DER RAYON ZARASAI IM JAHRE 1979
Verhöre von Schulkindern in der Schule von Aviliai
Am 17. Dezember 1971 erschien während des Unterrichts in der Achtklassenschule von Aviliai der Untersuchungsrichter Bezusparis von der Staatsanwaltschaft Zarasai sowie der Leutnant der Miliz, Bagdonavičius.
Man erkundigte sich bei den einzelnen ins Lehrerzimmer gerufene Schüler — Bakutis, Razmanaviciutė und den Schwestern Jezerskaitė — nach der Vorbereitung zur Ersten Kommunion im Sommer 1971. Die Schulkinder wurden nach der Dauer und dem Inhalt des Religionsunterrichts befragt, ob der Pfarrer sie unterrichtet habe, ob er Katechismen, Gebetbücher verteilt und was er gessagt habe.
Das Verhör der Kinder dauerte etwa eine Stunde. Bevor man die Kinder wieder entließ, mußten sie ein angefertigtes Protokoll unterschreiben. Der Schüler Bakutis hörte während der nächsten Schulstunde nicht auf zu weinen.
Andere Kinder wurden ins Physikzimmer gerufen, wo der Untersuchungsrichter an die Tafel geschrieben hatte: „An den Staatsanwalt des Rayons Zarasai." Die Kinder mußten schriftlich erklären, wie oft sie beim Pfarrer gewesen seien, wer ihnen den Religionsunterricht erteilt habe und was sie zu lernen gehabt hätten. Unter ihre Angaben mußten sie ihre Unterschrift setzen. Der Untersuchungsbeamte nahm die schriftlichen Beweisstücke von 18 Schulkindern mit. Das Verhör nahm die Kinder arg mit, manche kamen schluchzend nach Hause. Eine der Mütter, Frau Pupeikienė machte sich umgehend, nachdem sie ihr in Tränen aufgelöstes Töchterchen in Empfang genommen hatte, auf den Weg zum Schuldirektor und äußerte ihm ihr Unbehagen darüber, daß die Kinder ohne Wissen der Eltern zu Aussagen über die Erstkommunion gezwungen wurden. Anderentags erschien auch Frau Mažeikienė beim Schuldirektor mit dem gleichen Anliegen: ihr Kind sei durch den erlittenen Schock mehrmals in der Nacht aus dem Schlaf geschreckt.
Am 20. Dezember fuhr eine Gruppe von Frauen nach Zarasai, um ein an den Staatsanwalt gerichtetes Protestschreiben einzureichen. Sie beschwerten sich darin über die Art und Weise, mit der über die Köpfe der Eltern hinweg die Kinder zu Aussagen gezwungen wurden, die ohnehin keinen Wert hätten, da die Kinder aus Furcht vor dem Untersuchungsbeamten ohnedis geschrieben hätten, was dieser von ihnen verlangt habe. Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter unterwarfen bei dieser Gelegenheit auch die angereisten Frauen einem Verhör.
Während die Mütter in der Staatsanwaltschaft dem Verhör ausgesetzt waren, fand in der Schule ein weiteres Verhör der Schulkinder statt, wobei die Lehrer aufpaßten, daß die Schüler nicht fortliefen.
Da ihre Kinder nach dem Unterricht nicht nach Hause kamen, gingen einige der Mütter in die Schule. Sie drangen mit Gewalt in das Schulzimmer ein, in dem das Verhör der Schüler im Beisein eines Milizionärs und eines Lehrers stattfand. Unter dem Tisch versteckt, war ein Tonbandgerät auf Empfang gestellt. Voller Empörung über das ohne Wissen der Eltern mit ihren Kindern angestellte Verhör, wobei die Kinder zudem noch den ganzen Tag nichts zu essen bekommen hatten, nahmen die Mütter ihre Kinder mit nach Hause. Danach wurde auch den anderen noch unbefragten Kindern erlaubt, nach Hause zu gehen. Die Funktionäre der Staatsanwaltschaft kündigten jedoch an wiederzukommen.
Die Eltern machten dem Schuldirektor, sobald sie seiner habhaft werden konnten, die heftigsten Vorwürfe über die Behandlung der Kinder, denen durch die Verhöre eine solche Furcht eingeflößt worden sei, daß sie nachts nicht schlafen könnten und vor jedem Auto zu zittern begännen, in der Meinung, darin komme vielleicht der Untersuchungsbeamte erneut vorgefahren.
Diese kleinen acht- bis zehnjährigen Schulkinder, die wegen der Erstkommunion so verhört wurden, als handele es sich um einen Diebstahl oder einen anderen von ihnen begangenen gröberen Unfug, können einem wirklich leid tun.
Aus ungeklärten Gründen wurde dem Pfarrer von Aviliai, Kanonikus B. Antanaitis, kein Strafverfahren angehängt.
Das Schicksal der verurteilten Frau Bičiušaitė
Am 13. Januar 1972 verurteilte das Volksgericht von Akmenė die siebzigjährige Kleofa Bičiušaitė wegen Unterrichtung der Kinder des Kirchensprengels Kruo-piai in den Glaubenswahrheiten zu einem Jahr Gefängnis. Nach vier Tagen wurde die Verurteilte aus Akmenė in das Gefängnis von Šiauliai gebracht. Der Oberste Gerichtshof der Litauischen SSR wandelte die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe von 100 Rubeln ab. K. Bičiušaitė saß einen Monat im Gefängnis von Šiauliai, bevor sie am 17. Februar heimkehren durfte.
Bereits früher einmal ist Kleofa Bičiušaitė bestraft worden, weil sie Kinder in Religion unterrichtet hatte. Sie durfte ihre Tätigkeit als Kindergärtnerin nicht mehr ausüben, bekam weder Arbeit noch Rente; zu ihrem Unterhalt trägt ihr Bruder bei.
RAYON JURBARKAS
Administrative Strafen
Am 20. April 1972 verhandelte eine Administrationskommission vom Exekutivkomitee des Sowjets der Werktätigendeputierten unter Vorsitz von K. Tamošiūnienė in einer öffentlichen Sitzung die Verwaltungsklage gegen den Pfarrer von Girdžiai, Priester Viktoras Šauklys. Der Pfarrer wurde beschuldigt, „zum Tragen der Kirchenfahne und zum Blumenstreuen für die Kirche minderjährige Schulkinder zugelassen und auf diese Weise gegen die Verordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 12. Mai 1966 verstoßen" zuhaben. Die Kommission ordnete eine Geldbuße von 50 Rubeln an. Priester V. Šauklys hat gegen diesen Beschluß beim Volksgericht des Rayons Jurbarkas Einspruch erhoben.
Eine administrative Strafe von 50 Rubeln ist gleichfalls gegen die Organistin des Kirchensprengels von Girdžiai verhängt worden, weil sie an der Aufstellung eines Prozessionszuges beteiligt war. Wegen Zulassung von Kindern als Ministranten ist gegen den Pfarrer von Vardžgiris, Priester Gustava Gudanavi-čius, ebenfalls eine administrative Strafe von 50 Rubeln verhängt worden. Der Pfarrer legte beim Volksgericht von Jurbarkas Einspruch ein.
Der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegnheiten im Priesterseminar
Am 16. April erteilte S. Exz. Bischof J. Labukas in der Erzkathedral-Basilika von Kaunas sechs Zöglingen des vierten Theologiekursus die Priesterweihe. (N. B.: Im vorigen Jahr sind in Litauen 12 Priester gestorben.) Im nächsten Jahr sollen ebenfalls sechs Seminaristen die Priesterweihe empfangen.
Nachdem sechs Neupriester das Seminar verlassen haben, befinden sich in ihm zur Zeit 33 Zöglinge:
im philosophischen Kurs — 11
im I. theologischen Kurs — 9
im II. theologischen Kurs — 7
im III. theologischen Kurs — 6
In der Mitte des vorigen Studienjahres besuchte der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten die Bibliothek des Priesterseminars, um festzustellen, was für Bücher die Seminarzöglinge lesen. Er zeigte sich unzufrieden darüber, daß zu wenige Klassiker des Marxismus gelesen würden.
Mitten im vorigen Studienjahr versachte der Beauftragte für religiöse Angelegenheiten, einige der Seminarzöglinge aus dem Seminar zu entfernen. Der Grund für sein Vorhaben blieb ungeklärt, man vermutete, es handele sich um eines der üblichen Druckmittel, um die Seminaristen in ständigem Angstzustand zu halten.
ŠILALĖ
Die Odyssee von Priester Šeškevičius
Priester Šeškevičius darf nach einer halbjährigen Verbotszeit wieder als Priester tätig sein, um das Amt eines Vikars in Šilalė auszuüben. Der Anmeldungsschein ist jedoch nur für drei Monate gültig.
Solche befristeten Ausweise werden zur Zeit vom Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten allen „antisowjetischen Priestern" ausgestellt. Als solche werden alle diejenigen Priester bezeichnet, die die mündlichen Regierungsinstruktionen nicht befolgen und ihren priesterlichen Pflichten beflissen nachkommen.