An Ihre Exzellenz, Bischof Liudvikas Povilionis, Koadjutor des Apostolischen Administrators des Erzbistums Kaunas und Bistums Vilkaviškis.

Abschriften: an die Litauische Gruppe zur Überwachung der Anwendung des Abkommens von Helsinki,

an den Bevollmächtigten des Rates für die religiösen Angelegenheiten der Litauischen SSR K. Tumėnas

Mitteilung

Am 26. Juni d.J. examinierte ich in der Kirche von Viduklė, gemäß dem Kirchenrecht und der bischöflichen Anordnung, Erstkommunikanten und Firmlinge.

In der Kirche befanden sich ca. 25 Kinder und 10 Eltern. Da gerade Arbeits­zeit war, waren nicht alle Eltern zugegen, sondern der eine Vater oder Mutter hatten gleich mehrere Kinder aus der Nachbarschaft in die Kirche mitgenommen. Während der Arbeitszeit müssen die Leute in den Kolchosen sieben Tage in der Woche arbeiten. Besonders an Arbeitstagen kann niemand eine Arbeitsbefreiung erwirken.

Gegen 17 Uhr polterte eine Erwachsenengruppe in die Kirche: A. Zigmantas, der Gemeindevorsitzende von Viduklė, ein Milizbeamter aus Raseiniai (sein Name ist mir nicht bekannt) und vier Lehrerinnen: Menkeliūnienė, Lukmi-nienė, Plišauskienė (die vierte stand im Vorraum und ihr Name ist mir unbekannt). Sie umrundeten die Kinder (ich unterbrach mein Examen nicht), verschwanden dann wortlos im Feuerwehrhaus und verfassten dort eine Anklageschrift. Später erfuhr man, daß der Rayonvorsitzende von Raseiniai A.Skeiveris der Initiator dieser Aktion gewesen sei (vielleicht war er auch nur ein einfacher Handlanger). Er brachte in seinem eigenen Auto den Milizbeamten mit und stellte die Mitglieder der Strafexpedition zusammen. Bezeichnenderweise blieb er selbst jedoch im Auto und kam nicht in die Kirche. Später kann er dann behaupten: wir sind unschuldig, die „Gesell­schaft" selbst hat dies getan.

Am folgenden Tag schickte derselbe Rayonvorsitzende einen Milizmajor aus Raseiniai (vielleicht war es auch nur ein Sicherheitsbeamter) mit zwei geladenen Zeugen: Germanavičius, Direktor des Kulturhauses und A. Markuvienė, Gemeindesekretärin. Sie verfassten einen Anklagebericht darüber, daß eine Touristin aus Tbilisi mit drei Kindern (eines davon noch ein Säugling!), sich 20 Tage zu Besuch aufgehalten habe.

Es empfiehlt sich, an dieser Stelle auf einige Details aus der Vergangenheit hinzuweisen, um zu Veranschaulichen, was die Rayonverwaltung von Raseiniai bezweckt und wie der ideologische „Kampf" in Litauen vor sich geht.

Am 17. August 1976 kam ich in Begleitung einiger Gemeindemitglieder aus Igliauka nach Vidukle. Wir zelebrierten gemeinsam die hl. Messe, die Leute verzehrten auf dem Kirchplatz ihre mitgebrachten Brote, sangen einige litauische Lieder und fuhren nach Hause zurück. Einige Tage darauf stellte der Gemeindevorsitzende Zigmantas Nachforschungen an, ob der neue Pfarrer vielleicht mit den Leuten in der Kirche die litauische Hymne gesungen habe. Da dies nicht der Fall gewesen war, fand er auch keine Zeugen. Wahr­scheinlich ist es dem Gemeindevorsitzenden unbekannt, daß die Hymne bis 1948 täglich im Vilnaer Radio gesendet wurde und daß in der litauischen Gedichtesammlung Lietuviu poezija, (Vilnius, 1976, Bd.I Š. 222) diese Hymne erschien unter dem Titel Tautiška giesmė (Nationallied). Nach der Allerseelenprozession zum Friedhof von Viduklė, die eine traurige Berühmt­heit erlangte, verfaßte Gemeindevorsitzender A. Zigmantas eine Anzeige folgenden Inhalts: „Pfarrer Alf. Svarinskas erzürnte mit seiner religiösen Prozession die Kommunisten des Städtchens und behinderte den Verkehr". Die Verwaltungsbehörde von Raseiniai, veränderte diese Anklage wie folgt: „erzürnte die Einwohner des Städtchens und behinderte den Verkehr". Hier erhebt sich die Frage, welcher Prozentsatz der litauischen Kommu­nisten an den religiösen Riten Anstoß nimmt? Nach der Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde, setzte A. Zigmantas seine Zeugensuche fort. Vor dem Volksgericht in Raseiniai, trat er dann selbst als Zeuge auf. Also je nach Bedarf, einmal in der Rolle des Klägers, das andere mal in der des Zeugen. Diesmal gelang es ihm noch einen fiktiven Zeugen aufzutreiben: J. Zdanys, ein Forstwirtschaftsarbeiter, der vor Gericht als Autoinspektor auftrat.

Erst letzten Herbst drohte mir der Rayonvorsitzende von Raseiniai A. Skeiveris im Beisein des Stellvertreters Z. Butkus: ,,In unserem Rayon werden wir solch einen Priester nicht dulden. Bei uns gibt es nur gehorsame Kolchos­vorsitzende". Bei dieser Gelegenheit erklärte ich, daß ich kein Kolchosleiter sei und nicht den gottlosen Instruktionen des Jahres 1961, über die mich damals beide Vorsitzende aufzuklären versuchten, verpflichtet sei, sondern dem Kirchenrecht und den bischöflichen Anordnungen unterstehe.

An dieser Stelle sei daran erinnert, daß dieselbe Rayonverwaltung vor einigen Jahren eine schändliche Verhandlung gegen den Gemeindepfarrer von Girkal­nis, Prosperas Bubnys, wegen Prüfung der Kinder anstrengte. Dieser Prozeß erlangte betrübliche Popularität in der Heimat und auch auf der ganzen zivilisierten Welt.

Im Laufe der Jahre gewöhnten sich die Rayonleiter an, die Kirche zu ver­walten, und niemand wagt es sich ihnen zu widersetzen, da alle wissen, daß die Sowjetgesetze den Priester nicht schützen, daß nirgends Gerechtigkeit zu finden ist. Hierzu ein klassisches Beispiel — Šiluva. Jährlich (auch dieses Jahr) verkündet der Stellvertreter Z. Butkus, welcher Priester die Predigt und den Gottesdienst abhalten darf. Voriges Jahr durften nur vier vom Rayon genehmigte Priester an der Prozession teilnehmen, die anderen mußten aus dem Fenster der Sakristei zusehen.

Heute, als ich gerade dabei war diese Eingabe zu beenden, erregte ein neues Ereignis die Einwohner von Viduklė. Der Milizbevollmächtigte von Viduklė und zwei Frauen (eine davon die Lehrerin Petraitytė), griffen auf der Straße und in den Wohnungen Kinder auf und führten sie zum Verhör in die Mittelschule. Einigen Kindern gelang es, sich zu Hause einzuschließen. So fingen sie nur fünf. Die Eltern waren zur Arbeit, deshalb waren die Kinder der Gewalt der Strafenden ausgesetzt. Die Leute sind erbost wegen solch eines Benehmens der Miliz und der Lehrer. Wie wird wohl die Staatsanwaltschaft auf solch ein Einfangen von Minderjährigen, Verhöre ohne Wissen der Eltern und den Zwang diktierte Eingaben zu schreiben, reagieren? Eins ist

sicher: dies ist offensichtlich eine Kindesmißhandlung physicher und moralischer Art.

Welch ein schreckliches Paradoxon! Wenn die Jugendlichen an Samstagen und Sonntagen im Kulturhaus wild herumfluchen, sich verprügeln, Zigarret-tenkippen, Steine und Stöcke in den Pfarrbrunnen werfen, wenn die Leute sich fürchten nachts auf die Straße zu gehen, läßt sich weder die Miliz noch ein Lehrer blicken. Bald werden sie selber unter dieser Jugend zu leiden haben. Darüber sprach ich bereits mit dem Stellvertreter Z. Butkus und den Sicherheitsbeamten.

Den Strolchen wird Freiheit gewährt und die Braven werden gejagt und verhört.

Doch diese traurigen Tatsachen (nicht nur in Litauen) sind der beste Beweis für die „volle Gewissensfreiheit" in Litauen und das beste Indiz für die Maßnahmen der Gottlosen gegen die Religion — nicht wissenschaftlich begründete Argumente, sondern Gewalt und Diskriminierung. Doch diese Maßnahmen bewirken einen Gegeneffekt. Die Leute, die von der Strafexpedi­tion erfuhren, bekundeten telefonisch und mündlich ihre Anteilnahme und die Kinder beten für ihren Pfarrer. Die religiöse Aktivität und religiöse Praxis der Gemeinde wurde intensiver. Dieses Jahr habe ich schon über 26000 Kom­munionen ausgeteilt.

Die oben erwähnten Ereignisse sind die gröbste Verletzung der Sowjetver­fassung, der Deklaration der Menschenrechte und des Abkommens von Helsinki. Deshalb bitte ich Sie Exzellenz, sich bei den zuständigen Ämtern aufs schärfste gegen die Diskriminierung der Priester und Gläubigen zu verwahren.

Viduklė, 9. August 1977 Pf. A. Svarinskas

Gemeindepfarrer von Vidukle