Im Osten Litauens, im Rayon Utena, unweit der Tauragnai- und Labes-Seen, liegt versteckt zwischen Wäldern, Seen und Hügeln der Ort Tauragnai. Die letzte Kirche dieser Ortschaft war kreuzförmig und eintürmig gebaut.

Von außen machte sie einen schlichten Eindruck, doch innen war sie reich ver­ziert und hatte fünf Altäre. Besonders großartig und eindrucksvoll wurden die Prozessionen gestaltet. Die Geschichte dieser Kirche endete am 9. Juli 1944, als die Deutschen ihre Brandbomben über dem Städtchen abwarfen. Das Pfarrhaus und der naheliegende Gemeindesaal, in dem später die Kirche untergebracht wurde, blieben damals vom Feuer verschont. Die äußeren Maße des Gemeindesaales betrugen 21 m in der Länge, 13 m in der Breite und 4 m in der Höhe. Dieser kleine Saal konnte unmöglich allen Gläubigen Platz bieten. In den Sommermonaten drängten sich während des Hochamtes die Gläubigen sogar in dem kleinen Garten vor der Kirche. Bei Kirchweih­festen stören die ortsansässigen Atheisten, mit Genehmigung der Rayons­verwaltung Utena, den Gottesdienst, indem sie aus dem naheliegenden Kul­turhaus volldröhnende Lautsprechermusik erschallen ließen. Die Belästigun­gen durch die Atheisten, unterstützt von Obrigkeit und Presse, wurden im­mer unverschämter. Das Gebetshaus im Zentrum, das zahlreich von den Gläubigen — Männern, Frauen und Jugendlichen — besucht wurde, war ihnen sicherlich ein Dorn im Auge.

Am Abend des 30. April 1967 brach im Pfarrsaal, in dem sich ja die provi­sorische Kirche befand, ein Feuer aus.

Die Brandursache war zunächst ungeklärt. Doch die Untersuchungsbeamten fanden sie schnell — defekte Elektrizitätsleitungen in der Kirche. Es gab je­doch Leute, die von den automatischen Sicherungen des Stromzählers wuß­ten und bemerkt hatten, daß diese während des Brandes eingeschaltet waren. Außerdem wurde das ganze Gebäude sofort vom Feuer erfaßt, als ob es vor­her mit etwas leicht Brennbarem begossen worden wäre. Die Feuerlöschwagen kamen erst zur Brandstelle, als bereits das ganze Ge­bäude abgebrannt war. Man hatte ihre Entsendung wahrscheinlich bewußt hinausgezögert. Sogleich zu Beginn des Brandes kamen viele Leute, um die Kirchensachen zu retten, doch der Pfarrer war gerade verreist, und so gab es niemanden, der die Rettungsaktion korrekt hätte leiten können. Dabei kam es zu einem interessanten Vorfall: ein Atheist und einige seiner Freunde ver­suchten ganz gezielt die Rettungsarbeiten zu stören, und so entstand in der brennenden Kirche ein Gedränge. Die Gläubigen verprügelten den Atheisten, da er sie daran hindern wollte, die Möbel und die liturgischen Gewänder aus der brennenden Kirche zu bringen, so daß ein Teil der wertvollen Sachen, wie Kirchengewänder, Bilder und alle Kreuzwegstationen, verbrannte. Kurz nach dem Brand erschien der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Rugienis, in Tauragnai. Er versprach der Gemeinde, daß eine neue Kirche gebaut werden würde, und schlug als Ubergangslösung vor, die Kapelle auf dem Friedhof zu benutzen. Diese Kapelle war schon seit Jahren unbenutzt, denn als der Bezirksvorstand den Friedhof übernahm, wurde dem Priester verwehrt, sich um die Kapelle zu kümmern, und der Be­zirksverwaltung war es nur recht, wenn diese herunterkam. So hatten sich im Laufe der Zeit in den Mauern bereits solche Risse gebildet, daß die Vögel ungehindert ein- und ausfliegen konnten. Die Kapelle war 6 X 3,5 X 3 m groß. Hierher brachte man nun das Allerheiligste Sakrament und legte es in eine hölzerne Schachtel. Der Altar wurde hergerichtet, und man begann Got­tesdienste abzuhalten.

Unmittelbar nach dem Brand schrieb Pfarrer Domherr Misevičius an die Bischofskurie, daß er auf Grund seines fortgeschrittenen Alters nicht in der Lage sei, sich um den Bau der neuen Kirche zu kümmern, und bat um seine Versetzung. Längere Zeit erlaubte der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Rugienis, der Bischofskurie nicht, den Gemeindepfarrer von Tauragnai zu versetzen und einen neuen zu bestimmen, der sich um den Kirchenbau hätte kümmern können.

Ein Architekt in Tauragnai wurde beauftragt, den Entwurf für die neue Kirche vorzubereiten. Den fertigen Entwurf reichte er dann dem Bevoll­mächtigten Rugienis ein, der daraufhin erklärte: „Von dem Bau einer gro­ßen Kirche kann überhaupt keine Rede sein. Man kann höchstens einen klei­nen Anbau von 100 qm Innenfläche an die Friedhofskapelle planen." Die Männer des Tauragner Kirchenkomitees fuhren immer wieder nach Vil­nius und wurden bei verschiedenen Behörden vorstellig. Sie schrieben ins­gesamt fünf Beschwerden: an die Verwaltung des Museen- und Kulturdenk­malschutzes, an das Komitee des staatlichen Bauministeriums, an die Miliz­abteilung des Rayons Utena, an die Versicherungskammer des Rayons und an das Gemeindekomitee von Tauragnai.

Anfang August schließlich wurde der Gemeinde ein neuer Pfarrer zugeteilt, Priester Inkratas.

In der Pfarrgemeinde verbreitete sich immer mehr das Gerücht, daß die Kirche von den Atheisten niedergebrannt worden wäre, und jetzt würden sie auch noch den Bau der neuen Kirche hintertreiben.

Nach seiner Ankunft erhielt der neue Pfarrer eine schriftliche Verwarnung der Rayonsmilizbehörde: man solle endlich damit aufhören, nach den Schul­digen des Kirchenbrandes zu forschen.

Der neue Gemeindepfarrer und der Vorsitzende des Kirchenkomitees wand­ten sich an den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, Rugienis. Dieser verbot dem Pfarrer, sich um den Bau der Kirche zu küm­mern oder Spenden zu sammeln, dies sei allein Sache der Pfarrkinder. Als einige Männer begannen, Pfosten für ein kleines Lagerhaus zu behauen, das sie in einer Friedhofsecke aufstellen wollten, wurde dies am nächsten Tag von den Rayonsleitern durch die Gemeindebehörde verboten. Ende August reichte der Kirchenvorstand Mackevičius bereits den dritten Entwurf für den Kirchenbau bei Rugienis ein, da die ersten beiden abgelehnt worden waren. Rugienis versprach, diesen dritten Entwurf zu genehmigen, man müsse ihn aber erst vollständig ausarbeiten. Als dies geschehen war, be­gannen sich nun die Rayonsleiter dem Bau zu widersetzen.

Mitte Oktober erhielt man den ersten Brief von Rugienis, in dem er dem Kirchenkomitee vorwarf, daß es sich grundlos an das staatliche Baukomitee gewandt habe. Weiter vermerkte der Bevollmächtigte, daß die zur Geneh­migung vorgelegten Entwürfe nicht vollständig seien.

Anfang Oktober hatte man beim zuständigen Amt die Genehmigung auf Elektrizitätsverlegung in die Friedhofskapelle beantragt. Gegen Ende des Monats waren zwar bereits die provisorischen Leitungen auf dem Friedhof verlegt, jedoch erlaubte es die Gemeindeverwaltung nicht, diese auch in der Kapelle zu verlegen. Der Pfarrer wandte sich deswegen an den stellvertre­tenden Vorsitzenden des Rayonsvollzugskomitees, Labanauskas. Dieser ver­sprach, die Elektriker nicht zu behindern. Ende November fuhr der Pfarrer bereits zum wiederholten Male nach Utena, um die Elektriker anzufordern, doch diese weigerten sich mit der Begründung, daß sie keine Zeit hätten. Mitte Dezember schickten die Elektriker den Entwurf für den Elektrizitäts­anschluß in der Kapelle, begannen aber immer noch nicht mit den Arbeiten, und zwar unter dem Vorwand, daß sie keine Masten hätten. Obwohl der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees, Labanaus­kas, versprochen hatte, die Elektriker nicht zu behindern, war es ihnen die ganze Zeit über verboten gewesen, nach Tauragnai zu fahren. Anfang März 1968 stellten die Elektriker die Masten auf und äußerten fol­gende Bedingung: „Wir legen den Elektrizitätsanschluß erst dann in die Kapelle, wenn sich die Gemeindemitglieder bereiterklärt haben, für alle Ausgaben, die durch die Beleuchtung des Friedhofes entstehen, aufzukom­men." Nach einer Wartezeit von sechs Monaten erhielt man endlich die Ge­nehmigung — die Kapelle konnte erleuchtet werden.

Anfang Februar hatte der Bevollmächtigte dem Kirchenvorstand Mackevi­čius versprochen, den Entwurf für den Kapellenanbau zu bestätigen, und so hatten die Leute bereits mit den Vorarbeiten begonnen. Hierzu versammel­ten sich ein paar Dutzend Männer und versetzten einige alte Grabsteine, um so eine freie Fläche für den Anbau zu schaffen.

Am 31. März wurden der Pfarrer und der Kirchenvorstand Mackevičius in die Gemeindebehörde von Tauragnai beordert. Dort wurden sie von dem stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Labanauskas, grob angefahren, warum sie eigenmächtig den Friedhof beschädigten. Der stell­vertretende Vorsitzende hatte scheinbar bereits vergessen, daß er es selbst gewesen war, der den Vorschlag für einen Anbau gemacht hatte. Er drohte damit, einen Prozeß anzustrengen, und befahl, den Bau auf dem Friedhof zu vergessen. Er gab den Rat, sich im Städtchen nach einem geeigneten Gebäude umzusehen und dann dort, mit Genehmigung der Rayonsverwaltung, eine Kirche einzurichten.

Bald darauf wurde der Kirchenvorstand von der Rayonsbehörde vorgeladen, man gab ihm an, welches Haus zum Kauf freistehe, und riet, sofort zu Rugienis zu gehen und die Sache abzuhandeln.

Als die Komiteemitglieder dann beim Bevollmächtigten vorsprachen, stellte er ihnen eine Genehmigung für den Kapellenanbau in Aussicht. Am 10. August wurde das Kirchenkomitee nach Utena beordert. Dort wur­den die Mitglieder von dem Bevollmächtigten Rugienis und von Labanaus­kas empfangen und fuhren dann alle gemeinsam wieder nach Tauragnai zu­rück. Hier zeigte man ihnen das vorgesehene Haus und erteilte die Erlaubnis, darin eine Kirche einzurichten.

Das Haus lag sehr ungünstig, fast drei Kilometer vom Friedhof entfernt. Auf dieser Seite der Ortschaft gab es nur sehr wenig Gläubige. Das Kirchenkomitee berief daraufhin eine Versammlung ein. Alle waren empört über die staatliche Willkür, den Lug und Trug sowie über den neuen Vorschlag. Da die Besitzerin des erwähnten Hauses in einer anderen Ort­schaft als Lehrerin beschäftigt war, gingen einige Männer aus dem Komitee zu ihrem Vater, um über den Kauf zu verhandeln. Er übermittelte die Be­dingungen seiner Tochter, die für das Haus 10 000 Rubel verlangte. Dies war eine weitere Verhöhnung der Gläubigen, denn der reelle Wert des Hauses betrug höchstens 3000 Rubel.

Große Enttäuschung machte sich unter den Gläubigen breit, und auch die Mitglieder des Kirchenkomitees erkannten, wie machtlos sie der Willkür des Staates gegenüber waren. Mackevičius legte sogar sein Amt als Vorsitzen­der des Kirchenkomitees nieder.

Ein neuer Vorsitzender, Musteikis, wurde gewählt. Alle waren sich klar darüber, daß die Regierungsbehörden gezielt alle möglichen Schliche anwen­den und niemals die Genehmigung zum Kirchenbau erteilen würden. So be­reitete man sich darauf vor, einen weiteren Winter in der Kapelle zu ver­bringen.

Am 18. September reichte man beim Vorsitzenden des Ministerrates ein Ge­such ein, die neue Kirche auf dem alten Platz der verbrannten errichten zu dürfen. Dem Gesuch waren über 1300 Unterschriften beigefügt. Der neue Vorsitzende des Kirchenkomitees fuhr viele Male nach Vilnius und sprach in verschiedenen Ämtern vor. Einmal wurde er deswegen vom Be­vollmächtigten Rugienis getadelt und erhielt den Befehl, sich nicht mehr länger um die Baugenehmigung zu bemühen. Rugienis war sehr verärgert über das neue Gesuch mit den vielen Unterschriften der Gläubigen. Am 10. Januar fuhren einige Dutzend Tauragner Einwohner nach Vilnius, um die Baugenehmigung für die Kirche zu erzwingen. Diese große Schar von Männern und Frauen ging nach ihrem Besuch beim Bevollmächtigten Rugie­nis zur Behörde des Obersten Sowjets.

Dieses mutige Unternehmen setzte einen neuen Anfang. Die Beamten waren plötzlich sehr zuvorkommend, da sie eine Wiederholung ähnlicher Menschen­ansammlungen in den verschiedenen Behörden vermeiden wollten. Genau einen Monat später lud der stellvertretende Vorsitzende des Bezirks­vollzugskomitees den Kirchenvorstand von Tauragnai vor und gab bekannt, daß Musteikis seines Amtes als Vorsitzender enthoben sei. Der ehemalige Vorsitzende Mackevičius müsse wieder diese Stelle einnehmen. Der stellver­tretende Vorsitzende rügte die Männer wegen ihres Ausfluges nach Vilnius und drohte mit einem Prozeß.

Ein Vorstandsmitglied machte den Vorschlag, die Gemeinde solle ein geeig­netes Haus in einem Dorf kaufen und nach Tauragnai überführen. Vorher müsse man sich natürlich mit der Rayonsverwaltung absprechen. Im Dorfflecken Priepolis fand man ein altes Haus, das sich für den gedach­ten Zweck gut eignen würde, es mußte nur noch bezahlt und überführt wer­den. Wiederholt hatte man sich bereits an die Versicherungskammer gewandt, der Gemeinde Tauragnai die Versicherungssumme für die abgebrannte Kirche auszuzahlen, da man die Geldmittel für den Kauf des Hauses und für sonstige bauliche Auslagen benötige. Man verfaßte deshalb ein Schreiben an das Finanzministerium, da die Finanzabteilung von Utena ohne Wissen des Ministeriums die Versicherungssumme nicht an die Kirche auszahlen durfte. Das Ministerium wiederum antwortete, daß hierfür allein die Rayonsleitung zuständig sei. In der darauffolgenden Besprechung der Rayonsleiter wurde beschlossen, daß die Versicherungssumme von 5540 Rubel für den Straßen­bau verwendet werden müsse. So endeten die langen Verhandlungen um die Auszahlung der Versicherungssumme. Und wieder einmal hatten die Kom­munisten bewiesen, daß sie weder die Gläubigen noch ihre eigenen Gesetze achten. Atheismus geht vor!

Der Preis des Hauses in Priepolis (17 m lang, 6,17 m breit) betrug 2000 Rubel.

Am 7. April steckten die Rayonsleiter am Tauragner Friedhof ein Grund­stück von 20 ar ab, auf dem die neue Kirche errichtet werden sollte, doch die Verzögerungstaktik wurde fortgesetzt. Erst nach sechs Wochen erhielt man die Baudokumentation des Architekten, da man dazu die Unterschriften von fünf Behörden benötigte, die sich aber Zeit ließen, um ja die Rayonsverwal­tung zufriedenzustellen.

Man stellte nun einen Traktoristen ein, um den Platz für den Bau zu ebnen. Noch hatte dieser seine Arbeit nicht beendet, da wurde auch schon die Be­nutzung der Kolchostechnik verboten, und man mußte die Ebnung mit Schaufeln weiterführen.

Die Atheisten in Tauragnai forderten sodann von der Rayonsverwaltung, daß sie eine Uberprüfung des Baues vornehmen solle.

Erneute Schwierigkeiten gab es beim Transport der Ziegel und der restlichen Teile des auseinandergenommenen Hauses. Doch spät abends erschienen dann schließlich die Lastwagen mit den benötigten Ziegeln. In den ersten Tagen des Monats Juni begann man mit dem Ausgießen der Fundamente. Zwei Arbeiter brachten eine Zementmischmaschine, doch die Denunzianten waren auf der Hut. Unverzüglich benachrichtigten sie die Rayonsverwaltung. Daraufhin erschien ein Polizist, der mit Gefängnis wegen „Diebstahls" der Mischmaschine drohte. Die erwähnte Maschine wurde nicht mehr benutzt und neben eine Schweinefarm geworfen. Mit den Gießarbeiten waren einige Männer beschäftigt. Man erfuhr, daß bei der Rayonsverwaltung Beschwerde eingereicht worden wäre, weil sich viele Männer an dem Bau beteiligten. Bei seinem Kontrollbesuch jedoch fand La­banauskas nur einen Zimmermeister und zwei Greise vor. Er verbot, Arbei­ter für den Bau einzustellen. Falls die Kolchosarbeiter helfen wollten, dürf­ten sie es nur sonntags tun. Aber sonntags wurde am Bau nicht gearbeitet. Der Architekt war mit der Bauaufsicht beauftragt, jedoch zeigte er sich kein einziges Mal. Die Rayonsverwaltung hatte es ihm verboten. Alle Vermes­sungsarbeiten mußte der Pfarrer allein mit dem Meister durchführen. Die­ser war bereits 70 Jahre alt, und nur einige Pensionäre halfen ihm dabei. Nur Samstag abends kamen jüngere Männer und Frauen und halfen bei den Bauarbeiten.

Nach einigen Wochen erreichte die Rayonsverwaltung eine neue Klage — am Bau beteiligten sich junge Männer. Daraufhin erschienen täglich Beamte und kontrollierten jeden, der am Kirchenbau mitarbeitete. Jedes Mal fanden sie nur einige alte Leute vor, die sie weder ausschimpfen noch mit zusätzlichen Steuern belegen konnten.

Den Schiefer, Holzbalken für Decken und Wände, Bretter für den Fußboden erwarb man in Riga und brachte alles nach Tauragnai. Gegen Ende der Bau­arbeiten tauchte plötzlich von irgendwoher eine Schar Ferienschüler auf. Sie boten sich an, die Kirche auszuschmücken. Als ihre Gefälligkeit zurückgewie­sen wurde, zogen sie unzufrieden davon. Am selben Tag wurden aus der Friedhofskapelle vier Kronleuchter gestohlen. Dies war die Rache der ver­schmähten Künstler, denn nur sie hatten sich an jenem Tag auf dem Fried­hof herumgetrieben.

Im August kam der Stellvertreter von Rugienis und befahl, am nächsten Tag die Gemeindebücher und die ganze Dokumentation über die Ein- und Aus­gaben nach Utena zu bringen.

Nach drei Monaten war das Haus, in dem die Kirche eingerichtet werden sollte, fertiggestellt. Private Elektriker verlegten die Stromleitungen in der Kirche. Und nun begannen erneute Reisen, die sich über eineinhalb Monate erstreckten, bis man die Erlaubnis erhielt, den Strom anzuschließen. Es schien, daß es den Atheisten in der Rayonsverwaltung ein großes Vergnügen berei­tete, alle nur erdenklichen Schwierigkeiten aufzutürmen. Besonderen Ver­druß bereiteten die kleinlichen Schikanen des Feuerschutzamtes.

Am 11. Oktober, dem Vorabend des hl. Rosenkranzfestes, weihte der Dekan von Utena die neue Kirche ein. Anläßlich dieses feierlichen Ereignisses kamen über 400 Leute. Die Stimmung der Gläubigen war feierlich und ungewöhn­lich, nur jenen verständlich, die zwei Jahre lang die Folgeerscheinungen des Kirchenbrandes und die Repressalien der Rayonsverwaltung hatten erleiden müssen. In der Friedhofskapelle war die Abhaltung der Gottesdienste außer­ordentlich schwierig gewesen, denn diese faßte nur einige Dutzend Leute, und der Andrang war meist so groß, daß man kaum die Hand bewegen konnte. Diejenigen, die in der Kapelle Platz gefunden hatten, schätzten sich glücklich, denn sie mußten nicht die heiße Sonne oder den Regen im Som­mer, und im Winter Kälte und Schnee ertragen. Trotzdem hatten die Leute über zwei Jahre lang zahlreich an den Gottesdiensten teilgenommen.

Am 12. Oktober 1969 fand in der neuen Kirche das Ablaßfest des hl. Rosen­kranzes statt. Zu diesem Fest kamen über 2500 Leute, doch die Rayonsver­waltung hatte nur zwei Priester genehmigt. Die Räumlichkeiten waren zu klein, um all die Gläubigen fassen zu können.

Das Äußere der Kirche unterscheidet sich in keiner Weise von einem ein­fachen Wohnhaus, denn die Regierung hatte bereits gewarnt: „Es wird euch schlecht ergehen, ihr werdet es bereuen, wenn ihr versuchen solltet, das Haus nach der Uberführung zu vergrößern."

Vor Weihnachten wandte sich der Pfarrer mit der Bitte an das Vollzugs­komitee, ihm die Erlaubnis für ein Pfarrhaus in Tauragnai zu erteilen. Die Verwaltung wollte die Baugenehmigung erteilen und versprach, die Bau­arbeiten nicht zu stören. Nach einem Monat teilte die Kolchoswirtschaft in Tauragnai dem Pfarrer für sein Wohnhaus ein Grundstück zu. Ein Notar in Utena bestätigte den Hausentwurf und den Vertrag mit dem Kolchos. Im Mai hob ein gemieteter Bagger die Baugrube für den Keller aus. Zu glei­cher Zeit gössen einige Männer auf dem Kirchplatz die Fundamente für einen kleinen Glockenturm aus, für dessen Bau die Rayonsverwaltung keine Ge­nehmigung erteilt hatte. Als der Glockenturm nach zwei Tagen fertiggestellt war und die Glocken bereits angebracht waren, erschien auf Grund einer Klage Labanauskas aus Utena und beschimpfte den Pfarrer wegen seines eigenmächtigen Handelns. Am nächsten Tag schickte er einen Milizbeamten, der prüfen sollte, woher das Baumaterial stamme. Zum Glück konnte dieser nichts beanstanden, denn die Mehrzahl der Balken war angesengt, und man sah deutlich, daß es sich um die Überreste der verbrannten Kirche handelte. Am nächsten Tag kam der Befehl aus dem Bezirk, den Bau des Pfarrhauses einzustellen. Später kam die Begründung: das Haus baue die Pfarrgemeinde, doch Kollektivarbeiter hülfen bei den Arbeiten, und einen solchen Bau ver­biete der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Rugienis. Einige Tage später teilte der Kolchosleiter mit, daß das dem Pfarrer zuge­teilte Grundstück an das Kollektiv zurückgegeben werden müsse. Die Kosten für die ausgearbeiteten Fundamente und den Keller wurden gemäß einer Spezialistenschätzung zurückerstattet. Im Gemeindeamt wurde ein Rück­kaufsvertrag aufgesetzt, der die für den Pfarrer Inkratas entstandenen Un­kosten decken sollte. Auch hier zeigte sich die wahre Einstellung der Sowjet­funktionäre — es wurde nur ein Drittel der entstandenen Kosten erstattet.

Wegen des Glockenturmbaues war ein Milizbeamter erschienen und verhörte die Arbeiter, wer den Bau organisiert habe. Man zwang den Pfarrer zu er­klären, woher das Baumaterial stamme, wer es herbeigeschafft hätte und wo es gekauft worden wäre. Doch die Dokumentation war in Ordnung. Später erfuhr man, daß der Bezirk den Milizbeamten geschickt hatte, um in der Do­kumentation Lücken aufzuspüren, um somit die Kirche enteignen zu können, wie dies schon vorher in Klaipėda geschehen war: dort wurde die fertigge­stellte Kirche in eine Philharmonie umfunktioniert, die Priester wurden in der Presse verleumdet und ins Gefängnis gesteckt.

1971 versprach der neue Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegen­heiten, Tumėnas, die Genehmigung für den Bau eines Pfarrhauses zu ertei­len. Die Verwaltung in Utena teilte durch den Gemeindevorsitzenden mit, daß dem Pfarrer ein Grundstück abgesteckt werden würde. Als die Kollek­tivverwaltung damit einverstanden war, dem Pfarrer ein Stück Land abzu­geben, verlangte die Bezirksleitung, daß das Grundstück so weit wie möglich von der Kirche entfernt liegen müsse. Heute wohnt der Pfarrer in einem pri­vat gemieteten Haus, weitab von der Kirche (ungefähr 1,5 km).