Die Hauptwallfahrt in Ž. Kalvarija vom 2. bis 9. Juli fand unter Bewachung von Miliz und Militäreinheiten statt. In den Schulinternaten der umliegenden Städte waren Kursteilnehmer der Miliz untergebracht, aus Vilnius waren einige Feuerwehrwagen von großer Leistungsstärke gebracht, viele verdeckte Autos mit Abhöreinrichtungen bereitgestellt. Die Autos der Gläubigen, die zur Wallfahrt kamen, wurden von 41 Posten der staatlichen Verkehrspolizei kontrolliert. Sie hatten eine direkte Funkverbindung mit einer Funkzentrale, die in der Fischereiwirtschaft von Pasruojė im Dorf Juodenai II eingerichtet war. Sogar der Chef der Verkehrspolizei der Republik, Vaitasius, und Ge­neral Žemaitis sind gekommen. In Pasruojė richteten sie ein Computer-Zentrum ein, dem alle Nummern der kontrollierten Autos übermittelt wur­den und so stellten sie fest, zum wievielten Male ein Wagen nach Žemaičių Kalvarija hingefahren ist. Autofahrer, die schon einige Male hier waren, wurden der Gewerbetreiberei beschuldigt. Auch für die Priester machten sie keine Ausnahme.

Der Pfarrer der Nachbargemeinde Tirkšliai, Vincentas Gauronskis, fuhr jeden Abend nach Hause. Manchmal brachte er auch seine Nachbarn, die Geist­lichen von Mažeikiai, zur Wallfahrt mit. Deshalb hat die Autoinspektion ihn angehalten und die staatliche Autonummer abmontiert, mit der Bemer­kung: »Jetzt ist aber Schluß mit der Fahrerei!«

Am Abend des 5. Juli wurde der Pfarrer von Seda, Petras Serapinas, der bei der Wallfahrt ausgeholfen hatte, zu einem Kranken nach Plinkšės ge­rufen. Als er zurückkam, nahm die staatliche Autoinspektion seinem Fahrer Paulauskas den Führerschein weg.

Am Abend des 3. Juli hielt die Autoinspektion den Priester Kauneckas in der Nähe von Seda an, als er von der Wallfahrt zurückfuhr, und erlaubte ihm nicht, auf der asphaltierten Straße weiterzufahren, sondern befahl ihm, zurückzukehren und auf einer Kiesstraße über Alsėdžiai zu fahren. Während der ganzen Oktav spazierten auf den Straßen in Ž. Kalvarija Scharen von Milizmännern und Gefolgsleuten und fuhren Autoinspektions­maschinen hin und her. Obwohl an den Straßen in großen Scharen Auto-inspektoren und Milizmänner herumgafften, mußte man trotzdem am Kon­trollposten bis zu einer halben Stunde in der Schlange auf die Kontrolle warten. An allen Busstationen wachten Milizmänner. Sie hielten die von den Gläubigen gemieteten Autobusse an, ließen die Fahrgäste aussteigen, und sie mußten ihre Reise zu Fuß fortsetzen, und den Busfahrern nahmen sie die Führerscheine weg. Dies alles wurde unternommen, um die Gläu­bigen zu ängstigen und einzuschüchtern.

Die Angestellten der umliegenden Orts- und Rayonverwaltungen verbrei­teten schon im voraus Gerüchte, daß es dieses Jahr nicht erlaubt würde, nach 2. Kalvarija zu pilgern, — alles wird von der Miliz und vom Militär bewacht. Solche Gerüchte waren in ganz Litauen verbreitet. Sogar aus Vilnius und anderen weit entfernten Ortschaften haben Bekannte die Gläu­bigen und Priester telefonisch angerufen und gefragt, ob es erlaubt wird, zu den Wallfahrtstagen zu kommen.

Ungeachtet verschiedenster Provokationen waren die Pilger dieses Jahr sehr zahlreich. Den Hügel-Kreuzweg gingen die Gläubigen täglich in einer Pro­zession, bei der die große Kreuzreliquie unter einem Baldachin getragen wurde. An dem Hauptwallfahrtstag in Kalvarija und an dem traditionellen Priestermittwoch trug der Verwalter der Diözese Hochw. Antanas Vaičius die Reliquie selbst. Auf den Hügeln hat er die Predigten gehalten und die Gebetsmeinungen für den Kreuzweg angekündigt. Fast jeden Tag wurde einmal der Kreuzweg als Sühne gebetet für die Entweihung der Kapelle auf dem (einige Kilometer entfernt liegenden; Anm. d. Ü.) Jungfrauenhügel.

Am 7. Juli (Mittwoch) konzelebrierten der Bistumsverwalter und etwa 80 Priester der Diözese Telšiai und Gäste aus anderen Diözesen die hl. Messe für die Nüchternheit und sittliche Reinheit des Volkes. An den Wallfahrtstagen hat die Miliz den Jungfrauenhügel ganz besonders bewacht. Alle Zufahrten nach Pasruojė und zum Jungfrauenhügel waren gesperrt. Im Wald bei Pasruojė hat man Verkehrsschilder mit Halteverbot auf 5 km aufgestellt (den ganzen Monat Juli und August wurden sie nicht entfernt), die Bushaltestellen Pasruojė und Paplinkšės aufgehoben, so daß die Ortseinwohner 10 Kilometer und mehr zu Fuß laufen mußten. Nicht einmal die Teilnehmer einer Beerdigung (Familie Staškauskas hat eine ge­habt) blieben unbehelligt: Sie wurden erst durchgelassen, nachdem die Ver­wandtschaftsgrade nachgewiesen waren. Eine entfernte Verwandte wurde mit Trauerkranz 24 Stunden festgehalten unter Verdacht, daß sie zu dem Jung­frauenhügel gelangen wollte. Uršulė Motuzienė versuchte ihre Verwandten zu dem Jungfrauenhügel in aller Frühe, noch vor Tagesanbruch hinzuführen. Aber Milizmänner und Soldaten, die aus einem Wäldchen herausgesprungen sind, haben alle, sogar ein kleines Kind, elend zusammengeschlagen. Die Telefonistinnen von Telšiai waren verpflichtet, die ganze Zeit eine di­rekte Verbindung zwischen Pasruojė und Vilnius aufrechtzuerhalten.

In Verbindung mit der Wallfahrt wurden viele Jugendliche und Kinder ver­hört. Die Sicherheitsbeamten beobachteten und fotografierten demonstrativ die an der Prozession oder auch sonst am Kreuzweggebet teilnehmenden Jugendlichen und Kinder. Bei Rückkehr der Prozession vom Hügelkreuzweg sind die Gefolgsmänner mit ihren roten Armbinden sogar bis auf den Kirch­platz gekommen. Die Miliz- und Gefolgsmänner jagten nach einzelnen Kin­dern, die in das Städtchen hinausgegangen waren und zwangen sie, Recht­fertigungen zu schreiben, wie sie nach Ž. Kalvarija gekommen sind, wer sie hergefahren hat, wer die Fahrt organisiert hat. Andere hat man festgenom­men, als sie schon zu Hause waren. So haben am 7. Juli zur späten Abend­stunde die Milizmänner den dreizehnjährigen Romualdas Grušas vor der Haustür ergriffen und in die Milizstation zum Verhör gebracht. Am nächsten Abend hat man ihn wieder vor der Haustür festgenommen und zur Miliz­station nach Ž. Kalvarija gebracht, wo er bis 3 Uhr in der Nacht verhört wurde. Während des Verhörs verlangten sie, eine von den Milizmännern diktierte Rechtfertigung zu schreiben. Als Romualdas sich weigerte, es zu tun, drehten die Tschekisten ihm das Ohr um und warfen ihn in einen Keller, wo sich schon mehrere Kinder befanden. Erst um 6 Uhr in der Frühe hat man sie freigelassen. Aus dem Keller ging der Knabe direkt zur Kirche und hat an dem Tag wieder an der Kreuzwegprozession teilgenommen. Ähnlich hat man viele 10- bis 15jährige Kinder verhört. Beim Diktieren der Rechtfertigungen wurde unter anderem verlangt, folgenden Text zu schrei­ben: »Der Priester von Telšiai J. Kauneckas hat befohlen, daß wir uns in Alsėdžiai versammeln und von dort aus mit Kreuzen und Fahnen zum Jungfrauenhügel marschieren.« Außerdem mußten die Kinder beschreiben, was für Kleider sie getragen, wer sie ihnen gegeben, wer sie nach Ž. Kal­varija gebracht, wer die Prozessionen organisiert hatte. Dann wurde verlangt, einen großen leeren Raum auf dem Blatt freizulassen und ganz unten zu unterschreiben. Dann wurden die Kinder damit geängstigt, daß sie ein Ver­brechen begangen hätten, weil sie an der Prozession teilgenommen haben, und dies sei den Minderjährigen durch Gesetz verboten.

Die Kreuzwegprozession am Priestermittwoch (7. Juli) wurde als politisches Vergehen bezeichnet: Da sind 6 Mädchen in gelben, grünen und roten Kleid­chen hinter dem Kreuz gegangen und haben damit »die Flagge des bourgeoi-sen Litauen gebildet«. Die Kinder erklärten, eine solche »Flagge« nie gesehen zu haben, man trage bei den Prozessionen in Telšiai immer solche Kleidchen, und das seien Salat-, Moos- und Bordeauxfarben. Trotzdem wurden sie der Politik beschuldigt und man hat ihnen Gerichtsprozeß angedroht. So wurden Kinder aus Tauragė, Telšiai und anderen Ortschaften verhört: Romualdas Grušas, Alma Andrijauskaitė (festgenommen in Ž. Kalvarija und verhört bis in die Nacht), Violeta Riekutė (festgenommen in Telšiai mit ihrer Mutter), Saulė Gaižauskaitė, Rasa Kačinskytė (mit ihrer Mutter), Jo­lanta Juodžytė, Alma Dimbinskytė, Reda Uksaitė (mit ihrer Mutter, sie weigerte sich eine Rechtfertigung zu schreiben, und während des Verhörs sagte sie kein Wort), Romas Žalionis (festgenommen in Ž. Kalvarija), Elena Gudaitė (festgenommen zu Hause), Aurelija Gaučytė und andere.

Nach den Wallfahrtstagen wurde der Pfarer von Ž. Kalvarija Alfonsas Lu­koševičius zum Rayonexekutivkomitee in Plungė vorgeladen und verwarnt, daß er in Zukunft bestraft wird, wenn bei der Wallfahrt Prediger auftreten, die von der Regierung nicht legitimiert sind, und solche hätten in diesem Jahr sogar 9 Predigten gehalten.

Dem Pfarrer Alfonsas Svarinskas in der Gemeinde Viduklė hat die Stell­vertreterin des Rayonexekutivkomitees Raseiniai eine Verwarnung folgenden Inhalts vorgelesen: »Im Artikel 19 der Vorschriften für religiöse Vereinigun­gen wird bestimmt, daß das Tätigkeitsgebiet der Kultdiener und Religions­prediger auf den Ort der von ihnen zu bedienenden Mitglieder der Vereini­gung und den Ort des entsprechenden Gebetshauses begrenzt ist.

Es wurde festgestellt, daß Priester Alf. Svarinskas ohne Erlaubnis der Orts­verwaltung vom 2. bis 9. Juli 1982 in Varduva religiöse Kulte ausübte und Predigten antigesellschaftlichen und verleumderischen Inhalts gehalten hat. Es muß festgestellt werden daß Priester Alf. Svarinskas schon am 1. Okto­ber 1981 wegen Verletzung der genannten Kultgesetze ermahnt wurde.

Ich verlange noch einmal, daß der Priester Alf. Svarinskas die Gesetze über die religiösen Kulte einhalten soll, und ich warne Sie, daß Sie wegen ihrer Verletzung zu administrativer Verantwortung gezogen werden können. Den 12. Juli 1982. Unterzeichnet — Der Bevollmächtigte RfR (des Rates für Religionsangelegenheiten) P. Anilionis.«