Vilnius

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Erlaß des Gesundheitsministers, Nr. 277, Vilnius, den 17. April 1975

Betrifft die Auflösung des Kinder-TB-Sanatoriums Vilnelė und die Grün­dung einer Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Vilnius.

Unter Ausführung der Beschlüsse des ZK der KP Litauens und des Minister­rats der Litauischen SSR vom 27. Januar 1975 „Wegen Ergänzungsmaßnah­men zur verstärkten Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten" und der An­ordnung Nr. 188 des Ministerrates der Litauischen SSR vom 3. April 1975, befehle ich, im Bestreben die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten zu ver­hindern und die Krankenhausunterbringung der geschlechtskranken Personen zu gewährleisten:

Die im Jahresplan 1975 vorgesehene Anzahl von Betten in den Krankenhäu­sern ist zu vergrößern:

in der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Vilnius um 200 Betten, in der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Kaunas um 100 Betten, in der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Šiauliai um 45 Betten, unter gleichzeitiger Verminderung der Anzahl von Betten in den Republik­krankenhäusern des Ministeriums für Gesundheitsschutz.

Zu vergrößern sind die Haushaltsposten zum Unterhalt der Anstalten für Heilung und Vorbeugung, und zwar:

der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Vilnius um 306 500 Rubel

(davon 165 800 Rubel für Arbeitslohn),

der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Kaunas um 113 300 Rubel (davon 30100 Rubel Arbeitslohn),

der Gesundheitsschutzabteilung der Stadt Šiauliai um 34 200 Rubel

(davon 7400 Rubel Arbeitslohn), unter entsprechender Herabsetzung dieser Posten für die Republikanstalten der Heilung und Vorbeugung des Ministeriums für Gesundheitsschutz.

(. ..) In der Hauptklinik der Republik für Haut- und Geschlechtskrankhei­ten, befindlich in der Bokstostr. Nr. 6, ist ab 1. Mai d. J. die Organisation einer Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit 200 Betten in An­griff zu nehmen (davon eine geschlossene Abteilung mit 100 Betten unter Milizbewachung).

(...) Ab 1. Juni d. J. ist das Kinder-TB-Sanatorium der Republik Vilnelė mit 300 Betten und dessen Gebändekomplex an der Nemencineschaussee Nr. 7 zu liquidieren. Die TB-Klinik der Republik wird zur Organisierung der Kinder-TB-Abteilung übergeben. Im Gebäude an der Nemencineschaus­see Nr. 25 ist eine Klinik der Republik für Haut- und Geschlechtskrankhei­ten mit 150 Betten für stationäre Behandlung einzurichten.

(...) Kinder, die einer weiteren Behandlung in einer TB-Klinik oder einem Sanatorium bedürfen, sind in eine entsprechende Klinik der Republik oder in das Kinder-TB-Sanatorium der Republik Pusele zu versetzen.

Minister für Gesundheitsschutz, Kleiza

 

Jurbarkas

Anelė Paškauskienė arbeitete im Kombinat der Stadtwerke von Jurbarkas und studierte Volkswirtschaft durch Fernunterricht. Im Herbst 1974 wurde sie verhaftet. Nach den Behauptungen des Sicherheitsdienstes soll sie antiso­wjetische Flugblätter verteilt und aus dem Büro eine Schreibmaschine zu ent­wenden versucht haben. Nach langen Verhören im Sicherheitsdienst wurde A. Paskauskiene im psychiatrischen Krankenhaus des Gefängnisses Lukiškiai eingesperrt. Zu Hause blieb ihr Mann mit zwei kleinen Kindern.

Kaunas

Im Februar 1975 wurden in den Safes der Staatsbank zu Kaunas eine halbe Million litauischer Briefmarken gefunden. Einen Teil davon verteilten die Mitarbeiter untereinander, der Rest wurde an das Historische Museum in Kaunas übergeben. Als der Sicherheitsdienst dies erfuhr, wurden sie einge­sammelt und verbrannt. Auch wurden sie aus dem Museumsfonds entfernt. Ähnlich verfuhr man vor einigen Jahren mit den Metallabzeichen, die von einer Dalle (Kunst-)Werkstatt hergestellt wurden. Auf ihnen war ein alter­tümlicher Bildstock zu erkennen. Von der Bevölkerung wurden diese Ab­zeichen gerne gekauft und an die Brust geheftet. Eines Tages kam der Befehl, sie aus allen Verkaufsständen zu entfernen und zu vernichten.

Vilnius

Im Herbst 1974 kam ein Beamter des Staatssicherheitsdienstes in die Anti­quariatsbuchhandlung und durchsuchte die Regale und Schubladen. Am näch­sten Tag kam ein Lastwagen, sammelte die sogenannten „idealistischen und nationalistischen" Bücher als der Staatsideologie widersprechend ein und transportierte sie ab. Der Buchhandlungsleiter wurde seines Postens enthoben und die Einkäuferin vom Sicherheitsdienst verhört. Jetzt kann man in diesem Antiquariat keine Werke von Interesse aus der Vorkriegszeit mehr kaufen.

Kretinga

In der Bauernschaft Nasrėnai, dem Geburtsort des Bischofs M. Valančius, ist ein Gedenkmuseum für ihn eingerichtet worden. Kürzlich entfernte der Sicherheitsdienst das Gästevermerkbuch aus diesem Museum.

Vilnius

Am Vorabend des „Sieges"-Festes wurden in Vilnius und Kaunas anti­sowjetische Flugblätter verbreitet.

Vilnius

In den Tagen vom 25. bis 26. Dezember wurde vom Staatsicherheitsdienst in Vilnius, nach vorausgegangener Hausdurchsuchung, Vytautas Margaitis ver­hört, der als Ingenieur im Werk Elfa arbeitete. Er wurde beschuldigt, bei der Abschiedsfeier von Simas Kudirka gesprochen zu haben. Die Historikerin A. Gaigalaitė hatte sich keine geringen Verdienste bei ihren Arbeitgebern erworben, besonders durch ihre atheistische Tätigkeit. Seit 1960 leitete sie im Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften Litauens die Nach-Oktober-Abteilung und erhielt Ende 1960 den Lehrstuhl für Geschichte der UdSSR im Pädagogischen Institut.

Vor einigen Jahren versuchte A. Gaigalaitė, sich mit ihrer Schrift Klerikaliz-mas Lietuvoje (Klerikalismus in Litauen) zu habilitieren. Sie verlor sich in der Fülle des Stoffes, wobei ihr bemerkenswerte „Fehler" unterliefen, wes­halb die Habilitationsschrift nicht anerkannt wurde. 1973 erschien in Tiesa (Die Wahrheit, Nr. 58) ein Artikel des Direktors der Mittelschule von Rad-viliSkis, C. Kantautas, in dem A. Gaigalaitė und die anderen Mitarbeiter der „Chrestomatie der Geschichte der Litauischen SSR" kritisiert werden. Ihr größtes Vergehen war, daß sie den Beschluß vom 16. Februar 1918 veröffent­licht hatten, in dem Litauen als ein von Rußland unabhängiger und souve­räner Staat proklamiert wird, sowie den Friedensvertrag zwischen Litauen und Sowjetrußland vom 12. Juli 1920, in dem Rußland „... rückhaltlos die Souveränität des Staates Litauen anerkennt... und gutwillig für alle Jahr­hunderte auf die Souveränitätsrechte Rußlands verzichtet, die es dem litau­ischen Volk und seinem Territorium gegenüber ausgeübt hat". Im Mai 1974 wurde A. Gaigalaitė die Lehrbefugnis entzogen.

Parteisekretär der historischen Fakultät war Marengolcas. Er stellte eine positive Charakterbeurteilung für den Leiter des Lehrstuhls, Abelis Strazas, aus, damit dieser in die Liste der Automobilanwärter aufgenommen werden konnte. Dieser Dozent, ein Veteran des Großen Vaterländischen Krieges, wanderte zusammen mit einem anderen Dozenten nach Israel aus. Darauf­hin verlor Marengolcas seinen Posten als Sekretär. Im Herbst 1974 wurde er mit einer Gruppe von Studenten in ein Kolchos zur Kartoffelernte abkom­mandiert. Marengolcas ist von schwacher Gesundheit und hatte sich hier ein­mal unabsichtlich betrunken. Der Kolchosvorsteher benachrichtigte hierüber das Institut. Daraufhin kamen der Vizerektor Drotvinas mit dem neuen Parteisekretär und Dekan der Fakultät, Doz. Myk. Michelbertas, und sie brachten den ehemaligen Parteisekretär in das psychiatrische Krankenhaus von N. Vilnia. Weil Marengolcas TB-krank ist, wurde er nach einer Woche in das TB-Institut verlegt.

So behandeln Parteifunktionäre ihre eigenen Kollegen. Dabei behaupten sie, „ein Mensch sei des anderen Bruder".

Ende 1974 hat das ZK die historische Fakultät des Pädagogischen Instituts umorganisiert und sie mit der Fakultät für Pädagogik vereinigt. Zum Dekan wurde der Nichthistoriker Bajorünas ernannt. Zur Leiterin der atheistischen Arbeit in dieser neuen Fakultät wurde A. Gaigalaitė ernannt.

Im Monat April 1975 wurde der stellvertretende Vorsitzende des Minister­rates der Litauischen SSR, Povilas Kulvecas (Kulvietis), seines Amtes ent­hoben, weil er den Doktorgrad der Wissenschaften der Volkswirtschaft un­rechtmäßig erworben hatte.

Obwohl Kulvietis in Georgien geboren wurde und die litauische Sprache erst in Litauen erlernte, wurde er in der letzten Zeit der Sünde des litauischen Nationalismus verdächtigt — er war den Litauern wohlgesonnen. In Tiesaerschien ein seine Person kompromittierender Artikel. Man ersetzte Kulvietis durch einen Russen.

Am 10. Mai 1975, während des Fußballspiels zwischen Žalgiris und Dauguva, sammelte die Miliz im Žalgiris stadion zu Vilnius alle aktiven Fußballfans ein und transportierte sie ab. Man hatte Sorge, im Stadion könnte es zu nationalen Emotionen kommen.

Im Juni 1972 wurde das Handballturnier der baltischen Staaten in Vilnius ausgetragen. Polen, Deutsche u. a. nahmen daran teil. Die Litauer, Letten, Esten fehlten . .. Als die Zuschauer während der Spiele ihre Sympathien den Nichtrussen gegenüber bekundeten, kam man auf die Idee loyalere Zuschauer zum Besuch des Stadions zu veranlassen, und zwar durch Verteilen von Ein­trittskarten an die Arbeiter in Werkstätten, an Studenten und an Schüler in der 35. Mittelschule.

Im November 1973 kamen Beamte des Sicherheitsdienstes zu Pfarrer J. Lau-riünas (Kabeliai, Rayon Varena) um eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, und bevor sie überhaupt den Durchsuchungsbefehl vorgezeigt hatten, schrien sie den Hausherrn an: „Was, du wartest wohl auf Smetona?" (der Staats­präsident der freien Republik Litauen; Anm. d. Übs.). Sie hatten nämlich an der Wand ein Handtuch mit dem gewobenen Text des „Nationalen Lie­des" von V. Kudirka entdeckt. Der Priester erklärte, daß V. Kudirka und dieses sein Gedicht auch in der sowjetlitauischen Literatur einen Platz habe, und daß dieses Handtuch aus der Vorkriegszeit stamme und von litauischen Mädchen aus dem Švenčionysgebiet gewebt sei. Trotzdem hängten die Beam­ten des Sicherheitsdienstes das Webstück ab und nahmen es als „gefährlichen" Gegenstand mit. V. Kudirka, der in seinen „Erinnerungen der litauischen Brücke" den Eifer der zaristischen Gendarmen beschreibt, wie sie jeden Fetzen Papier, sogar ärztliche Rezepte beschlagnahmten, konnte nicht vor­aussehen, daß eine ähnliche „Genauigkeit" auch ihre Nachfolger beherrschen werde.

Im Dezember 1974 nahm der Sicherheitsdienst eine Hausdurchsuchung bei Terleckas in Vilnius vor. Als die Beamten eine Karte von Litauen aus dem 15. Jahrhundert an der Wand erblickten, herausgegeben in der Volksdemo­kratischen Republik Polen, machten sie einen Skandal. Ist es denn ein Verbrechen, solche Karten in Litauen anzuschauen?

Mažeikiai

Am 16. Februar 1972 wurde in der Bauernschaft Gruzdė, Rayon Mažeikiai, die litauische Nationalfahne gehißt. Der Sicherheitsdienst stellte fest, daß dies Vl. Majauskas, ein fünfundzwanzigjähriger Fahrer, veranlaßt habe. Man brachte ihn ins psychiatrische Krankenhaus.

INFORMATION

Die „Chronik der LKK" bedauert, daß ein Teil des zugesandten Materials wegen ungenügender Genauigkeit nicht aufgenommen werden konnte: es fehlten Ortsangaben, Datum usw. Die Leser, die ihre Beiträge in der „Chro­nik der LKK" nicht vorfinden, werden gebeten, ihre Nachrichten zu kon­kretisieren, deutlich zu schreiben und erneut einzusenden.