Am 19. März 1978 erging die Verfügung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Litauischen SSR über die Erörterung der neuen Verfassung. Schon früher, anläßlich der Diskussion des Verfassungsprojekts der UdSSR, hatten Geistliche und Laien Litauens ihre Ansuchen in Moskau vorgetragen. Nachstehend brin­gen wir Dokumente zur Willensäußerung der gläubigen Volksmassen Litauens, die jedoch bei der Sowjetregierung leider keinerlei Berücksichtigung fanden.

An das Präsidium

des Obersten Sowjets der Litauischen SSR Erklärung

von Priestern des Erzbistums Kaunas zum Projekt einer neuen Verfassung.

Da der Erörterung des Projekts einer neuen Verfassung nur ein sehr kurzer Zeit­raum eingeräumt wird, sind wir gezwungen, in aller Eile einige Bemerkungen zu dem neuen Dokument vorzubringen, dem beschieden ist, viele Jahre hindurch als Grundgesetz zu dienen.

Zum Unionsprojekt haben viele Geistliche ihre Meinung bereits kundgetan, doch fanden ihre Vorschläge kein Gehör. Anscheinend hat die Stimme der Gläubigen Litauens in Moskau nur wenig Gewicht, man hält es nicht für nötig, sie überhaupt anzuhören. In Litauen müßte dies anders sein, denn die Mehrzahl der Landeseinwohner besteht hier aus gläubigen Katholiken. Unsere Äußerun­gen können daher, so glauben wir, nicht als einsame Stimme des Rufers in der Wüste betrachtet werden. Daher schreiben wir Ihnen. Die Gläubigen Litauens empfinden das vorliegende Projekt der Verfassung als unbefriedigend. Die Mehrzahl der uns betreffenden Artikel ist verschwommen und undeutlich abge­faßt und unterscheidet sich kaum von den früheren, es sei denn in der Numerie­rung. Falls nicht abgeändert, wird die vorliegende Variante der Verfassung nur einen kleinen Teil der Bewohner Litauens befriedigen — die Atheisten. Deshalb verweisen wir auf gewisse Artikel, die, unserer Meinung nach, einer präziseren Redaktion bedürfen, um schmerzliche Mißverständnisse in Zukunft zu vermeiden. Artikel 32 besagt: »Die Bürger der Litauischen SSR sind gleich vor dem Gesetz, unabhängig von ihrer Herkunft, sozialer oder materieller Stel­lung, rassischer oder nationaler Zugehörigkeit, in bezug auf Geschlecht, Bil­dungsstand, Sprache, Verhältnis zur Religion, Art und Weise des Berufs, Wohnortes und in sonstiger Hinsicht.«

An das Gewissen der Welt!

In Vilnius wurde vom 12.—14. April 1978 ein ehrbarer Litauer und Katholik zu zehn Jahren Straflager unter verschärftem Regime und fünf Jahren Verban­nung verurteilt: Balys Gajauskas. Das Urteil lautet praktisch lebenslänglich, denn er hat bereits 25 Jahre in Sowjetlagern verbracht, verurteilt dafür, daß er seine Heimat liebte . . . Söhne und Töchter unseres Volkes haben zu Zehn-, vielleicht Hunderttausenden auf dem Altar der Freiheit ihres Vaterlandes ihr Leben geopfert. Auch dieses Opfer wird nicht das letzte sein, es ist vielleicht nur ein weiteres unter vielen anderen. In Kürze findet in Vilnius noch ein Prozeß ge­gen Viktoras Petkus statt! Heute erfährt die Welt über jedes neue Opfer — wäh­rend früher Tausende in zahlenmäßig ungleichen Waldkämpfen umkamen oder in Viehwagen nach Sibirien deportiert wurden und keine Menschenseele von ih­rem Opfer erfuhr. Nur ein versklavtes Volk gedachte ihrer in seinen Liedern . . .

Angesichts dieses neuen schändlichen Racheaktes möchten wir sowohl den Sklavenhaltern als auch der freien Welt erklären: weder Gefängnisse noch Lager werden das litauische Volk, das seine Freiheit mehr liebt als das Leben, zur Ka­pitulation zwingen. Im Gegenteil, die dargebrachten Opfer verstärken noch die Entschlossenheit, den Kampf fortzusetzen, bis Litauen frei und unabhängig sein wird. Allerdings verstehen wir die Mächtigen dieser Welt nicht ganz, die wohl das Selbstbestimmungsrecht kleiner Völker in Afrika fördern, aber die Verskla­vung der Litauer, eines Volkes mit langer und ehrenvoller Geschichte, hinneh­men. Welches sind die Gründe einer so schrecklichen nationalen Diskriminie­rung? Warum läßt man die Roten Brigaden so lange hausen? Wir danken dem Ehepaar Liubarskis, die Balys einen Verteidiger besorgten, dem belgischen Rechtsanwalt van der Bosch für seine Bereitschaft, den Ange­klagten zu verteidigen, der großen Presse Belgiens für die Berichterstattung über die schwere Lage Litauens — wir danken allen Menschen guten Willens für ihr Mitgefühl mit dem Gefangenen und dem Lande Litauen. Vergelt's Gott ihnen allen. Wir können nur für sie beten, und das tun wir. Alle Bekannten von Balys Gajauskas und Rechtsanwalt van der Bosch bitten wir sehr, sich auch in Zu­kunft dafür einzusetzen, daß dieser Fall nicht vergessen, sondern der Welt im­mer und immer wieder in jeder möglichen Form in Erinnerung gebracht werde — bis Balys Gajauskas frei ist oder in den Westen ausreisen darf. Je mehr Pu­blicity, desto wahrscheinlicher die Chance, daß andere frei bleiben.

Bringt den Fall Litauen vor das Forum der Welt! Das leidende und kämpfende Litauen

der Obersten Verwaltung der Besserungsarbeitslager der UdSSR (GUITU) Gesuch

der Frau Elena Lapieniene, Vilnius, Dauguvietisstr. 5—11

Mein Ehemann Vladas Lapienis, geb. 1906, verbüßt seine Strafe in Mordavien (Rayon Tengusev, Barasev, Ucr. Zx 385/3—5). Die dortige Lagerverwaltung hat ihn bereits zweimal zu einer Karzerstrafe verurteilt und droht mit »PKT«-Haft (gefängnismäßige Unterbringung), da er angeblich die Arbeit verweigert. In Wirklichkeit ist mein Mann seit 1966 Rentner und wiederholt krank gewesen. Eineinhalb Jahre Gefängnishaft haben seine Gesundheit vollends zerstört. Trotzdem bescheinigte ein Lagerarzt nach einer Unterhaltung von wenigen Mi­nuten, eine »Ärztekommission hat befunden«, daß mein Mann in der Lage sei, schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Die Lagerverwaltung zwingt ihn, Kohle zu schippen, Öfen zu heizen und sonstige schwere Arbeit zu verrichten, die nur gesunden Menschen zuzumuten ist. Mein Mann muß Handschuhe ferti­gen, obwohl der Lagerverwaltung wohl bekannt ist, daß er dazu wegen schwin­dender Sehkraft nicht in der Lage ist. Seit mein Mann sich weigert, gesundheit­lich unzumutbare Arbeiten zu leisten, wird er von der Lagerverwaltung laufend mit verschiedenen Strafen belegt.

Der Kleriker Ričardas Jakutis, seit langem als Mitarbeiter des sowjetischen Ge­heimdienstes verdächtig, wurde vor Weihnachten 1977 aus dem Priesterseminar Kaunas ausgeschlossen. Begründung der Regierungsmaßnahme — Trunksucht und amoralischer Lebenswandel. Entsprechende Vorfälle sind in Kaunas, Šiau­liai, Telšiai, Šilalė, Riga, Klaipėda und Mažeikiai stadtbekannt, darunter nächt­liche Saufgelage (wobei z. B. in Šiauliai ein Taxi auf R. Jakutis wartete), ferner nackte Orgien mit Frauen in Telšiai, und wurden an Ort und Stelle von einer Kommission unter Vorsitz des Rektors untersucht. Nach der Verweisung aus dem Seminar bekannte sich R. Jakutis dem Rektor und Seminarleiter gegenüber als schuldig, auch öffentlich gegenüber seinen Studienkollegen. Kaum nach Šiauliai zurückgekehrt, begann er jedoch dortselbst »Beweise« seiner angebli­chen Unschuld zu sammeln. Unter anderem versuchte er von Zeugen der fragli­chen Vorfälle Aussagen zu erhalten, daß er die ihm zur Last gelegten Verfehlun­gen nicht begangen habe. Frau Šorienė, Zeugin seiner Nacktorgien in Telšiai, versprach er goldene Berge, flehte sie weinend und auf Knien an, ihre Aussage zu widerrufen oder zurückzuziehen. Nach dreimaligem Besuch des R. Jakutis zog Frau Šorienė schließlich ihre Aussage zurück, erklärte danach aber, vom Gewissen bedrängt, dem Rektor des Seminars schriftlich den wahren Sachver­halt.

Auf einer Tagung der Seminarleitung am 11. Januar 1978 verlangte der Admini­strator des Erzbistums Vilnius, Č. Krivaitis, Wiederaufnahme des (trotz öffent­lichen Schuldbekenntnisses angeblich unschuldig verleumdeten) Klerikers R. Ja­kutis. Daraufhin begaben sich der Pfarrherr der Gemeinde vom »Tor der Mor­genröte«, Dekan Gutauskas, und der Pfarrherr von St. Peter, A. Dilys, beide aus Vilnius, in die Stadt Telšiai, um die Unschuld des R. Jakutis festzustellen. Geheim, ohne Wissen der Kurie des Bistums Telšiai und der Seminarleitung, be­suchten sie die Zeugen der fraglichen Vorfälle. Dabei ging es ihnen weniger um die Vergehen des R. Jakutis als darum, festzustellen, wer diese Vorfälle ans Licht der Öffentlichkeit gebracht habe. Beim Besuch der Familie der Frau Šo­rienė erkundigten sich diese Abgesandten des Erzbistums Vilnius sogar, ob die Familie etwa materieller Hilfe bedürfe! Bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Kanonikus Beinorius, dem Kanzler des Bistums Telšiai, erklärten sie, sich von der Unschuld des R. Jakutis überzeugt zu haben.

An die Bischöfe und Bistumsverwalter Litauens, an Dr. V. Butkus, Rektor des Priesterseminars

Erklärung

von Priestern des Bistums Vilkaviškis

Karsamstag 1976 erschien im Priesterseminar der Bevollmächtigte des Rats für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, und verlangte die Ausschließung der

Kleriker P. Blažukas (Bistum Vilkaviškis) und V. Pūkas (Erzbistum Vilnius) aus dem Seminar. Aus diesem Anlaß erklären wir, Priester des Bistums Vilkaviškis, wie folgt:

1.   Das Recht, Angelegenheiten des Priesterseminars zu bestimmen, steht aus­schließlich den Ordinariaten Litauens und der Seminarleitung in Übereinstim­mung mit dem Kirchenrecht zu. Nach Bestimmungen des letzteren besteht kei­nerlei Anlaß, die Kleriker P. Blažukas und V. Pūkas aus dem Seminar auszu­schließen. Der Bevollmächtigte des Rats für religiöse Angelegenheiten hat kei­nerlei Recht, sich in die Aufnahme- oder Entlassungfragen des Seminars einzu­mischen.

In der Kathedrale und der kleinen Kirche von Telšiai beteiligt sich die Jugend aktiv am Gottesdienst. Jugendliche versehen den Meßdienst, Mädchen singen und adorieren. Mut und Enthusiasmus dieser jungen Menschen bereiten den Atheisten großes Kopfzerbrechen. Die Lehrerschaft von Telšiai versuchte die Jugend mit ziemlich groben Maßnahmen zu »bekämpfen« — wie Leibesvisita­tionen, Wegnahme von Gebetbüchern, Verminderung der Betragensnoten, Ver­bot der Teilnahme an kirchlichen Bestattungen, öffentliche Verhöhnung einzel­ner Schüler, zwangsweises Ausfüllen von Fragebögen usw. Als diese pädagogi­schen Polizeimethoden nichts bewirkten, kam Hilfe aus Vilnius . . . Am 12. Dezember 1977 erschien in Telšiai der Referent im Amt des Bevollmäch­tigten des Rats für religiöse Angelegenheiten — Raslanas. Über dessen Person meldet die kleine Litauische Sowjetenzyklopädie (MLTE), Band 3, S. 39, Raslanas sei 1940 in Telšiai als Verwaltungsbeamter tätig gewe­sen. Welcher Art von Tätigkeit mag er dort wohl nachgegangen sein? Die Einwohner von Telšiai haben ihn als früheren NKWD-Geheimdienstmann wiedererkannt, der in den Fall »Märtyrer des Žemaitenlandes« — in der Nacht vom 24. zum 25. Juni 1941 — verwickelt war — und der in der gleichnamigen Publikation wiederholt (auf den Seiten 13, 14, 15, 20) erwähnt wird. Über den damaligen Gefängnisdirektor Antanas Vaitkus schreibt dieselbe Enzyklopädie (MLTE, Band 3, S. 657), er sei, genau wie Raslanas, »1940/41 als Verwaltungs­beamter in Telšiai tätig gewesen«. Dies, obwohl nach dem Foltern politischer Gefangener sogar seine Hosen und Schuhe blutverschmiert waren. (Siehe »Mär­tyrer des Zemaitenlandes« — Žemaičiu Kankiniai, S. 17). Sollte etwa auch Ras­lanas ein Verbrecher gleichen Kalibers sein?

Anscheinend ist man heute der Ansicht, er allein könne mit der gläubigen Ju­gend von Telšiai fertig werden. Sicher verfügt er über einige Erfahrung. War er doch im Juni 1941 mit anderen Tschekisten führend an der Ermordung jener 73 Märtyrer des Zemaitenlandes beteiligt. Damals erlebte man extremste Formen des Sadismus, die tierisch zu nennen einer Verharmlosung gleichkommen wür­den (s. Žemaičiu Kankiniai, S. 4). Eine internationale Kommission hat die Lei­chen der zwischen dem 22. und 25. Juni 1941 zu Tode gefolterten politischen Häftlinge untersucht und das Ergebnis dokumentarisch festgehalten. Hier eini­ge alle 73 Opfer betreffende Einzelheiten des Berichts: . . . Haut abgezogen, Gehirnmasse verrührt — Gehirn herausgequollen — Schädel zertrümmert . . . Gliedmaßen verbrüht und enthäutet (die zum Brühen benutzte Kohlsuppe wur­de ebenfalls gefunden) . . . gespaltene Kieferknochen . . . Auge ausgestochen, durch das Hirnmasse herausquillt . . . Haut abgestreift . . . Geschlechtsteile zerschlagen, zerrieben, zerhackt . . . abgerissene Ohren . . . Loch im Hinter­kopf . . . ausgelaufene Augen . . . Zunge abgeschnitten . . . obere Schädel­decke, Gehirnmasse fehlen . . . mit Pferdezaum aufgezäumt . . . mit Axt er­schlagen . . . alle Schädelknochen zerstückelt . . . aus Leib hervorquellende Därme . . . herausquellende Lungenmaße . . . Gesicht zerschnitten . . . Zunge fehlt . . . Zunge zerschnitten . . . Brustknochen herausgerissen . . . abgerissene Hautfetzen . . . Augen fehlen usw. Diese Einzelheiten sind als Obduktionsbe­funde aus dem BuchŽemaičiu Kankiniai, Telšiai 1942, entnommen. Alle 73 Opfer waren so zugerichtet, ohne Gerichtsbeschluß umgebracht. Einer der Ver­antwortlichen und Veranstalter dieses Blutbades ist Raslanas. Und bis zum heu­tigen Tage regelt er die Anliegen der Gläubigen im Amt des Bevollmächtigten für religiöse Angelegenheiten. Alle Folterknechte sollten vor Gericht gestellt werden, wie die deutschen Verbrecher in Nürnberg. Doch die Sowjetregierung hat nicht einen einzigen der ihren abgeurteilt, hat auch nicht die Absicht, solche Verbrecher zu bestrafen. Ist die Lage der gläubigen Menschen in Litauen gar deshalb so tragisch, weil ihre Anliegen von solchen Verbrechern bearbeitet wer­den? Nebenbei bemerkt — der Bevollmächtigte K. Tumėnas ist nur eine zweit­rangige Figur — Raslanas ist das eigentliche Oberhaupt des Amtes. Da die al­ten, bluttriefenden Methoden heute nicht mehr praktikabel sind, hat sich der Henker Raslanas zwecks Abrechnung mit den Gläubigen in Telšiai andere Me­thoden einfallen lassen. Man versucht jetzt zu »beweisen«, es gebe in Telšiai ei­ne Untergrundorganisation der Gläubigen, die sich angeblich Organisation der Eucharistiehelden nennt. Tätig sind nicht nur Angestellte des KGB, auch Lehrer wirken als aktive Helfer der Geheimpolizei mit. Statt Kinder zu unterrichten, haben sie ihr Handwerk gewechselt und sind Vernehmungsbeamte geworden, die Kinder aus dem Unterricht heraus vorladen, Unterrichtsstunden willkürlich kürzen, »alles« zu wissen behaupten und die Kinder zwingen, solches von den Lehrern frei erfundene »Wissen« auch noch zu »bestätigen« . . . Als besonders eifrig hat sich bei dieser Art Tätigkeit der Direktor der Mittel­schule III, Jankauskas, erwiesen. Persönlich hat er die Schülerin Uksaitė der 9. und den Schüler Memis der 10. Klasse vernommen, einzuschüchtern und umzu­stimmen versucht. Seine Frau, Klassenlehrerin der 8. Klasse, ist ihm dabei eine getreue Gehilfin. Sie vernahm die Schüler Rudavičius und Sarutis. Außerdem mußten die Schüler Fragebogen ausfüllen mit Fragen wie — Gehst du zur Kir­che? Warum? Warum nicht? Glaubst du, daß es einen Gott gibt? Werden bei euch kirchliche Feiertage eingehalten? usw.

Vilnius

Der Bevollmächtigte des Rats für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR für die Litauische SSR

11. November 1977 70

An den Vorsitzenden des Exekutivausschusses des Rats der werktätigen Depu­tierten des Rayons . . .

Bitte bis zum 15. Januar 1978 Informationen über die Lage der religiösen Ge­meinschaften aller Konfessionen und den Stand der Religiosität des Rayons im Jahre 1977 erstellen.

Innerhalb des Informationsberichts ist die nähere Schilderung folgender Pro­blemkreise erwünscht:

1.   Religiöse Lage im Rayon bzw. Stadtkreis bei Schilderung der Tätigkeits­merkmale der religiösen Gemeinschaften, Maßnahmen der Geistlichkeit zur Aktivierung des religiösen Lebens, Inhalt der Predigten, unter Beilegung vor­handener Mitschriften, Besucherfrequenz der Kirchen und anderer Bethäuser, Besucherzahl der Gläubigen, Anzahl des Bedienungspersonals (nach beiliegen­dem Formblatt), Zahlenangaben über Geburten, Trauungen und Sterbefälle des Rayons bzw. Stadtkreises.

2.   Angaben über die allgemeine finanziell-wirtschaftliche Tätigkeit der Reli­gionsgemeinschaften (nach beiliegendem Formblatt).

Telšiai

Frau Rambutinė, Klassenlehrerin (10b) der V. Mittelschule, verbot ihren Schü­lern, an der Bestattung der Mutter eines Mitschülers am 21. September 1977 teil­zunehmen. Genehmigt wurde lediglich eine Kranzniederlegung am Grabe.

Šiauliai

Der Direktor der Mittelschule Šiauliai, Snieškus, ließ am 1. April 1978 den Va­ter der Dalia Judikavičiutė, Schülerin der 9. Klasse, vorladen und versuchte ihm klarzumachen, daß religiöse Gläubigkeit seiner Tochter den Weg zum Hoch­schulstudium versperren werde. Nach Meinung des Direktors gehöre Dalia irgendeiner »Sekte« an und könne sich dadurch etwas »einbrocken«. Der Vater wurde gewarnt, die Geheimpolizei interessiere sich bereits für seine Tochter, und man müsse ihr beibringen, sich von »Sekten« und Gemeinschaften fernzu­halten, die oft gegen sowjetische Gesetze verstoßen.

Šiauliai

Am 18. Oktober 1977 wurde die Schülerin Irena Dapkutė aus der Klasse IIb der

III. Mittelschule ins Büro der Direktorin Frau Jovaišienė gerufen und gefragt:

»Warum bist du nicht im Komsomol? Ist deine Mutter dagegen?«

»Nein, ich selbst will nicht.«

»Warum nicht? Gehst du zur Kirche?«

»Ja.«

Moldauische SSR

Die Verfolgung gläubiger Katholiken in der Moldauischen SSR, besonders in Raskov, nimmt kein Ende. Nach Abbruch des Bethauses — eines kleinen Kirch­leins — versammeln sich die Menschen allabendlich in einer kleinen Wohnung innerhalb der Umfriedung des früheren Kirchenbaus. Oft erscheinen dann Ver­treter der örtlichen Behörden, um die Betenden, besonders Kinder und Jugend­liche, zu vertreiben.

Wiederholt versuchte der Vorsitzende des Dorfsowjets, Zan Matvejeviö Bogoras, Frau Valentina Oleinik zur Rede zu stellen, warum sie den Menschen erlau­be, in ihrer Wohnung zu beten, konnte sie aber niemals antreffen. Schließlich bot sich ihm eine Gelegenheit am 21. März 1978, als Frau Oleinik gerade aus Rybnica zurückkehrte. Bogoras hielt sie auf der Straße vor dem Büro des Orts­sowjets an, beschimpfte sie in nicht wiederzugebender Art und Weise und ver­langte die Schließung dieses — so seine Worte — »Bardak Bogomolija« (soviel wie »gottesdienstliches Bordell«). Frau Oleinik erwiderte, sie werde Anzeige we­gen Beleidigung und Belästigung erstatten. Der Funktionär beschimpfte die Frau auf offener Straße aus dem einzigen Grund, weil sie religiös war. Zeugin dieses Vorfalls war Frau Prane Sajevska. Der Vorsitzende Bogoras ließ ferner Petras Pogriesnoj und Aleksander Prosianoi holen, denen er Geldstrafen an­drohte, wenn sie weiter Gebetsversammlungen aufsuchten. Zu Weihnachten und Ostern blieb Raskov ohne Beichtmöglichkeit, denn das Erscheinen eines Priesters ist hier strengstens untersagt.

1. Rūpintojėlis (Der Sorgetragende). Im Mai 1978 erschien die fünfte Nummer dieser Publikation. Im Artikel »Die Akte vom 16. Februar« heißt es:

»Die am 16. Februar 1918 begonnene Epoche ist eine der lichtvollsten Perioden in der Geschichte des litauischen Volkes. Nichts kann sie verdunkeln — weder der Mensch, diesen Abschnitt aus der Geschichte Litauens überhaupt zu strei­chen, noch Diffamierungs- und Erniedrigungsversuche derer, die davongingen, um anderen Göttern zu dienen.« Der Verfasser des Artikels zeigt sich besorgt darüber, daß die Moral der Menschen unter der jetzigen Okkupation angeschla­gen sei, was das Volk ins Verderben führe. »Weiteren Verfall aufzuhalten und das moralische Niveau des Volkes zu heben, sind wichtige Aufgaben, von denen Überleben oder Untergang abhänge.« Der Artikel betont, daß die Religion wichtigste Stütze aller Moral ist.

Im Beitrag »Die Wurzel des Übels« meldet K. Aušrys betrübliche Anzeichen moralischen Verfalls. Im Jahre 1940 betrug der Alkoholverbrauch in Litauen 0,8 Liter jährlich pro Person — heute sind es 17 Liter. Als chronische Alkoholi­ker melden die Behandlungsstätten 20000 Menschen, doch meinen die Psychia­ter, nur ein Drittel aller Behandlungsbedürftigen sei erfaßt. Vor 1940 registrierte man in Litauen 107 bis 250 Mordfälle im Jahr — in Sowjetlitauen beträgt der Jahresdurchschnitt 4500. Die Jugendkriminalität ist in ständigem Steigen. In vorsowjetischer Zeit gab es rund 15 000 Abtreibungen, jetzt etwa 60000, jedes Jahr werden 9000—10000 Ehen geschieden, Strafanstalten und Hospitäler für venerische Krankheiten sind überfüllt. »Die maßlose Trunksucht zeigt, daß der Mensch im Sowjetsystem eine schwere geistige Krise durchlebt.« Der Verfasser empfiehlt die Rückkehr zur Religion und den Kampf gegen den Alkoholismus mit allen Mitteln, um das Heimatland zu retten.