15. Dezember 1980. Im Verhandlungssaal Nr. 101 des Höchsten Gerichts in Vilni­us haben sich viele Zuschauer versammelt, darunter auch die Familienangehöri­gen und die engsten Verwandten von G. Iešmantas, P. Pečeliūnas und V. Skuo­dis. Auf dem Gerichtspult liegen 24 Bände Prozeßunterlagen. Die Angeklagten werden hereingeführt. Alle sind erschöpft, aber geistig stark. Ihnen folgen der Staatsanwalt Bakučionis, der Richter Ignotas, die Beisitzende Didžiulienė und ein Mann mit russischem Nachnamen. Der Richter fragt, ob die Angeklagten Ein­wände bezüglich der Gerichtszusammensetzung haben. Alle drei Angeklagten entsagten sich der Rechtsanwälte, denn sie waren ihnen erst am 8. Dezember zu­geteilt worden, zur gleichen Zeit haben die Angeklagten die Klagebegründung er­halten, und so konnten sie sich zeitlich nicht mit der Prozeßakte vertraut machen. Povilas Pečeliūnas fügte noch hinzu, daß er keine juridische Konsultation bekom­men habe, obwohl er am 9., 11. und 12. September auf den Rechtsanwalt gewar­tet habe. Aber der Anwalt Kudaba hatte immer noch keine Zeit gefunden, um sich mit ihm zu treffen. Der Dozent Skuodis bat um Wechsel der Gerichtsperso­nen, denn sie könnten als Mitglieder der kommunistischen Partei in solch einem Prozeß wie diesem nicht objektiv sein. Das Gericht entließ die Rechtsanwälte, die­se gingen daraufhin aus dem Saal. Außerdem wurde über die Bitte von Iešmantas, nämlich den Sohn nicht als Zeugen gegen den Vater vorführen zu lassen, verhan­delt. Diese Bitte unterstützten auch Pečeliūnas und Skuodis. Aber dieser Antrag wurde zurückgewiesen.

Die Angeklagten stellen sich dem Gericht vor:

Skuodis, Vytautas — laut Geburtsurkunde Vytautas — Benediktas Scot (Scott), geboren am 21. März 1929 in Chicago, USA. Staatsbürger der Sowjetunion, ge­richtlich nicht vorbestraft, verheiratet, akademische Ausbildung, war an der staatlichen Universität Vilnius als Dozent tätig.

Iešmantas, Gintautas, geboren 1930 in Litauen, sowjetischer Staatsbürger, verhei­ratet, war 20 Jahre als Journalist für die Republikzeitungen tätig, später arbeitete er in Bibliotheken, er absolvierte das Staatliche Pädagogische Institut in Vilnius, studierte Litauisch und Literatur.

Pečeliūnas, Povilas, geboren am 17. Mai 1928 im Kreis Panevėžys, Staatsbürger der Sowjetunion, verlobt, und es gelang ihm nicht, vor der Verhaftung seine Eheschließung geltend zu machen. Er war in der 14. Abendschule in Vilnius tätig. Unterrichtete Litauisch und Literatur.

Die Anklagebegründung wird verlesen:

Der Dozent V. Skuodis wird beschuldigt, er habe sich systematisch die ausländi­schen Radiosendungen angehört und infolgedessen formierten sich seine anti­kommunistischen Auffassungen. Auch habe er sich mit illegaler antisowjetischer

Literatur befaßt, die das Sowjetsystem verleumdet. Die illegalen Veröffentlichun­gen wurden vervielfältigt; während der Haussuchung fand man eine Schreibma­schine der Marke »Optima« vor. Skuodis wird beschuldigt Perspektyvos (die Per­spektiven) herausgegeben und an der Herausgabe Alma Mater mitgewirkt zu ha­ben, in dem ein Artikel von Skuodis »Heimatkunde — unsere gemeinsame Sor­ge« zu lesen ist. Die hauptsächliche Beschuldigung ist die wegen des Werkes »Die geistige Verfolgung und Vernichtung in Litauen« (300 Seiten), das nicht weniger als in vier Exemplaren vervielfältigt wurde. Der Dozent wird wegen der vielen Er­klärungen beschuldigt, die er an den Präsidenten Carter nach USA, an die Unter­zeichner der Helsinki-Schlußakte und an die Mitglieder der Helsinkigruppe in Li­tauen geschrieben hatte. Diese Briefe beinhalten eine verleumderische antisowjeti­sche Propaganda, die das Ziel hat, die Basis der Sowjetunion zu schwächen. Ver­fälscht und verleumderisch werden die Fakten sowjetischer Wirklichkeit darge­stellt, mit dem Ziel, die Sowjetunion gegenüber der USA als schlecht darzustellen, indem man dorthin unwahre Information weiterleitet usw.

Iešmantas beschuldigt man des Verfassens von Gedichten mit antisowjetischem Inhalt, ebenso Artikel desselben Inhalts (nach Behauptung von Iešmantas wissen­schaftliche Studien), des Schreibens und der Weitergabe illegaler Werke an Re­daktionen, mit dem Ziel, diese in Zeitungen zu veröffentlichen. Der größte Teil der Artikel wurden in Perspektyvos veröffentlicht. Iešmantas beschuldigt man, wie auch Skuodis, weiter der systematischen Anhörung ausländischer Radiosen­dungen, der Beschäftigung mit illegaler Literatur und des Mitwirkens an ihrer Vervielfältigung und Verbreitung. Weiter wird er beschuldigt, in seinen Artikeln die Idee vom Austritt Litauens aus der Sowjetunion verbreitet und auch die Ideen im Artikel »Rubikonas« unterstützt zu haben.

P. Pečeliūnas wird beschuldigt, eine Reihe von Artikeln geschrieben und in den Perspektyvos veröffentlicht zu haben, er habe weiter das Sowjetsystem verleum­det, in einem der Artikel bewertete er lobend das Verhalten des psychischkranken R. Kalanta als Protest gegen die Verletzungen der Menschenrechte und Freiheit im sowjetischen Litauen. Diese Artikel habe er mit der bei D. Keršiūtė gefunde­nen Schreibmaschine getippt. P. Pečeliūnas wird ebenso des Redigierens von Alma Mater beschuldigt.

Die Aktivitäten aller werden als antisowjetisch gewertet, die der Basis des Sowjet­systems schaden. Zudem sind sie verleumderisch, denn die Angeklagten behaup­ten verleumderisch, daß es in Sowjetlitauen absolut keine demokratischen Frei­heiten gibt, Litauen wäre eindeutig okkupiert, die Sowjetregierung sei faschisti­scher Art, dessen Ziel es ist, die baltischen Völker moralisch und physisch zu ver­nichten. Alle Angeklagten gelten als Staatsverbrecher. Es ist anzunehmen, daß sie strafbare Verbindungen zu reaktionären Emigrantengruppen in den Vereinigten Staaten unterhielten und ihre Werke an Presse und Funk ins Ausland weitergelei­tet haben.

Erleichternde und entlastende Umstände liegen diesem Prozeß nicht zugrunde. Sie werden für Aktivitäten, nach Artikel 68, Absatz 1 angeklagt. Von den Ange­klagten bekannte sich keiner als schuldig.

 

Das gerichtliche Verhör

Die Charakteristiken der Angeklagten werden verlesen.

G. Iešmantas und P. Pečeliūnas werden als passiv in der Öffentlichkeitsarbeit charakterisiert. Der Dozent Skuodis hätte sich aktiv an der Öffentlichkeitsarbeit beteiligt.

Als erster wird G. Iešmantas verhört. Ihm werden Fragen zu den Umständen je­des einzelnen seiner verfaßten Artikel gestellt. Der Angeklagte erklärte, er schrei­be Gedichte schon seit seinem 17. Lebensjahr. Davon gäbe es mehr als 1100 — einige Bände. Theoretische Studien nehme er seit 1977 vor, einen Teil habe er zwi­schen 1978 und 1979 geschrieben.

—         »An wen haben Sie Ihre Werke weitergegeben?«

—         »Dazu nehme ich keine Stellung«, antwortete der Angeklagte fest.

—         »Von wem erhielten Sie die illegale Literatur?«

—         »Auch dazu sage ich nicht aus.«

Der Richter erinnert daran, daß Iešmantas am 1. April zugegeben hatte, er habe die Artikel den Herausgebern überlassen und noch später der Redaktion von Per­spektyvos. Hier liest Iešmantas eine Erklärung vor, in der es heißt, daß während eines Verhörs der größte Teil protokollierter Aussagen die Phantasiefrucht der Untersuchungsrichter Urbonas und Kadis sei: hier ist viel verfälscht, ganze Absät­ze und Sätze geändert worden. Deshalb entsagt sich Iešmantas der einzelnen Pro­tokolle früherer Untersuchungen, die als Anklagematerial zur Verfügung stehen und weist die dort protokollierten Aussagen zurück.

—         »Warum schreiben Sie, daß die sowjetische Regierung Litauens eigentlich fa­schistisch ist?«

—         »In der Zeitschrift Inostrannaja Literatūra (Die Literatur des Auslands) waren Diskussionen über demokratische Freiheiten. Dort behauptet ein sowjetischer Wissenschaftler, daß da, wo demokratische Freiheiten verletzt werden, der Fa­schismus wäre.«

—         »Woher nahmen Sie den Stoff für Ihr Schaffen?«

—         »Der Stoff für die Poesie ist das Leben, für die schriftlich-theoretischen Über­legungen die sowjetische Presse.«

—      »Was verstehen Sie unter Pressefreiheit?«

—         »Diese gibt es nicht. Sie ist so schnell noch nicht vorgesehen, und darüber zu sprechen lohnt es sich nicht.«

Es folgt eine Reihe provozierender Fragen bezüglich der politischen Anschauung von Iešmantas.

Und wieder:

—        »Warum haben Sie >Rubikonas< geschrieben?«

—- »Einen Gedanken, der mir während meines poetischen Schaffens gekommen ist, wollte ich in einer theoretischen Studie darlegen.«

Wieder eine Reihe Fragen: Wem habe er die Literatur übergeben, warum und wie und zu welchem Zweck? Fragen beantwortete Iešmantas nicht. Er beantwortete nur die Fragen, die im Zusammenhang mit ihm selbst als Autor und seiner Über­zeugung standen. Er unterschrieb mit Pseudonymen, wie auch die Poeten des XIX. Jahrhunderts, um sich vor Arretierungen zu schützen. Er gab zu, sich manchmal ausländische Radiosendungen angehört zu haben, aber das wäre ja er­laubt.

Die gerichtliche Untersuchung des Dozenten V. Skuodis begann mit dem Vor­schlag, er möge über seine 10jährige Tätigkeit erzählen. Er wurde gefragt, wo und als was er denn gearbeitet habe, bevor er zur Universität Vilnius kam, wie der Ti­tel seiner Dissertation heiße, wann er sie verteidigt habe, wie er zur Universität Vilnius gekommen sei, welche Tätigkeit er dort ausgeübt und welche Verpflich­tungen er in der Öffentlichkeitsarbeit gehabt habe. Der Dozent beantwortete die Fragen und unterstrich, daß er viele allgemeine Verpflichtungen hatte und fak­tisch eine zweite Arbeit verrichtete, die nicht bezahlt wurde. Er hätte sich mit Fra­gen der Literatur, Geschichte und Religion befaßt.

—         »Warum benannten Sie Ihr Werk, welches am 24. November während einer Haussuchung konfisziert wurde, >Die geistige Verfolgung und Vernichtung in Li­tauern?«

—         »Es gab auch andere Varianten der Benennung, aber diese entsprach dem In­halt des Werkes am besten!«

Auf die Fragen bezüglich seiner anderen Manuskripte lehnte der Dozent V. Skuo­dis eine Beantwortung kategorisch ab. Er erinnerte daran, daß er in einem der Verhöre von 668 Fragen nur 20 Prozent beantwortet habe; diese Taktik wollte er auch in dieser gerichtlichen Untersuchung beibehalten. Skuodis erklärte, daß es unmoralisch sei, abwertend über die illegale Presse zu reden. Dann wurde er über die Herausgabe von Alma Mater befragt, aber darüber sagte der Angeklagte kein Wort.

Man beschuldigte ihn, nicht weniger als vier Exemplare von »Die geistige Verfol­gung und Vernichtung in Litauen« veröffentlicht zu haben. Dazu erklärte er, daß dies eine wissenschaftliche und keine propagandistische Arbeit sei, außerdem sei sie noch nicht beendet und hätte rezensiert werden müssen. Der Staatsanwalt fragte nach der Methode, die für diese Arbeit verwandt wurde. Der Dozent er­klärte, daß die eigentliche Methode, die der mathematischen Statistik sei und der Stoff, der mit dieser Methode verarbeitet wurde, entstamme aus der Chronik der Presse. Auf sie stützen sich auch die Schlußfolgerungen, die er selber mit der Schreibmaschine getippt hat. In den Folgerungen wird behauptet, daß das Niveau der atheistischen Artikel sehr niedrig sei, obwohl man einen Anspruch auf den »wissenschaftlichen« Atheismus erhebt. Die Frage nach der Existenz Gottes wird nur selten berührt. Die Frömmigkeit würde man in der sowjetischen Öffentlich­keit mehr fürchten als den Alkoholismus, die Prostitution, die Verbrechen und den Drogenmißbrauch. Der Staatsanwalt Bakučionis wies besonders auf diese Schlußfolgerung hin, da diese besonders verleumderisch sei. Auch warf er Skuo­dis vor, er habe sich in einigen Ausführungen unehrenhaft über etliche Autoren ausgesprochen, er habe sie Alkoholiker und unzüchtige Menschen genannt und behauptet, zudem noch ungerechtfertigt, daß man sich mit atheistischen Artikeln das Recht zu sichern versucht, seine eigenen Werke drucken lassen zu können (wie z. B. Miškinis) oder dadurch eine bessere Arbeit zu bekommen. Der Dozent be­tonte, daß er beim Redigieren vieles hätte ändern können, aber diese Behauptun­gen sind begründet. Nur so kann man den Fakt erklären, daß der Autor kaum ei­nen atheistischen Artikel geschrieben hat. Also sind die Ideen in »Die geistige Ver­folgung und Vernichtung in Litauen« nicht erdacht, sondern basieren auf konkre­ten Fakten.

Auf die Frage, zu welchem Zweck er den Studenten Fragebögen ausgeteilt habe, erklärte der Angeklagte, als Kurator wäre er verpflichtet gewesen, die Interessen der Studenten einer jeden akademischen Gruppe zu erläutern. Mit den Resultaten der Fragebögen wäre er zufrieden gewesen, denn viele der jungen Leute schauen ernst ins Leben; sie sind gegen den Alkoholismus, das Rauchen, die Prostitution und andere moralische Gebrechen. Auf die Frage, ob er mit P. Pečeliūnas nach Kernavė gefahren wäre, sagte er, daß wenn man ihn dazu einlud, er nicht absagte. Und wenn noch Platz im PKW vorhanden war, hätte er auch gerne andere mitge­nommen. Auf die Frage, wie es zu erklären sei, daß man bei ihm sieben Exempla­re von Aušra (die Morgenröte) gefunden habe, erklärte der Angeklagte aus­nahmsweise, daß er die Gelegenheit gehabt hätte, sie zu bekommen, um sie gegen andere Veröffentlichungen austauschen zu können. Das Interesse für illegale Lite­ratur zeigte V. Skuodis wegen seiner geplanten Arbeit: »Das Verständnis von Lü­ge und Verleumdung in der sowjetischen Propaganda und der Wirklichkeit«. Es werden ihm noch einige Fragen zu seinen Briefen an den Präsidenten Jimmy Car­ter, an die Gläubigen Litauens, an das Komitee zur Verteidigung der Rechte Gläu­biger und an die »Unterzeichner der Helsinki-Schlußakte« gestellt. Der Ange­klagte erklärte, er habe sie verbreitet und ins Ausland weitergeleitet. Zur Prozeßakte sind auch die Aufzeichnungen der ausländischen Radiosendun­gen, in denen Skuodis erwähnt wird, und Ausschnitte ausländischer Zeitungen hinzugefügt.

Der Staatsanwalt Bakučionis beschuldigte den Dozenten V. Skuodis, er habe ver­leumderisch behauptet, daß der Professor Kazlauskas ermordet worden sei. Sku­odis unterstrich, daß im Brief nichts über eine Ermordung erwähnt worden war. Aber die Ärzte glauben nicht an das Ergebnis der Expertise wegen der Ermordung des Professors Kazlauskas, denn in seiner Lunge wurde kein Wasser gefunden, das heißt also, er ist früher gestorben, bevor er im Wasser gefunden wurde. Au­ßerdem existieren Zeugen, die gesehen haben, wie der Professor Kazlauskas vom KGB verhaftet wurde.

16. Dezember

 

Die gerichtliche Untersuchung von Povilas Pečeliūnas

Die hauptsächlichen Fragen, wie, auf welche Weise und woher er die Artikel »Wir beginnen eine neue Etappe«, »Litauen und die Dissidentenbewegung«, »Schon das fünfte Jahrzehnt, wie die Welt mit Losungen lebt«, »Das aktuelle Problem« usw. Pečeliūnas erklärt, daß ihm die Autoren dieser Artikel unbekannt seien. 1979 hatte er diese im Briefkasten oder aber im Eimer draußen vor der Tür vorge­funden. Auf diese Weise bekam er auch andere illegale Literatur. Auf die Frage, warum er die Manuskripte dieser Artikel bei sich zu Hause aufbewahrte, antwor­tete er, wenn man sich eine richtige Weltanschauung verschaffen wolle, müsse man alles wissen, auch das, was die Untergrundpresse schreibt. Der Richter er­kundigte sich nach jedem Artikel gesondert und bemühte sich, von Pečeliūnas ein Geständnis zu erzwingen, nämlich, daß seine Anschauungen antisowjetisch seien. Deswegen zitierte er Auszüge aus einigen Artikeln, aber der Angeklagte bekräftig­te, daß diese Zitate ohne Kontext nichts beweisen würden. Der Richter versuchte hier im Gericht, die Anschauungen von P. Pečeliūnas mit indirekten Fragen zu er­klären. Der Angeklagte erläuterte, daß es möglich ist, sich über politische Ansich­ten gegebenenfalls zu Hause mit Menschen zu unterhalten, die imstande sind, die­se zu begreifen.

—         »Glauben Sie, bei uns gäbe es diese Voraussetzungen dafür nicht?« fragte der Richter.

—         »Nein.«

P. Pečeliūnas bekannte sich nicht als Autor des Artikels »Anfang einer neuen Etappe im Leben der Alma Mater« in der ersten Ausgabe von Alma Mater. Peče­liūnas sagte, er wollte sich im Tippen mit der Schreibmaschine üben, deswegen habe er versucht, mit der Schreibmaschine seiner Verlobten D. Keršiūtė, einen im schlechten Zustand vorgefundenen Artikel zu schreiben. Der Angeklagte schrieb die Texte unter verschiedentlichen Umständen, nicht nur zu Hause. Als er gefragt wurde, warum ein Exemplar des Artikels »Anfang einer neuen Etappe« redigiert war, antwortete er, weil er es als Lehrer (er arbeitetete als Stilist in einer Redak­tion) gewohnt sei, alles zu redigieren, sogar Briefe.

—         »Haben Sie jemandem die Artikel oder Zeitschriften gezeigt!«

—         »Nein, ich behielt sie für mich.«

Das Manuskript »Wie man sich während eines Verhörs verhalten muß« interes­sierte Pečeliūnas nur als bibliophile Seltenheit, so wie auch alle anderen Manu­skripte. Auf die Frage bezüglich seiner Bekanntschaft zu den anderen Angeklag­ten, sagte er, er habe den Nachnamen Iešmantas schon gehört, als er mal in der Bibliothek gearbeitet habe, und den Dozenten Skuodis kannte er vom Sehen, au­ßerdem haben sie eine Zeitlang zusammen studiert. Daß man sie alle drei mit die­sem Prozeß in Verbindung gebracht habe, darüber wäre er sehr erstaunt gewesen. Sie hätten sich nie getroffen mit dem Ziel, illegale Literatur zu verbreiten, auch hätten sie keinen sonstigen Kontakt untereinander gepflegt. Auf die Frage, wie er zu den sechs Exemplaren der Veröffentlichung Alma Mater und zu den 24 Titel­seiten gekommen sei, antwortete er, daß er darüber nichts wisse.

 

Befragung der Zeugen

Dobrovolskis Bronius, Sohn des Vaclovas, Leiter der Abteilung im Kultusmini­sterium: Er bezeugte, sie wären Nachbarn gewesen. Einmal hätte Iešmantas ihm die Veröffentlichung Perspektyvos (Die Perspektiven) gezeigt, ohne sie aus der Hand zu geben, auch habe er ihm einen Text aus Rūpintojėlis (Der Schmerzens­mann) gezeigt, in dem es sich um den Konferenzbeschluß von Taschkent handelt, nämlich, den Unterricht der russischen Sprache in Schulen ab 1. Klasse und in Kindergärten einzuführen. Auf die Fragen von Iešmantas antwortete B. Dobro­volskis unsicher und zerstreut.

Dalija Martišiūtė: G. Iešmantas habe ihr einen Gedichtband und aus der Prosa »Rubikonas« zu lesen gegeben. Um alles durchzulesen, fehlte das Verständnis, es handelte sich um ein kompliziertes philosophisches Werk. Außerdem habe sie drei Nummern von Perspektyvos gesehen, wer sie allerdings herausgeben würde, wüß­te sie nicht. Iešmantas hätte sie gefragt, ob sie nicht einiges abtippen könnte.

Der Staatsanwalt versuchte aufzuklären, welche Stellen ihr besonders in dem Werk »Rubikonas« aufgefallen wären, und wie sie darauf gekommen wäre, daß es sich um antisowjetische Literatur handelt. D. Martišiūtė habe begriffen, daß dies Gedanken seien, die öffentlich verboten sind.

Marcinkevičienė: Sie kenne Iešmantas, der sie gebeten habe irgendein Manuskript abzutippen. Als sie diesen verdächtigen Text gesehen habe, hätte sie ihm eine Ab­sage erteilt.

Iešmantas Rimantas (Sohn des Gintautas Iešmantas): Die vom Richter vorgezeig­ten Briefe erkannte er als die seinen. Den Artikel »An was erinnern die Briefe der Soldaten« habe er gelesen. Es gäbe Parallelen zwischen seinen Briefen und dem Artikel.

Žvirgždys Petras, Sohn des Petras, Küster in der Kirche von Slavikai. Er kenne P. Pečeliūnas seit 1968 oder 1969. Sie hätten zusammen gearbeitet und in Nachbar­schaft gewohnt. In ihren Gesprächen erörterten sie politische und soziale Fragen. In allen Gesprächen wäre Pečeliūnas antisowjetisch eingestellt gewesen und habe auf alle Kontraargumente mit seiner standfesten Meinung reagiert. G. Iešmantas kenne er nicht und wisse auch nichts über seine Verbindungen. Als er auf die Fra­gen der Angeklagten einging, kam er durcheinander.

Stoskeliūnienė Milda, Tochter des Vaclovas: Sie kenne Saulius Pečeliūnas, ihn habe sie ab und zu bei ihrem Mann gesehen. Einmal habe sie Bruchstücke eines Gespräches mitbekommen, in denen es um die Religionsfreiheit ging. Laut Sauli­us gäbe es keine Religionsfreiheit, aber sie habe bekräftigt, das dieses nicht stim­me.

Rabačiauskaitė Aurelija, Tochter des Napoleonas: Sie kenne Iešmantas und Peče­liūnas. Am 17. oder 19. März habe sie in der Schublade die Ausgabe Perspektyvos gefunden, und zu Hause habe sie keine Zeit gehabt, um sie zu lesen. Sie habe es sich angesehen und begriffen, daß es sich um kritische Betrachtungen handele, aber speziell antisowjetische Ideen wären ihr nicht aufgefallen.

Stoskeliūnas Juozas, Sohn des Jonas (aus Punsk, Polen): Er kenne Pečeliūnas. Er habe von Pečeliūnas über illegale Veröffentlichungen gehört, aber er zeigte sie nicht und erwähnte auch nichts über ihre Herkunft.

Klausonas Ferdinandas, Sohn des Stasys, Redakteur der Dokumentationsabtei­lung des Filmstudios: Er kenne Saulius und erst jetzt wisse er, daß er Pečeliūnas sei. Er habe ihn 1977 im Kurhaus in Nida kennengelernt. Sie trafen sich 4—5mal und er bekam gewünschte Literatur.

Venclovaitė Dalia, Tochter des Vincas, Ingenieurin: Sie kenne Pečeliūnas. Als sie bei D. Keršiūtė gewohnt habe, hätte sie die Schreibmaschine gesehen, mit der Ker-šiūtė schrieb. Über illegale Literatur habe sie nichts gehört. In Gesprächen drehte es sich um Lebensmittelmangel und die Moral der Jugend.

Ališauskas Vladas, Sohn des Pranas, Meister an der technischen Berufsschule: Er kenne Pečeliūnas. Über illegale Literatur habe er vom Untersuchungsrichter und jetzt vom Richter erfahren. Pečeliūnas habe ihm beim Lernen geholfen. Bei ihm habe er sich einmal ausländische Radiosendungen angehört.

Keršiūtė Danutė, Tochter des Vaclovas: Sie kenne ihren Verlobten Povilas Pečeli­ūnas. Die Schreibmaschine habe sie 1975/76 bekommen.

—         »Was wissen Sie über illegale Literatur?«

—         »Ich habe sechs Exemplare Alma Mater gehabt. Gefunden habe ich sie unter der Türmatte, später versteckte ich sie in der Wohnung von P. Pečeliūnas.«

17. Dezember

Bekanntgegeben werden die Sachbeweise dieses Prozesses. Der größte Bestandteil dieser Beweise sind »Dokumente«, die während der Haussuchungen konfisziert worden waren, dann Charakteristiken, Entlassungspapiere aus der Arbeit, Bezeu­gungen der Experten, Beschreibungen illegaler Literatur, Rezensionen und die Abschrift des Gutachtens über die Psyche von R. Kalanta.

Das Plädoyer des Staatsanwaltes

Die Anschuldigungen der Angeklagten V. Skuodis, G. Iešmantas und P. Pečeliū­nas sind sehr schwerwiegend. Sie werden beschuldigt, antisowjetische Propagan­da und Agitation geführt zu haben; sie vervielfältigten, publizierten und bewahr­ten zum Zwecke der Verbreitung antisowjetische Literatur auf. Ihre Aktivitäten werden nach dem Artikel 68, Absatz 1 des Strafgesetzbuches eingestuft. Weiter zählt der Staatsanwalt die Fakten auf, die in der Klagebegründung vorge­lesen worden waren. Alle drei Angeklagten werden durch die handschriftlichen Werke von Iešmantas in Verbindung gebracht. »Sie knüpften untereinander Kon­takte und begannen aktiv zusammenzuarbeiten.« Laut Behauptung des Staatsan­walts, stütze sich die Klage nur auf die Sachbeweise. Nach ihrer Verhaftung sind weder »Alma Mater« noch die »Perspektiven« erschienen. In den »Perspektiven« wird verleumderisch behauptet, Litauen wäre von Rußland okkupiert und man versuche das Land zu russifizieren. Gelobt werden die Verbrecher Petkus, Ga­jauskas und andere Nationalisten. In der Veröffentlichung Alma Mater wird be­hauptet, daß die Jugend keine würdigen Ziele und Gelegenheiten habe, um ihre Bestrebungen zu verwirklichen.

Der Staatsanwalt beantragte für V. Skuodis sechs Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung, für P. Pečeliūnas drei Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung und für G. Iešmantas vier Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung.

Die Verteidigungsrede von Povilas Pečeliūnas

P. Pečeliūnas erörterte die Angaben der Zeugen Žvirgždas, Stoskeliūnas und sei­ner Frau. Er wies auf die Widersprüche hin und bewies, daß es keinen Grund gab, sich auf diese Angaben zu stützen. Ganz entschieden wies er die Beschuldi­gung zurück, er habe sechs Exemplare zwecks Verbreitung bei sich gehabt und daß die Titelseiten sein Eigentum seien. Er erwähnte, daß ihn die Verhöre phy­sisch wie auch moralisch erschöpft hätten, aber selbst hier konnten die Untersu­chungsrichter nichts nachweisen. Das zusammengetragene Prozeßmaterial recht­fertige nicht die Anwendung des Artikels 68. Alles was in der Klagebegründung und im Plädoyer des Staatsanwaltes gesagt worden sei, wären nur Annahmen. Es sei absolut nicht erwiesen, daß er der Autor der handschriftlichen Texte sei. Zum Schluß seiner Rede bekräftigte Pečeliūnas, daß er unschuldig sei und den Freispruch verlange.

Die Verteidigungsrede des Dozenten V. Skuodis

Der Dozent redete sechs Stunden lang. Der Richter verlangte mehrere Male, er möge seine Rede kürzen. Dozent Skuodis bekräftigte, daß er sich dem Staat ge­genüber nicht schuldig gemacht habe. Dies sei ein Konflikt zwischen der Partei, die sich über den Staat erhebt, und ihm. Aus diesem Grunde habe er auch um ei­nen Wechsel der Gerichtspersonen gebeten, denn sie würden alle der Partei ange­hören. Da er sich begründet für einen NichtStaatsbürger der Sowjetunion hält, habe er am 1. Oktober den schriftlichen Wunsch geäußert, von einem Anwalt aus der USA verteidigt zu werden. Sein Wunsch blieb unbeantwortet. Der Angeklagte unterstrich, daß man ihm eine juridische Konsultation beim An­walt verweigerte, und daß nach Erhalt der Klagebegründung, man ihm das haupt­sächliche Hilfsmaterial, welches für seine Verteidigung vorgesehen war, konfis­zierte. Und am 11. Dezember konfiszierte man ihm seine angefangene Verteidi­gungsrede. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Skuodis, »ob die Seite der Anklage nicht davon Gebrauch gemacht hat, jedenfalls glaube ich es so verstanden zu ha­ben, nachdem ich das Plädoyer des Staatsanwaltes gehört habe.« Weiter ging der Angeklagte eingehend auf die Klagebegründung ein, indem er sich auf Fakten, Gesetze und Dokumente stützte. Unter anderem erwähnte er, daß die Fragestel­lung bezüglich der Freiheit, Politik und Ökonomie nicht als Verbrechen traktiert werden dürfe, die Konstitution der UdSSR gäbe jedem das Recht, Vorschläge zu unterbreiten und zu kritisieren. Der Dozent Skuodis bewies anhand zahlreicher Fakten, daß das Plädoyer des Staatsanwaltes unbegründet, subjektiv und nur An­nahmen sind. Schuldig wären diejenigen, die die Kritik unterdrücken, mit dem Ziel, das Staatsprestige zu heben und die Basis der Ökonomie zu stärken. Zum Schluß schlug V. Skuodis vor, ihn freizusprechen und diesen Prozeß an das Ver­fassungsgericht weiterzuleiten.

Die Verteidigungsrede von G. Iešmantas

Der Angeklagte wies in seiner Verteidigungsrede ebenso alle Beschuldigungen als unbegründet und nicht erwiesen zurück. Er unterstrich, daß man wegen seiner Überzeugungen niemanden verurteilen kann. Der Staatsanwalt wehrte sich gegen diese Aussage.

Die letzten Schlußworte der Angeklagten

Povilas Pečeliūnas erzählte über seine Arbeit und seine große Verehrung für Bü­cher. Er erwähnte seinen schlechten Gesundheitszustand und daß er praktizieren­der Katholik sei. Nie habe er im Leben sein Gewissen verkauft, obwohl er in sei­ner Jugend und auch jetzt solche Möglichkeiten gehabt habe. Was auch auf ihn zukommen möge, er fühle sich unschuldig und werde geduldig sein Schicksal er­tragen.

Das Schlußwort des Dozenten Vytautas Skuodis

Die abschließende Rede des Dozenten Skuodis dauerte zwei Stunden. Hier unter­breiten wir ein paar seiner Gedanken, die aus dem Gedächtnis niedergeschrieben worden sind.

»Da der Staatsanwalt die Frage bezüglich meiner Meinungsbildung berührt hat, muß ich einige biographische Fakten nennen. Ich erinnere mich, wie die Deut­schen das Memelland besetzten. Wir Gymnasiasten überlegten, was wir tun könn­ten, um das Vaterland zu schützen. Damals fühlte ich mich innerhalb einiger Stunden erwachsen. Gleich danach marschierte die Rote Armee ein mit dem Vor­wand, ihre westlichen Grenzen schützen zu wollen, und besetzte ganz Litauen. Dieser Fakt zwang uns, über die Zukunft des Vaterlandes nachzudenken. Nicht ein einziger Sohn Litauens konnte gleichgültig seinem Schicksal entgegensehen. Die Qualen des Vaterlandes setzten sich bis in den Zweiten Weltkrieg fort, als Deutschland die russische Armee aus Litauen verdrängte und diese aber 1945 wie­derkam. Um den Kriegsdienst in der unerwünschten Armee zu umgehen, haben sich viele Söhne Litauens vor diesem Zwang in die Wälder zurückgezogen — sie wurden als Banditen bezeichnet. All das mußte ich mir ansehen und konnte des­wegen nicht einfach gleichgültig sein. Das Vaterland lieben und seine Qualen spü­ren, das müßte jeder seiner gewissenhaften Staatsbürger. Das ist kein Nationalis­mus. Jedes seiner Mitglieder ist verpflichtet, ein Patriot zu sein. So ist die Beschul­digung des Staatsanwaltes, nämlich, daß in der illegalen Literatur die verurteilten >bourgeoisen Nationalisten und die psychisch Kranken (Romas Kalanta) gelobt werden, Verleumdung.

In der Klagebegründung wird ständig wiederholt, daß in der illegalen Literatur darüber geredet werde, daß Litauen angeblich okkupiert ist, >angeblich russifi-ziert< wird, und sie deswegen verleumderisch sei. Da ich angeklagt bin, aktiv an ihrer Veröffentlichung, Vervielfältigung und Verbreitung mitgewirkt zu haben, bin ich verpflichtet, darüber zu reden. Daß Litauen infolge der Annexion ein Teil Rußlands geworden ist, darin besteht kein Zweifel, obwohl mir der Richter unter­sagte, alle Argumente, die dafür sprechen, aufzuzählen. Daß Litauen russifiziert wird, ist auch eindeutig. Der Konferenzbeschluß von Taschkent wird schon ver­wirklicht. Die russische Sprache wird in Schulen ab der 1. Klasse und in den Kin­dergärten unterrichtet. Der Name Litauens ist immer seltener zu hören. Es wirkt unangenehm, wenn man im Trolleybus auf russisch hört: Was >Litva< (Litauen) ist, das weiß ich, aber was >Lietuva< ist, das Wort habe ich noch nicht gehört. — Und das in der Hauptstadt Vilnius!

Die illegale Literatur kenne ich sehr gut. Für sie interessiere ich mich im Zusam­menhang mit meiner geplanten Arbeit >Das Verständnis von Verleumdung und Lüge in der sowjetischen Propaganda und der Wirklichkeit^ Ich weiß nicht, wann ich es geschrieben hätte, denn ich hatte wenig freie Zeit. Meine Interessen waren sehr breit gefächert. Als Dozent an der Universität hatte ich Aufgaben als Mitglied des Komitees für Naturschutz. Es hat mich viel Mühe gekostet, um die Altstadt von Vilnius zu schützen, wo man unterirdische Garagen zu errichten ge­denkt. Außerdem soll bei Marcinkonis ein Schacht ausgegraben werden, der für den ganzen südöstlichen Teil Litauens eine Gefahr bedeutet. Auch zu dieser Frage mußte ich Stellung nehmen. Sehr viel Zeit und Energie mußte ich für die Organi­sation und Administration des Naturschutzes aufwenden. Diese Arbeit, die mit der eines Dozenten gleichzustellen ist, führte ich ohne Entgelt durch.« Der Dozent erzählte weiter: »Meine Karriere begann ich als Heizer in der Univer­sität. — Zu dieser Zeit bot man mir ein Gehalt in Höhe von 1000 Rubel und eine >gute Arbeite Schon damals konnte ich mich für eine leichtere Arbeit entschei­den, aber ich bin den schwierigen Weg gegangen, den mein Gewissen mir zeigte. Der Staatsanwalt bekräftigte, daß meine antisowjetische Meinung sich dadurch gebildet habe, indem ich mir systematisch ausländische Radiosendungen angehört hätte. Einen Menschen in meinem Alter darauf hinzuweisen, was er sich anzuhö­ren und zu lesen habe, ist mindestens naiv. Ohne die schon erwähnten geschichtli­chen Fakten, hat meine tiefe Lebensauffassung Einfluß auf meine Meinungsbil­dung gehabt. Schon damals habe ich viele Mängel und Ungereimtheiten entdeckt, als ich mich näher mit dem geschichtlichen Materialismus beschäftigte. Philoso­phische Studien halfen mir zur katholischen Kirche zurückzufinden, obwohl ich vorher 15 Jahre indifferent war. Jetzt bin ich ein fest gläubiges Mitglied der katholischen Kirche. Seit 10 Jahren nehme ich öffentlich an religiösen Zeremo­nien teil. Lange Zeit nahm man das so hin, auch meine Arbeitsstätte wußte dar­über Bescheid.«

Der Angeklagte setzte fort: »Nach Meinung des Gerichtes würde in meinem Werk >Die geistige Verfolgung und Vernichtung in Litauern verleumderisch behauptet werden, daß in Litauen eine Glaubensverfolgung stattfinden würde, daß das Ni­veau des Atheismus sehr niedrig und daß der größte Feind der Partei der Katholi­zismus sei. Die größten Fehler der sowjetischen Gesellschaft seien Alkoholismus, verbrecherische Handlungen, Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen und der Drogenkonsum. Diese Ausführungen seien unbegründet . . . >Die geistige Verfolgung und Vernichtung in Litauern ist kein propagandistisches Werk, es ist eine Studie, eine wissenschaftliche Arbeit. Diese Arbeit habe ich 1977 bis 1979 geschrieben und nicht in der Zeit von 1975—1979, wie der Ankläger zu beweisen versucht.

An das Komitee zur Verteidigung der Rechte Gläubiger, habe ich mich wegen meiner Arbeit >Die geistige Verfolgung und Vernichtung in Litauen< gewandt. Ich wollte mich mit diesem Werk an der Tätigkeit des Komitees beteiligen und über­ließ meine Arbeit in ihrem Ermessen. Ich glaube, daß diese Studie die wirkliche Situation der Gläubigen Litauens im okkupierten Land widerspiegelt. Außerdem habe ich einen Brief, bezüglich meiner Anschauungen, an den Vorsitzenden Par­teisekretär der UdSSR, L. Brežnev, geschrieben. Ausführlich erklärte ich, wie ich in diese gegenwärtige Lage geraten bin. Die KGB-Mitarbeiter konfiszierten den Brief während einer Haussuchung. Dieser Brief würde mich freisprechen. Ich bit­te, ihn den Prozeßakten beizufügen. (Der Richter wies diesen Antrag zurück. — Anmerkung der Redaktion.) Zum Schluß möchte ich noch sagen, daß ich mich den Gesetzen des Staates gegenüber nicht schuldig gemacht habe. Weder in Alma Mater noch in den Perspektiven, deren Veröffentlichungen, Vervielfältigungen und Verbreitung mir angehängt werden, steht nichts Verleumderisches geschrie­ben. Die ganze illegale Literatur hebt nur Ideen hervor, die zur Verbesserung des Zustands der Gesellschaft beitragen sollten. Sie kritisiert, aber versucht nicht die Basis des Systems anzuprangern. Die Anklage des Staatsanwaltes ist schrecklich, aber selbst wenn das Todesurteil gefällt werden würde, würde ich ihm ruhig be­gegnen, so wie ein Sohn Litauens, dessen Leben dem Vaterland und seinen Men­schen gehört. Das ist alles!«

22. Dezember

Iešmantas sagte in seinem Schlußwort, daß seine letzten Worte sein Werk »Ge­danken am Rande« seien. Der Angeklagte war davon überzeugt, er würde die Folgen des Urteils überstehen. Seine Worte beendete er mit Versen an seine Freunde.

Um 15.00 Uhr wurde das Urteil verkündet. Der Dozent Vytautas Skuodis erhält die Höchststrafe — sieben Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung; Gintautas Iešmantas — sechs Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung; Povilas Pečeliūnas — drei Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung.

An all diesen Tagen der Prozeßverhandlung hatten eine Menge Freunde der An­geklagten und Gläubige von früh bis spät im Vorraum des Höchsten Gerichts ge­wacht und gewartet. In den Gerichtssaal wurden sie nicht hineingelassen, denn dieser wurde ständig von KGB-Bediensteten und der Miliz bewacht. Die KGB-Mitarbeiter beobachteten aufmerksam jeden Neuankömmling. Die Miliz und die Sicherheitsbeamten versuchten mit allen Mitteln, die Beteiligten einzuschüchtern: ab und zu nahmen sie jemanden auf grobe Art und Weise fest und führten ihn ab, oder sie fotografierten die Leute aufdringlich und ohne Erlaubnis. Die Launen der Sicherheitsbediensteten wurden durch die eigenen Aussagen sehr gut wieder­gegeben. Z. B. sagten sie: »Wenn ich könnte, würde ich alle ins Gefängnis werfen lassen!« »In den Saal gelangst du nur über meine Leiche!« usw. Am meisten aber ärgerte sie ein ernstes und bedächtiges Gesicht. Einer der KGB-Mitarbeiter, der an der Tür wachte, fing gleich laut an zu schreien: »Beten ist verboten! Aus euren Gesichtern ist zu ersehen, daß ihr betet!«

Am 19. Dezember übergaben die Töchter des Dozenten Skuodis im Gerichtssaal ihrem Vater Blumen. Dafür wurden sie heftig zurückgestoßen, und am anderen Tag durften sie aufgrund eines Gerichtsbeschlusses den Gerichtssaal nicht mehr betreten. Sie verbrachten den ganzen Tag draußen vor der Tür — im Gerichtsvor­raum. Deswegen schrieben die Leute Protestbriefe.

An den

Staatsanwalt der Litauischen Sowjetrepublik

Protestschreiben!

Am 17. Dezember 1980 fand die Prozeßverhandlung von Povilas Pečeliūnas, Vy­tautas Skuodis und Gintautas Iešmantas statt. Obwohl die Verhandlung allen zu­gänglich war, wurden die sich interessierenden Leute und Bekannten der Ange­klagten nicht in den Gerichtssaal gelassen. Karolis Kamandulis versuchte den Saal zu betreten, wurde aber von einem wachhabenden KGB-Bediensteten mit der Faust geschlagen. Er fügte noch die Worte hinzu: »Geh zum Teufel! Willst du et­wa neben den Priestern sitzen?« Die Milizbeamten, einer von ihnen war mit der Uniform eines Oberstleutnants bekleidet, packten ihn an den Armen und führten ihn in ein Zimmer. Dort drohten sie ihm, er möge schnell nach Hause verschwin­den, denn anderenfalls würden sie ein Protokoll aufsetzen, und er müsse dann dem Staat eine Geldstrafe zahlen.

Wir protestieren dagegen, daß man den Leuten verweigert, an einer öffentlichen Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Auch dagegen, daß man Leute grundlos im Vorraum des Gerichts umherstößt und mit Strafen bedroht. Wäre es nicht eine Überlegung wert, wenigstens in der Hauptstadt solche Mitar­beiter einzusetzen, die die sowjetischen Gesetze nicht kompromittieren und dem sowjetischen Bürger mehr Achtung erweisen?!

Es unterzeichneten:

R. Matulis, A. Ragaišienė,Ardzijauskas,G. Rickevičius, J. Judikevičiūtė, R. Te-resiūtė, M. Gavėnaitė, Priester A. Svarinskas, Priester S. Tamkevičius, M. Jure­vičius, Dubauskaitė, Kerbelytė, Meškauskaitė, N. Sadūnaitė, O. Kavaliauskaitė, J. Sadūnas, B. Briliūtė, N. Sukevičiūtė und K. Kamandulis.

 

An den

republikanischen Staatsanwalt J. Kairelis

Beschwerdebrief!

In den Tagen des 15. bis 19. Dezember 1980 untersuchte das Höchste Gericht die Prozeßakte des Lehrers und Lituanisten Povilas Pečeliūnas, des Dozenten Vytau­tas Skuodis und des Journalisten Gintautas Iešmantas!

Während der Prozeßverhandlung übergab die Zeugin Danutė Keršiūtė (die Ver­lobte von Povilas Pečeliūnas) den Angeklagten eine Blume. Dafür wurde sie fest­genommen, des unanständigen Benehmens beschuldigt und zu sieben Tagen Ar­rest verurteilt.

Seit wann gilt die Übergabe von Blumen als unanständiges Benehmen, das zudem noch bestraft werden muß?

An diesem Gerichtsprozeß wollte Petras Cidzikas als Zuschauer der öffentlichen Verhandlung beiwohnen. Gleich zu Beginn nahmen ihn die Milizbeamten auf grobe Art und Weise im Gerichtsfoyer fest, in dem er ruhig gesessen hatte. Sogar seine Armbanduhr wurde dadurch beschädigt. Man führte ihn in den Hof nach draußen. Dort wollten sie ihn in dem für die Angeklagten vorgesehenen PKW unterbringen, aber die Soldaten wiesen ihn ab. Daraufhin entließen sie ihn unter Drohungen. Am 18. Dezember kam Petras Cidzikas wieder in das Höchste Ge­richt, schon auf der Treppe wurde er aufgehalten und fortgebracht. Sein Schick­sal ist uns bis heute nicht bekannt.

Wir protestieren gegen die ungerechtfertigte Verhaftung von Danutė Keršiūtė und Petras Cidzikas. Wir verlangen ihre sofortige Freilassung. Auch sollte das Höch­ste Gericht dafür Sorge tragen, daß allen, die an öffentlichen Gerichtsverhandlun­gen teilnehmen wollen, die Möglichkeit dazu geschaffen wird. Wir sind sehr be­sorgt um das Schicksal der Inhaftierten!

Es unterzeichneten:

A. Kerbelytė, D. Meškauskaitė, E. Šuliauskaitė, A. Tučkus, J. Volungevičius, M. Jurevičius, L. Sasnauskaitė, R. Kobkaitė, R. Tamašauskaitė, J. Bukaveckaitė, V. Bogušis, S. Kelpšas, B. Mališkaitė, A. Raižytė, Priester S. Tamkevičius, O. Kava­liauskaitė, A. Žilinskas, J. Judikevičiūtė, N. Sadūnaitė, Skuodienė, G. Skuodytė, D. Skuodiytė, Iešmantienė.