An den Vorsteher des Sicherheitsdienstes der LSSR Abschriften an:

1.     die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

2.             Seine Magnifizenz den Rektor des Interdiözesanpriesterseminars zu Kau­nas, Priester Dr. Viktoras Butkus

3.        den Beamten des Sicherheitsdienstes der LSSR, Vincas Platinskas
Erklärung

des Priesters Rokas Puzonas, Sohn des Jonas, geboren am 16. 8. 1956, wohnhaft in Kiauliai, Rayon Širvintai.

Im Mai 1977 habe ich an den Rektor des Interdiözesanpriesterseminars zu Kaunas, Priester Dr. V. Butkus, ein Gesuch um Aufnahme in das Priester­seminar eingereicht.

Nach etwa einem Monat bekam ich eine Vorladung in die Kaderabteilung des Baukombinats für Experimentierhäuser (AENSK) nach Alytus. (Bevor ich in das Priesterseminar gekommen bin, war ich im Sägewerk dieses Kom­binats beschäftigt). Als ich dort hinkam, stellte sich mir der Sicherheitsbeamte Vincas Platinskas aus Vilnius vor und brachte mich für ein Gespräch in die Abteilung für innere Angelegenheiten nach Alytus.

Er nahm einige Blätter unbeschriebenen Papiers, setzte sich mir gegenüber, begann mich auszufragen und machte sich dauernd irgendwelche Notizen. Der Beginn des Gesprächs war schön und angenehm; er erkundigte sich nach meiner Arbeit, meiner Familie und fragte, ob ich nicht irgendwelche Schwie­rigkeiten hätte usw. Dann lenkte er das Gespräch auf mein Berufsziel. Der Sicherheitsbeamte Vincas klärte mich auf, daß es nicht leicht sei, in das Priesterseminar einzutreten; es gäbe eine große Konkurrenz und man müsse Beziehungen haben. Er sagte auch, er könne mir helfen. Er betonte, daß ich sowohl in der Schule als auch beim Militär ein guter und mustergültiger Bürger gewesen sei. Nur in der achten Klasse hätte ich mich falsch benom­men. Ich habe mich damals geweigert, ein atheistisches Thema vorzubereiten, in dem die Kirche und Priester verspottet werden sollten.

»Selbstverständlich ist dieser einzige Fehltritt kein ernstes Hinderais für einen Eintritt«, trug mir dann der Sicherheitsbeamte Vincas vor. »Nur daß eure ganze Verwandtschaft voll von borgeoisistischen und antisowjetischen Neigungen ist. Außerdem sind deine zwei Onkel und dein Vater verurteilt gewesen, weil sie Verbindungen mit den »Banditen« hatten. Wie es aussieht, haben sie ihre Lehre daraus gezogen und ihre Schuld begriffen. Uns fällt es aber schwer, zu glauben und sicher zu sein, daß dieser antisowjetische Geist bei dir nicht in Erscheinung treten wird. Wenn du uns beweisen willst, daß du ein guter sowjetischer Bürger und loyal zur sowjetischen Regierang bist, dann mußt du ein Versprechen schreiben.«

»Ein Verräter werde ich niemals sein! Wie kann man in einem Menschen zwei Widersprüche unterbringen: Einen Seminaristen und einen Sicherheits­beamten«, erwiderte ich aufgeregt wegen dieser ungerechten Forderangen. »Wo denkst du denn hin! Niemand sagt, daß du ein Verräter sein sollst!«, sagte Vincas erbot. »Du wirst sogar noch Gutes tun, wenn du die Fehler und die antisowjetischen Ausschreitungen deiner gleichgesinnten Seminaristen meldest. Es steht doch auch in der Bibel geschrieben, daß man dem Kaiser geben soll, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.«

»Sie wollen also, daß ich ein Judas werde, daß ich Christus verrate und mich in die Gewissensangelegenheiten anderer Menschen einmische. Das ist doch mit einem christlichen Gewissen unvereinbar. Wie kann man da noch von einer Mitarbeit reden! Ich werde auch ohne ein Versprechen ein guter Bürger und ein guter Seminarist sein.«

»Du Dummkopf, du! Was für einen Judas hast du dir jetzt eingebildet! Du verrätst oder verkaufst niemanden!«, schrie erbost der Sicherheitsbeamte. »Du bist doch beim Militär gewesen, dann solltest du doch begreifen, daß es sich hier nicht um einen Verrat handelt, sondern nur um eine ehrenvolle Erfüllung einer Pflicht eines sowjetischen Bürgers. Wer hat dir alle diese Belehrungen erteilt?!«

»Das verbieten mir keine Belehrungen, das erlaubt mir ganz einfach mein Gewissen nicht«, stellte ich klar.

»Was für ein Gewissen hast du dir jetzt wieder ausgedacht?! Es gibt doch kein Gewissen, rede doch keinen Unsinn«, schrie der Sicherheitsbeamte Vincas.

»Ich weiß es nicht, wie es bei Ihnen damit steht, ich habe aber wirklich mein Gewissen. Und ich darf mein Gewissen nicht außer acht lassen«, entgegnete ich.

Als er einsah, daß ich mit seinen Forderungen immer noch nicht einverstanden war, lenkte der Sicherheitsbeamte seine Rede auf andere Dinge. Er erkun­digte sich, ob ich nicht verleumderische Sendungen von Radio Vatikan, Radio Liberty oder der Stimme Amerikas höre. Ich antwortete, daß ich sie ab und zu höre. Vincas begann, den Vatikan und den Papst anzuschwärzen, wie er nur konnte. Nach einer langen Befragung erklärte mir der Sicher­heitsbeamte:

»Wir benötigen nur ein schriftliches Versprechen von dir, daß du der sowje­tischen Regierung gegenüber loyal bleibst. Du mußt selbst verstehen, daß es für mich kein Vergnügen ist, mich mit dir hier zu streiten und meine Zeit zu vergeuden. Deswegen wollen wir es so machen: Du nimmst dieses Blatt Papier und schreibst, was ich dir diktieren werde. Nur dann kann ich dir dein Eintreten in das Priesterseminar zusichern.«

»Nein, ich werde nicht schreiben! Es genügt das, was wir besprochen haben. Ich will nur eins: Ein guter Priester und damit auch ein beispielhafter Bürger sein. Niemals aber ein Verräter. Ich bin der Meinung, daß es unnötig ist, noch einmal darüber zu debattieren.«

»Dann brauchst du an ein Eintreten in das Priesterseminar gar nicht zu denken«, schrie der Sicherheitsbeamte Vincas. »Dann kannst du auch weiter­hin und dein ganzes Leben lang im Sägewerk die Bretter schleppen. Du mußt nicht denken, daß wir es nur auf dich allein abgesehen haben und das alles nur von dir verlangen. Ihr lebt doch alle in der sowjetischen Gesellschaft, sowohl die Seminaristen, als auch die Priester, deswegen müßt ihr auch die Forderungen des Staates achten.«

»Aber die Kirche ist doch vom Staat getrennt, und das Eintreten in das Prie­sterseminar muß vom Rektor des Priesterseminars oder vom Bischof ab­hängen, aber nicht von euch«, versuchte ich ihm zu erklären.

»Wer hat dir so viel antisowjetischen Geist eingetrichtert?! Bist schon mit den Priester-»Extremisten« zusammengekommen und willst ihren Fußstapfen folgen? Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage! Dann schlage dir das Priesterseminar für alle Zeiten aus dem Kopf und denk ja nicht, daß die Aufnahme in das Priesterseminar nicht vom Staat abhängt. Mit deiner Wei­gerung wirst du niemandem Angst einjagen, sondern nur dir selbst und der Kirche schaden. Rege dich nicht auf, folge deiner Vernunft, und nicht den Belehrungen!«, mahnte mich der Sicherheitsbeamte.

»Manchmal reicht aber die menschliche Vernunft nicht. Am besten ist es, dem eigenen Gewissen und der Stimme Gottes zu folgen«, sagte ich.

»Wenn du die ganze Zeit nur den Folgerungen dieses deines Gewissen folgst, dann gehst du im Leben unter, dann wirst du überhaupt nichts erreichen. Betrachte doch das Leben der älteren Priester ein bißchen besser und du wirst gleich sehen, daß sie wenig darauf achten, was ihnen das Gewissen sagt; sie leben so, wie es für sie besser ist. Wir garantieren dir eine ausge­zeichnete Zukunft, wir werden dir helfen, in der Hierarchie emporzukommen, du darfst in einer größeren Pfarrei arbeiten, wirst ins Ausland fahren dürfen, aber nur dann, wenn du vernünftig bist. Schreib also das Versprechen, und es ist alles in Ordnung. Dann gehen wir beide als die besten Freunde ausein­ander. Sonst müssen wir uns ein ganzes Leben lang ärgern. Du mußt be­denken, daß du auch deinen Eltern, deinen Brüdern und Schwestern schaden kannst. Irgendwann wirst du mir dankbar sein, daß ich dir gut geraten habe«, versuchte Vincas mich zu überzeugen.

Von einer dreistündigen »Gehirnwäsche« ermüdet, mit dem Wunsch, ihn so schnell wie möglich loszuwerden und mit dem größten Wunsch, Priester zu werden, war ich durch meine Ungeschicklichkeit einverstanden, ein Verspre­chen zu unterschreiben, loyal zu sein und den Organen des Staatssicherheits­dienstes Informationen über antisowjetische Ausschreitungen im Priester­seminar zu liefern. Das habe ich nicht freiwillig getan, sondern unter mora­lischem Zwang, den der Sicherheitsbeamte Vincas Platinskas angewendet hat. Ein Zwang aber macht jedes Dokument ungültig, weil die freie Entscheidung fehlt.

Bei unserer Trennung sagte Vincas, daß es bis zum Beginn des Studienjahres im Priesterseminar notwendig sein werde, sich noch einige Male mit ihm zu treffen, denn es könnten doch noch irgendwelche Unklarheiten vorkommen. Außerdem wollte er durch seine Vermittlung bei dem Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten, Tumėnas, für die sichere Aufnahme in das Priesterseminar sorgen. Das nächste Treffen hat er, ich glaube, für den 19. Juli neben dem Hotel »Dzukija« vorgesehen. Er verbot mir, jemandem von dieser Unterhaltung etwas zu sagen.

Am angegebenen Tag gegen 16 Uhr spazierte der Sicherheitsbeamte schon in der Nähe des Hotels. Als ich da war, sagte er, daß die Unterhaltung im zweiten Stock des Hotels stattfinden werde. Er ging als erster ins Hotel hinauf. Mir befahl er, einige Minuten später in das angegebene Zimmer zu kommen, denn wenn wir zusammen gingen, könnte jemand auf uns aufmerk­sam werden. Bei diesem Treffen erkundigte sich der Sicherheitsbeamte Vincas, was es Neues gebe und fragte mich, ob ich jemandem etwas ausge­plappert habe. Ich antwortete, daß ich zu niemandem irgendwas gesagt habe. Ich versuchte ihm klarzumachen, daß ich die ganze Zeit wegen dieses Ver­sprechens Gewissensbisse gehabt hätte. Ich bat ihn, das Versprechen zu ver­nichten; der Sicherheitsbeamte erwiderte mir aber, daß er es nicht mehr habe, und daß es nicht wert sei, sich deswegen aufzuregen.

Weiter sagte Vincas, daß ich nur noch meinen Lebenslauf zu schreiben hätte und mir dazu einen Decknamen suchen müsse. Er versprach, alles nach Moskau zu senden. Niemand werde etwas davon erfahren. Ich sagte ihm: »Machen Sie, was Sie wollen, aber ich weigere mich, noch irgendwas zu schreiben. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß wir keinen gemeinsamen Weg miteinander finden können. Warum soll ich mich mit meinem Gewissen quälen?«

»Du hast dich doch bei jemandem verplappert! Bestimmt bei jemandem von den Priestern! Wenn es so ist, dann wird es ihnen und dir schlimm ergehen. Hier werden wir ohne Gefängnis nicht mehr auskommen. Das ist doch ein Geheimnisverrat! Wie ist es denn in Wirklichkeit? Rede doch, du Swollotsch (Brut, Schlangenbrut)«, schrie der Sicherheitsbeamte zornig.

Ich antwortete ihm, daß mir mein Gewissen nicht erlaube, das zu schreiben, was meinen Überzeugungen widerspricht, und daß sie meinen Lebenslauf auch so schon sehr gut kennen. Dann begann der Sicherheitsbeamte noch mehr zu schreien:

»Wie lange soll ich mit dir noch unnötig streiten und mir den Mund franzig reden?! Ich habe dir schon oft genug gesagt, daß dein Schicksal nicht benei­denswert wird, wenn du nicht wie versprochen für uns arbeitest; dann wirst du vernichtet oder kommst ins Gefängnis!«

Bei dieser Begegnung wurde ich wieder etwa drei Stunden lang festgehalten. Ich fühlte mich nervlich erschüttert. Als ich sah, daß alles schlimm ausgehen könnte und da ich unbedingt Priester werden wollte, beschloß ich, meinen Lebenslauf niederzuschreiben und mir einen Decknamen auszusuchen, aber die Forderungen zu erfüllen, hatte ich nicht vor.

Schließlich schrieb ich meinen Lebenslauf nieder. Dann befahl mir der Si­cherheitsbeamten, einen Decknamen auszusuchen, und als mir lange keiner einfiel, schlug er mir den Namen »Vyturys« (»Lerche«) vor. Der Sicherheits­beamte befahl mir, ein schriftliches Versprechen zu schreiben, in dem darauf hingewiesen wird, daß ich alle an den Sicherheitsdienst gerichteten Mittei­lungen mit dem Decknamen »Vyturys« unterschreiben werde. Und das alles müsse ebenfalls geheim bleiben. Am Schluß dieser Begegnung erklärte mir Vincas, daß wir uns am 2. August in Vilnius wieder treffen müßten. Er gab mir seine Hausadresse und seine Telefonnummer mit.

An diesem Tag fuhr ich früh morgens von Alytus nach Vilnius. Wir trafen uns beim Hotel »Gintaras«. Er ging wieder als erster hinein in das ange­gebene Zimmer und befahl mir, nach einigen Minuten nachzukommen.

Diesmal interessierte den Sicherheitsbeamten Vincas mein Verhalten. Er fragte mich über meine Bekanntschaften mit eifrigen Priestern aus, die von ihm »Extremisten« genannt wurden. Er erkundigte sich, was ich über den Expriester Starkus gehört habe, der in der Pfarrei Sidabravas das Priester-tum abgelegt hatte. Den letzteren lobte er als Menschen ohne Heuchelei, der den richtigen Weg gefunden habe. Priester A. Svarinskas, Priester Sigitas Tamkevičius, Priester Juozas Zdebskis und andere dagegen charakterisierte er als Verleumder der sowjetischen Ordnung.

Diese Begegnung dauerte etwa zwei Stunden. Beim Abschied gab Vincas mir 25 Rubel als Reiseauslagenvergütung, nachdem er vorher von mir eine Unterschrift verlangt hatte, daß ich die genannte Summe Geld für die laufen­den Auslagen vom Sicherheitskomitee angenommen habe. Als er meine Un­ruhe wegen meines Einverständnisses zur Mitarbeit merkte, befahl mir der Sicherheitsbeamte, in einer Woche, am 9. August, nach Vilnius zu kommen. Am festgesetzten Tag fuhr ich wieder nach Vilnius. Als ich ihn angerufen hatte, sagte Vincas, daß die Unterhaltung in einem Hotel in der Nähe des Denkmals der Schriftstellerin Žemaitė stattfinden werde. Wie immer gingen wir in das von ihm genannte Zimmer: er zuerst, und nach einigen Minuten ch. Er fragte mich über vieles. Er warnte mich, ich solle im Priesterseminar den anderen Seminaristen gegenüber vorsichtig sein, damit ich mich wegen meiner Mitarbeit nicht verrate. Beim Abschied gab er mir als Reiseauslagen­vergütung 10 Rubel und versicherte, daß mein Eintreten in das Priester­seminar garantiert sei und daß ich mich nicht mehr zu grämen brauche, alles werde bestens. Dabei versprach er, mich während der ersten Ferien an Weih­nachten zu Hause anzurufen. Es werde wieder nötig sein, sich zu treffen, denn es könnten doch noch Unklarheiten entstehen.

Dieses vierte Treffen mit dem Sicherheitsbeamten Vincas in Vilnius war das letzte, zu dem ich auf eine mündliche Aufforderung hin gegangen bin. Dann bin ich nicht mehr zu solchen Treffen gekommen, und ich werde auch in Zu­kunft nicht mehr hingehen, weil das mit dem Gewissen eines Seminaristen nicht zu vereinbaren ist.

Am 10. August bekam ich ein Telegramm, daß ich in das Priesterseminar zu Kaunas aufgenommen sei. Weder jemand von den Priestern noch von den nächsten Verwandten ahnte, wie schwer diese »Aufnahmeprüfung« war, die mich gezwungen hat, Gewissenskompromisse zu schließen.

Als er den erwarteten Rückruf während der ersten Ferien an Weihnachten nicht bekommen hatte, rief mich der Sicherheitsbeamte Vincas zu Hause an. Da er mich zu Hause nicht antraf, stellte er sich meiner Familie als guter Freund vor, den ich anrufen solle. Ich habe begriffen, was für ein »Freund« mich angerufen hatte. Da er von mir während dieser Ferien keinen Anruf bekam, versuchte er mich während der nächsten Ferien zu erreichen, ich war aber jedesmal nicht zu Hause. Erst am Ende des zweiten Kurses, als ich während der Osterferien den Hörer aufhob, fragte mich Vincas, warum ich ihn nicht angerufen habe. Ich antwortete, daß ich ihn nicht kenne und nichts mit ihm zu tun haben möchte. Der Sicherheitsbeamte drohte mir, daß das nicht gut hinausgehen werde. Ohne mich in irgendein Gespräch einzulassen, legte ich den Hörer auf.

Am 27. Mai 1980 bekam ich eine offizielle Benachrichtigung vom Staats­sicherheitsdienst zu Vilnius. Darin wurde mitgeteilt, daß ich am 28. Mai um 10 Uhr als Zeuge bei Untersuchungsrichter Balčiūnas vorgeladen sei. Zu meinem größten Erstaunen erschien im Sicherheitspalast wieder der Si­cherheitsbeamte Vincas und nicht der Untersuchungsrichter Balčiūnas. Ich erklärte ihm sofort:

»Ich bin nicht zu Ihnen vorgeladen, sondern zu Untersuchungsrichter Balčiū­nas. Warum sind Sie hier?«

Der Sicherheitsbeamte schrie:

»Was, du Rotznase, du Kröte! Willst mich nicht mehr kennen?! Bist schon so weit, daß du vergessen hast, was du in Alytus versprochen hast? Der will mir hier Anweisungen geben, der Grünschnabel! Du wirst ja genauso mit mir wie mit dem Untersuchungsrichter Balčiūnas reden!«

»Bitte, keine Beschimpfungen! Wenn Sie weiter schimpfen, werde ich mit Ihnen überhaupt nicht mehr reden!«

»Schau, schau, wie dich solche wie Svarinskas oder Tamkevičius erzogen haben. Du bist ja ein sehr großer Herr geworden und willst mit uns über­haupt nicht mehr reden!« — spottete der Sicherheitsbeamte.

Als er merkte, daß ich mit ihm nicht reden wollte und daß ich beleidigt sei, rief Vincas telefonisch einen anderen, offensichtlich ranghöheren Sicherheits­beamten, der seinen Namen nicht sagte. Dieser brachte irgendwelche Unter­lagen, wahrscheinlich meine Akte mit und begann, meine im Priesterseminar begangenen »Vergehen« aufzuzählen. Das erste »Vergehen« war, daß ich am Tag des hl. Joseph ein 14 Minuten langes Referat über den »Sorgen­vollen« und »Vytis« (der Verfolger — das litauische Staatswappen) vor meinem Kurs gehalten habe. Ich begriff jetzt, daß ich in meinem Kurs nicht der einzige war, der angeworben worden war, und daß jemand fleißig die Sicherheitsorgane informierte. Das zweite »Vergehen« war, daß ich den poli­tischen Gefangenen Briefe geschrieben hatte. Von zehn von mir an die Ge­fangenen geschriebenen Briefen hat Nijolė Sadūnaitė als einzige einen er­halten, denn sie war zu der Zeit schon in der Verbannung. Alle anderen Briefe sind vom Sicherheitsdienst in Vilnius abgefangen worden. Besonders mißfielen dem Sicherheitsbeamten die Ostergrüße:

»Lieber Bruder (Liebe Schwester) in Christus, die Geschichte des Kreuzes Christi endet nicht mit Seinem Tode. Wir müssen über das Grab hinaus-schauen und an den Endsieg und Triumph des Kreuzes denken.« (Hl. Oster­fest 1979).

Als er den Brief durchlas, der an Viktoras Petkus adressiert war, fragte mich der unbekannte Sicherheitsbeamte, warum ich an ihn Grüße schreibe. Er sei doch nicht verwandt mit mir. Ich antwortete, daß er mein Bruder im Geiste sei, und daß es eine Pflicht eines jeden Christen ist, die Gefangenen mit Nahrung, Kleidung oder wenigstens mit einem Brief zu unterstützen.

»Du brauchst nicht zu denken, daß wir so beschränkt sind und nicht ver­stehen, was hinter diesem Gedanken steckt. Welchen Sieg und Triumph, zum Teufel, willst du diesem »Banditen« wünschen? — fragte der Sicherheits­beamte nervös.

Dann begann er, Viktoras Petkus und Petras Paulaitis zu verleumden, wie er nur konnte. Als ich versuchte, ihm zu widersprechen, befahl er mir zu schweigen. Ähnlich nannte er auch meinen Vater einen »Banditen« und sagte, daß ich in seinen Fußstapfen gehe.

Nachher kam der Untersuchungsrichter Balčiūnas herein. Ihn interessierte, ob ich Anastazas Janulis kenne und ob der nicht Untergrundveröffentlichun­gen ms Priesterseminar gebracht Inbe. Ich antwortete, daß ich ihn nicht näher kenne, nur von ihm gehört hätte, und daß er niemals etwas ins Priester­seminar gebracht habe. Der Untersuchungsrichter wurde aufgebracht und drohte mir mit dem Artikel des Strafgesetzes wegen falscher Aussage. Er behauptete, Janulis habe zugegeben, daß er mir Untergrundzeitungen ins Priesterseminar gebracht habe. Ich verneinte alles. Das Verhör hat eine Stunde gedauert. Auf Verlangen des Untersuchungsrichters Balčiūnas und auf seine Drohung, mich aus dem Priesterseminar hinauszuwerfen, habe ich das Vernehmungsprotokoll unterschrieben.

Als er weggegangen war, führten die Sicherheitsbeamten meine »Erziehung« weiter. Sie erkundigten sich, wer noch während der Feierlichkeiten der Oktober-Revolution, als das Nationallied gesungen wurde, nicht aufgestanden sei. Ich antwortete, daß ich es nicht gesehen habe. Sie fragten mich, wozu ich zu Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius gefahren sei, und was wir dort gesprochen haben. Ich habe geantwortet, daß das eine Ange­legenheit meines Gewissens sei. Dann begann einer von ihnen zu schreien, daß für solche wie mich im Priesterseminar nicht der richtige Platz sei, denn dort würden gerade solche herangezogen wie Svarinskas und Tamkevičius. Sie haben mir befohlen, eine Rechtfertigung wegen all dieser »Vergehen« zu schreiben, die ich innerhalb von drei Jahren im Priesterseminar begangen habe. Ich weigerte mich grundsätzlich, zu schreiben, weil ich dies nicht als Vergehen betrachte. Beim Abschied sagten sie, daß es schlimm ausgehen werde, wenn ich nicht das tue, was ich versprochen habe. Und wenn ich mich auch weiter so gehen lasse, dann werde es nötig sein, das Priesterseminar zu verlassen. Sie sagten noch, daß wir uns im Sommer wieder treffen müßten.

An diesem Tag wurde ich insgesamt fünf Stunden lang im Sicherheitspalast festgehalten. Das Hauptziel meiner Vorladung war weniger, mich wegen der Prozeßakte gegen Janulis zu verhören, als mich einzuschüchtern. Mit meiner »Erziehung« haben sich der Untersuchungsrichter Balčiūnas und noch vier Sicherheitsbeamte beschäftigt.

Sie, Vorsteher und alle Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes möchte ich auf die Artikel 12 und 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 hinweisen, die der Sicherheits­beamte Vincas Platinskas wie auch andere ihrer Mitarbeiter verletzt haben: Artikel 12 verkündet: »Niemand darf willkürlich Eingriffen in sein Privat­leben, seine Familie, sein Heim oder seinen Briefwechsel noch Angriffen auf seine Ehre und seinen Ruf ausgesetzt werden. Jeder Mensch hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen derartige Eingriffe oder Anschläge.«

Im zweiten Teil des Artikels 20 wird verkündet: »Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.«

Mit diesem offenen Brief an Sie, Vorsteher, bitte und verlange ich abschlie­ßend:

1.     das von mir im Juni 1977 geschriebene Versprechen, mit den Organen des Staatssicherheitsdienstes zusammenzuarbeiten, als nichtig zu betrachten, weil dabei ein moralischer Zwang ausgeübt worden ist;

2.     jene Jugendlichen, die Priester werden wollen, nicht zu erpressen und nicht zu zwingen, mit dem Sicherheitsdienst zu arbeiten;

3.     den Bischöfen, den Diözesanverwaltern und der Leitung des Priester­seminars zu erlauben, frei und unabhängig von dem Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten über die Eignung eines Kandidaten für den Priesterberuf entscheiden zu dürfen;

4.     den Bischöfen oder Verwaltern jeder Diözese die vollkommene Freiheit zu lassen, einen Priester für eine Pfarrei zu ernennen oder ihn zu versetzen.

Wenn ich mich an Sie wende, berufe ich mich auf Artikel 49 der Verfassung der LSSR, der erlaubt, den staatlichen Organen Vorschläge zu unterbreiten und Mängel zu kritisieren.

Priester Rokas Puzonas, Pfarrer zu Kiaukliai

Kiaukliai, am 25. 12. 1984.