Über das Leben in der Isolation des Staatssicherheitsgefängnisses läßt sich schwer etwas Definitives sagen; die Informationen der Inhaftierten sind spärlich, da die Briefe von der Zensur kontrolliert werden. V. Lapienis beklagt sich in einem Brief: „Der Untersuchungsrichter erklärte mir, ich dürfe monatlich nur einen Brief schreiben; dieser dürfe nur alltägliche Dinge einbehalten. Doch gibt es derer im Gefängnis nur sehr wenige, sie wieder­holen sich ständig und sind uninteressant. Manchmal schweift beim Schreiben der eine oder andere Gedanke unbeabsichtigt von den vorgege­benen Richtlinien ab. Und siehe da, nach ein oder zwei Wochen erfährt man, daß die Zensur den Brief zurückbehalten habe und so muß man wieder von neuem beginnen."

V. Lapienis Briefe sind insofern lesenswert, als sie neben den alltäglichen Begebenheiten auch bemerkenswerte Gedanken, Überlegungen und Ermuti­gungen enthalten. So schreibt er an seine Frau: „Zu Hause erzählte ich dir oft die interessanten Gedanken oder Passagen aus den Büchern und Zeitungen, die ich gelesen hatte. Nun denn, in alter Gewohnheit... werde ich dies auch in diesem Brief tun." Und so finden sich in jedem Brief einige beachtenswerte Gedankengänge, z.B.:

„Es kommt vor, daß sich in bestimmten Augenblicken das Leben eines Menschen derart verändert, daß er in einigen wenigen Tagen, Wochen oder Monaten so viel mehr erfährt und erlebt, wofür er zu anderen Zeiten ein oder mehrere Jahre gebraucht hätte... Das Gebet ist für mich auch hier keine schwere Pflicht oder bloße Gewohnheit, sondern die lebendige Gemeinschaft mit Gott... Wie nie zuvor begreife ich jetzt, wie inhaltsreich das „Pater­noster", wie außergewöhnlich das „Ave Maria" ist und das „Credo" ist wahrlich eine Schatztruhe des Glaubens... Gottes Gnade erreicht mich auch hier, sucht mich auf, tröstet und stärkt mich. Gott sieht jede Regung der Seele. Vor seinem allwissenden Auge läßt sich nichts verbergen... Eines Tages steht man, wie der Held im Märchen, vor einem Scheideweg, der einem eine ver­hängnisvolle Entscheidung abverlangt: wählt man den einen Weg, so wird man seine Seele vernichten; wählt man den anderen Weg, wird man viel Mühsal und Qualen erfahren! Es bleibt nur zu wählen, welchen Weg man beschreiten mag! Zweifellos reiben Zwangsmaßregeln den Menschen auf, vergrößern seine Sehnsucht nach den Verwandten. Das Heimweh kann sogar einen schwächeren Menschen gesundheitlich völlig ruinieren. Doch auch in der schwierigsten Situation soll man nie vergessen, daß man in der Hand Gottes ist und Rechenschaft abzulegen hat für all seine Worte, Gedanken und Taten... 2

Welch' grosses Gottesgeschenk ist die Liebe. Sie mildert die Qualen. Der russische Schriftsteller Dostojevskij sagte einmal: „Mögen sie uns immer verfluchen, wir werden sie dafür lieben und endlich doch umstimmen".

Ständig bittet der Inhaftierte seine Frau, in ihren Briefen „wenigstens ein kurzes Morgengebet und das ein oder andere kurze Bibelzitat zu bringen. Schreib' keine langen Gebete oder Zitate, denn die Atheisten werden sie mir sowieso nicht geben.. Deine Briefe erwarte ich immer mit Sehnsucht, und so wird es auch bleiben. Jedoch hoffe ich auf Briefe, deren Inhalt sich mit dem Seelenleben befaßt. Die Krümelchen der Glaubenswahrheiten sind wertvoller als Gold."

Der unerschütterliche Glaube und das Vertrauen in Gottes Vorsehung geben dem Festgenommenen seelische Stärke und lassen ihn trotz seiner ange­griffenen Gesundheit nicht verzweifeln. Im Februar schreibt er folgendes: „Noch niemals befand ich mich in einem solchen Zustand. Ich bin so ruhig wie nie zuvor. Ich fühle keinen Haß, nicht einmal Zorn. Ich fürchte mich vor nichts, ausgenommen vor plötzlichem, unerwartetem Lärm...

Bitte versinke nicht in Hoffnungslosigkeit! Steht denn irgendwo in der Hl. Schrift geschrieben, daß der Lebensweg des Erdenbürgers auf Rosen gebettet sei?"

V. Lapienis hat seine Situation klar erkannt und bittet seine Frau bezüglich der bevorstehenden Gerichtsverhandlung, keinen Rechtsbeistand zu verpflichten. „Du bist katholisch, und auch ich bin gläubig, Rechtsanwalt Kudaba aber ist ein gottloser Atheist. Wie sollte er mich folglich eingedenk seiner antireligiösen Einstellung objektiv verteidigen können? Solche Vertei­diger sind auch die Sicherheitsbeamten... Abgesehen davon kann bei einem derartigen Verfahren wie dem meinen und in der jetzigen Situation auch der beste Rechtsanwalt absolut nichts ausrichten. Wie kann man ihn also Ver­teidiger und Beistand nennen, wenn er im Grunde machtlos ist...

Ich bitte dich noch einmal herzlichst in meiner Angelegenheit, bis zum Ende des Prozesses, weder einen Rechtsanwalt noch irgendeinen anderen Regie­rungsbeamten aufzusuchen, denn dies würde ohnehin bereits schwierige Situation nur noch verschlimmern.

Du schreibst ja selbst in Deinem Brief, daß Du bereits viel Heimtücke er­fahren hast; ist es denn wert, sich auch weiterhin irreführen zu lassen? Suche unverzüglich den Rechtsanwalt Kudaba auf und erkläre ihm, daß ich mich aufs schärfste gegen einen Verteidiger verwahre und unternimm betreffs meiner Rechtssache nie etwas unter seiner Anleitung.

Wenn Du mir wirklich helfen willst, dann wende Dich, so oft Du nur kannst, an Jesus im Tabernakel und an die Mutter Maria. Und dort sage alles, alles, dort bitte um Beistand, Rat und Schutz für Dich und mich. Dort wirst Du bestimmt weder Tücke noch Verrat erfahren...

Gräme Dich nicht um mich; ich erinnere mich gut der Worte des hl. Apostels Petrus: „Denn was ist es für ein Ruhm, wenn ihr wegen Verfehlungen gestraft werdet und es erduldet? Wenn ihr aber Gutes tut und geduldig leidet, so ist das Gnade vor Gott. Dazu seid ihr ja berufen..."(L Petrus 2,20—21).

Mit Gott ist es überall gut...

Auch möchte ich allein sein mit meinen Gedanken, in meiner eigenen Welt und diese Welt tiefer ergründen. Oft denke ich an das Leben des seligen Maximilian Kolbe, besonders an sein Lebensende, und meine Qualen er­scheinen, gemessen an seinen Leiden, gering. „Ich werde meinen Weg gehen und mit meinen Leiden die Verirrungen der Jugend sühnen und werde mich nicht darum kümmern, was man auch immer über mich sagen oder meinen sollte" (V. Mykolaitis Putinas).

Über die alltäglichen Lebensgegebenheiten in der geschlossenen Gefängnis­abteilung erfahren wir aus den Briefen von V. Lapienis nichts Genaues. Wir können nur vage Vermutungen anstellen und zwar aufgrund seiner häufigen Klagen über seinen verschlechterten Gesundheitszustand. In einem Brief vom 12. November 1976 heißt es:

„Die Hosen sind bereits zerrissen und das schlimmste ist, daß sie dauernd rutschen, ich weiß nicht ob der Bund ausgeweitet oder mein Bauchumfang geschrumpft ist... Das Herz streikte einige Male. Es fällt ihm nicht leicht, sich in dem Alter an die neuen Lebensumstände anzupassen. Ob es sich an diesen Zustand gewöhnen und damit versöhnen wird oder ganz aufhören wird zu schlagen — das weiß ich nicht. Außerdem leide ich sehr oft an Kopfschmerzen".

Im Brief vom 25. Dezember berichtet er wieder über seinen Gesundheits­zustand:

„Meine Gesundheit hat sich gehörig verschlechtert. Eineinhalb oder einige Wochen nach dem Arrest hatte ich einige leichtere Herzattacken. Danach stellten sich die Kopfschmerzen ein, die auch jetzt immer wieder auftreten. Außerdem kam es immer öfter zu Nasenbluten, ich blutete fast täglich... Auch die Sehkraft läßt nach. Das Tageslicht ist sehr schwach, so bin ich gezwungen, die ganze Zeit beim elektrischen Licht zu verbringen, was die Augen sehr schnell ermüden läßt. Die Tage der ersten Wochen verbrachte ich mit Lesen und Schreiben, jetzt gelingt mir dies nicht mehr im gleichen Ausmaß. Oft kommt es vor, daß der Blutdruck plötzlich ansteigt und die Kopfschmerzen sich einstellen. Um einen Herzanfall vorzubeugen, bringe mir bitte Zitronen und Moosbeeren mit..."

Im Januar schreibt der Gefangene:

„Das tägliche Nasenbluten hat sich etwas stabilisiert und meine Angst vor plötzlichem Gepolter hat nachgelassen. Schon seit zwei Wochen brauche ich mir nicht mehr die Ohren mit Watte zu verstopfen und mit der Wintermütze dazusitzen. Der Kopf schmerzt immer noch. Sobald der Blutdruck steigt, esse ich die Zitronen oder Moosbeeren, dann geht es mir besser. Auf diese Weise versuche ich einem Kollaps entgegenzuwirken. Es juckt mich am ganzen Körper als Hätte ich die Krätze, besonders betroffen sind die Hände und Füsse. Am häufigsten passiert dies nachmittags, die Hände und Füße sind dann brennendrot. Im Schlaf kratze ich manchmal an den juckenden Stellen, dann entstehen kleine Wunden, die lange nicht heilen wollen. Manchmal bilden sich an den Händen und Füßen kleine rote Finnen, die sehr ätzen. Die Ärztin erklärte mir, es handle sich hierbei um eine nervöse Allergie und sie könne nichts dagegen machen. Tatsächlich hat das Nerven­system hier eine Menge zu ertragen."

Im Februar verschlechtert sich sein Gesundheitszustand noch um etliches, es kommt zu täglichem Nasenbluten, ständigem Kopfdröhnen, großer Lärm­empfindlichkeit und Schlaflosigkeit. „In manchen Nächten kann ich kaum die sechste Stunde erwarten, d.h. das Kommando zum Aufstehen.."

In einer ähnlichen Verfassung befindet er sich während der ganzen Verneh­mungszeit. In dem Brief vom Juni schreibt er:

„Physisch bin ich sehr ermüdet, doch dafür seelisch — stärker geworden. Ich bemühe mich, in Liebe und Dankbarkeit alles Mühsal und Leiden aus den göttlichen Händen des Allmächtigen anzunehmen und geduldig zu ertragen.".

Verhör der Ona Pranskūnaitė

Die Untersuchungsrichter zeigten Ona Pranskūnaitė die Vernehmungs­protokolle von J. Matulionis und Patrubavičius und befahlen ihr, deren Beispiel zu folgen und auszusagen. Die Festgenommene jedoch schwieg.

Die ersten zwei Monate verbrachte O. Pranskūnaite mit einer Kriminellen aus Klaipėda, zusammen in einer Zelle, die gemäß § 68 des Strafgesetzbuches verurteilt war. Die nächsten zwei Monate wurde sie wiederum mit einer Kriminellen aus Kaunas eingesperrt, die sich gegen den gleichen Paragraphen vergangen hatte.

Die Untersuchungsrichter drohten O. Pranskūnaitė mit Einweisung in die Psychiatrische Klinik. Zuletzt waren die Verhöre besonders zermürbend. O. Pranskūnaitė bekannte sich schuldig des Glaubens an die Verfassung, daß sie dem Abkommen von Helsinki und dem Artikel des Administrators des Erzbistums Vilnius, C.Krivaitis vertraut habe. Dieser Artikel über die Freiheit der litauischen Katholiken, war in der Zeitschrift Gimtasis Kraštas (Heimat) erschienen. Doch die Sicherheitsbeamten vernichteten alle ihre Illusionen. Nach Pranskünaites' Aussage habe sie in der KGB in Vilnius erfahren, wo die Hölle und deren Beherrscher zu finden seien.

Gerichtsverhandlung

Vom 20. - 25. Juli 1977 trat der Oberste Gerichtshof der Litauischen SSR in der Sache Vladas Lapienis, Jonas Kastytis Matulionis und Ona Pranskūnaitė zusammen. Der Verhandlungstermin war sorgfältig geheimgehalten worden, so daß viele Freunde der Angeklagten darüber nicht Bescheid wußten. Es gab auch solche, die zwar davon erfahren hatten, jedoch nicht wagten am Prozeß teilzunehmen. Die Sicherheitsbeamten ließen angesichts der kleinen Teilnehmerzahl alle Zuhörer in den Saal. Jene, die ihnen weniger genehm waren, wurden hinterlistig dem Prozeß ferngehalten. Z.B. trugen sie die Gattin des Vladas Lapienis in die Zeugenliste ein, und so durfte sie anfangs nicht an der Verhandlung teilnehmen. Die Verhandlung fand am 20., 22. und 25. Juli statt. V. Lapienis hatte den Beistand eines Advokaten abgelehnt. Viele Begebenheiten während der Gerichtsverhandlung sind der „Chronik der LKK" unbekannt.

Als Zeugen waren geladen: Ruzgiene, Aleksis und Lapienienė. Frau Ruzgiene gestand, daß V. Lapienis ihr eine Schreibmaschine besorgt, und sie fünf Exemplare des Archipel Gulag vervielfältigt und an V. Lapienis weitergegeben habe.

Aleksis, Oberst während der Unabhängigkeit Litauens, sprach über die „Chronik der LKK": bei der Lektüre der ersten Nummern habe er gemeint, dies sei eine unnötige Provokation der Regierung, doch jetzt sei er der Meinung, V. Lapienis sei eines Lobes würdig, wenn er aus Gewissensgründen heraus zur Entstehung der Chronik beigetragen habe.

Der Richter erklärte Frau Lapienienė, daß ihr Gatte mit seiner Behauptung, den Gläubigen würden Religionsbücher, Gebetsbücher und Schreibmaschinenen weggenommen, die Sowjetunion verunglimpft habe. Frau Lapienienė beteuerte mutig, daß dies der Wahrheit entspreche: „Bei der Durchsuchung habt Ihr Bücher und die Schreibmaschine mitgenommen... Die Durchsuchung verlief äußerst grob..." Das Gericht verzichtete auf ihre weiteren Aussagen.

Jonas Kastytis Matulionis — von den Verhören ermüdet — erklärte, daß er es bedauere, an der „Chronik der LKK" mitgewirkt zu haben.

Ona Pranskūnaitė sprach sehr kurz und leise. Die im Saal Anwesenden hörten sie nur über ihren schlechten Gesundheitszustand klagen.

Vor dem „Letzten Wort" des V. Lapienis beraumte das Gericht eine Pause ein und ließ die Zuhörer erst wieder in den Gerichtssaal; als V. Lapienis seine Rede bereits beendet hatte. Es ist der „Chronik der. LKK" gelungen den Text des „Letzten Wortes" von V. Lapienis zu bekommen.

Das ,,Letzte Wort" von V. Lapienis

„Ich verabscheue Ungerechtigkeit, Lüge, List und Tücke wie auch Gewalt­samkeiten. Sobald ich diese Mißstände erkenne, kann ich sie nicht ruhigen Gewissens stillschweigend übergehen. Einige der Regierungsfunktionäre schimpfen jedoch diesen Kampf gegen das Schlechte, diese Kritik, eine anti­sowjetische Agitation und Propaganda, ein Streben die Sowjetunion zu verunglimpfen etc.

Sind denn etwa Ungerechtigkeit, Lüge, List und Tücke und andere Übel die Basis und Stütze der Sowjetregierung, daß sie den Kampf gegen diese Un­tugenden einen Versuch die Regierung zu stürzen oder das System zu schwächen nennt und jene, die gegen diese Mißstände ankämpfen des Vergehens gegen die Paragraphen 68 oder 199 Absatz I des Strafgesetz­buches anklagt.

Nur eine freie Meinungsäußerung läßt die Wahrheit an den Tag kommen, macht die Fehler sichtbar, demaskiert Unrechtmäßigkeiten und um dies zu erreichen müssen die Mißstände aufgezeigt werden ungeachtet der Personen, ihrer Posten noch ihrer Titel. Erst wenn die Wurzel des Übels sichtbar ist, kann man es herausreißen. Jeder gewissenhafte Mensch, der ein Vergehen bemerkt, muß es aufdecken und es ans Tageslicht bringen. Früher oder später werden die Kritikignoranten bloßgestellt werden. Obwohl die Kritik im Moment äußerst unangenehm, ja schmerzlich ist, kann sie dem Irrege­führten ein Freundschaftsdienst sein.

Sind es denn nicht die Mißstände, die soviel Unglück, unnötige Probleme und sinnlose Qualen mit sich bringen? Es ist mir völlig unverständlich, warum einige Sicherheitsbeamte und andere Regierungsfunktionäre die Wahrheit fürchten. Die Wahrheit ist doch das Fundament des Staates. Jene, die haß- und racheerfüllt mir den Prozeß machen, weil ich in meinen Ein­gaben auf ihre Unzulänglichkeit hinwies, die Aufmerksamkeit auf die herrschenden Mißstände lenkte, tun mir unrecht. Man sollte die Bürger, die frei und offen die Wahrheit sagen, dafür achten und nicht bestrafen; fürchten soll man sich vor jenen, die aus Schmeichelei der Regierung gegen­über Fehler zu verstecken versuchen... Dieser Umstand ist niemanden von Nutzen und bringt keine Ehre ein.

Sobald man aber die Mißstände aufdeckt, die Fehler klar aufzeigt, ergibt sich die Möglichkeit, all' diese Mißstände samt ihren Wurzeln auszumerzen. Wir sind verpflichtet, mutig allen Ungerechtigkeiten entgegenzutreten, dessen ungeachtet, ob man ein Fanatiker, Antisowjet oder sonstwie geschimpft wird. Die Wahrheit tut manchmal sehr weh und ist unangenehm und der, der sie ausspricht, muß manchmal dafür auch büßen, jedoch stellt sie im Grunde genommen eine Brüderliche Hilfe dar.

Die Untersuchungsrichter warfen mir des öfteren vor, daß ich nur das Schlechte an der Sowjetregierung erkenne. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Ich bringe die Mißstände nicht an die Öffentlichkeit, weil ich das Gute nicht sehe, sondern weil das Schlechte dem Menschen nur Mühsal, Unglück und Leiden bringt. Wenn wir also nach einem besseren Leben streben, müssen wir auch dafür kämpfen. Zweifellos ist es viel angenehmer sich im Erfolg zu sonnen, denn die Regierung wird dich dafür loben, vielleicht auch belohnen. Doch die Fehler aufweisen, die Unzulänglichkeiten einiger Regierungsbeamten kritisieren, „ihre Kreise stören", dazu bedarf es schon einiger Aufopferung, Risikobereitschaft, und manchmal muß man sogar seine Freiheit dafür opfern.

V. Lenin sagte: „Erst wenn wir die Bourgoisie auf der ganzen Welt end­gültig besiegt haben, werden Kriege unnötig sein." (Bd.28, S.68). Ihr spricht vom Sieg des Sozialismus auf der ganzen Welt und fürchtet einen schwachen

80-jährigen Greis, der den Mißbrauch einiger Regierungsfunktionäre aufzeigt. Ist dies nicht kurios?

Die Verfolgung der Gläubigen, die Repressionen und Zwangsmaßnahmen sind eine Nötigung der Mehrheit durch eine Minderheit. Hierzu ein deut­liches Beispiel — das Gespenst des Stalinkultes ängstigt auch heute noch viele Völker und Individuen.

Warum wehrt man sich gegen diese einfache Wahrheit, daß man einen erwachsenen Menschen durch Zwangsmaßnahmen, physische Bestrafung nicht umerziehen kann, sondern daß diese Strafen in den Herzen der Menschen nur unheilbare Narben hinterlaisen, die jederzeit wieder auf­brechen können. Solche Narben wurden von den Regierungsrepräsentanten ihren Staatsbürgern beigebracht. Physische Bestrafung bewirkt meistens nur noch eine größere Voreingenommenheit gegenüber der Regierung. Dies behaupten Psychologen und Pädagogen.

Wenn in den meisten atheistischen Büchern, Broschüren, Zeitungen und Journalen (nicht selten kommt es sogar zu Exzessen) wider Gott, die Kirche, den Papst, die Geistlichen und die Gemeinschaft der Gläubigen angegangen wird und den Gläubigen keine Möglichkeit gegeben ist, sich auf die gleiche Art und Weise zu verteidigen, dann bleibt als einziges Mittel, die von den Regierungsfunktionären „illegal" genannte Presse, darunter auch die „Chronik der LKK".

Außerdem zwingt gewissermaßen der Artikel 124 der Verfassung der UdSSR, in dem die Freiheit der antireligiösen Presse jedem Bürger zuerkannt wird — nicht jedoch die Freiheit der religiösen Presse, sich solcher Maßnahmen zu bedienen. Wo bleibt hier die Gleichberechtigung? V. Lenin formulierte die Gleichberechtigung, d.h. die Gewissensfreiheit gerechter: „Die Verfassung der Sowjetunion garantiert jedem Bürger das Recht der religiösen und anti­religiösen Propaganda". J. Jeroslavski, Apie Religija, (Über die Religion) 1959, S. 27.

Doch jetzt, da im Artikel 124 der Verfassung die religiöse Propaganda­freiheit nicht enthalten ist, spricht dieser Artikel den Gläubigen faktisch die elementarsten Menschenrechte ab und stellt somit die Gemeinschaft der Gläubigen außerhalb des Gesetzes, d.h. drängt sie in den Untergrund.

Ich habe nie mit den Herausgebern der „Chronik der LKK" in Verbindung - gestanden und habe dort auch nie einen Artikel veröffentlicht. Kann man denn einen Sowjetbürger dafür verantwortlich machen, ihn beschuldigen und zur Verantwortung ziehen, daß sein Brief an die Regierungsorgane, den er bei der Post aufgibt, auf eine ihm unerklärliche Weise in die sog. „illegale" Presse oder sogar manchmal ins Ausland gelangt? Die Erfahrung beweist es, daß genügend, auch geheime Informationen aus der UdSSR in der auslän­dischen Presse und im Rundfunk auftauchen. Warum können dann nicht auch meine Eingaben ohne mein Wissen in die Hände der Herausgeber der „Chronik der LKK" gelangt sein, wenn diese sich dafür interessierten?

Was die „Illegalität" und „antisowjetische Wirkungsweise" der „Chronik der LKK" anbelangt, so muß ich, um objektiv zu bleiben, eine derartige Anschuldigung zurückweisen. Wenn die Ausfälle der Atheisten gegen die Gemeinschaft der Gläubigen, die Eigenmächtigkeiten einiger Regierungsfunktionäre als legal gelten, dann darf die Verteidigung der Inter­essen der Religionsgemeinschaft, die Selbstverteidigung seiner eigenen Person oder eines anderen nicht als illegal angesehen werden. Denn solch eine Ver­teidigung gilt auch nach § 14 und § 15 des Strafgesetzbuches nicht als Vergehen, denn da heißt es: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, auch wenn die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, jedoch durch Notwehr geboten war" oder „auf eine andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande begangen worden ist".

Hinzuzufügen wäre noch, daß die „Chronik der LKK" nur insoweit illegal ist, wie die sowjetischen Regierungsorgane die gerechte legale religiöse Presse verbieten und den Gläubigen die Benutzung der Masseninformationsmittel vorenthalten.

Die Verfassung der UdSSR sichert allen Bürgern die Gewissensfreiheit zu, garantiert die Presse- und Redefreiheit. Die internationalen Gesetze, Doku­mente der Menschenrechte, z.B. Artikel 19 der „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" besagt: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungs­äußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten". Daraus wird deutlich erkennbar, daß kein Gesetz es verbietet, seine Meinungen, Informationen und Ideen zu verbreiten, in Wort und Schrift zu propagieren. Was also ist daran illegal? Worin besteht das Vergehen?

Jene, die die Menschenrechte — die Rechte der Gläubigen unterdrücken, begehen ein Verbrechen. In keinem Staat, nicht nur in den kapitalistischen, sondern auch in den sozialistischen Ländern (Albanien und China ausgenommen) ist die religiöse Presse — Zeitungen, Journale und Bücher — verboten. Nirgends ist es untersagt, seine Ideen und seine Meinungen zu propagieren. Warum verbietet man es uns? Man darf ruhig behaupten, daß nicht wir, sondern die Ungläubigen, Atheisten die auf der ganzen Welt aner­kannten Menschenrechte unter dem Deckmantel der Regierung verletzen.

Wenn das gleiche Recht für alle gilt, warum ist es dann den Gläubigen verboten ihre Überzeugung mit den Mitteln der Massenkommunikation zu verteidigen? Genauso wie es den Kommunisten zugestanden wird für ihre Überzeugungen zu kämpfen, muß auch den Gläubigen das gleiche Recht zugestanden werden. Sagt an, weist auf, mit welchen Mitteln sich die Gläu­bigen der verleumderischen Artikel in der Presse erwehren sollen, der Ver­drehung von Tatsachen, der entstellten Auslegungen der Kirchenlehre? Zu Recht behauptet V. Lenin: „Ohne Versammlungs- Presse- und Rede­freiheit bleibt jegliches Gerede über die Religionsfreiheit ein launenhaftes Spiel und unlautere Lüge". (Padvaldystė svyruoja Bd.6, 1951). Die Sowjet­presse verkündet oft, daß bei uns die vollkommene Religionsfreiheit herrsche. Wenn dies wirklich so ist, wo bleibt dann die katholische Presse? In welchem Geschäft, welchem Kiosk kann man eine katholische Zeitung, Journal, Religions- oder Gebetsbücher, Rosenkränze und sonstige Devotio­nalien erwerben?

Die Anklage beschuldigt mich, daß ich „Artikel und Eingaben vorbereitete, die verleumderische Erdichtungen beinhalteten um die sowjetische gesell­schaftliche Ordnung herabzuwürdigen". Darauf kann ich folgendes erwidern: ich habe weder Artikel verfaßt noch sie irgendwo angeboten. Um bei den Tatsachen zu bleiben, so habe ich nach den unrechtmäßigen Vorgehen einiger KGB-Beamten, nach der Hausdurchsuchung am 20. November 1975 und den Verhören, Eingaben geschrieben an: a) den Vorsitzenden des Obersten Sowjetkomitees der Litauischen SSR am 30. November 1973; b) den Staats­anwalt der Litauischen SSR am 4. Januar 1974; c) den Generalstaatsanwalt der UdSSR und den Vorsitzenden des Obersten Sowjet am 12. Juli 1974; d) den Vorsitzenden des Obersten Sowjetkomitees der Litauischen SSR am 15. Oktober 1974; e) den Generalsekretär der KPdSSR Breznev am 23. April 1976. In diesen Eingaben kommentierte ich, wie die Sicherheitsbeamten mir am 20. November 1973 meine Schreibmaschine, handschriftliche Aufzeich­nungen und religiöse Bücher weggenommen hatten, die mit dem Strafprozeß nichts gemein haben. Den größten Teil der beschlagnahmten Gegenstände vermerkten sie weder im Durchsuchungsprotokoll noch in der beigefügten Beschreibung, so daß sie durch ihre Vorgehensweise den § 192 des Straf­gesetzbuches der Litauischen SSR verletzten. Später bei den Verhören ver­suchten sie durch Drohungen, Lügen, List und Tücke und anderes unrecht­mäßiges Vorgehen, Informationen zu bekommen und ließen mir keine Mög­lichkeit zur Verteidigung. Auf diese Weise verletzten sie die §§ 17 und 18 des gleichen Kodexes und wurden schuldig nach § 187 des Strafgestzbuches der Litauischen SSR. Mit den o.g. Eingaben wollte ich die Rückgabe der einge­zogenen Bücher, handschriftlichen Aufzeichnungen und der Schreibmaschine erwirken.

Nach einigen Jahren, d.i. am 3. Juli 1975 wurde mir ein Teil der Bücher zurückgegeben, der andere Teil wurde kommentarlos weiter einbehalten; auch die Schreibmaschine wurde nicht zurückerstattet. Erst jetzt, nachdem mir das ganze Aktenmaterial bekannt ist, erfuhr ich, daß meine Bücher schon 1975 vernichtet wurden — man hatte sie verbrannt. Sieht so die Ach­tung vor dem Menschen aus, kann dies als Gesetzeswürdigung bezeichnet werden?

Wenn die Sicherheitsbeamten, deren grundlegendste Aufgabe die Wahrung der sozialistischen Gerechtigkeit ist, die Gesetze mißachten, wie kann man dann verlangen, daß der einfache Bürger sie befolgt? Ich erkannte, daß die Tschekisten sich eines ziemlich alten Prinzips bedienen: die eigene Schuld auf jemand anderen abwälzen (in diesem Fall auf mich).

Wegen der Eingaben, die ich im Zeitraum 1973 bis 1976 schrieb, wurde ich etliche Male ins Sicherheitskomitee sowie zum Staatsanwalt der Republik vorgeladen. Keiner der Untersuchungsrichter oder Staatsanwälte erblickte damals darin verleumderische Absichten, die die Sowjetregierung angreifen würden, auch ist kein einziger Vermerk darüber zu finden (siehe Vernehmungsprotokolle). Sie versprachen mir nur, jene Aufzeichnungen und Bücher zurückzugeben, die für den Prozeß belanglos wären. Wenn in meinen 1973 bis 1974 eingereichten Eingaben keine verleumderischen Räuber­geschichten zu finden waren, wie kommt es dann, daß diese Eingaben nach drei- und mehrjähriger Aufbewahrung in den Archiven des KGB-Dienstes und der Staatsanwaltschaft 1977 plötzlich als verleumderisch gelten? Ihr Inhalt hat sich doch im Archiv nicht gewandelt, und auch die sowjetische Gesetzgebung ist die gleiche geblieben. Kehren wir etwa zu den Gesetz­widrigkeiten des Stalinkultes zurück, die ja auf der XX. Tagung der

Kommunistischen Partei der Sowjetunion auf das schärfste verurteilt wurden? Wenn nicht, wie kommt es dann zu einer solchen absurden Anklage?

Um welches Gedankengut es sich auch handeln mag, wenn aber die Regie­rung sogar unter Anwendung von Gewaltmaßnahmen dagegen ankämpft, und dem Verfechter dieser Ideen nicht nur verboten, seine Meinung kundzu­tun, sondern ihm sogar der Anspruch auf Rechtfertigung genommen wird, so ist jedem gesund denkendem Menschen doch klar, daß es sich hier nur um eine Fiktion und keine Freiheit handelt.

Was würden die Marxisten darüber denken, wenn die Sowjetgesellschaft der Kommunistischen Partei erklären würde, daß allen Bürgern die antikommu­nistische Propagandafreiheit garantiert werde, nicht aber die kommunistische? Sicher würden die Kommunisten sagen, dies sei keine Freiheit, sondern widerwärtige Demagogie. Wäre es den Kommunisten angenehm, wenn ihre Ideen vor ihren eigenen Augen und den der Öffentlichkeit zuschanden gemacht würden und sie sich nicht verteidigen dürften? Die Kommunisten wären nicht nur erbost ob einer solchen Freiheit, sondern würden sie als Verspottung der elementaren Menschenrechte und Grundlagen der Freiheit verurteilen. Warum bieten die Kommunisten solch eine „Freiheit" anderen an, die sie selbst nicht als Freiheit anerkennen?

Hier einige Fragmente aus atheistischen Büchern über die Religion. In dem Buch Pasikalbėjimai apie religija ir mokslą (Gespräche über Religion und Wissenschaft, Vilnius, 1963) heißt es: „Das Ziel der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ist die Gründung der kommunistischen Gesellschaft /.../ die Gründung der kommunistischen Gesellschaft ist unmöglich, ohne vorher den religiösen Aberglauben bezwungen zu haben" (S. 286). „Kommunismus und Religion sind unvereinbar" (S. 212). J. Galickaja schreibt in ihrem Buch Mintys apie religija (Gedanken über die Religion) Vilnius 1963 : „Es ist unmöglich fromm und zugleich staatsgerecht zu sein, ein gläubiger Mensch und guter Staatsbürger, d.h. tugendhafter Mensch" (S. 137); „die Moral hört da auf, wo die Religion beginnt" (S. 140); „Roms Päpste, die größten Scharlatane, die die Religion ausbeuteten" (S. 157); „die römischen »Christusnachfolger« begingen 12 Jahrhunderte lang im Namen Gottes, die furchtbarsten Vergehen und widerwärtigsten Ungehörigkeiten" (S. 167); „Viele Wissenschaftler vertraten die Idee der »drei Verräter« — Moses, Christus und Mohamed" (S. 234). Also verfluche und schmähe Gott, die Kirche und den Papst, verdamme die Geistlichen und die Gläubigen, führe Propaganda gegen jede Religion, die Partei und die

\

Obrigkeit werden dich dafür noch loben. Doch, helfe dir Gott, wenn du ein Wörtchen gegen die Gottlosen sagst, wage dich ja nicht gegen die Ausfälle der Atheisten zu verteidigen. Sofort wird man dich hinter Gitter setzen und nach Artikel 68 oder 199, Absatz 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR aburteilen, d.h.als systematischen antisowjetischen Agitator und Propagan­disten oder Verbreiter bewußt lügenhafter Erfindungen. Dies ist also Gewissensfreiheit!

Wie kann man von Gewissensfreiheit sprechen, wenn in der Verfassung nur die antireligiöse Propagandafreiheit vertreten wird, wenn jeder Atheist sich rechtmäßig in dein Gewissen drängen darf, es entblößen, verlachen und verspotten darf, möge es auch noch so unschuldig sein. Dies ist eine Ver­höhnung der Gläubigen, eine Unterjochung des Gewissens, eine Verspottung jeglicher Menschlichkeit — würde jeder Bürger eines anderen Staates aus­rufen, wenn er dies erführe.

Außer dem Staat, bin ich als Katholik auch noch der Religion und der Kirche verpflichtet zu gehorchen, das gebietet mir mein Gewissen. Die Rechte der Gläubigen und der Kirche zu verteidigen ist keine Politik, sondern die heiligste Pflicht eines jeden Katholiken.

Ohne Glaubensverfolgung gäbe es keine Unzufriedenheit, Empörung oder Widerstand und zugleich gäbe es keine „Chronik der LKK".

Die Zeit, die man hinter Gittern verbringt in Verteidigung der Menschen­rechte und Grundfreiheiten ist keine verlorene Zeit, sie dient vielmehr auf's beste der seelischen Erneuerung. Sobald der Schmerz der Verfolgung nach­läßt, werden die Märtyrer als leuchtende Beispiele auferstehen, deren Verfolger und Häscher aber werden verdammt werden.

Wir, die litauischen Katholiken, sind entschlossen für unseren Glauben zu kämpfen, für die wahre Gleichberechtigung, für unsere Rechte, die nicht nur mit Worten und auf dem Papier garantiert werden, sondern auch für unser tägliches Leben gelten.

Verurteilt zu werden, weil ich meine Aufgaben wahrgenommen habe, ist für mich keine Schande, sondern eine Ehre. Ich bekenne mich zu der Ewigen Wahrheit: „Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und ver­folgen und lügnerisch alles Böse gegen euch sagen um meinetwillen."(Matthäus 5, 10- 12). 14

Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Es ist wirklich verwunderlich, daß Leute festgenommen und in Gefängnisse gesteckt werden, unter der Anschuldigung, die Sowjetregierung schmälern zu wollen, der systematischen antisowjetischen Agitation und Propaganda und antisowjetischer Betätigung beschuldigt werden, weil sie mit ihren ver­leumderischen Erfindungen die sowjetische Staats- und Gesellschaftsordnung zerstören. Niemand von den Justizbeamten macht sich jedoch die Mühe zu erklären, wo hier die Grenze liegt, hinter der das Antisowjetische beginnt, geschweige denn er belegt die Anschuldigungen mit Fakten oder begründeten Argumenten. Die Vernehmungsrichter sind vielmehr schon vom ersten Tag der Festnahme von der Schuld des Festgenommenen überzeugt.

Wird bei einer Hausdurchsuchung ein maschinen- oder handgeschriebenes Schriftstück gefunden, das ohne Wissen der Zensur gedruckt wurde und darauf die Behauptung aufgestellt, es handle sich hierbei um ein antisowje­tisches, die Sowjetregierung verunglimpfendes Schriftstück, so ist das kein objektiver auf Tatsachen begründeter Beweis, sondern nur eine subjektive Behauptung. Um ein Schriftstück objektiv beurteilen zu können, muß es gründlich untersucht und festgestellt werden, was es an Wahrheit und was an böswilliger Verleumdung enthält, d.h. bewußt erlogen ist. Erst nach einer gründlichen Prüfung, dürfen Behauptungen aufgestellt werden.

Die Sicherheitsbeamten sowie einige Regierungsfunktionäre können oder wollen nicht die Grundregeln der marxistisch-leninistischen Lehre verstehen, sie operieren mit dem Wort „antisowjetisch", benützen es als Tarnung und wenden es je nach Gutdünken an. Diese Formulierung taucht in den Ver­nehmungsprotokollen auf, sie steht in der Anklageschrift, gilt als Indiz und erscheint auch wieder im Gerichtsurteil. Oft werden Andersdenkende völlig grundlos als antisowjetische Agitatoren, antisowjetisch eingestellte Schwach­köpfe, die ihre Heimat und ihr Volk verleumden, sowie als offensichtliche Feinde des Sozialismus u.a. verschrien. Die größte Mühe macht man sich, den Angeklagten davon zu überzeugen, er habe ein schwerwiegendes Staats­vergehen begangen. Die Justizbeamten erklären nicht den Tatbestand und die Beschaffenheit des Vergehens, ob es sich nun um eine bewußt geplante Lüge und Verleumdung handelt und wieviel Wahrheit oder Lüge nun wirklich darin enthalten sei. Sie sind nur darauf erpicht, dir antisowjetische Verleumdungen nachzuweisen. Auch bei der Bestandaufnahme dieser Ver­handlung wurden nicht alle vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten, wie es der § 18 des litauischen Strafgesetzbuches verlangt, ausgeschöpft um die Sachlage gerecht und objektiv beurteilen zu können. Es wurden nur die Anklagepunkte und die erschwerenden Umstände vorgebracht, nicht jedoch die mildernden und rechtfertigenden Gegebenheiten. Ist man erst in die Hände der KGB-Leute gelangt, so ist man deren Logik nach auch schuldig. Bedingungslos wird man angeklagt und verurteilt. Jemand der es wagt, wegen irgendwelcher nachweislichen Fehler der Sicherheitsbeamten Klage­schriften an die Staatsanwaltschaft oder die Partei zu schreiben, macht sich auf jeden Fall schuldig. Er wird ins Gefängnis gebracht und bestraft aufgrund wissentlich begangener Handlungsweisen gemäß §§68 oder 199, Abs. I des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR. Die Sicherheitsbeamten sind ja „unfehlbar". Sie ziehen nur die „Feinde des Sozialismus" zur Verantwortung. Treffend schreibt der russische Schriftsteller F. Dostojevskij in seinem Werk „Erniedrigte und Beleidigte": „Ich neige dazu, eher das Schlechte als das Gute anzunehmen — ein Charakterzug, der aus einem unglücklichen, unbe­friedigten Herzen entspricht" (S. 131). Weiter schreibt er: „Ein geradezu inquisitorisches Mißtrauen und sogar Argwohn" (ebenda, S. 143). Zur Zeit des Stalinkultes gab es Massenrepressionen und es wurde eher das Schlechte als das Gute angenommen. Es wäre äußerst unerwünscht, wenn gemäß Dostojevskij, das inquisitorische Mißtrauen oder sogar Argwohn auch in unserer Gesellschaft gedeihten. Es wäre sehr betrüblich, wenn die in der Stalinzeit begangenen Fehler fortgesetzt würden. Dies würde nur die bereits währende Krise des Sozialismus vertiefen und schließlich in einer Katastrophe enden.

Überfüllte Gefängnisse und Straflager sind ein unwürdiger Zierat. Man könnte der Gesellschaft viel Gutes tun, wenn die Regierung nicht auf Rache, sondern auf Wahrheit bedacht wäre.

Am 25. Juli 1977 wurde das Gerichtsurteil bekanntgegeben. Es wurde sehr leise und schnell verlesen, daß sogar der ganz vorne stehende V. Lapienis erklärte, er habe nicht alles gehört und verstanden. Umso weniger bekamen die weiter hinten befindlichen Zuhörer vom Urteilstext mit.

V. Lapienis wurde zu drei Jahren verschärften Straflager und zwei Jahren Verbannung verurteilt; Jonas Kastytis Matulionis bekam zwei Jahre auf Bewährung und Öna Pranskūnaitė zwei Jahre Lageraufenthalt. Die Schreib­maschine von V. Lapienis und seine Briefe an die Behörden wurden eingezogen.

Die Zeitschrift Tiesa (Wahrheit) vom 1. August 1977, berichtete folgendes über diesen Prozeß:

.... Der von Jesuiten geleitete Vatikansender versucht, sei es auch nur durch

eine Kleinigkeit, unserem Land, unserer Republik einen Strich zu versetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Vatikanjesuiten entschlossen, sich jedes litauischen Abtrünnigen zu bedienen, auf daß er Sowjetlitauen anschwärze und unsere Volkserrungenschaften mit Dreck bewerfe. Solche Verräter, die nicht mit dem Volk gemeinsam vorwärtsschreiten wollen, sind zwar selten, doch kommen sie hier und da vor. Unlängst ging in Vilnius der öffentliche Prozeß gegen drei Verleumder zu Ende: V. Lapienis — Rentner aus Vilnius, Kastytis Jonas Matulionis — Designer bei den vereinigten Bekleidungsver­trieben in Vilnius und Ona Pranskūnaitė — ehemalige Werkzeugmacherin bei der Firma Linas Flachsverarbeitungskombinat.

Alle drei waren daran beteiligt eine tendenziös gesammelte sowie klar ver­leumderische Literatur (Chronik der LKK — Red.) herzustellen und zu ver­breiten, in der eine verzerrte Innenpolitik bzgl. der katholischen Kirche dargelegt und lügnerische Behauptungen über die sog. Unterdrückung der Gewissensfreiheit sowie Glaubensverfolgung aufgestellt wurden.

Diese illegal ins Ausland gelangte Literatur benutzten die litauischen Bour-goisienationalisten für ihren unlauteren Kampf gegen die Werktätigen-Regierung in Litauen. Die reaktionären klerikalen Zeitungen Draugas, Darbininkasund Radio Vatikan, verbreiteten noch weitere Erdichtungen, deren ich aus Platzmangel in diesem Artikel nur einige wenige erwähnt habe.

V. Lapienis gelangte nicht sofort auf die Anklagebank. Mit Rücksicht auf sein hohe Alter versuchten es die Untersuchungsorgane im Guten, warnten ihn, er solle mir der verwerflichen Tätigkeit aufhören. Doch V. Lapienis weigerte sich den tugendhaften Weg einzuschlagen und überredete noch K.J. Matulionis zu der verbrecherischen Tätigkeit. Weiterhin versuchte er mittels Verbreitung von religiöser Literatur die Leute dahingehend anzustacheln, antisowjetische Verleumdungen zu verbreiten. Seine Hände sind besudelt mit allerlei Unwahrheiten, die unsere rechtschaffenen Republikaner verunglimpfen.

K.J. Matulionis, der eine philologische Ausbildung hat, wurde von V. Lapienis dazu benutzt, die Diktion der antisowjetischen verleumderischen Ausgaben zu verbessern. Außerdem half K.J. Matulionis bei der Verbreitung dieser Druckwerke mit. O. Pranskūnaitė, zwar nur wenig gebildet,(sie hat nur vier Klassen Volksschule), druckte und vervielfältigte diese Erdichtungen. Aus ihrer Druckmaschine stammt das Gerücht über die nicht stattgefundene Elterversammlung in Šiauliai in der J. Janonis Mittelschule, die Diffamierung der Familie Budena aus Marcinkoniai und andere Schmähungen.

Vor Gericht begriffen die Verleumdungsverbreiter anscheinend, daß sie nur die Handlanger der reaktionären Kleriker gewesen waren, daß in erster Linie Radio Vatikan für ihre Irrwege verantwortlich sei, das so schadenfroh ihre Lügengeschichten in den Äther schickte.

· An dem Vergehen, dessen ich nun beschuldigt werde, werde ich mich nie mehr beteiligen — bereute vor Gericht K.J. Matulionis seine unüberlegten Taten.

· Ich bedaure mein Verhalten. Ich tat alles, ohne es genau zu verstehen. Ich verspreche, daß dies in Zukunft nie wieder vorkommen wird, — bereut auch O. Pranskūnaitė.

Das Sowjetgericht ist human. Da K.J. Matulionis seine Fehler eingestand und seine gesetzwidrige Tätigkeit zu unterlassen versprach, beschloß das Gericht seine Strafe zur Bewährung auszusetzen. Jetzt befindet sich K.J. Matulionis in Freiheit und ist für seine Zukunft selbst verantwortlich.

Das Gericht berücksichtigte auch O. Pranskūnaitė geringe Schulbildung, daß sie zur Tat verleitet wurde, und bestrafte sie nur recht milde, da sie vor Gericht ihre Taten bereut und versprochen hatte, sich nie wieder mit diesem Tun zu beschäftigen.

Diese unvorsichtigen, vom Radio Vatikan irregeleiteten Menschgen werden wohl noch oft bereuen, wenn sie an ihre Irrwege zurückdenken. Bei dieser Gelegenheit sollte man daran erinnern, daß Radio Vatikan sowie andere westliche Propagandazentren zur Zeit ihr imperialistisches Netz noch weiter ausgedehnt haben. Hinter der Maske des „Wohltäters" suchen sie nach Opfern und verbreiten die verschiedensten Verleumdungen und Gerüchte. Seid wachsam, so werden all' ihre Anstrengungen nutzlos sein".