Vilnius

Am 1. Juni 1975 wurde die Ingenieurin Bronė Kibickaitė von ihrem Ar­beitsplatz beim Rechenzentrum der Staatsuniversität Vilnius entlassen. Bereits Anfang September 1974 hatte ihr der Dekan der Mathematischen Naturwissenschaftlichen Fakultät, Merkys, erklärt, daß man sie von der Arbeit entlassen müsse und ihr einen Bogen Papier in die Hand gedrückt, mit der Aufforderung, eine „Entlassung auf eigenen Wunsch" zu beantragen. „Wozu brauchen Sie mein Gesuch? Erlassen Sie doch selbst eine entspre­chende Anordnung", entgegnete B. Kibickaitė.

„Wir haben keinen Grund ... Verstehen Sie uns doch bitte. Schreiben Sie ein Gesuch, es ist das Beste für Sie und uns. Wir werden Ihnen auch eine gute Charakteristik ausstellen", erklärte der Dekan.

„Ich bitte nicht um Gnade. Wenn ich aber etwas verschuldet habe, so entlas­sen Sie mich bitte." „Verstehen Sie doch", bat der Dekan.

Ähnliche Unterhaltungen gab es nicht nur im Dekanat, sondern auch am Ar­beitsplatz und im Zimmer ihres Chefs. Auf die Frage von Fräulein B. Ki­bickaitė, warum sie entlassen werde, wußte niemand eine Antwort. „Wir wissen von nichts, verstehen Sie uns bitte."

So verging ein Monat und ein weiterer. Die Ingenieurin arbeitete weiter in ihrer Stellung. Als die Geheimpolizei davon erfuhr, daß Fräulein Brone Ki­bickaitė noch immer nicht entlassen sei, wurden ihre Vorgesetzten zur Eile ermahnt:

„Was? Wir sind schon mit anderen fertig geworden! Wozu taugt ihr eigent­lich, wenn ihr mit ,so einer' nicht fertig werdet. Dann müssen eben die not­wendigen Bedingungen für die Entlassung geschaffen werden." Und der Sekretär der Parteiorganisation, Apynis, erklärte Fräulein B. Ki­bickaitė:

„Wenn Sie nicht freiwillig gehen, werden wir gezwungen sein, auch für gute Arbeit einen Tadel auszusprechen, aber entlassen werden Sie bestimmt." Der Chef des Rechenzentrums fügte noch hinzu:

„Beschwerden werden Ihnen nicht helfen, wir werden überall gewinnen." B. Kibickaitė antwortete dem Sekretär Apynis:

„Sind Sie als Sekretär der Parteiorganisation vielleicht in der Lage, mir meine Verfehlung zu erklären?"

„Nein! Da sind wir machtlos. Man nötigt uns und wir nötigen Sie. Ihret­wegen wachsen uns die Unannehmlichkeiten langsam über den Kopf. Ent­weder gehen Sie, oder wir drei — der Dekan, Ihr Chef und ich— geben die Arbeit auf."

 

Als sich Fräulein B. Kibickaitė schließlich im Büro ihres Chefs niedersetzte, um ein Gesuch wegen „Entlassung auf eigenen Wunsch" abzufassen und nochmals nach dem wirklichen Grund fragte, stammelte der Chef vorsichtig: „Religion."

Fräulein Bronė Kibickaitė hatte sieben Jahre hindurch als Ingenieurin im Re­chenzentrum der Staatsuniversität Vilnius gearbeitet.

 

 

Vilnius

Am 11. und 12. Dezember 1975 fand im Zentralgebäude der Akademie der Wissenschaften in Vilnius eine interrepublikanische, d. h. von allen Unions­republiken beschickte Konferenz zum Thema „Der Katholizismus und der zeitgenössische ideologische Kampf" statt. Veranstalter waren der Wissen­schaftliche Rat für ideologische Strömungen des Auslands an der Sektion für Gesellschaftswissenschaften beim Präsidium der Akademie der Wissenschaf­ten der UdSSR, das Institut für Wissenschaftlichen Atheismus an der Aka­demie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU und die Abtei­lung für Philosophie, Rechtswissenschaften und Soziologie am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Litauischen SSR. Im Konferenzraum waren zahlreiche in Litauen herausgegebene Werke atheistischen Schrifttums in Vitrinen ausgestellt. Daneben allerdings auch das „Neue Testament", die „Psalmen", das „Rituale" und der Sammelband

„Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils" in Ausgaben jetziger litauischer Verlage. Diese Bücher, am ersten Erscheinungstage schon bibliographische Raritäten, sollten die Konferenzteilnehmer wohl von der in Litauen angeb­lich herrschenden Gewissens- und Glaubensfreiheit überzeugen. Diese Ausstellung mußten auch die Teilnehmer des Gedenkkonzertes zum 100. Geburtstag von M. K. Čiurlionis ansehen, das am Abend des 11. De­zember in demselben Saal stattfand.

 

 

Vilnius

Das Gästebuch des Atheistischen Museums, in dem die Besucher ihre Ein­drücke eingetragen haben, liegt nicht mehr aus. Wenn ein Besucher danach verlangt, wird er von den Museumsbeamten erst ausgefragt, wer er sei und woher er komme.

Der Personalstand des Pfarrers Ylius ist umgeändert worden. Dort heißt es jetzt, Kaplan Ylius war für Wirtschaftsfragen und medizinische Betreuung bewaffneter Banden verantwortlich. Unter der Orgel habe man Medika­mente und Geld gefunden, bisher sprach man von einem „Waffenversteck".

 

 

Vilnius

Familienangehörige von M. Tamonis hatten die Mitarbeiter der Bibliothek der Republik (in der Tamonis' Vater arbeitet), gebeten, von dem zu Hause aufgebahrten Leichnam und der Beisetzung Fotografien anzufertigen. Der Direktor der Bibliothek, Jurgaitis, verlangte zwei Tage nach der Bei­setzung die Aufnahmen zu sehen. Da sie noch nicht fertig waren, nahm Jur­gaitis die Negative an sich.

Zur fraglichen Zeit befanden sich, wie festgestellt wurde, unbekannte Be­sucher im Büro des Direktors. Trotz ausdrücklichen Ersuchens wurden die Negative der Familie Tamonis bisher nicht zurückgegeben.

 

Vilnius

 

Am 2. Dezember 1975 begannen in Vilnius die Ausscheidungskämpfe zum Handball-Weltchampionat, an dem viele Sportler und Mannschaften aus dem Ausland teilnahmen. Die gastgeberische Betreuung einer dieser Gruppen oblag der Fabrik für Konditoreiwaren „Pergale". Der Direktor Ugainskis erhielt vor der Ankunft der Damen plötzlich den Befehl, von allen Wänden die Losungen, Plakate und das sonstige Agitationsmaterial in russischer Sprache zu entfernen, es sollten nur solche in litauischer Sprache hängenblei­ben. Nach Durchführung dieser Anordnung blieb auf dem ganzen Fabrik­gelände nur ein einziges Plakat hängen.

 

Kačergiškės

Auf der Straßenkreuzung nach Vydžiai und Tverečius steht ein kleines pfar­rerloses Kirchlein, das von den Geistlichen des kleinen Kirchspiels Paringis betreut wird. Als sich der später bei einem Unfall umgekommene Gemeinde­pfarrer Jasiukas von Paringis 1961 weigerte, die Betreuung der Gläubigen von Kačergiškės fortzusetzen, übernahm Pfarrer Balčiūnas diese Aufgabe und erbaute neben dem Kirchlein ein Pfarrhaus. Deswegen wurde er vom stellvertretenden Vorsitzenden des Rayonskomitees vorgeladen und er­mahnt: „Ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich hörte, daß Sie da in Kačergiškės angefangen haben zu bauen." Es wurde dem Pfarrer Balčiūnas verboten, die Gläubigen von Kačergiškės in ihrer eigenen Kirche zu betreuen, das Kirchenkomitee wurde aufgelöst, eingezahlte Steuern zurückgezahlt und das Gotteshaus 1962 geschlossen. Es sollte abgebrochen werden, doch stellte sich heraus, daß das Bauwerk in der Liste der Kulturdenkmäler auf­geführt ist. So durfte das Kirchlein stehenbleiben und wird jetzt als Getrei­despeicher benutzt.

 

Karkažiškis (Rayon Švenčioniys, Ostlitauen)

Bis 1963 versorgte Pfarrer N. Jaura die beiden Kirchen Pabrade und Karka­žiškis. Deshalb verweigerte das Exekutivkomitee des Rayons Švenčioniys die Anerkennung eines separaten Kirchenkomitees der großen und schönen Kir­che von Karkažiškis mit dem Hinweis, es solle sich an das Kirchenkomitee von Pabrade anschließen. Dann wurde die Kirche von Karkažiškis von der Ver­waltung geschlossen, weil kein Kirchenkomitee vorhanden war. Der Kultur­beauftragte Rugienis und andere Regierungsvertreter waren erschienen, um der „Exekution" der Kirche beizuwohnen. Dem damaligen Dekan von Šven­čionys, Pfarrer Aliulis, wurde befohlen, das Allerheiligste, in ein Tuch ge­wickelt, hinauszutragen. Es gelang ihm trotzdem, die Genehmigung zu er­halten, das heilige Sakrament mitsamt der Monstranz aus dem sakralen Raum zu tragen.

Bis zum heutigen Tage haben die Gläubigen der Gemeinde in zahlreichen Eingaben nach Vilnius und Moskau erfolglos um die Rückgabe ihrer Kirche gebeten. Der Kirchenraum steht leer.

 

Meškuičiai

Am Abend des 18. November 1975 wurde ein Schüler auf dem Heimweg von der Schule am Kreuzberg angehalten. Der Milizbeamte wollte wissen, woher der Schüler komme. Als dieser antwortete, er komme aus der Schule und gehe nach Hause, er wohne nicht weit von hier, ließ man ihn laufen. Im Vorbeigehen sah der Junge eine Menge Menschen auf dem Kreuzberg, die damit beschäftigt waren, Kreuze umzustürzen und auf einen Lastkraftwagen zu verladen. Ein Lkw war bereits voll, ein anderer halb beladen, weitere leere Fahrzeuge warteten.

Die fanatischen Atheisten von Meškuičiai begnügten sich nicht mit der Ver­nichtung von 400 Großkreuzen und vielen kleineren rund um den schönen Ahornbaum auf dem Hügel. Wiederholt errichteten sie mit den Kreuzen, Statuen und Devotionalien ganze Scheiterhaufen. Doch der Baum, obwohl von den Flammen stark mitgenommen, erblühte immer wieder neu, und weithin sichtbar glänzte sein Gipfelkreuz. Nunmehr leisteten die Atheisten jedoch ganze Arbeit, der mit Kreuzen, Votivtafeln und Rosenkränzen ver­zierte Baum wurde gefällt.

 

Manche der Kreuzzerstörer wachten langsam auf. Einige nahmen an der letzten Vernichtung bereits nicht mehr teil. Einer erklärte: „Meine Frau ist sehr fromm und fühlt sich von der Kreuzvernichtung sehr betroffen. Jetzt ist sie schwer krank, und ich will nicht zum Mörder werden." Ein zweiter erkrankte bei der Vorbereitung zu einer weiteren Zerstörungsaktion. Als Organisatoren und hauptsächliche Kreuzvernichter sind zu nennen: Stepas Česnauskas, der Komsomolsekretär, der Chauffeur Simanavičius, KP-Mit­glied, und die Milizbeauftragte, Frau Dimskienė, alle aus Meškiučiai. Es mag einen weiteren Grund geben, weshalb sich die Wut der Atheisten gerade gegen diesen Ahornbaum richtete. Er wurde 1918 von jungen Leuten zum Gedenken an die Staatswerdung Litauens gepflanzt.

 

 

Meškuičiai

 

Dem Verfasser dieser Zeilen bot sich im Oktober 1975 auf dem Burgberg zu Meškuičiai folgendes Bild:

Morgens gegen acht Uhr hielt am Fuße des Berges ein Autobus, dem eine große Anzahl Jugendlicher, Studenten und Schüler von Oberklassen entstieg. Die Burschen montierten aus mitgebrachten Einzelteilen ein großes Kreuz, das die Mädchen mit Rautengrün schmückten. Gemeinsam brachten sie das Kreuz auf den Hügel, wobei jeder versuchte, die verehrte Last wenigstens zu berühren. Nach der Aufstellung des hochragenden Kreuzes wurden rund­um brennende Kerzen aufgestellt, und alle knieten nieder zum Gebet:

 

Allmächtiger, hilf unseren Glauben mutig zu bekunden und zu be­weisen, daß wir dich lieben!

Hilf uns, Höchster, die heutigen Hauptübel unseres Volkes — Un­glauben, Unkeuschheit und Trunksucht zu überwinden! Schütze und errette, o Herr, die Jugend Litauens, seine Städte, unser ganzes Volk!

Allmächtiger, erbarme dich derer, die mit frevelnder Hand die von uns errichteten Kreuze zerstören und die Heiligtümer des litauischen Landes vernichten!

 

 

Kaunas

In der Altstadt von Kaunas, Santakosstraße 14, ist ein Beerdigungsinstitut eingerichtet worden. Ein Aushang nennt die Bedingungen für die Inan­spruchnahme. Unter anderem ist in den Totenaufbahrungsräumen verboten:

·         die Vornahme von Veränderungen der Dekoration,

·         der Gebrauch religiöser Bilder und anderer religiöser Attribute,

·         das Absingen religiöser Lieder,

·         die Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Kultdiener,

·                     die Organisation religiöser Bestattungszeremonien auf dem Territorium dieser Anlage.

Diese Verhaltensregeln wurden am 21. Februar 1975 vom Exekutivkomitee des Rates der Werktätigendeputierten der Stadtverwaltung bestätigt.

 

 

Kaunas

Das städtische Exekutivkomitee hat der Steinmetzwerkstatt „Azuolas" (neben der Fabrik „Atrama") streng verboten, auf privat bestellten Grab­denkmälern Kreuze einzulassen. Seit dem 1. November erscheinen täglich Kontrollbeamte, um zu prüfen, ob man sich auch wirklich an die Anordnung hält. Die Steinmetze sehen sich daher gezwungen, Kreuzornamente außer­halb des Werkstattgeländes in die Grabdenkmäler zu meißeln.

 

 

Kaunas

Seit über zehn Jahren ist die Garnisonskirche Kaunas nun schon geschlossen. Viele Bürger waren Zeugen, als im Jahre 1965 am hellichten Tage alle Kup­pelkreuze von Spezialarbeitern entfernt wurden. Zehn Jahre hindurch blie­ben die nackten Stümpfe sichtbar. Im Herbst 1975 war das Gotteshaus erneut mit kleinen Kreuzen geschmückt. Diese wurden entfernt und durch kleine ballförmige Gebilde ersetzt, die angeblich den „Erdball samt Raum­schiff" darstellen sollen. Diese stilistische Schändung ist eine Verhöhnung aller Grundregeln der Denkmalspflege, deren Zweck und Ziel die Erhal­tung der Authentizität eines Kunstwerkes ist. Tausende Bürger von Kaunas erinnern sich noch gut an die Kreuze der Garnisonskirche.

 

 

Baubliai

Im Frühjahr 1975 wurde unter Milizschutz in dunkler Nacht die kleine Ka­pelle in dem Wäldchen unweit des Dorfes Baubliai zerstört. Das von der Be­völkerung reparierte Kirchlein und die Gräber litauischer Freiheitskämpfer wurden von Bulldozern plattgewalzt.

 

 

Utena

Die auf Anordnung des Ministeriums in der Trikotagenfabrik als Meisterin arbeitende Hochschulabsolventin Fräulein Petruškevičiūte aus Kaunus er­hielt den Befehl, der KP beizutreten, sonst würde sie ihren Arbeitsplatz ver­lieren. Als sich Fräulein Petruškevičiūte weigerte, der Aufforderung nachzu­kommen, wurde ihre Stelle der Parteigenossin Frau Jankauskiene übergeben, die nur über Mittelschulbildung verfügt. Alle Arbeiter der Schicht protestier­ten daraufhin bei der Direktion gegen die Entlassung der allseits beliebten Meisterin. Die Direktion verteidigte sich vor den Arbeitern mit der Behaup­tung, Fräulein Petruškevičiūte sei nicht in der Lage, als Meisterin zu arbei­ten. Erbost über dieses Verhalten der Direktion, verfaßten die Arbeitnehmer einen Beschwerdebrief an das Innenministerium, der von allen 60 Arbeitern der Schicht unterzeichnet wurde. In der Beschwerde heißt es, die Entfernung von Fräulein Petruškevičiūte sei ungerechtfertigt, denn unter ihrer Führung habe die Schicht die gesteckten Planziele nicht nur erreicht, sondern sogar übererfüllt. Die Arbeiter warten immer noch auf eine Antwort. Sie hoffen, ihre Meisterin noch ein ganzes Jahr auf ihrem Posten zu behalten. Fräulein Petruškevičiūte ist erst seit zwei Jahren in dem Betrieb tätig, während so­wjetische Arbeitsgesetze bestimmen, daß Personen mit ministerieller Ein­weisung ihren Posten erst nach dreijähriger Tätigkeit verlassen dürfen.

 

 

Rokiškis

Am 30. November 1975 wurde Frau Marijona Balaišienė beigesetzt und von der Kirche in einer Prozession zum Gemeindefriedhof Salos geleitet.

Dabei befahl die Bezirksvorsitzende Raugaliene dem Kreuzträger Stukas, nicht an der Spitze der Prozession zu gehen, sondern sich unter die Trauer­gäste zu mischen. Der die Bestattung leitende Gemeindepfarrer Petras Nykštus bemerkte dazu, der Platz des Kreuzträgers sei nun mal an der Spitze der Prozession, und Stukas versuchte wieder nach vorne zu gelangen, wurde aber von der Bezirksvorsitzenden Raugaliene aufgehalten und ange­wiesen, hinter dem Sarg herzugehen. Der Pfarrer gab nicht nach und er­klärte:

„Diese Bestattung findet nach religiösem Zeremoniell statt und dabei führt der Kreuzträger den Trauerzug an. Wird ohne religiöse Riten beerdigt, so mag man auf das Kreuz überhaupt verzichten. Entweder wird die Kreuz­ordnung eingehalten, oder ich weigere mich, die Verstorbene kirchlich zu be­statten. Niemand hat das Recht, eine Bestattungsfeierlichkeit zu stören." Die Trauergäste begannen schon zu rätseln, ob die Vorsitzende oder der Pfarrer siegen werde. Nach wiederholter Aufforderung durch den Pfarrer begab sich der Kreuzträger schließlich trotz Verbot der Bezirksvorsitzen­den an die Spitze des Zuges und geleitete die Verstorbene und die gut zwei­hundert Trauergäste zur Grabstelle.

 

 

Salos

Tm Sommer 1975 wurde der Kirchplatz von Salos repariert. Die Chauffeure Isakow und Repšys brachten zu diesem Zweck Kies zu der Baustelle. Der Aufseher des Straßenamtes im Rayon Rokiškis, Žukaukas, richtete deshalb eine Strafmeldung an den Direktor seiner Dienststelle, Dilys. Der Chef des Kontrollamtes für Straßenbenutzung, Kristapavičius, bestrafte daraufhin beide Fahrer mit je zehn Rubel Geldstrafe.

 

 

Žaiginiai

Am dunklen Abend des 22. Oktober 1966 hielt ein Fuhrwerk vor der Kirche von Žaiginiai. Der Bürger Jouzas Mockus brachte ein krankes Kind zur Taufe.

Als die Eltern nach der Taufe die Kirche verließen, war das Fuhrwerk ver­schwunden. Nach einigem Suchen fanden die Männer das Gefährt auf dem Hof des Parteisekretärts Vincas Montvila. Ohne Rücksicht auf die Bitten der Männer und die Tränen der Mutter spannte Montvila das Pferd aus und erklärte: „Für Tauf zwecke gibt es kein Pferd . .." Die armen Menschen mußten mit dem kranken Kind durch die kalte regnerische Oktobernacht fünf Kilometer über aufgeweichte Landwege zu Fuß nach Hause gehen.

 

Mažeikiai

Am 25. September 1975 richtete die Einwohnerin der Stadt Mažeikiai, Emilija Gelumbauskiene (vgl. „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" Nr. 19), eine Beschwerde an den Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR, Kossygin, um das neben ihrem Haus stehende Kreuz vor der Zer­störung durch die Verwaltung zu bewahren. Der Brief wurde auf der Post in Mažeikiai von Staatsbeamten abgefangen, und Frau Gelumbauskiene erhielt den Befehl, das Kreuz zu entfernen.

„Gestatten wir erst das Kreuz, so wirst du bald eine Kirche neben dein Haus stellen!" brüllten die Beamten.

„Ich werde das Kreuz nicht entfernen und euch daran hindern, das zu tun!" antwortete die alte Frau.

 

Angesichts der unbeugsamen Entschlossenheit der Greisin beschlossen die Staatsvertreter mit betrügerischen Mitteln vorzugehen. Am 3. Dezember 1975 wurde Frau Gelumbauskiene angewiesen, sich mit Paß und Einwohner­meldebuch bei der Stadtverwaltung (Exekutivkomitee) zu melden. Während ihrer Abwesenheit erschienen vier Männer (zwei Milizionäre und zwei Zivi­listen) und sägten das Kreuz ab. Nachbarn konnten sehen, wie sie das Kreuz zum Stall hinschleppten und in den Dreck schmissen, der Stamm wurde zer­hackt und die Zauneinfriedung um das alte Kreuz zerstört. Die alte Frau, die in ihrem Leben viel Leid erfahren hatte, klagte, diese Kreuzschändung sei die schmerzlichste Erfahrung ihres Lebens. „Ich würde dieses Kreuz nicht nur mit Wasser, sondern mit meinen Tränen rein waschen", sagte weinend die alte Frau, „Gott vergebe den Henkern." Einige Tage später erhielt die Greisin von der Rechnungsstelle der Abteilung öffentliche Arbeiten der Stadtverwaltung Mažeikiai einen Zahlungsbefehl über 50 Rubel — Unkostenerstattung für die Entfernung des Kreuzes. Im Januar 1976 wandte sich Frau Gelumbauskiene erneut an den Vorsitzen­den des Exekutivkomitees im Rayon Mažeikiai, Tomkevičius, mit der Bitte um Rückgabe des Briefes an Kossygin und der beigelegten Fotografie des Kreuzes. Der Genosse Vorsitzende teilte der alten Frau mit, sie möge sich wegen des Schreibens und der Aufnahmen bei dem erkundigen, an den der Brief gerichtet gewesen wäre.

 

 

Šaukėnai

 

Am 13. Oktober 1975 wurde nachts das alte, 1928 zum Gedenken an das erste Jahrzehnt der Unabhängigkeit Litauens errichtete Eichenkreuz gestürzt. Der Gemeindepfarrer war lange Zeit vorher schon ständig angehalten wor­den, dieses Kreuz zu entfernen. Was er verweigerte, besorgten jetzt hiesige Kommunisten bei Nacht und Nebel...

 

Valakbūdis

 

Am 31. Oktober 1975 erschienen bei dem hiesigen Ortspfarrer Anantas Lukošaitis die Vorsitzende des Bezirks Šakiai, Frau Žemantauskienė und der Geheimdienstmann Bakšas aus Šakiai. Sie verlangten von dem Priester, es solle am Abend des Tages Allerheiligen keine Trauerprozession stattfinden, weder im Kirchenbezirk noch auf dem Friedhof. Frau Žemantauskienė drohte, man werde den Pfarrer im Falle der Gehorsamsverweigerung aus der Wohnung hinauswerfen. Pfarrer A. Lukošaitis meinte dazu, die Tiere auf dem Felde hätten ihre Höhlen und die Vögel unter dem Himmel ihre Nester, irgendwo werde wohl auch ein Priester sein müdes Haupt betten können. Trotz des Verbotes führte der Pfarrer A. Lukošaitis eine feierliche Prozes­sion zum Friedhof durch. Frauen in Nationaltracht legten am Kreuz einen Kranz nieder mit der Inschrift: „Ehret die Toten, denn auch ihr werdet sterben!"

Abends erschienen auf dem Bezirksfriedhof wieder die Atheisten aus der Gegend. Genau wie im Vorjahr waren viele von ihnen betrunken. Gegenwärtig lebt Pfarrer Lukošaitis in einem armseligen Kellerloch, be­stehend aus einem winzigen Zimmer mit Küchenanbau. Zuvor lebte er in einem Zelt.

 

 

Joniškis (Rayon Molėtai)

 

Um seine kärgliche Rente von 28 Rubel etwas aufzubessern, von der er auch noch eine Familie zu ernähren hat, beschloß der Bürger Alfonsas Seibokas, Invalide zweiten Grades, Devotionalien zwecks Weiterverkauf anzuschaffen. Zum Ablaßfest der hl. Therese bot Seibokas daher im Oktober 1795 ver­schiedene Devotionalien: Rosenkränze, Medaillons und fotografiertes An­sichtsmaterial vor der Kirche in Joniškis in einem Stand zum Kauf an und wurde sofort von dem Milizbeauftragten Ramanauskas festgenommen. Man brachte ihn zur Milizwache, nahm eine Leibesvisitation vor, konfiszierte 79 Rubel Bargeld und alle Devotionalien. Dann begann man ihn mit Schlä­gen über den Kopf zu verprügeln, stieß den alten Mann zu Boden und trak­tierte ihn mit Fußtritten und der Erläuterung: „Hier, für die Verbreitung religiöser Vorurteile!"

Am 20. Oktober wurde A. Seibokas dem KGB in Molėtai übergeben. Hier mußte er erneut Leibesvisitation, Vernehmung, Fluchen und Androhung von Strafen wegen der Verbreitung religiöser Vorurteile über sich ergehen lassen. Auf die Frage, woher er die religiösen Bilder habe, antwortete Seibokas, er habe sie selbst fotografiert. Ihm wurde deswegen Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren angedroht.

 

Nach der Vernehmung jagten ihn die Geheimdienstbeamten hinaus. Der alte Mann mußte zu Fuß nach Hause gehen, da man ihm alles Geld abgenommen hatte. Zum Abschied hatte man ihm überdies befohlen, am nächsten Tag wieder zu erscheinen und Brot mitzubringen, denn wegen Herstellung und Verkauf von Devotionalien komme er für einige Jahre ins Gefängnis. Kaum zu Hause angekommen, erlitt der zerschlagene und zerschundene Greis einen Herzanfall und wurde mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus ge­bracht, wovon seine Frau die Polizei verständigte.

Nach seiner Entlassung aus dem Hospital wandte sich Seibokas an einen Rechtsanwalt, dieser weigerte sich jedoch, die Sache vor Gericht zu bringen. Seibokas solle nicht prozessieren, denn er werde weder sein Geld noch die Devotionalien zurückbekommen. „Vor Gericht wirst du nicht nur kein Recht bekommen, sondern auch noch wegen Spekulation bestraft werden", erklärte der Rechtsanwalt.

(Der Verfasser dieser Zeilen gibt dazu folgenden Kommentar: „Würden aus­ländische Rundfunkanstalten die Meldungen der ,Chronik der Litauischen Katholischen Kirche' nicht gelegentlich senden, diese Banditen würden uns noch die Haut abziehen.")

 

 

Slabodka (Rayon Breslauja, jetziges Weißrußland)

Nach langem inständigen Bitten der Gläubigen genehmigte die Rayonsver­waltung endlich die Wiederinstandsetzung der hiesigen Kirche. Doch als die Außenarbeiten beendet waren, wurde die Renovierung der Inneneinrichtung verboten...

 

 

Druja (Rayon Breslauja)

Bereits vor mehreren Jahren wurden die Kreuze von der dortigen Kirche ent­fernt. Da sie fest eingemauert waren, stürzte man auch gleich die Turmspitze hinab. Die Turmruinen verwittern seitdem, und Ziegelsteine fallen auf den früheren Klosterhof, auf dem während der Pausen Schulkinder spielen.

 

Poliasia (jetziges Weißrußland)

 

Ende 1975 wurden die Kolchosen reformiert, zu denen auch litauische Dörfer gehören. Dabei wurden die Dörfer einzeln oder zu zweit an neue Kollek­tive mit mehrheitlich weißrussischer Kolchosbauernschaft angeschlossen. Bald zeigten sich die Folgen dieser „Reform". Lucija Bernardovna Žilinska wurde Leiterin des Kolchos „Zdanov"; unweit von Poliasia steht noch der Gutshof ihrer Familie. Kurz vor Weihnachten meldete der Arbeiter Stasys Lysauskas der Vorsitzenden, daß die auf seiner Kolchosfarm arbeitende Frau Karoline Paulavičienė auf litauisch erklärt habe: „Seit die Weißrussen die Farm über­schwemmt haben, ist hier kein Leben mehr." Am Tage darauf wurde eine Betriebsversammlung einberufen, und die Vorsitzende erklärte, die Farm sei ein Staatsbetrieb, daher dürfe nicht litauisch gesprochen werden. Frau Paula­vičienė wurde wegen Gebrauchs der litauischen Sprache mit fünfzig Rubeln Geldstrafe belegt. Die Genossin Vorsitzende kassierte das Geld höchstper­sönlich und steckte es in die eigene Tasche. Auf ähnliche Art wurden auch bei Traktor führern des Kolchos Strafen abkassiert, wobei der Kolchosbeauf­tragte der Vorsitzenden behilflich war.