Krinčinas

An den Vorsitzenden des Obersten Präsidiums der Litauischen SSR An den Bischof von Panevėžys, Dr. R. Krikščiünas An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas

An das Komitee des Staatssicherheitsdienstes Erklärung

des Priesters Balys A. Babrauskas, wohnhaft im Rayon Pasvalys, Krinčinas

Am 15. Juni dieses Jahres (1975) finden die Wahlen für den Obersten Sowjet der UdSSR statt. Die Bürger haben das Recht und die Pflicht, an den Wahlen teilzunehmen. Als Priester der katholischen Kirche bin ich aber des öfteren von den Beamten des Staatssicherheitsdienstes und des Rayons diskriminiert worden, und man behandelt mich so, als ob ich außerhalb der Gesetze stünde. In Verfechtung meiner Rechte und unter Konstatierung der von einigen Be­amten begangenen Gesetzesverstöße habe ich an das Komitee des Staatssicher­heitsdienstes in Vilnius, an den Generalstaatsanwalt der Litauischen SSR und an den Justizminister Eingaben gerichtet, aber keine konkrete Antwort oder Stellungnahme erhalten. Wegen einer ganzen Reihe von Tatbeständen, die ich unten anführe, verweigere ich meine Stimmabgabe als ein Bürger, der keine Rechte, sondern nur Pflichten hat.

Am 20. November 1973 verletzte eine Gruppe von Sicherheitsbeamten unter Führung von Hauptmann Jasinskas bei einer Haussuchung den Artikel 192 des StGB der Litauischen SSR in grober Weise. Dort heißt es: „Alle beschlag­nahmten Gegenstände und Dokumente müssen im Durchsuchungsprotokoll oder in einer beigefügten Beschreibung unter Angabe von Zahl und Maß auf­gezählt werden." Die Beamten vom Sicherheitsdienst haben die beschlag­nahmten Gegenstände weder im Durchsuchungsprotokoll noch in einer bei­gefügten Beschreibung eingetragen.

Zweimal (am 21. November 1973 und am 2. August 1974) wurde ich als Ge­setzesbrecher verhört (da ich Hunger hatte, habe ich von der angebotenen Nahrung genommen, d. h. trotz des Verbotes religiöser Literatur habe ich die mir gebotenen Bücher angenommen), aber im Protokoll wurde schriftlich verzeichnet und auch mündlich behauptet, ich sei als Zeuge vernommen wor­den. Weder konnte ich selbst begreifen, noch konnten mir die Vernehmenden die Frage beantworten: „Gegen wessen Vergehen mußte ich denn als Zeuge aussagen?" Deshalb ziehe ich durch diese Erklärung meine unter die Proto­kolle gesetzten Unterschriften zurück, denn beide Verhöre halte ich für rechtswidrig.

Nach der Hausdurchsuchung wurde ich vor das Exekutivkomitee des Rayons Biržai zitiert und dort vom Vorsitzenden dieser Behörde, A. Tumėnas, ge­warnt: „Ich bin vom Sicherheitskomitee in Biržai beauftragt worden, Sie zu warnen, über die Hausdurchsuchung mit niemandem zu sprechen." Ich er­klärte, daß während der Hausdurchsuchung nicht nur meine persönlichen religiösen Bücher sowie andere Sachen beschlagnahmt worden seien, sondern auch Kircheneigentum der Gemeinden Smilgiai und Suostas, und zwar Ge­betbücher, Gesangbüchlein und Noten von Kirchenliedern. Deshalb hätte ich den Pfarrkindern erklären müssen, wer diese fortgenommen hat. Mit der Verwarnung hat der Sicherheitsdienst von Biržai gezeigt, daß diese Haus­durchsuchung ein vor der Öffentlichkeit zu verbergendes Vergehen war. Dieses Vergehen wird durch die beschlagnahmten Gegenstände noch verdeut­licht: alte und neuere Gebetbücher, Katechismen und Exemplare des „Neuen Testaments". Das im Laden eingekaufte Papier und alle Tonbänder mit den mir sehr wertvollen Aufzeichnungen schreien nach Gerechtigkeit. Man hat alles in Säcke gestopft und in den Lastwagen geworfen. Nach der Hausdurchsuchung haben die Beamten des Rayons Biržai bei ver­schiedenen Anlässen die abscheulichsten Verleumdungen über mich verbreitet. Zum Beispiel: „Beim Verlassen der Pfarreien Smilgiai und Suostai hat Pfar­rer Babrauskas sich die Kirchenkasse angeeignet." Nach Rückfrage habe ich erfahren, daß kein einziger Regierungsvertreter eine Anfrage an das Kirchen­komitee in Smilgiai oder Suostai wegen der Kirchenkassen gerichtet hatte. Die Wahrheit geht sie nichts an. Verleumdungen werden durch Gesetze ver­boten, aber einem Priester gegenüber ist alles erlaubt — er kann sich nirgend­wo beklagen und Gerechtigkeit finden. Damit nicht genug, man drohte sogar öfters in öffentlichen Vorträgen: „Der Piester Babrauskas wird seines eige­nen Todes nicht sterben ..." Deshalb hatte ich das Recht und die Pflicht, meinen Pfarrkindern in der Predigt zu sagen: „Da man mich nicht nur öffentlich schmäht, sondern mir auch öffentlich droht, deshalb sage ich euch, meine Pfarrkinder, wenn mit eurem Pfarrer etwas geschieht, dann wißt ihr, wer das getan hat."

Wenn man in einer solchen Situation schwebt, dann stellt sich die Frage: Wo lebe ich? Wo bleibt die Regierung, wo die Gesetze und die Menschen­rechte? Ist denn gegen einen Priester und gläubigen Menschen alles erlaubt? Am späten Nachmittag des 1. August erhielt ich eine Vorladung, am 2. August um 10 Uhr beim Sicherheitskomitee in Vilnius zu erscheinen. Für diesen Tag war ein Begräbnis angesetzt sowie eine Taufe verabredet, außer­dem war es der Ablaßtag von Portiunkula und der erste Freitag im Monat, weshalb ich mein Erscheinen verweigerte. Am Abend bat mich die Vorsitzende der Gemeinde Krinčinas, dennoch hinzufahren, denn die Telefonanrufe und Drohungen würden nicht aufhören, und ich würde mit Gewalt abgeholt wer­den. Um des Friedens willen stimmte ich zu, ließ alles im Stich und fuhr in der Nacht hin. Wozu das? Brand? Unfall? Die Leute kamen mit dem Toten — kein Priester da. Es wurde das Kind zur Taufe gebracht — kein Priester da. Der Ablaßtag von Portiunkula, der erste Freitag im Monat — kein Prie­ster da. „Zum Sicherheitsdienst nach Vilnius beordert. Was will man dort mit ihm machen. So werden wir und unsere Priester vom Staat behandelt", jammerten die Menschen. Wozu ist eine solche antistaatliche Propoganda, Belästigung und Einschüchterung von Menschen nötig? Ich begreife nicht, warum der Staat die ganze Macht des Sicherheitsdienstes einsetzt und derartige Ausgaben zur Verfolgung von Gläubigen und Prie­stern aufwendet? Zum Beweis, daß dies den Tatsachen entspricht, will ich an folgendes erinnern: Vor der Hausdurchsuchung war ich mit einem Pfarr­angehörigen an der Reparatur des Kirchendaches von Smilgiai beschäftigt. Mittlerweile kam eine Frau mit vier Kindern und bat mich, deren Kate­chismuskenntnisse zu prüfen. Vom Dach aus sagte ich ihr, sie möge auf dem Kirchplatz warten bis ich die Arbeit beendet hätte. Tags darauf kam der Chef des Sicherheitsdienstes von Birzai, Jasinskas, zu mir und herrschte mich an: „Welche Nonne hat bei dir den Kindern Katechismusunterricht erteilt? Das ist ein Delikt! Schreib' eine Erklärung!"

Mit einigen Beispielen will ich auch das Benehmen der Rayonsregierung ver­deutlichen.

Nach Krinčinas umgezogen, wollte ich den in meiner Wohnung vorhandenen Telefonanschluß ummeiden. Auf dem Postamt Krinčinas erkundigte ich mich, ob das möglich sei. Man antwortete mir, daß das Postamt Krinčinas sieben freie Anschlüsse habe und kein Antrag vorliege. Daraufhin reichte ich meinen Antrag beim Chef der Postzentrale in Pasvalys ein. Dieser ant­wortete, die Ummeldung meines Telefonanschlusses werde von der Rayons­regierung entschieden. Nach einigen Tagen bekam ich folgende Antwort: „Zu Ihrem Antrag teilen wir mit, daß es keine Möglichkeit gibt, den ehe­maligen Telefonanschluß von Bürger Pranas Raščius für Sie umzumelden, da dieser Anschluß für die Telefoneinrichtung des Kolchos von Krinčinas be­nötigt wird.

Chef des Telefonknotenpunktes Č. Monkevičius."

Sofort kamen die Arbeiter und holten den Telefonapparat ab. Daraufhin wandte ich mich an den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegen­heiten, K. Tumėnas, der aber keine Antwort gab. Es ist nicht einmal erlaubt, solch eine Kleinigkeit wie ein Telefon zu haben.

Am 1. November 1974 um 15 Uhr, nach der Allerheiligenandacht, fand ich in meinem Briefkasten eine Benachrichtigung vor, die beinhaltete, daß ich am 1. November um 12 Uhr zum stellvertretenden Vorsitzenden des Exeku­tivkomitees des Rayons Pasvalys in das Büro des Kolchos Krinčinas kommen soll. Unterzeichnet war die Benachrichtigung vom Schreiber der Gemeinde Krincinas. Vorgeladen war ich für 12 Uhr, als ich aber zur Andacht in die Kirche ging, lag noch keine Benachrichtigung vor. Nachdem ich die Benach­richtigung durchgelesen hatte, zeige ich diese noch drei weiteren Personen. Was könnte das sein? Ein Irrtum? Ich fragte bei der Gemeindeverwaltung von Krinčinas an, ob eine rechtzeitige Zustellung vergessen worden sei? Nein. Sie selbst hätten diese Benachrichtigung am 1. November vor 12 Uhr bekommen.

Am 20. November wurde ich im Exekutivkomitee des Rayons Pasvalys an­geherrscht: „Warum haben Sie keine Achtung vor der örtlichen Obrigkeit? Auf Vorladungen reagieren Sie nicht! Das darf nicht wieder vorkommen! Das werden wir nicht dulden!" Ich versuchte, auf die Unmöglichkeit meines Erscheinens hinzuweisen: die Benachrichtigung bekam ich um 15 Uhr, vorge­laden aber war ich für 12 Uhr. Mein Hinweis wurde überhaupt nicht be­achtet, dafür aber wurde mir eingeschärft: „Eine solche Mißachtung werden wir nicht mehr dulden!" Was sollte ich machen?... Hier noch zwei Ereignisse aus der Verfolgung der Gläubigen. Im März 1975 wurde die Briefträgerin des Kolchos Laisvoji žemė (Freie Erde), Valė Uzelienė, entlassen, weil sie die Kirche besucht hatte. Der Vor­sitzende der Gemeinde Smilgiai, Strička, sagte zu Ulzienė, daß „das Gesetz es einer Gläubigen verbiete, als Briefträgerin zu arbeiten. Ob du willst oder nicht, wir werden dich doch hinauswerfen." Die Drohung wurde verwirk­licht. V. Ulzienė wandte sich in dieser Angelegenheit an die Redaktion von Valstiečių laikraštis (Zeitung der Landbewohner), die aber die Beschwerde denjenigen zuleitete, die die Entlassung vorgenommen hatten, und die die

Entlassene gleichsam zum Hohn benachrichtigten, daß ihre Beschwerde der Ortsregierung übersandt worden sei.

In der Schule von Suostai beschimpfte und verhöhnte im Jahre 1973 die Lehrerin Geležiutė das Waisenkind Antanukas Belekas und schlug es in der Schulstunde um die Ohren, weil es in der Kirche gewesen war. Schlagen ist möglich — wer will schon ein Waisenkind verteidigen? Das alles sind meine Pfarrkinder, die wegen ihres Glaubens leiden mußten, durch die Atheisten, denen die Freiheit gewährt wird, alle Mittel gegen die Gläubigen einzusetzen. Das ist nur ein Teil der traurigen Fälle, die ich sehe und von denen ich Kenntnis habe.

Es ist eine schmerzliche Erfahrung, bei vielen Beamten keinerlei Menschen­freundlichkeit vorzufinden und nur auf Unduldsamkeit, Fanatismus, ja so­gar manchmal auf Terror zu stoßen. Wo bleibt die Verfassung? Warum ver­teidigt niemand die Bürgerrechte? Warum schweigen die Staatsanwaltschaf­ten? Wenn man Gerechtigkeit sucht, stößt man auf Schweigen. Ich, ein gewöhnlicher Staatsbürger, frage jetzt: Kann ich meine Stimme ab­geben? Warum sollte ich wählen?

Solange meine Gläubigen und ich diskriminiert und von den Regierungs­beamten belästigt und verleumdet werden, solange meine bei der Hausdurch­suchung beschlagnahmten Sachen nicht zurückgegeben werden, solange kann ich nicht zur Wahlurne gehen.

Krinčinas, den 11. Juni 1975

Priester B. Babrauskas