Am 1. November 1984 hielten die Gläubigen der Pfarrei Kybartai nach der hl. Abendmesse eine Prozession zum Friedhof, der nahe bei der Kirche liegt, und beteten dort für ihre Verstorbenen. Gemäß dem »Zeremonienbuch der katholischen Kirche« wurde diese Zeremonie vom Vikar der Pfarrei Ky­bartai, Priester Jonas Kastytis Matulionis, geleitet.

Milizmänner und Sicherheitsbeamte beobachteten diese Prozession der Gläu­bigen zum Friedhof. Während der Prozession lief der Ortsvorsitzende von Kybartai, Gudžiūnas, zu Priester J. Matulionis und befahl ihm, die Leute zu zerstreuen. Ohne dies zu beachten, gingen die Leute unter dem Gesang der Allerheiligen-Litanei wohlgeordnet zum Friedhof, beteten dort für die Ver­storbenen und gingen danach auseinander.

Am 7. und 8. November fiel den Einwohnern von Kybartai auf, daß sich viele ortsfremde Sicherheitsbeamte in der Stadt aufhielten, die aufmerksam Kirche und Pfarrhaus beobachteten. Am Freitag, dem 9. November, wurde die Spannung noch größer. Ununterbrochen lauerten Beamte des KGB von ihren Pkw aus in der Stadt. Nach der hl. Abendmesse gegen 20 Uhr beglei­tete eine Gruppe von etwa 30 Personen Priester J. Matulionis ins Kranken­haus, wo dieser einem Kranken die letzte Ölung spendete. Aus der Ferne verfolgten die Sicherheitsbeamten jeden Schritt des Priesters, wagten sich aber nicht näher an ihn und die Gläubigen heran. Ein zweiter Kranker, den der Priester noch an diesem Abend besuchen sollte, wohnte in der Stadt Nesterow (im Gebiet von Kaliningrad), 12 km von Kybartai entfernt. Die Milizbeamten versuchten Priester J. Matulionis in der Stadt Nesterow anzu­halten, noch bevor er den Kranken mit den Sterbesakramenten versehen hatte, die Leute aber, die ihn begleiteten, beschützten ihn.

Dann holten die Sicherheitsbeamten die Miliz von Nesterow zu Hilfe und nahmen Priester J. Matulionis beim Verlassen der Wohnung des Kranken fest, nachdem sie einen Haftbefehl vorgezeigt hatten. Auf diese Weise wurde die Pfarrei Kybartai zum zweiten Mal Zeugin einer ungerechten Festnahme eines eifrigen Priesters.

Gleichzeitig nahmen die Milizmänner auch Edmundas Žemaitis (Schüler der 11. Klasse) fest, der dabei gewesen war. Nachdem sie ihn aber in die Miliz von Vilkaviškis gebracht und dort festgestellt hatten, daß sie sich geirrt und nicht Romas Žemaitis, sondern seinen Bruder Edmundas festgenommen hatten, ließen sie den Jungen frei.

Am 12. November 1984 mußte der Einwohner von Kybartai, Romas Žemai­tis, als Einberufener zur Militärdienstpflicht in das Kriegskommissariat kom­men. Als er dort ankam, wurde er sofort verhaftet.

Priester J. Matulionis und der Jugendliche R. Žemaitis werden des Organi­sierens einer religiösen Prozession zum Friedhof beschuldigt. Beide werden im Gefängnis von Lukiškės in Vilnius festgehalten.

R. Žemaitis ist im Frühjahr 1984 wegen seiner aktiven Teilnahme am kirch­lichen Leben und an der Gerichtsverhandlung gegen Priester S. Tamkevičius in Vilnius nicht zur Abschlußprüfung in der Mittelschule zugelassen worden.

Nach diesen Verhaftungen wurden in der Kirche von Kybartai acht Tage lang Fürbittegottesdienste abgehalten, bei denen Gott angefleht wurde um Kraft für die unschuldig Verhafteten, den Priester J. Matulionis und für R. Žemaitis. Es wurde dabei auch aller gedacht, die wegen Gott und der Heimat leiden. Während der ganzen Oktav wurden nach der hl. Messe auf den Knien gehend die Kreuzwegstationen gebetet.

Kybartai (Rayon Vilkaviškis) An den Staatsanwalt der LSSR 

Erklärung

der Gläubigen der Pfarrei Kybartai

Die hier unterzeichneten Gläubigen mußten am 9. und 12. November 1984 Zeugen schmerzlicher Vorkommnisse werden.

Bei einem Krankenbesuch in der Stadt Nesterow (im Gebiet Kaliningrad) wurde der Priester der Pfarrei Kybartai, Jonas Matulionis, verhaftet.

Als die Gläubigen bemerkt hatten, daß der Priester von den Sicherheits­beamten verfolgt wird, begleiteten sie ihn und sahen, wie taktlos und grob sich die Beamten des Sicherheitsdienstes und der Miliz bei der Verhaftung benahmen.

Genauso unberechtigt wurde am 12. November der eifrige Gläubige unserer Pfarrei, Romas Žemaitis, festgenommen.

Es ist für uns Gläubige sehr schmerzlich, daß in unserer Pfarrei schon der zweite pflichtbewußte, gute und für uns, die Pfarrangehörigen, unentbehrliche Priester wie auch ein eifriger und gewissenhafter Gläubiger, R. Žemaitis, der nicht nur zu beten verstand, sondern sich auch mutig gegen Lüge und Unrecht stellen konnte, festgenommen wurden.

Wir, die hier unterzeichneten Gläubigen von Kybartai, bitten den Staatsan­walt der LSSR, den von uns vorgetragenen Tatsachen Aufmerksamkeit zu schenken, sie zu überprüfen und klarzustellen, daß die Festnahme des Prie­sters J. Matulionis und des R. 2emaitis ein grober Fehler ist, um dessen unverzügliche Gutmachung wir bitten.

Es unterzeichneten 666 Gläubige.

Utena

An den Generalstaatsanwalt der LSSR

Erklärung

der Gläubigen Litauens

Wir bitten Sie, den unschuldig verhafteten Priester der Pfarrei Kybartai, Jonas-Kastytis Matulionis, und den gläubigen Jugendlichen aus der Pfarrei Kybartai, Romas 2emaitis, wie auch die schon seit zwei Jahren wegen der eifrigen Erfüllung ihrer Pflichten gefangengehaltenen Pfarrer der Pfarrei Vidukle, Priester Alfonsas Svarinskas, und den Pfarrer der Pfarrei Kybartai, Priester Sigitas Tamkevicius, freizulassen.

Die Verhaftungen der Priester und der eifrigsten Gläubigen betrachten wir als Verfolgung des Glaubens und Verspottung unserer heiügsten Überzeu­gungen.

Es unterzeichneten 1825 Gläubige.