Über das Leben in der Isolation des Staatssicherheitsgefängnisses läßt sich schwer etwas Definitives sagen; die Informationen der Inhaftierten sind spärlich, da die Briefe von der Zensur kontrolliert werden. V. Lapienis beklagt sich in einem Brief: „Der Untersuchungsrichter erklärte mir, ich dürfe monatlich nur einen Brief schreiben; dieser dürfe nur alltägliche Dinge einbehalten. Doch gibt es derer im Gefängnis nur sehr wenige, sie wieder­holen sich ständig und sind uninteressant. Manchmal schweift beim Schreiben der eine oder andere Gedanke unbeabsichtigt von den vorgege­benen Richtlinien ab. Und siehe da, nach ein oder zwei Wochen erfährt man, daß die Zensur den Brief zurückbehalten habe und so muß man wieder von neuem beginnen."

V. Lapienis Briefe sind insofern lesenswert, als sie neben den alltäglichen Begebenheiten auch bemerkenswerte Gedanken, Überlegungen und Ermuti­gungen enthalten. So schreibt er an seine Frau: „Zu Hause erzählte ich dir oft die interessanten Gedanken oder Passagen aus den Büchern und Zeitungen, die ich gelesen hatte. Nun denn, in alter Gewohnheit... werde ich dies auch in diesem Brief tun." Und so finden sich in jedem Brief einige beachtenswerte Gedankengänge, z.B.:

„Es kommt vor, daß sich in bestimmten Augenblicken das Leben eines Menschen derart verändert, daß er in einigen wenigen Tagen, Wochen oder Monaten so viel mehr erfährt und erlebt, wofür er zu anderen Zeiten ein oder mehrere Jahre gebraucht hätte... Das Gebet ist für mich auch hier keine schwere Pflicht oder bloße Gewohnheit, sondern die lebendige Gemeinschaft mit Gott... Wie nie zuvor begreife ich jetzt, wie inhaltsreich das „Pater­noster", wie außergewöhnlich das „Ave Maria" ist und das „Credo" ist wahrlich eine Schatztruhe des Glaubens... Gottes Gnade erreicht mich auch hier, sucht mich auf, tröstet und stärkt mich. Gott sieht jede Regung der Seele. Vor seinem allwissenden Auge läßt sich nichts verbergen... Eines Tages steht man, wie der Held im Märchen, vor einem Scheideweg, der einem eine ver­hängnisvolle Entscheidung abverlangt: wählt man den einen Weg, so wird man seine Seele vernichten; wählt man den anderen Weg, wird man viel Mühsal und Qualen erfahren! Es bleibt nur zu wählen, welchen Weg man beschreiten mag! Zweifellos reiben Zwangsmaßregeln den Menschen auf, vergrößern seine Sehnsucht nach den Verwandten. Das Heimweh kann sogar einen schwächeren Menschen gesundheitlich völlig ruinieren. Doch auch in der schwierigsten Situation soll man nie vergessen, daß man in der Hand Gottes ist und Rechenschaft abzulegen hat für all seine Worte, Gedanken und Taten... 2

25. Juli 1977. Heute ist der dritte Verhandlungstag. Nach langen quälenden Verhören erhofften sie wohl im Saal mitfühlende Menschen zu erblicken, deren Blicke zu spüren und zu wissen, daß in dieser schweren Stunde jemand für sie betet. Während der ersten Tage gähnte ihnen jedoch eine dunkle Leere entgegen. Nur der eine oder andere Verwandte, der verspätet vom Gerichtstermin erfahren hatte und in die Tiefe des Saales, wie ein Stacheldrahtzaun, eine Gruppe von Sicherheitsdienstbeamten — dies war das Gerichtspublikum. Allmächtiger, Du verlangtest ihnen ein großes Opfer ab: viele Qualen und die Preisgabe der Ihrigen. Die Sicherheitsbeamten können sich gratulieren zu ihrem klugen Plan, den Gerichtstermin in die Haupturlaubszeit zu verlegen. Frohlocket nicht! Die Qual der Festgenommenen wird einen neuen Sturm des Wahrheitsstreben in den jungen Herzen entfachen!

Wir befinden uns bereits im Saal. Diesmal sogar ein richtiges Grüppchen. Die ersten Stuhlreihen sind absichtlich so eng gestellt, daß sich niemand dort hinsetzen kann. Was soll's — wir besetzten die nächsten zwei Reihen. Wir dachten, uns würde nichts entgehen. Doch unsere Freude war nur von kurzer Dauer — es erschien ein Trupp Soldaten, und uns wurde unmiß­verständlich befohlen, auf die weiter hinten liegenden Reihen auszuweichen. Was fürchtet ihr, Genossen?! Unsere Einigkeit? Ihr tut recht daran zu fürchten! Wir fühlen uns stark, auch wenn uns tausende von Kilometern und dicke Gefängnismauern trennen, was bedeuten da schon zwei Stuhl­reihen.... nichts!

Endlich erscheinen das Gerichtsgremium und die von Soldaten begleiteten Gefangenen. Ihre blaßen Gesichter, ihre unsicheren Schritte zeugen von ihrem angegriffenen Gesundheitszustand.

An die Gruppe zur Überwachung der Anwendung des Abkommens von Helsinki

Eingabe

betreff die Situation der römischen Katholiken sowie Andersgläubigen in Litauen

In der UdSSR ist der Religionskampf eine parteipolitische Forderung der Kommunistischen Partei. „Gewissensfreiheit" wird hier auf eigene Art und Weise interpretiert. A. Veščikov beschreibt in seiner BroschüreTarybiniai įstatymai apie religinius kultus (Sowjetische Religionskultgesetze Vilnius, 1963 , die Gewissensfreiheit folgendermaßen: „ Nach unserer Auffassung ist Ge­wissensfreiheit die endgültige Befreiung aller Menschen vom religiösen Aber­glauben" (S. 10). Dieselbe Meinung vertreten J. Aničas und Rimaitis in ihrer Broschüre Tarybiniai įstatymai apie religinius kultus ir sąžinės laise (Sowjetgesetze über den Religionskult und die Gewissensfreiheit, Vilnius, 1970/: „ Die wahre Gewissensfreiheit ist erst dann möglich... wenn mit allen wissenschaftlichen, kulturellen und ideologischen Mitteln die Befreiung jedes einzelnen von dem Einfluß der unwissenschaftlichen religiösen Weltan­schauung angestrebt wird. Solange die Gläubigen dem religiösen Aberglauben, anhängen, kann es keine vollkommene Gewissensfreiheit geben." (S. 54).

Die Kirche ist vom Staat getrennt

Der Begriff „getrennt" wird von den Sowjetorganen nicht einheitlich gehandhabt. Handelt es sich um kirchliche Belange, so hat die Kirche selbst­verständlich kein Recht sich in die inneren Angelegenheiten des Staates zu mischen — praktisch tut sie es auch nicht, d.h. sie ist nicht berechtigt vorzu­schlagen, welche Personen in den Obersten Sowjet oder sein Präsidium gewählt werden sollen, sie darf keine Vorsitzenden der Exekutivkomiteen, Professoren an den Hochschulen oder Dozenten aufstellen. Handelt es sich aber um den Staat, so erhält derselbe Terminus „getrennt" eine ganz andere Bedeutung: die sowjetischen Regierungsorgane bestimmen, welche Bischöfe ihres Amtes enthoben werden (Bischof J. Steponavičius, Bischof J. Sladke­vičius), sie beschließen wer ein Priesterseminar besuchen darf und beobachten dann diese Personen weiter (M. Petrauskas, A. Čiūras u.a.), legen sogar fest, welche Priester zum Ablaßfest eingeladen werden dürfen und welche nicht (A. Keinas, K. Garuckas, V. Černiauskas u.s.w.). Hw. Bronius Laurinavičius erklärten die Regierungsorgane, daß „ohne unser Wissen" der Priester nicht einmal einen Nagel in die Kirchenwand schlagen dürfe. Die Atheisten selbst bestätigen diese Diskrepanz. J. Aničas Und J. Rimaitis schreiben: „In der Literatur zum Thema Trennung der Kirche vom Staat werden manchmal die Kirche und der Staat als gleichrangige Partner dargestellt, z.B. ,die Staats­organe mischen sich nicht in kirchliche Belange, die Kirche ihrerseits mischt sich nicht in Staatsangelegenheiten'.

Dieser Standpunkt ist zweifellos ungerechtfertigt. Die Souveränität des Sowjetstaates berechtigt den Staat die verschiedensten Belange des öffent­lichen Lebens zu regeln. Die Kirche darf, trotz ihrer Sonderstellung, hierbei keine Ausnahme bilden.".

Artikel 18 „der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verkündet: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religions­freiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Über­zeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Über­zeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden". Also auch mit den internationalen Konventionen lassen sich die Religionsgesetze nicht in Einklang bringen.

Sowohl die Verfassung der UdSSR als auch die Verfassung der Litauischen SSR garantieren die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulthandlungen, jedoch gilt dies nicht für die litauischen Gläubigen. A. Veščikov bekennt offen, daß die Religionsgemeinschaften „gemäß der sowjetgestzgebung streng begrenzte Funktionen haben" (S. 31). J. Aničas und J. Rimaitis bekräftigen: „Religionsgemeinschaften werden nur zum Zwecke der Ausübung von Kulthandlungen gebildet" (S. 38).

Der Terminus der Freiheit der Ausübung von religiösen Kulthandlungen beschränkt sich nicht nur auf das Abhalten des Gottesdienstes oder die Teilnahme daran, sondern umfaßt alles, was eng mit den Kultgebräuchen zusammenhängt. Zur Vollziehung der katholischen Kulthandlungen braucht man Priester, liturgisches Gerät, Liturgiebücher, Gesangbücher, Noten, Rosenkränze, Orgeln u.a.

Eingaben

Priester St. Valiukėnas

Vilnius, Kretingastr. 7, Wohnung 3.

An den Vorsitzenden des Verfassungskomitees der UdSSR L. Brežnev Eingaben

Ich beantrage folgende Worte des Artikels 52 im Verfassungsprojekt zu streichen: „die atheistische Propaganda vollziehen", oder durch den Zusatz „religiös und" zu vervollständigen, somit würde der vollständige Satz folgen­dermaßen lauten: „die religiöse und atheistische Propaganda vollziehen".

Im Falle der gesetzlichen und staatlichen Legitimation allein der atheistischen Propaganda (wie es bisher gehandhabt wurde), wird die Gewissensfreiheit untergraben, der erste Absatz des Artikels 52 der Verfassung für nichtig erklärt und Artikel 34 und 35 des Verfassungsprojektes in Frage gestellt. Die Atheisten werden nämlich zu gesetzlichen Gebietern auserkoren und die Gläubigen haben nur das Recht „die jeweilige Religion zu bekennen und die Kulthandlungen zu begehen". Dies gilt selbstverständlich nur für den Fall, daß die Atheisten als gesetzmäßige Bürger und Staatsherren nicht plötzlich den Wunsch verspüren, sich in das Gewissen der Gläubigen hineindrängen zu wollen und nicht versuchen die Gläubigen mit drastischen Methoden umzuerziehen oder zu benachteiligen, z.B.: durch Arbeitsentlassung, Aus­stellen von schlechten Beurteilungen, Hintertreibung der höheren Schulbildung; durch Verwendung der Geldmittel von Gläubigen für atheisti­sche Propagandazwecke, Aneignung „des notwendigen Vermögens für Kult­durchführen" (Artikel 22 des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 28. Juli 1976), obligatorisches Studium des Atheismus (es gibt atheistische Fakultäten aber keine religiösen) u.a. Kurzum, die Atheisten werden privilegiert und die Gläubigen zu gehorsamen Dienern ihrer Willkür degradiert.

An Ihre Exzellenz, Bischof Liudvikas Povilionis, Koadjutor des Apostolischen Administrators des Erzbistums Kaunas und Bistums Vilkaviškis.

Abschriften: an die Litauische Gruppe zur Überwachung der Anwendung des Abkommens von Helsinki,

an den Bevollmächtigten des Rates für die religiösen Angelegenheiten der Litauischen SSR K. Tumėnas

Mitteilung

Am 26. Juni d.J. examinierte ich in der Kirche von Viduklė, gemäß dem Kirchenrecht und der bischöflichen Anordnung, Erstkommunikanten und Firmlinge.

In der Kirche befanden sich ca. 25 Kinder und 10 Eltern. Da gerade Arbeits­zeit war, waren nicht alle Eltern zugegen, sondern der eine Vater oder Mutter hatten gleich mehrere Kinder aus der Nachbarschaft in die Kirche mitgenommen. Während der Arbeitszeit müssen die Leute in den Kolchosen sieben Tage in der Woche arbeiten. Besonders an Arbeitstagen kann niemand eine Arbeitsbefreiung erwirken.

Gegen 17 Uhr polterte eine Erwachsenengruppe in die Kirche: A. Zigmantas, der Gemeindevorsitzende von Viduklė, ein Milizbeamter aus Raseiniai (sein Name ist mir nicht bekannt) und vier Lehrerinnen: Menkeliūnienė, Lukmi-nienė, Plišauskienė (die vierte stand im Vorraum und ihr Name ist mir unbekannt). Sie umrundeten die Kinder (ich unterbrach mein Examen nicht), verschwanden dann wortlos im Feuerwehrhaus und verfassten dort eine Anklageschrift. Später erfuhr man, daß der Rayonvorsitzende von Raseiniai A.Skeiveris der Initiator dieser Aktion gewesen sei (vielleicht war er auch nur ein einfacher Handlanger). Er brachte in seinem eigenen Auto den Milizbeamten mit und stellte die Mitglieder der Strafexpedition zusammen. Bezeichnenderweise blieb er selbst jedoch im Auto und kam nicht in die Kirche. Später kann er dann behaupten: wir sind unschuldig, die „Gesell­schaft" selbst hat dies getan.

Kaunas

Mitte August informierte der Rat für religiöse Angelegenheiten die Seminar­leiter, welchen Kanditaten die Regierung die Erlaubnis erteilt habe, im Priesterseminar zu studieren. Zum I. Philosophiekurs wurden 20 Kandidaten zugelassen, bei über 40 eingereichten Anträgen. Dies also nennt die „demo­kratischste" Regierung der Welt eine „Nichteinmischung" in die inneren Angelegenheiten der Kirche. 34

Sehr oft werden die Seminaranfänger umworben als KGB-Agenten zu arbeiten. Am eifrigsten bearbeitet werden die ängstlichen, prinzipienlosen und verschlossenen Kleriker. Die Sicherheitsbeamten vermeiden es, mutige und aufgeschlossene Jugendliche anzuwerben, damit die strafbaren Taten der KGB nicht aufgedeckt werden.

Leider wurden auch in diesem Jahr einige ungeeignete Kandidaten im Seminar aufgenommen und etliche passende Kandidaten abgewiesen.

Kaunas

An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der Litauischen SSR, K. Tumėnas.

Abschriften:

S.E. Bischof J. Matulaitis-Labukas

S.E. Bischof L. Povilonis

S.E. Bischof R. Krikščiūnas

Hochwürden Administrator Msgr. Č. Krivaitis

Hochwürden Administrator Pfarrer J. Andrikonis

Hochwürden Administrator Priester A. Vaičius

Eingaben

von Prof. Dr. Viktoras Butkus, Rektor des Priesterseminars von Kaunas.

Am 12. Juni 1976 veröffentlichte die Moskauer englische Wochenzeitung Moscov Nevs und am 21. Juli 1976 die französische Ausgabe Les Nouvelles de Moscou ein Interview des Rektors des Kaunaer Priesterseminars, Pfarrer Viktoras Butkus über die Situation der römisch katholischen Kirche in der Sowjetunion.

Aušra Nr. 7

Diese Ausgabe berichtet über die Zerstörung des Kreuzberges und die Ver­nichtung der Kulturtradition; der Schlußartikel befaßt sich mit den Nöten der Litauer in Weißrußland.

In dem Artikel Kieno kreivas veidrodis? (Der Zerrspiegel), wird zu dem propagandistischen Artikel des Autors J. Baltušis Stellung genommen. Die Ausgabe beinhaltet eine neue Kolumne — „SOS! SOS! SOS!", in der die wichtigsten gegenwärtigen Ereignisse und die schmerzlichen Verfolgungs­kampagnen und Aktionen zur Unterdrückung des litauischen Volkstums aufgeführt werden.

Rūpintojėlis Nr. 2

Besondere Aufmerksamkeit verlangt der Artikel Ko iš mūsų rekalauja painus šių dienų gyvenimo rezginys? (Was verlangen von uns die heutigen verworrenen Lebensumstände?). Der Autor analysiert hierin die Frage der Säkularisation und weist Möglichkeiten auf, wie man sich der umsichgreifenden Ungläubig-keit widersetzen könne (Apostolat der Weltlichen, Bewältigung der Angst, u.s.w.).

Die Ausgabe berichtet über den Dichter O. Milašius, befaßt sich mit der Frage der Polonisierung Litauens durch die Kirche, usw. Die Ausgabe umfaßt 66 Seiten.