DIE VERFOLGUNG DER LEHRERIN O. BRILIENĖ WEGEN EINES ERSTKOMMUNIONPHOTOS IHRERKINDER

Im Oktober 1969 gerieten zufällig Photos, die die Kinder der Lehrerin O. Brilienė bei der Erstkommunionzeigten, in die Hände von Frau Kerusauškienė, Lehrerin an der Mittelschule Vilkaviškis. Frau Kerusauškiene übergab diese Bilder dem Direktor der Schule, Čekanavicius. Sofort wurde eine nichtöffent­liche Sitzung der Parteimitglieder der Schule einberufen. Nach der Sitzung er­hielt die Lehrerin Frau Brilienė, die Aufforderung,eine schriftliche Erklärung abzugeben. Die Lehrerin gab an, daß es sich hier um Familienaufnahmen han­dele.Unter Berufung auf die Lehren Lenins schlug sie vor, man solle sich nicht in Familienangelegenheiten einmischen. Daraufhin fingen die Schikanen an. In der Klasse der Lehrerin, Frau Brilienė, wurde täglich die Sauberkeit überprüft und ihre Unterrichtsführung kontrolliert. Alles wurde fürschlecht befunden, ob­wohl das Verhalten der Lehrerin Brilienė bis dahin ohne Tadel gewesen war.

Der Terror durch die Parteiorganisation in der Schule

Eines Tages kommt es zur Untersuchung.

„Wie ist es, Frau Brilienė, bist du gläubig oder nicht?", fragte der Direktor. „Ja, ich glaube", antwortete dieGefragte ruhig.

Die Mitglieder der Kommission erklärten, es sei unmöglich, daß ein Absolvent einer Hochschule an Gott glaube,daß man die Schule verlassen solle, wenn man sich vom Glauben nicht lossagen könne u.s.w. Es wurde ihrgedroht, daß ihr Fall in der Abteilung für Bildung vor allen Lehrern des Rayons verhandelt werde u.a. „Es istungeheuerlich, wenn eine Lehrerin sich öffentlich zum Glauben bekennt", sprach der Direktor.

„Es ist erniedrigend für eine Lehrerin, nach 21 Dienstjahren noch gläubig zu sein! Wo bleibt das Gewissen?!",sagte Lehrerin Blažaitienė, um sich beim Direk­tor einzuschmeicheln.

Man versuchte, die Lehrerin Brilienė herabzusetzen: „Was, du glaubst auch an das Leben nach dem Tod?"

Die Lehrerschaft war über das Verhalten der Lehrerin Kerušauskiene sehr auf­gebracht, weil sie die Photosweitergegeben hatte. Doch nachdem der Direktor die Lehrerschaft als rückständig beschimpft hatte, begann sichdie Stimmung zu ändern.

Die Photos wurden erst zurückgegeben, nachdem Frau Brilienė eine Beschwerde an das Kultusministerium derUdSSR gerichtet hatte.

Der Terror der Kollegen

Im Mai 1970 wurde eine außerordentliche Lehrerkonferenz einberufen, um das Verhalten der Lehrerin Brilienėzu untersuchen.

„Die ganze Zeit war ich tief gläubig und bin es jetzt noch. In die Kirche bin ich gegangen, weil es meine Pflichtist. Ich ging immer nur heimlich in die Kirche. Jetzt brauche ich mich nicht mehr zu verstellen, weil dieAngelegenheit allen be­kannt ist", sprach Frau Brilienė in der Versammlung.

Die Lehrer unterstrichen in ihren Stellungnahmen, daß Frau Brilienė sowohl eine gute Lehrerin als auch ein guterMensch sei und nur ihres Glaubens wegen für die pädagogische Arbeit untauglich wäre. Nach der Koferenzentschuldigten sich manche Lehrerinnen bei Frau Brilienė. Es war offenkundig, daß viele aus Angst und unterDruck gesprochen hatten. Am Schluß der Konferenz schlug der Direktor vor, darüber abzustimmen, daß LehrerinBrilienė für die pädagogische Arbeit ungeeignet sei. Einige Lehrer enthielten sich der Stimme, wofür der Direktor sie heftig beschimpfte.

Terror seitens der Lehrergewerkschaft

Im Juni 1970 wurde über die Zukunft der Lehrerin Brilienė in der Sitzung der Ortsgruppe derLehrergewerkschaft beraten. Der Vorsitzende Girdauskas las ein Schreiben des Leiters der Bildungsabteilung desRayons Vilkaviškis vor, in dem die Ortsgruppe der Gewerkschaft ersucht wird, ihre Zustimmung zur Entlassung der Lehrerin Brilienė aus ihrer Tätigkeit zu geben. Alle Teilnehmer waren der Meinung, daß Frau Brilienė alsGläubige in der Schule unmöglich arbeiten könne. Sie selbst erklärte: „Ihre Erörterung meiner Überzeugungenverletzt die sowjetischen Gesetze". Darauf erwiderte der Direktor, sie beleidige durch ihren Glauben an Gott ihreKollegen, die kommunistischen Lehrer und bejahe nicht das sowjetische System. Er bedauerte außerdem, denKindern der Lehrerin Brilienė nach Abschluß der elften Klasse in der Charakterbeurteilung den Vermerk eintragen zu müssen, sie wären gläubig. Er schlug vor, sie solle sich an die Rayonverwaltung wenden, um wiedereingestellt zu werden. Abschließend stimmten sie für die Entlassung der Lehrerin Brillienė.

Während einer Lehrerkonferenz im August beschimpfte der Leiter der Propa­gandaabteilung, Vyšniauskas, inseinen Ausführungen über ideologische Fragen die Lehrerin Brilienė als Betschwester und hielt ihr vor, daß fürsie kein Platz an der Schule sei. Der Direktor bemängelte, daß die atheistische Erziehung an der Schulevernachlässigt werde und wies die Lehrer an, den Schülern zu unter­sagen, hinter dem vorangetragenen Kreuzund dem Pfarrer herzugehen, gleich wer beerdigt würde. (Unlängst trugen viele Schüler Blumen und Kränze beider Beerdigung eines Studenten und der des Pfarrers Valaitis). Der Direktor rügte die Lehrer, weil sie dieBlumen und Kränze tragenden Schüler nicht aus der Trauergemeinde verwiesen hätten. „Die Gläubigen imganzen Rayon tragen ihre Köpfe hoch, aber die Partei wird mit Strenge diese Dreistigkeit zügeln, sagte der Direktor wütend.

Nachdem das Kesseltreiben gegen die Lehrerin Brilienė begonnen hatte, zeigten die Parteigenossen unter denLehrern ihr öffentlich ihren Haß: sie sprachen nicht mehr mit ihr, es schien, als wollten sie sie gar nicht sehen.Die Lehrer, von irgendjemandem beeinflußt, versuchten sie dauernd dazu zu bewegen, auf eige­nen Wunsch denBeruf zu wechseln. Es mißfiel ihnen besonders, daß die Familie Briliai öffentlich in die Kirche ging.

Sie wurde entlassen

Am 14. September 1970 befahl die Schulaufsichtsbehörde des Rayon Vilkaviš­kis, die Lehrerin Brilienė zuentlassen. Der Direktor legte ihr nahe, sich nirgends zu beschweren, da es sonst noch schlimmer käme.

In der letzten Unterrichtsstunde verabschiedete sich Lehrerin Brilienė von den Schülern und erklärte ihnen, daßsie ihres Glaubens wegen entlassen werde. Darüber war die Schulleitung sehr aufgebracht.

Frau Brilienė klagte vor dem Rayonsgericht

Ende September klagte Lehrerin Brilienė vor dem Volksgericht im Rayon auf Wiedereinstellung. Am 14.Oktober fand die Verhandlung statt. Der Leiter der Bildungsabteilung Šačkus erläuterte dem Gericht, daß FrauBrilienė gläubig sei und in die Kirche gehe, er fügte verlogen hinzu, sie lehre während des Unter­richts dieSchüler,an Gott zu glauben.

Frau Brilienė bestätigte, daß sie an Gott glaube und in die Kirche gehe, aber dies verböten die sowjetischenGesetze nicht. Der Staatsanwalt vertrat die Ansicht, daß ein Mensch mit so niedriger Moral nicht an einer Schuleunterrichten dürfe. Im allgemeinen betrieb das Gericht mehr atheistische Propaganda als sich zu bemühen,Rechtsverletzungen festzustellen.

Die Eltern treten für Frau Brilienė ein

Da die Verfolgungen der Lehrerin nicht aufhörten, richteten die Eltern der Schüler ein Gesuch an denGeneralstaatsanwalt der UdSSR mit folgendem Inhalt:

An den Generalstaatsanwalt der UdSSR

Moskau

von

den Eltern der Schüler der Mittelschule Salomėja Nėris, vom Rayon Vilkaviškis, Litauische SSR, Vilkaviškis.

Eingabe

Die Lehrerin Ona Brilienė war an unserer Mittelschule viele Jahre lang beschäf­tigt. Wir alle kannten sie alsguten Menschen, gute Lehrerin und Erzieherin. Am 15. September dieses Jahres wurde sie aus dem Lehramtentlassen. Die Kin­der kamen aus der Schule mit verweinten Augen. Wir erfuhren, daß Lehrerin O. Brilienė wegen ihrer religiösen Überzeugung entlassen wurde. Wir, die Eltern der Schüler der Mittelschule vonVilkaviškis, fühlen uns durch diese Maßnahme äußerst beleidigt. Wir fragen uns, ob in der Sowjetunion, derenVerfassung im Artikel 124 jedem Bürger Gewissensfreiheit garantiert, auch jetzt noch religiöse Überzeugungverfolgt wird, ungeachtet der Tatsache, daß diese Lehrerin mit akademischer Ausbildung erfolgreich über 20Jahre lang unterrichtet hat. Wir bitten Sie, diesen bedauernswerten Vorfall zu untersuchen und unsere hoch­verehrte Lehrerin O. Brilienė an der Schule wieder anzustellen.

Vilkaviškis, den 15. Oktober 1970.

Die Eingabe wurde von 46 Eltern unterschrieben.

 Frau Briliene klagt beim Obersten Gerichtshof.

Am 10. November 1970 fand die Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof statt. Es wurde der LehrerinBrilienė nicht gestattet, ihre Rede vorzulesen. Sie bat dann darum, daß die schriftlich niedergelegte Rede zu den Prozeßakten genommen werde.

Am Anfang ihrer Rede erläuterte Lehrerin Brilienė den Sachverhalt, wie ihr die Photos abgenommen wurden,über ihre Eingabe wegen religiöser Verfolgung an das Kultusministerium der UdSSR und darüber wie sie weiterverfolgt wurde.

Weiter wurde in der Rede ausgeführt:

„Die sowjetischen Gesetze garantieren den Bürgern der UdSSR die volle Gewis­sensfreiheit, einschließlich derReligionsfreiheit. Das Strafgesetzbuch der Litauischen SSR sieht sogar Maßnahmen gegen diejenigen vor, dieversuchen sollten, diese Freiheiten einzuschränken. Über die Verteidigung der Gewissens­freiheit wurde auch vielin der Tagespresse geschrieben. In Tiesa (Die Wahrheit) Nr. 158 vom 10. Juli 1970 in einem Artikel Už visiškq sąžinės laisvę (Für die totale Gewissensfreiheit) schreibt Dozent J. Aničas:„Die Gewissensfreiheit hat sichheutzutage in Sowjetlitauen fest ausgebildet, ebenso das Recht der Bürger, sich zu jeder Religion zu bekennen,sowie dieselbe ungehindert auszuüben.

In der Zeitschrift Mokslas ir Gyvenimas (Wissenschaft und Leben) Nr.9 von 1966 schreibt V. Niunka in seinem Artikel Marksistu ir kataliku dialogas (Der Dialog der .Marxisten und Katholiken) folgendes: „Der Briefaufrufdes Zentralkomitees der KP Litauens vom 4.Febr. 1938 verkündete: .Obwohl wir nichts gemein haben mitirgendeiner Religion, sind wir doch Anhänger der Gewissen­freiheit und kämpfen gegen jedeGlaubensverfolgung'. Dieser Grundsatz wurde später nach der Ein führung des sowjetischen Systems in Litauen,in der sowjetischen Verfassung und anderen Gesetzen verankert in dem Bestreben, jedwede Diskriminierung derGläubigen in welcher Art und Weise auch immer ganz und endgültig zu unterbinden. Unlängst erklärte dasPräsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR, daß solche Vorgehen, wie die Weigerung, einen Bürgereinzustellen, ihn in eine Lehranstalt aufzunehmen oder ihn aus einer solchen zu ent­fernen, den Entzug vongesetzlichen Vergünstigungen und Vorrechten sowie Einschränkungen anderer Bürgerrechte nur auf Grund ihrerreligiösen Ein­stellung, eine Verletzung der Gesetze darstellten und strafrechtliche Verfolgung nach sich zögen".

In dem Büchlein Tarybiniai įstatymai apie relig. kultus ir sąžinės laisvę (Die sowjetischen Gesetze überreligiösen Kultus und die Gewissensfreiheit), Vilnius 1970, Seite 37 von J. Aničas und J. Rimaitis stehtgeschrieben: „Unter Glau­bensfreiheit versteht man das Recht jeden Bürgers, sich unbehindert zu jeder Religionzu bekennen. Es ist die Freiheit, sich zu einer Religion zu bekennen und die religiöse Überzeugung zu ändern,aber auch die Freiheit der Religionsaus­übung". Weiter wird auf Seite 54 geschrieben: „... Die Gewissensfreiheitschließt unbedingt die freie Ausübung der religiösen Bräuche ein, ferner die Glaubensfreiheit, die Freiheit derseelsorgerischen Tätigkeit und die Befriedi­gung der Bedürfnisse der Gläubigen."

Die öffentliche Verfolgung durch die Abteilung für Bildung in Vilkaviškis und durch die Schulleitung wegenmeiner religiösen Überzeugung widerspricht den sowjetischen Gesetzen. Man ließ mich nicht ungehindertarbeiten und minderte das Vertrauen in die sowjetischen Gesetze.

Darum wandte ich mich am 28. Juli 1970 wiederholt an das Kultusministerium der UdSSR mit der Bitte, es solldas Kultusministerium der Litauischen SSR anweisen, die Bildungsabteilung des Rayons Vilkaviškis und dieSchulleitung anzuhalten, sich an die sowjetischen Gesetze zu halten und aufzuhören, mich wegen meinesGlaubens und der Erfüllung religiöser Pflichten zu verfolgen. Doch das Kultusministerium der UdSSR überwiesmeine Ein­gabe zur Überprüfung wieder an das Kultusministerium der Litauischen SSR zurück. Von da erhieltich am 24. September 1970 (bereits nach meiner Entlas­sung aus dem Dienst) einen Bescheid, daß meine Eingabeabgelehnt worden sei. Am 15. Septemberl970 wurde ich von der Bildungsabteilung des Rayons vorge­laden. Hierwurde ich ohne Zustimmung des Ortskomitees der Gewerkschaft und ohne Beschluß des VKK nach Artikel 47,Punkt „c" der DIK aus dem Dienst entlassen. Ich halte diese Entlassung aus zwei Gründen für unge­rechtfertigt:

1. Der Leiter der Bildungsabteilung verletzte die Entlassungsbestimmungen der DIK, weil die Entlassung ohneZustimmung des VKK erfolgte.

2. Eine Entlassung wegen religiöser Überzeugung und wegen Ausübung reli­giöser Pflichten widerspricht densowjetischen Gesetzen.

Deswegen wandte ich mich am 28. September 1970 an das Volksgericht des Rayons Vilkaviškis und beantragtemeine Wiedereinstellung mit der Begrün­dung, meine Entlassung verstoße gegen die Entlassungsbestimmungengemäß Beschluß der Vollversammlung des Obersten Gerichts der UdSSR vom 30. Juni 1964 seien bei einerunrechtmäßigen Entlassung die Entlassungsgründe über­haupt nicht mehr zu prüfen. Das Volksgericht beachtetemeinen Antrag jedoch nicht.

Statt die Verstöße gegen die Entlassungsbestimmungen festzustellen, forschte es nach meiner religiösenÜberzeugung und meiner Religionsausübung, also gerade nach den unrechtmäßigen Entlassungsgründen. Daskommt auch im Urteil des Volksgerichts klar zum Ausdruck:

„Die Klägerin wurde entlassen, weil sie religiös ist." Im Gerichtsurteil wird zwar gesagt, das Lehrerkollegiumhabe meinen Kirchenbesuch oft erörtert und in der Schule habe ich mich nicht atheistisch betätigt. Aber dieZustimmung des VKK zu meiner Entlassung aus dem Schuldienst am 15. September 1970 konnte nicht ersetztwerden, zumal mir bis heute noch kein Beschluß Uber meine Entlassung zugestellt worden ist. Die Entlassungaus dem Schuldienst meines Glaubens wegen widerspricht den sowjetischen Gesetzen, welche dieGewissensfreiheit garantieren. Die sowjetischen Gesetze garantieren das Recht der Bürger auf freie Religionswahl und freie Ausübung der religiösen Pflichten. Niemand hat das Recht, überhaupt nach derReligionszugehörigkeit zu fragen. Um so weniger ist es erlaubt, jemanden wegen seines Glaubens und wegenAusübung seiner religi­ösen Pflichten zu entlassen."

Am Schluß ihrer Rede unterstrich Lehrerin Brilienė, daß sie 21 Jahre ohne jeg­liche Beanstandung gewissenhaftpädagogisch tätig gewesen sei und ihre religi­öse Überzeugung in der Schule nie demostriert habe. Erst nachdemdie Schul­leitung ihre Familienbilder beschlagnahmt habe und ihre religiöse Einstellung der Öffentlichkeitbekannt gemacht hätte, habe sie sich zu ihrem Glauben öffentlich bekannt. Der Vorwurf, sie hätte die Kinder anGott zu glauben ge­lehrt, sei reine Erfindung.

 Dialog zwischen dem Gericht und Frau Brilienė:

Es begann ein gerichtliches Verhör:

„Bist du gläubig und gehst öffentlich in die Kirche?"

„Ja, ich bin gläubig und gehe öffentlich in die Kirche. Ich will mich nicht mehr verstellen; das tat ich 21 Jahrelang. Jetzt, da meine religiöse Einstellung öffent­lich bekannt ist, sehe ich keinen Grund mehr, mich weiter zuverstellen." „Was hast du den Kindern in der letzten Unterrichtsstunde gesagt?" „Ich sagte den Kindern, daß ichsie nicht mehr unterrichten werde. Ich würde entlassen, weil ich an Gott glaube." Lehrerin Brilienė fragteihrerseits das Gericht:

„Wenn die Abteilung für Bildung das Recht hat mich wegen meines Glaubens zu entlassen, habe ich dann nichtdas Recht zu sagen, warum ich nach 21 Dienst­jahren entlassen werde? Doch nicht wegen Trunksucht?!" „Sagtestdu den Kindern dann noch etwas?"

„Ich sagte, daß der Mensch feste Überzeugungen haben soll und daß man lieber aufrecht sterben solle, alskriechend zu leben." „Welche Ausbildung hast du?"

„Ich absolvierte das Pädagogische Institut in Vilnius, Fachrichtung Geographie." Weiter sprach der Leiter derAbteilung für Bildung des Rayons Vilkaviškis, Šačkus. Er erinnerte daran, daß die Lehrerin Brilienė gläubig sei,die atheistische Arbeit mit den Kindern behindere und öffentlich in die Kirche gehe. Sogar die­sen Prozeß führesie, um die ganze Angelegenheit in die Öffentlichkeit zu tragen. Auf die Fragen des Richters konnte Šačkuskeine klaren Antworten geben. Er hinterließ einen bedauernswerten Eindruck. Der Richter stellte fest: „Du weißt überhaupt nichts. Nicht einmal wie man einem Menschen kündigt".

 Dialog zwischen Staatsanwalt und den Zuhörern

Während sich das Gericht zur Beratung zurückzog, entwickelte sich im Ge­richtssaal eine rege Diskussion. DerStaatsanwalt sagte:

„Eine Lehrerin wie du darf Kinder nicht unterrichten. Du bist eine Heuchlerin und verdirbst die Kinder. Dudarfst auch deine eigenen Kinder nicht erziehen. Wir nehmen dir deine Kinder weg, damit sie zu richtigensowjetischen Men­schen erzogen und nicht von dir verdorben werden." Ein Mann fragte den Staatsanwalt:

Solange unsere Kinder Schüler sind, dürfen wir sie nicht religiös erziehen, später, wenn sie Studenten sind,dürfen sie wieder nicht an Gott glauben; wann darf denn ein Mensch glauben? Wenn er pensioniert wird? Dasversteht man also unter Glaubensfreiheit!" Der Staatsanwalt blieb bei seinem Standpunkt:

Wir entlassen einen Lehrer, falls er sich traut, sich öffentlich zum Glauben zu be­kennen, wir entlassen auch denzweiten, wenn sich noch einer traut, und sie werden sehen..."

„Sie halten sich also nicht an Ihre eigenen Gesetze?"

„Wir haben unseren Glauben und unsere Gesetze. Lehrer, die unsere Gesetze nicht befolgen, dürfen nicht unterrichten."

Da mischte sich ein anderer Mann ins Gespräch:

„Obwohl ich nicht gläubig bin, finde ich, daß diese Lehrerin unrechtmäßig ent­lassen worden ist. Die Gesetzewurden hier verletzt. Die sowjetischen Gesetze garantieren die Gewissensfreiheit. Was ist das für eine Freiheit,wenn man wegen seiner religiösen Überzeugung entlassen wird?"

Das Gerichtsurteil: Wiedereinstellung

Da kehrte das Gericht von der Beratung zurück und verkündete das Urteil, daß die Lehrerin wieder eingestelltsei. Der Staatsanwalt kündigte erbost an:

„Ich werde dieses nicht zulassen!" Der Leiter der Abteilung für Bildung sagte verzweifelt: „Jetzt wird die ganzeatheistische Arbeit zusammenbrechen..." Nach dem Urteil des Obersten Gerichts, die Lehrerin wiedereinzustellen, wurden alle Eltern, die im Oktober die Beschwerde unterschrieben hatten, von derStaatsanwaltschaft in Vilkaviškis vorgeladen. Sie sollten schriftlich bestäti­gen, daß Frau O. Brilienė in ihreStellung wiedereingesetzt sei. Doch die Lehrerin Brilienė durfte ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen. Als sie mitdem Staatsanwalt des Gerichtshofes in die Schule kam, sagte der Leiter der Abteilung für Bildung aufgebracht:

„Ich werde Sie nicht einstellen! Kommen Sie um 15 Uhr wieder!" Vermutlich mußte sich der Schulleiter überdiese Angelegenheit noch mit je­manden beraten. Am Nachmittag unterschrieb Šačkus die Verfügung und ließ Frau Briliene zu der Schule gehen.

Der Richter des Volksgerichts im Rayon Vilkaviškis legte der Lehrerin Brilienė nahe, auf eigenen Wunsch ausdem Lehramt zu scheiden; sonst bekäme sie im Rayon Vilkaviškis keine Arbeit.

Das Klima in der Schule war unerträglich. Die Lehrer grüßten sie nicht und sprachen nicht mit ihr. Der Direktorerklärte jeden Tag: „ Der Unterricht fällt heute aus! Sie haben frei!"

Es ist anzunehmen, daß der Direktor die Lehrerin nicht eigenmächtig am Unter­richten hinderte. Die Befürchtung,die gläubige Lehrerin „verderbe" die sowjeti­schen Kinder, lag nahe.

Im Dezember fand eine Sitzung der Ortsgruppe der Gewerkschaft statt; hier wurde erneut der Fall der LehrerinBrilienė behandelt. Besonders boshaft war die Sekretärin der Parteiorganisation der Schule, die LehrerinUrbonienė. Ab­schließend wurde abgestimmt, Frau Brilienė aus dem Lehramt zu entlassen. Das geschah dann am23. Dezember.

Es stellt sich die Frage, wer die treibende Kraft bei der Entlassung der Lehrerin Brilienė aus dem hehramt war?Während der ganzen Zeit war zu beobachten, daß die Entscheidung über die Entlassung nur bei dem Leiter derAbteilung für Bildung lag, der Direktor und andere Beteiligte waren nur Handlanger. In ver­zwickten Situationenbegaben sie sich sogar nach Vilnius, um sich zu beraten. Zweifellos verweigerte der Direktor nach dem Urteildes Obersten Gerichtes nicht aus eigener Initiative die Arbeitswiederaufnahme der Lehrerin Brilienė. Jemandempfahl, auch der Staatsanwalt im Rayon Vilkaviškis, die Eltern zu tau sehen, indem sie bestätigen mußten, daßdie Lehrerin ihre Arbeit wieder aufge­nommen habe.

Auch der Ehemann wird entlassen

Die Lehrerin Brilienė versuchte eine neue Arbeitsstelle zu finden, aber in Vil­kaviškis bekam sie nicht einmal dieStelle als Putzfrau. Dem Mann der Lehrerin Brilienė, Jurgis Brilius, der bei MSV in Prienai als leitenderAngestellter tätig war, wurden die Arbeitsbedingungen so erschwert, daß er gezwungen war, zu kündigen.

Im Mai dieses Jahres, nachdem in der Welt das Memorandum der Katholiken Litauens bekannt geworden war,kam Rugienis nach Vilkaviškis. Er bat Herrn Jurgis Brilius zu sich (Frau Brilienė erwartete zu dieser Zeit ihrfünftes Kind und konnte nicht anwesend sein). Rugienis versicherte, von der Verfolgung der Lehrerin Brilienėnichts gewußt zu haben und wollte ihr bei der Arbeitssuche be­hilflich sein, allerdings nicht in einer Schule.Rugienis sagte Herrn Jurgis Brilius, daß er wahrscheinlich auch seine neue Arbeitsstelle aufgeben müsse, da sein Direktor ein überzeugter Atheist sei, der einen tiefgläubigen Ingenieur, wie J. Brilius, nicht ertragen könne.

Am 16. September 1971 erschien in der Zeitung Valstiečiu laikraštis (Die Bau ernzeitung) ein Artikel Vatikano radijo nuodėmės (Die Sünden des Radio Vati kan). Dort wurde ausgeführt, daß „Radio Vatikan regelmäßig eineVerleum dungskampagne gegen Sowjetlitauen führe", daß „die litauischen Kleriker un­verschämt lügen, indemsie über die Diskriminierung ihrer Gläubigen in Sowjet­litauen klagen". Die Zeitung schreibt weiter: „Artikel 96der Verfassung Sowjet­litauens garantiert allen Bürgern unserer Republik die Gewissensfreiheit und so­mit auchdie Freiheit der Ausübung ihrer Religion. Bei uns begnügt man sich nicht mit Deklaration, sondern die Rechteund Freiheiten der Bürger, die Gewis­sensfreiheit inbegriffen, werden auch von anderen Gesetzen garantiert. DerArtikel 145 des Strafgesetzes der Litauischen SSR sieht Strafen vor, für Be­hinderung bei der Ausübung derReligion. In den kommentaren desselben Ge­setzes, Artikel 143, wird darauf hingewiesen, daß strafrechtlichverfolgt wird, wer sich... Entlassung oder Entfernung aus einer Lehranstalt... andere Beschrän­kungen dergrundsätzlichen Bürgerrechte wegen religiöser Einstellung zuschul­den kommen läßt."

„Wie wir sehen" - schreibt die Zeitung weiter - „im sozialistischen Litauen werden die Rechte der Gläubigendurch das Strafrecht geschützt und alle wissen gut, daß jeder Bürger Sowjetlitauens jede Religion frei ausübenkann. Können die Herren vom Radio Vatikan beweisen, daß ein Bürger wegen seiner religiösen Überzeugungdiskriminiert wurde, d.h. zurückgesetzt im Beruf, aus der Arbeit entlassen, von der Hochschule verwiesen u.s.w.?