatten, der Jasiūnaitė keine Arbeit zu ge­ben. Im Sommer 1959 stellte der Direktor des Kindersanatoriums Kregz-dute in Kulautuva Astrankas sie als Pflegerin ein. Kaum hatte die Ärztin Biveliene\ ein Parteimitglied, davon erfahren, machte sie zu dem Direktor eine Bemerkung und nach einer Woche war die Jasiūnaitė wieder entlassen. Schließlich wandte sich, die Jasiūnaitė 1959 an den Sekretär der KP der UdSSR Chruscov. An den Rayonizpolkom Kaunas erging daraufhin der Befehl, der Jasiūnaitė Arbeit außerhalb der Schule zu geben.