Prozeß Nr. 345

Der Strafprozeß Nr. 345 wurde am 5. Juli 1972 mit dem Ziel eingeleitet, die „antisowjetische" Tätigkeit der „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" zu verhindern.

Noch bevor der Prozeß gegen P. Plumpa, V. Jaugelis, P. Petronis und J. Stašaitis beendet war, haben die Sicherheitsdienstbeamten eine neue Jagd auf die Mitarbeiter der „Chronik der LKK" veranstaltet. Auf Veranlassung des Sicherheitskomitees in Litauen haben am 23. Dezember 1974 viele Haus­durchsuchungen in Litauen und in Moskau stattgefunden.

Durchsuchung der Wohnungen von Sicherheitsdienstbeamten

Am Morgen des 23. Dezember 1974, gegen 7.30 Uhr, sind die Sicherheits­dienstbeamten in die Wohnung des Balys Gajauskas in Kaunas, Spynusstr. 3—8, eingedrungen und haben einen ganzen Tag Durchsuchung gehalten. B. Gajauskas hatte bereits 25 Jahre in Straflagern zugebracht. Beim An­blick der Sicherheitsdienstbeamten wurde seine Mutter ohnmächtig und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Außer religiöser Literatur hat man bei der Durchsuchung auch die Liste von 135 politischen Häftlingen und das vorhandene Geld beschlagnahmt. Nach Ansicht der Sicherheits­dienstbeamten sei das bei B. Gajauskas gefundene Geld zur Unterstützung von Politgefangenen bestimmt gewesen. Nach der Durchsuchung wurde B. Gajauskas nach Vilnius abtransportiert und dort drei Tage lang verhört. Jonas Petkevičius, wohnhaft in Šiauliai, der früher 18 Jahre lang in Straf­lagern verbracht hatte, bekam den Befehl, am 23. Dezember 1974, früher als zur festgesetzten Zeit, zur Arbeit zu erscheinen. Er wurde dann festge­nommen, nach Vilnius abtransportiert und drei Tage lang verhört. Am 23. Dezember hat man die Wohnung des Ingenieurs Albertas Žilinskas (Vyteniostr. 19—22) durchsucht. A. Žilinskas war vordem für sieben Jahre in die Straflager Mordoviens verschleppt. Während der Durchsuchung wur­den je eine Nummer der „Chronik der LKK" und der Chronika tekuscich sobytij beschlagnahmt und einige Erklärungen des vom Akademiker Sacha-rov geleiteten Komitees für die Verteidigung der Menschenrechte. Am näch­sten Tag wurde die Durchsuchung wiederholt. Außerdem hat man auch seinen Arbeitsraum an seiner Dienststelle durchsucht. A. Žilinskas wurde verhaftet, aber nach einem dreitägigen Verhör wieder freigelassen. Alvydas Šeduikis, ein ehemaliger Student des Konservatoriums in Vilnius, der vier Jahre inhaftiert und jetzt als Organist in Skuodas beschäftigt war, wurde drei Tage lang in Skuodas verhört.

Birute Pašilienė, wohnhaft in Giruliai, wurde nach einer Durchsuchung zwei Tage lang beim Sicherheitsdienst in Klaipėda verhört. Man hat sie ausge­fragt über Simas Kudirka, für den sie gesorgt hatte, weiter über „Chroni­ken", und darüber, ob sie den „Archipel Gulag" von Gajauskas oder von G. Salova bekommen habe. Verhört wurde auch der Ehemann von Frau Pa-šilienė. Der Sohn von Frau Pašilienė war zu dieser Zeit in den Lagern Mordoviens inhaftiert.

Algis Petruševičius, wohnhaft in Kaunas, 25ste Jahresstr., der zwölf Jahre in Straflagern inhaftiert war und dort den rechten Arm verloren hatte, wurde nach der Durchsuchung zwei Tage lang im Sicherheitsdienst von Kaunas verhört. Als Leonas Laurinskas ihn zu Hause besuchte, wurde er eben­falls festgenommen, aber nach einem zweitägigen Verhör wieder freige­lassen.

Antanas Terleckas, wohnhaft in Vilnius, Nemencines-Chausee Nr. 68, Hi­storiker und Volkswirtschaftler, schon zweimal inhaftiert, wurde nach einer Durchsuchung vom Sicherheitsdienst in Vilnius verhört. Jonas Volungevičius, wohnhaft in Vilnius, ein ehemaliger Student des Kon­servatoriums, bereits fünf Jahre inhaftiert, wurde von seiner Arbeitsstelle aus zum Sicherheitsdienst vorgeladen und zwei Tage lang verhört. Aigis Baltrusis, wohnhaft in Vilnius, Dailidziu sstr., war vier Jahre lang in den Lagern Mordoviens eingekerkert, jetzt als Schaffender der Volkskunst tätig, wurde nach einer Durchsuchung zwei Tage lang verhört. Valerijus Smolkinas, ein Bürger von Vilnius, war drei Jahre inhaftiert. Während einer erneuten Durchsuchung wurde „Archipel Gulag" beschlag­nahmt. Das Verhör dauerte zwei Tage.

Außerdem sind noch folgende Politgefangene verhört worden:

Vincas Korsakas (Luksiai),

Katkus (Plung£),

Bronius Guiga (Kaunas),

Povilas Pečiulaitis (Kaunas),

Pupeikai (Mann und Frau, wohnh. in Kaunas),

Jonas Protosevičius (Vilnius),

Kenstutis Jokübinas (Vilnius),

Justas Šilinskas (Panevėžys) und

Janina Burbulienė (Kaunas). Alle Verhörten wurden über die „Chronik der LKK" und die Übersetzung des „Archipel Gulag" in die litauische Sprache befragt.

 

DURCHSUCHUNGEN IN MOSKAU

Sergej Kovaliev wurde in der Frühe des 23. Dezember 1974 in seiner Woh­nung zwölf Stunden lang durchsucht. Die Durchsuchung erfolgte auf Veran­lassung des Sicherheitsdienstes in Litauen, im Zusammenhang mit dem Pro­zeß Nr. 345. Während dieser Durchsuchung wurden beschlagnahmt: „Archi­pel Gulag" (in russischer Sprache), Ausgaben der „Chronik der laufenden Ereignisse" und der „Chronik der LKK", die Liste der 135 Politgefangenen Litauens, Erklärungen, Briefe, Notizbüchlein u. a.

Nach der Durchsuchung wurden S. Kovaliev und seine Frau verhört. Das Verhör wegen Informationsverbreitung hat Kovaliev verweigert. Am 26. Dezember hat der Untersuchungsrichter des Gefängnisses von Lub-janka, Trofimov, S. Kovaliev angerufen und ihn für zehn Minuten zu sich ge­beten. Am 27. Dezember ist S. Kovaliev diesem Anruf gefolgt und wurde dort verhaftet. Sofort nach seiner Verhaftung ist er mit dem Flugzeug nach Vilnius gebracht und dort im Isolator des Sicherheitskomitees eingekerkert worden.

Am 23. Dezember 1974 wurden auf Antrag des Sicherheitsdienstes in Li­tauen Durchsuchungen bei folgenden Personen in Moskau durchgeführt:

Andrej Tverdochlebov,

A. P. Pliusin,

Galia Solova,

Malvina Landa und

Irina Korsunskaja.

Während dieser Durchsuchungen wurden das gesamte Schrifttum von Samis-dat und die Schreibmaschinen beschlagnahmt. Das meiste dieses beschlag­nahmten Materials stand in keinem Zusammenhang mit Litauen.