Eingaben

Priester St. Valiukėnas

Vilnius, Kretingastr. 7, Wohnung 3.

An den Vorsitzenden des Verfassungskomitees der UdSSR L. Brežnev Eingaben

Ich beantrage folgende Worte des Artikels 52 im Verfassungsprojekt zu streichen: „die atheistische Propaganda vollziehen", oder durch den Zusatz „religiös und" zu vervollständigen, somit würde der vollständige Satz folgen­dermaßen lauten: „die religiöse und atheistische Propaganda vollziehen".

Im Falle der gesetzlichen und staatlichen Legitimation allein der atheistischen Propaganda (wie es bisher gehandhabt wurde), wird die Gewissensfreiheit untergraben, der erste Absatz des Artikels 52 der Verfassung für nichtig erklärt und Artikel 34 und 35 des Verfassungsprojektes in Frage gestellt. Die Atheisten werden nämlich zu gesetzlichen Gebietern auserkoren und die Gläubigen haben nur das Recht „die jeweilige Religion zu bekennen und die Kulthandlungen zu begehen". Dies gilt selbstverständlich nur für den Fall, daß die Atheisten als gesetzmäßige Bürger und Staatsherren nicht plötzlich den Wunsch verspüren, sich in das Gewissen der Gläubigen hineindrängen zu wollen und nicht versuchen die Gläubigen mit drastischen Methoden umzuerziehen oder zu benachteiligen, z.B.: durch Arbeitsentlassung, Aus­stellen von schlechten Beurteilungen, Hintertreibung der höheren Schulbildung; durch Verwendung der Geldmittel von Gläubigen für atheisti­sche Propagandazwecke, Aneignung „des notwendigen Vermögens für Kult­durchführen" (Artikel 22 des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 28. Juli 1976), obligatorisches Studium des Atheismus (es gibt atheistische Fakultäten aber keine religiösen) u.a. Kurzum, die Atheisten werden privilegiert und die Gläubigen zu gehorsamen Dienern ihrer Willkür degradiert.

Das Verfassungsprojekt teilt die Bürger in Söhne und Stiefsöhne. Dies bestätigt die Praxis.

Die Atheisten dürfen ihre Ideen propagieren, die Gläubigen hingegen nicht. Die Atheisten haben das Recht, die von den Bürgern (und Gläubigen) gesammelten Geldspenden für atheistische Propaganda zu verschleudern: für die atheistische Presse, Vorträge, Radio- und Fernsehsendungen (z.B. Akiratis (Horizont), Argumentai (Argumente), Kinofilme, Theater u.s.w.

Die Atheisten haben das Recht, das Gewissen des Bürgers zu bedrängen, indem sie es schon vom frühesten Kindesalter an bis hin zu seinem Tod in ihrem Sinne zu formen versuchen: schon im Kindergarten wird einem ein­geschärft, es gäbe keinen Gott, später bedrängt die Schule den gläubigen Schüler (sogar mit Drohungen und Ausstellen von schlechten Charakter­beurteilungen), den gläubig Verstorbenen wird vielerorts der Transport zur Kirche und auf den Friedhof verwehrt.

Den Atheisten ist es gestattet, ungestraft die Gläubigen zu beleidigen, sie mit Schimpfnamen wie Hinterwäldler, Zurückgebliebene, Abergläubige u.s.w. zu belegen. (Siehe gegenwärtiges litauisches Wörterbuch, Dabartinės Lietuviu Kalbos Žodynas, Vilnius, 1954, S. 70 „Kirche — I. ein Gebäude, in dem sich die am religiösen Aberglauben festhaltenden Leute zum Beten ver­sammeln").

Die atheistischen Lehrer und andere Funktionäre sind befugt, die gläubigen Eltern für die Untaten der moralisch verkümmerten Kinder verantwortlich zu machen, nachdem sie selber die Grundlagen des Glaubens aus deren Herzen gerissen und unfähig waren ihnen andere moralische Normen zu übergeben. Die Atheisten sind bevollmächtigt, die Anzahl der Kleriker für das Priesterseminar zu bestimmen und der Seminarleitung vorzuschreiben, welcher Kandidat aufgenommen werden darf und welcher nicht.

Die Atheisten enteigneten die Gebäude der Priesterseminare in Vilnius, Kaunas, Telšiai und Vilkaviškis. Heute sind in dem einzigen Priesterseminar in Kaunas 50 - 60 Kleriker in einer winzigen Unterkunft zusammengedrängt.

Die Atheisten nehmen sich das Recht, in die Priestereinteilung und Sakra-mentenspendung hineinzureden, sie verhindern den Sakramentenempfang bei Jugendlichen und wenden sogar den Beschlußpunkt ,,e" des obersten Sowjet der Litauischen SSR vom 12. Mai 1966 an. Bezugnehmend auf die atheistische Propagandafreiheit begrenzt Artikel 19 der Verordnungen des Obersten Sowjets vom 28. Juli 1976 das priesterliche Wirkungsbereich „auf den Wohnort der vom Priester betreuten Religionsgemeinschaft...". Auf diese Art und Weise versucht man sich in die Jurisdiktion der Kirchenobrigkeit hineinzumischen.

Dieselbe Verordnung des Obersten Sowjet negiert den juristischen Status der Katholischen Kirche, obwohl die Delegierten der Katholischen Kirche zusammen mit der Sowjetunion und anderen Staaten die internationalen

Abkommen unterzeichnen. Andererseits wird in der Sowjetunion sogar unbedeutenden Organisationen die juristische Rechtsfähigkeit zuerkannt. Solche Kuriositäten entstehen, wenn den Atheisten besondere Rechte zugesprochen werden.

Die Kirche ist vom Staat getrennt. Die Kirche mischt sich nicht in die Staats­angelegenheiten, obwohl in den Staatsbehörden viele Gläubige beschäftigt sind. So haben auch die Staatsfunktionäre kein Recht, sich in die kirchliche Ordnung sowie ihr Wirken, einzumischen. Alle Verordnungen, die die Diskriminierung der Gläubigen betreffen, müssen gestrichen werden, vor allem das Privileg, „die atheistische Propaganda vollziehen" muß im Verfassungsprojekt beseitigt werden.

Priester St. Valiukėnas