Niemand ist in Litauen bei der Nachricht über die Ernennung des Kardinals für die Katholische Kirche Lettlands gleichgültig geblieben. Alle diskutierten lebhaft die Frage: Was bedeutet das?

Das Leben der Lettischen Katholischen Kirche ringt mit dem Tode: die Kinder werden nicht katechisiert, in den Kirchen findet man beinahe keine Jugend mehr, für das Priesterseminar gibt es auch beinahe keine eigenen Kandidaten mehr, und deswegen wird die von der Regierung festgelegte Kandidatenzahl mit den Kandidaten aus Weißrußland, der Ukraine und sogar aus Kasachstan ausgefüllt. Obwohl das Priesterseminar in Riga offiziell die Priester für die ganze Sowjetunion vorbereitet, hat dieses Jahr nur ein einziger Seminarist die Priesterweihe empfangen. Unter den Priestern Lett­lands herrscht Passivität, Angst und das Sichabfinden mit dem Gedanken, daß die Kirche in der Sowjetunion nur unter der Einhaltung des Statutes der religiösen Gemeinschaften existieren und leben kann. Ähnlich wird in der schon total versklavten orthodoxen Kirche Rußlands gedacht.

In Litauen werden dagegen die Kinder katechisiert, sie nehmen an religiösen Zeremonien aktiv teil, in den Kirchen sieht man immer mehr Jugend, viele Menschen widmen sich aktiv der apostolischen Arbeit; sie gehen mutig für den Glauben in die Gefängnisse, wie beispielsweise Jadvyga Bieliauskienė, die 1982 wegen ihrer apostolischen Arbeit unter den Schülern von Garliava ins Gefängnis ging. Die Priester Litauens verteidigen mit Erfolg ihre Unab­hängigkeit gegenüber dem Statut der religiösen Gemeinschaften.

Wenn man die wirkliche Lage der Katholischen Kirche Lettlands und Li­tauens kennt, dann wirkt die Ernennung eines Kardinals für Lettland auf die Priester und die Gläubigen Litauens direkt schockierend; sie halten eine solche Ernennung für eine Aufwertung der passiven und kapitulierenden Haltung der Katholischen Kirche Lettlands und für eine Mißachtung der von ihnen getragenen Opfer, eines bitteren Kampfes und einer entschlossenen Haltung der Priester und der Gläubigen Litauens. Eine derartige Ernennung befriedigt die sowjetische Regierung vollkommen.

Die Erklärung, daß der neue Kardinal möglicherweise eine Brücke zwischen Moskau und dem Vatikan sein könnte, bringt in die jetzige Dunkelheit nur wenig Licht. Die Vermutungen, daß der verbannte Bischof Julijonas Ste­ponavičius eventuell ein Kardinal »in pectore« sein könnte, tröstet die Gläubigen und die Priester Litauens zur Zeit sehr wenig, vor allem, weil die aus Rom angekommenen Briefe der litauischen Priester dafür sprechen, daß dieser ehrenvolle verbannte Bischof im Vatikan von irgendjemandem ziemlich schlechtgemacht worden ist.

Nach der Ernennung eines Kardinals für die Katholische Kirche Lettlands bekam der verbannte Bischof J. Steponavičius einige sehr böse anonyme Briefe. In einem von ihnen schreibt man:

»Angeblicher Kardinal >in pectore<! Du segnest also die Tätigkeit der Kir­chenspaltung der Svarinskas, Tamkevičius, Keina, Zdebskis und ihresglei­chen. Der Heilige Stuhl hat also deine Taten und die Taten der >Aktivisten< so eingeschätzt, daß nicht das katholische Litauen, sondern das protestan­tische Lettland einen Kardinal und noch einen Bischof bekommen hat.« Den anonymen Brief unterschreibt ein »Mitbruder, der die Meinung der Mehrheit der Priester sagt«, der aber, höchstwahrscheinlich, die Achsel­stücke eines KGB-Offiziers trägt. Ein anderer Anonymus fordert den Papst, die Bischöfe und die Priester auf, zu beten, »daß der Böse durch Bischof Steponavičius nicht zum Nachteil der Kirche wirken kann.«

Böse anonyme Briefe, die im Quartier des KGB geboren sind, haben auch die Priester A. Svarinskas und Algimantas Keine bekommen.

Nicht die anonymen Briefe versetzen aber die Priester Litauens in Erstaunen (obwohl sie oft dadurch interessant sind, daß man durch sie das erfährt, was das KGB über die eine oder andere Frage denkt), sondern die Briefe der wenigen litauischen Priester aus Rom, die Litauen erreichen. In einem von ihnen wird Bischof Julijonas Steponavičius und den »Priester-Aktivisten« die Schuld gegeben, daß der Papst einen Kardinal nicht für Litauen, sondern für Lettland ernannt hat. Wie kann man diesen peinlichen Zufall erklären, daß das KGB in Litauen und einige Priester in Rom dasselbe reden? Es gibt darauf nur diese Antwort: das KGB hat es meisterhaft geschafft, wenig­stens einige der einflußreichen litauischen Priester in Rom zu desinformie-ren, und durch sie auch den Apostolischen Stuhl selbst. Erfreulich ist nur das, daß der Hl. Vater keine passive Persönlichkeit, die eine konformistische Position einnimmt, zum Kardinal für Litauen ernannt hat. Für diese Ent­scheidung des Apostolischen Stuhls sind die Priester und die Gläubigen Litauens wirklich dankbar.

Daß der Apostolische Stuhl vom KGB irregeführt wurde, bezeugt auch folgende Tatsache. Die Wochenzeitschrift der Erzdiözese Washington brachte einen Artikel von Priester Doil, in dem er Überlegungen anstellt, warum ein Kardinal für Lettland und nicht für Litauen ernannt wurde. In dem Artikel stützt man sich auf die von Prälat L. Tulaba erhaltenen zuverlässigen Nachrichten aus Litauen, nach denen Moskau mitgeteilt haben soll, daß, falls Bischof Steponavičius öffentlich zum Kardinal ernannt werden sollte, der Vatikan eine schwere Entscheidung treffen müßte, denn dann würde Moskau verlangen, daß er entweder in ein Arbeitslager nach Sibirien ver­bannt würde, oder gezwungen würde, in den Vatikan zu emigrieren, von wo aus er nicht mehr nach Litauen zurückkehren dürfte. Diese Mitteilung aus Moskau ist eine gewöhnliche Schikane des KGB, damit der Apostolische Stuhl keinen guten Kardinal für Litauen ernennt. (In ein Lager wäre der Kardinal bestimmt nicht geschickt worden!) Wenn ein guter Kardinal für Litauen ernannt worden wäre, dann könnte es gleichgültig sein, wo er sich befinden würde — im Lager oder in Rom — die Priester und die Katho­liken wären moralisch unterstützt. Zur Zeit triumphiert in Litauen leider nur das KGB; die eifrigen Priester und die Laien aber fühlen sich »ganz allein« gelassen.

Litauen erreichen Nachrichten (ihre Objektivität können wir nicht über­prüfen), daß der Hl. Vater unzufrieden sein soll, daß in Litauen unter den Priestern keine Einigkeit bestehe, und deswegen habe das Land keinen Kardinal bekommen. Die Priester Litauens glauben nicht, daß der Hl. Vater die wirkliche Lage in Litauen nicht verstehen könnte. Das KGB hat einen Teil der Priester lahm geschlagen und diese, mit der Peitsche des Zwangs angetrieben, tun, schreiben und reden das, was die sowjetische Regierung will. Sie sind die größten Störer der Priestereinigkeit. Es ist durchaus mög­lich, daß sie am meisten den Vatikan desinformieren. Die wahre Stimme der Kirche aus Litauen ist heutzutage leise geworden, erreicht den Aposto­lischen Stuhl nur selten und ist dazu noch von den Kollaborateuren des KGB verunglimpft worden.

In dieser für die Katholische Kirche Litauens schweren Zeit, wo die rührig­sten Priester verhaftet werden, und ihr Eifer sozusagen nicht geschätzt wird, ist es für die Priester und die Gläubigen Litauens sehr wichtig, sich nicht zu verlieren, sondern auch weiter die frühere Verehrung und die Treue zum Apostolischen Stuhl zu erhalten. Der christliche Triumph beginnt aber im­mer am Kreuz.