Artikel 18 „der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verkündet: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religions­freiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Über­zeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Über­zeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden". Also auch mit den internationalen Konventionen lassen sich die Religionsgesetze nicht in Einklang bringen.

Sowohl die Verfassung der UdSSR als auch die Verfassung der Litauischen SSR garantieren die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulthandlungen, jedoch gilt dies nicht für die litauischen Gläubigen. A. Veščikov bekennt offen, daß die Religionsgemeinschaften „gemäß der sowjetgestzgebung streng begrenzte Funktionen haben" (S. 31). J. Aničas und J. Rimaitis bekräftigen: „Religionsgemeinschaften werden nur zum Zwecke der Ausübung von Kulthandlungen gebildet" (S. 38).

Der Terminus der Freiheit der Ausübung von religiösen Kulthandlungen beschränkt sich nicht nur auf das Abhalten des Gottesdienstes oder die Teilnahme daran, sondern umfaßt alles, was eng mit den Kultgebräuchen zusammenhängt. Zur Vollziehung der katholischen Kulthandlungen braucht man Priester, liturgisches Gerät, Liturgiebücher, Gesangbücher, Noten, Rosenkränze, Orgeln u.a.

Die litauischen Katholiken erhalten nur die Anzahl neuer Bücher, die ihnen von der Zivilverwaltung zugewiesen wird: diese bestimmt auch die Anzahl der Kleriker in den Priesterseminaren. Die litauischen Bischöfe dürfen ohne Erlaubnis der atheistischen Regierungsorgane kein Firmsakrament spenden; das priesterliche Wirken wird auf das Wohngebiet, der vom Priester be­treuten Gemeindemitglieder und auf die Gemeindekirche eingeschränkt, (Verordnungen für Religionsgemeinschaft Art. 19); Trauerprozessionen zu den Friedhöfen am Totensonntag sind verboten — die Priester werden dafür bestraft; z.B. 1976 Pfarrer Alfons Svarinskas, Jonas Survila u.a. In vielen

Krankenhäusern ist es verboten die letzten Sakramente zu spenden; die Priester dürfen die Gläubigen nicht aufsuchen, auch wenn sie selbst darum bitten, (z.B. Pfarrer K. Garuckas, u.a.).

Nach dem II. Vatikanischen Konzil werden fast überall die Kulthandlungen in der Heimatsprache abgehalten, nicht jedoch in Litauen. Denn hier ist keine Möglichkeit gegeben die Meß- und andere für den Religionskult not­wendige Bücher in litauisch abzudrucken. Was die Herstellung von liturgischem Gerät und Orgeln betrifft, so können die Litauer davon nur träumen. Gemäß den Verordnungen für Religionsgemeinschaften haben die litauischen Religionszentren — Kurien und Gemeinden — keinerlei juristische Personenrechte. Sie können somit keine eigenen Verordnungen erlassen, haben kein Anrecht auf Vermögen, Rechte oder Pflichten, dürfen keine Verträge abschließen, dürfen nicht als Erben eingesetzt werden und dürfen weder vor Gerichten noch vor Schiedsgerichten aussagen. Artikel 26 der erwähnten Verordnungen besagt: ,,Das für Kulthandlungen notwendige Vermögen, sei es vertraglich zur Nutzung der Mitglieder der Religionsgemein­schaft übergeben, sei es selbst erworben oder für Kultzwecke gespendet, ist Eigentum der Regierung". Sogar „die Versicherungsentschädigung für abge­brannte (beschädigte) Gebetshäuser wird an das Vollzugskomitee des Werk­tätigenrates ausgezahlt, in dessen Bilanz diese Gebäude aufgeführt sind" (Artikel 29).

Viele litauische Katholiken, besonders die Akademiker dürfen nicht an den Kulthandlungen teilnehmen, da sie dann sofort ihren Arbeitsplatz verlieren, z.B. Lehrer u.s.w.

Die in der Stalinära in das Hinterland der Sowjetunion verbannten Litauer, bastelten sich damals Rosenkränze aus Teigkügelchen. Heute sind die Rosen­kränze nicht mehr aus Brotteig gemacht, sondern werden auf primitive und einfache Weise im Untergrund hergestellt, die Gebets- und Gesangbücher sind handgeschrieben — so mancher befindet sich aufgrund der verbotenen Anfertigung von Gebetsbüchern hinter Gefängnismauern, z.B. Petronis, Gražys u.a. — in den Wohnungen der Gläubigen finden sich unästhetische, abfotografierte Bilder oder geheim aus Metall hergestellte oder gegossene Kreuzesdarstellungen.

Ist so die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulthandlungen zu verstehen?

Die antireligiöse Propagandafreiheit bedeutet, daß jeder Sowjetbürger das Recht hat, seine atheistische Weltanschauung frei zu bekennen und sie in Wort und Schrift zu verbreiten. Dies garantieren Art. 124 der Sowjetver­fassung und Art. 96 der Litauischen Konstitution. In der Sowjetunion gilt die antireligiöse Propaganda als Religionskampf und bildet sozusagen ein unerschütterliches Gesetz. Die antireligiöse Propagandafreiheit ist ein Pro­grammpunkt der kommunistischen Partei. A. Veščikov schreibt: „Die Protokolle des XXII. Parteitages enthalten Anweisungen betreff der Weiter­entwicklung der atheistischen Arbeit. Die Versammlung beschäftigt sich eingehend mit der Frage der Bekämpfung der religiösen Überreste" (S. 29). Die Verfassung gewährt den gläubigen Bürgern die Freiheit der religiösen Propaganda nicht, somit besteht keine Gleichheit vor dem Gesetz und das bedeutet eine Diskriminierung der Gläubigen. Folglich gibt es in Sowjet­litauen keine religiösen Zeitungen oder Journale, weder katholische Bücher noch Katechismen, andererseits sind die Büchereien vollgestopft mit atheisti­schen Büchern und in den Zeitungen und Journalen wuchern die atheistischen Artikel, die sich überschlagen im Bemühen die Katholische Kirche zu „ent­thronen". Die Katholiken jedoch haben keine Möglichkeit dazu Stellung zu nehmen. Sie können sich nicht jener Rechte und Freiheiten bedienen, die in den internationalen Abkommen garantiert sind und die zu achten und zu erfüllen sich auch die Sowjetunion verpflichtet hat.

Deshalb wenden wir uns an die Belgrader Kommission zur Überwachung der Anwendung der internationalen Menschenrechte und Grundfreiheiten von Helsinki unterzeichnet im Jahre 1975 und bitten sie, uns zu unterstützen, damit die internationalen Verpflichtungen nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben, sondern konkret verwirklicht werden, daß

1. der Begriff „Gewissensfreiheit" so verstanden und interpretiert wird, wie es auf der ganzen übrigen Welt geschieht;

2. daß den Menschen nicht nur die antireligiöse, sondern auch die reli­giöse Propagandafreiheit gewährt wird;

3. daß den Gläubigen das Recht der Versammlungs-, Presse- und Rede­freiheit zugestanden wird;

4. daß in den Gesetzen zum Bildungswesen jene Artikel abgeschafft werden, die die Religions- und Gewissensfreiheit einengen;

5. daß aus den Gefängnissen und Lagern all' jene entlassen werden, die sich für die Achtung und Durchführung der Menschenrechte und Grund­freiheiten eingesetzt haben (N. Sadūnaitė. P. Plumpa, P. Petronis Š. Žukaus­kas, I. Gražys u.a.).__________________________

Litauische SSR, Vilnius Litauische Gruppe zur Überwachung der

10. April 1977 Anwendung des Abkommens von Helsinki

T. Karolis Garuckas, Eitanas Finkelsteinas, Ona Lukauskaitė-Poškienė,
28 Viktoras Petkus, Tomas Venclova