Am 24. November 1980 befaßte sich das Höchste Gericht der Litauischen SSR mit der Prozeßakte von Anastazas Janulis und Povilas Buzas in Kaišiadorys. Über die bevorstehende Gerichtsverhandlung wurden selbst die engsten Verwand­ten, wie z. B. die Ehefrau von P. Buzas, die Schwester von A. Janulis u. a., nicht unterrichtet. Nachdem sie zufällig erfahren hatten, daß im November in Vilnius die Gerichtsverhandlungen von Ona Vitkauskaitė und Genovaitė Navickaitė be­vorstanden, erkundigten sich die Verwandten im Höchsten Gericht in Vilnius und erfuhren, daß in einer halben Stunde die Gerichtsverhandlung von A. Janulis und P. Buzas in Kaišiadorys beginnen würde.

Die KGB-Mitarbeiter ließen keine unmittelbare Verwandten in den Gerichtssaal, so z. B. die Schwägerin von Buzas. Erst nach einer längeren Debatte ließen die KGB-Beamten die Schwester von Buzas in den Saal. Zwischenzeitig wurden sämt­liche Plätze im Saal von KGB-Beamten und anderen Mitarbeitern besetzt. Ihr großes »Interesse« an dieser Prozeßverhandlung bezeugten sie durch mitgebrach­te Zeitungen und Bücher, und die, die tatsächlich hätten daran teilnehmen wollen, blieben draußen vor der Tür, wie z. B. der Priester Antanas Gražulis, Frau Buzie-nė u. a. Sie wurden nicht nur aus dem Korridor vertrieben, sondern durften sich nicht einmal im Foyer der ersten Etage oder draußen, außerhalb des Gebäudes, aufhalten. Das ganze Gerichtsgebäude, die Foyers und die einzelnen Korridore wurden von KGB-Beamten aus Vilnius, Prienai und Kaišiadorys kontrolliert. Un­terstützt wurden sie von der angeforderten Miliz.

Es war nicht möglich, den Nachnamen des Richters in Erfahrung zu bringen — der Staatsanwalt hieß Bakučionis und der Beisitzer Bikulčius. Zu Beginn war die Anklage verlesen worden, und zwar hätten A. Janulis und P. Buzas die »Chronik der LKK«, Aušra (die Morgenröte), Rūpintojėlis (der Schmerzensmann) und Lietuvos archyvas (das Archiv Litauens) vervielfältigt und verbreitet. Danach erfolgte die Befragung der Angeklagten.

Povilas Buzas erklärte, daß ihn die Mißachtung der Rechte Gläubiger, die Verfol­gungen, die Verhöhnung des Kreuzes, die Zwangsarbeit an Feiertagen und die Ar­mut der religiösen Literatur dazu animiert haben, Untergrundliteratur zu verviel­fältigen. Außerdem würden die Schüler in den Schulen aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Auch sein Sohn sei von der Klassenlehrerin für das Meßdienen an Gottesdiensten getadelt worden. Der Angeklagte unterstrich, daß die »Chro­nik der LKK« die Wahrheit schreibe, nur an vereinzelten Stellen seien Zuspitzun­gen zu finden, besonders da, wo es sich um politische Fragen handeln würde. Als man ihn fragte, woher er den Vervielfältigungsapparat bekommen hätte, ant­wortete er, daß er ihn von einem Bekannten gekauft habe. Auf die Frage, ob er künftig die »Chronik der LKK« vervielfältigen würde, wenn er die Möglichkeit hätte, antwortete Povilas Buzas, daß er davon absehen würde, denn seine Seh­fähigkeiten hätten sehr nachgelassen.

Anastazas Janulis bekannte sich nicht schuldig und weigerte sich, dem Gericht Hinweise zu geben, woher er die Exemplare bezogen und an wen er sie weitergege­ben habe, dieses würden seine christliche Einstellung und sein Gewissen nicht zu­lassen. Nach Meinung des Angeklagten seien die von ihm verbreiteten Exemplare auf keinen Fall als verleumderisch zu bezeichnen, denn in ihnen würde nur die Wahrheit geschrieben stehen, und deswegen habe er kein Verbrechen begangen. Der Richter fragte ihn, was er künftig zu tun gedenke? Der Angeklagte antworte­te entschlossen: »Zunächst werde ich die Zeit absitzen, die für mich vorgesehen ist, und danach werde ich wieder kämpfen, vielleicht nicht auf diese Weise wie jetzt, aber ich werde kämpfen. Natürlich wird vieles von meiner Gesundheit ab­hängen, denn es ist möglich, daß ich aus dem Lager nicht mehr zurückkehren werde.« Der Angeklagte erklärte, daß die »Chronik der LKK« mithelfen würde, gegen die Verfolgung der Gläubigen zu kämpfen, gegen die Einschränkung ihrer Rechte, und deswegen sei sie sehr notwendig. Das sei das einzige Selbstverteidi­gungsmittel der Katholiken.

Am zweiten Verhandlungstag waren das konfiszierte Material, welches man wäh­rend der Haussuchungen bei vereinzelten Personen gefunden hatte, die Gutachten der Experten u. a. durchgesehen worden.

Der Staatsanwalt Bakučionis zitierte einige Auszüge aus der »Chronik der LKK« und anderen Veröffentlichungen, in denen, seiner Meinung nach, das Sowjet­system verleumdet wird. Die größte Verleumdung aber sei, daß Litauen 1940 ok­kupiert worden und zwangsweise in die Zusammensetzung der Sowjetunion ein­bezogen worden sei, Verleumdung sei es auch, daß der Untergrund wegen des weitverbreiteten Alkoholismus die Sowjetregierung beschuldigt. Der Staatsanwalt bekräftigte, daß beide Angeklagten ein sehr gefährliches Verbrechen begangen hätten, indem sie versuchten, die Sowjetregierung in Litauen zu schwächen. Des­wegen lege man ihnen den Artikel 68 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR zugrunde. Der Staatsanwalt schlug für Anastazas Janulis sieben Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung vor, und für Povilas Buzas drei Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung.

In seiner Schlußrede erklärte A. Janulis, daß es notwendig gewesen sei, die Litera­tur, wegen der man ihn beschuldigt, zu verbreiten. Es wäre nur zu bedauern, daß man ihn dafür bestrafe, denn er habe sich auf die Konstitution berufen, die Wort-und Pressefreiheit garantiert. In Wirklichkeit aber würden nur die Regierungsmit­glieder sowie die Atheisten von dieser Freiheit Gebrauch machen. Die Fakten, die in der Untergrundliteratur hervorgehoben worden sind, seien nicht verleumde­risch, denn sie seien echt und kämen aus verläßlichen Quellen. Das Gericht wäre verpflichtet, sich mit diesen Fakten auseinanderzusetzen. Der Angeklagte erwähn­te, daß er aus seiner eigenen Erfahrung Fakten wüßte, die die Rechte der Gläubi­gen verletzen würden. So z. B. hatten die Bewohner des Dorfes Miezoniai ein Kreuz aus Zement errichtet, doch dieses wurde zerstört und endgültig entfernt. Als die Leute sich dieses Kreuz auf dem Kirchhof wieder errichtet hatten, ver­schwand es nach einiger Zeit — man fand es beschädigt im Torfbruch vor der Stadt.

Als der Pfarrer der Gemeinde Kalviai starb, konfiszierten die Bediensteten den Leichenwagen, und der Sarg des Pfarrers mußte im Kofferraum eines PKW transportiert werden, in dem man den Sarg nicht ganz verstauen konnte. Weiter sagte A. Janulis, daß die Lintergrundliteratur auch solche Fragen behan­deln würde, an denen auch der Staat nicht zweifeln dürfte. Zum Beispiel wären der Alkoholismus, die Aborte u. a. sehr verbreitet. Die Gläubigen hätten keine Mittel zur Massenkommunikation: Funk, Fernsehen und Presse. Die »Chronik der LKK« behandelt auch Fragen zur Verfolgung der Gläubigen. All diese er­wähnten Fakten hätten ihn dazu aufgefordert, sich dieser schwierigen Arbeit an­zunehmen — nämlich die Untergrundliteratur zu verbreiten. Anschließend for­mulierte der Angeklagte seinen Entschluß mit den Worten aus dem Gebet des hl. Ignatius: ». . . geben und nicht zählen, kämpfen und die Wunden nicht beachten, arbeiten und keine Ruhe suchen, sich opfern und nicht auf Entgelt hoffen; der Lohn sei die vollkommene Erfüllung deines heiligen und göttlichen Willens.« Am dritten Tag der Verhandlung sprach Povilas Buzas sein Schlußwort. Er redete nur sehr kurz und sagte, daß in Litauen zur Zeit keine Glaubens- und Pressefrei­heit bestehe.

Am Nachmittag wurde das Urteil verlesen: Anastazas Janulis wurde zu 3,5 Jah­ren Lagerhaft mit strengem Regime und Povilas Buzas zu 1,5 Jahren Lagerhaft mit strengem Regime verurteilt. Das Urteil wurde nur in Gegenwart eines erwähl­ten Publikums verlesen. Als einige ungebetene Personen versuchten, den Saal zu betreten, wurden sie mit viel Krach aus dem Gerichtsgebäude verwiesen. Nach der Gerichtsverhandlung ging eine Gruppe von Gläubigen, die an der Ver­handlung hatte teilnehmen wollen, mit den Verwandten der Verurteilten in die Kathedrale von Kaišiadorys. Vor dem Grabmal des Volksmärtyrers, Erzbischof T. Matulionis, beteten sie für die Verurteilten, für die Gegner der Kirche, und sie dankten Gott, daß die Litauische Katholische Kirche zwei neue Märtyrer hinzu­zählen kann, die ihre Zwangsarbeit in den sowjetischen Lagern für die Freiheit des Volkes und der Kirche opfern.