Vilnius

In vielen Kirchen der Erzdiözese Vilnius fanden am 15. Februar 1976 Ge­denkgottesdienste zum Namenstag (16. Februar) des Bischofs J. Stepona­vičius und zum Jahrestag seiner Verbannung vor fünfzehn Jahren statt.

Vilnius

Eine vom KGB organisierte Delegation von Geistlichen aus der UdSSR be­suchte im Mai 1976 die Vereinigten Staaten. Der Delegation gehörten auch zwei Priester aus Litauen an: Pfarrer Stanislovas Lydys von der Gemeinde zur Unbefleckten Empfängnis der Allerheiligsten Jungfrau Maria in Vil­nius und Pfarrer Vladas Rabašauskas, Kanzler des Bistums Panevėžys. Wel­che Aufgabe ihnen gestellt worden war, werden die Auslandslitauer besser beurteilen können.

Vilnius

Auf dem Bahnhof der Hauptstadt Litauens wurde am 5. Mai 1976 gegen 22.30 Uhr die Krankenschwester Jadvyga Petkevičienė (wohnhaft in Šiau­liai, Lenino 42-1), Angestellte im Entbindungsheim Šiauliai, im Zuge Ka­liningrad—Moskau verhaftet. Leiter der Festnahmeaktion: Geheimdienst­major J. Markevičius. Frau Petkevičienė wurde aus dem Wagen direkt in das Amtsgebäude der Transportmiliz Vilnius geleitet, wo in Gegenwart von zwei Beamten und der Inspektorin des Kinderzimmers der Milizwache, Frau Angelė Purickiené, eine Leibesvisitation vorgenommen wurde. Laut Major Markevičius war es das Ziel der Durchsuchung, Literatur antisowjetischen Inhalts, bzw. andere Dokumente und Beweisstücke zur Einleitung eines Ver­fahrens zu finden. In Gegenwart geladener weiblicher Zeuginnen, G. Skle-rova und A. Lozenko, veranlaßte die Inspektorin Purickienė die Verhaftete, sich auszuziehen. Die Kleidungsstücke und das Schuhwerk, dann der Körper der Verdächtigen, selbst die Fußsohlen wurden sorgfältig untersucht, ohne daß man etwas Antisowjetisches finden konnte. Bei der anschließenden Ver­nehmung machte Major Markevičius der Schwester J. Petkevičiene ihre Reise nach Moskau zum Vorwurf, ebenfalls ihre Anwesenheit im Obersten Gerichtshof in Vilnius während des Verfahrens gegen S. Kovaliov, ihr Zu­sammentreffen mit Besuchern aus Moskau u. a. Die Mißfallensbekundungen betrafen ebenfalls den Ehemann der Vernommenen, Jonas Petkevičius, seine Gegenwart und Vergangenheit (ehemaliger politischer Häftling). Nach Abschluß der Durchsuchungsaktion fuhr J. Petkevičienė mit dem näch­sten Zug weiter nach Moskau: während der ganzen Reise wurde sie sorg­fältig von „Schutzengeln" beschattet. Auch die Wohnung, in der sie über­nachtete, stand unter Beobachtung. Auf der Rückfahrt „schleifte ebenfalls ein Schwanz hinterher .. .."

Vilnius

Bei der öffentlichen Parteiversammlung im Zoologisch-Parasitologischen In­stitut am 28. Februar 1975 unterstrich Direktor P. Zajančkauskas beim Thema ideologische Fragen, daß sich die Lage in den letzten Jahren sehr ver­schlechtert habe. Der Name des wissenschaftlichen Mitarbeiters der Unter­stufe, Alfonsas Juška, sei von der Presse im Zusammenhang mit antisowjeti­scher Tätigkeit erwähnt worden. Jetzt stelle sich die Frage, ob man einen solchen Mitarbeiter weiter im Institut dulden dürfe.

 

Am 10. April 1975 behandelte der Wissenschaftsrat des Institutes die Frage der Wiederwahl von A. Juška auf seinen bisherigen Posten. Beim Aufzäh­len der von A. Juška vorgelegten Dokumente durch den wissenschaftlichen Sekretär Semetulskis erkundigte sich das Parteimitglied J. Kazlauskas: „Und, ist über Juška gesprochen worden?" Hierauf der Direktor: „Ja, ist geschehen. Genosse Juška hat einen Fehler begangen. Daran können wir nichts ändern, wir müssen den Genossen Juška aber erziehen. Ich schlage dem Wissenschaftsrat daher vor, Juška als wissenschaftlichen Mitarbeiter der Unterstufe nicht wiederzuwählen, sondern ihn als Ingenieur zu verwen­den."

J. Kazlauskas und der Direktor drückten sich unklar aus und sprachen in Andeutungen. Auf seinem neuen Posten wurde Juškas Monatsgehalt ge­kürzt.

 

Der Laborleiter, A. Skirkevičius, versucht auf jede erdenkliche Weise, A. Juška bei der Durchführung geplanter Arbeiten und Publikationen wissen­schaftlicher Artikel u. a. zu behindern.

Uber seine Forschungsarbeit referierte A. Juška bei einer wissenschaftlichen Allunionskonferenz in Vilnius vom 25. bis 27. Juni 1975 und erzielte posi­tive Anerkennung. Der wissenschaftliche Sekretär Semetulskis nahm davon aber keine Notiz und wollte das Referat nicht ohne die Zustimmung von Skirkevičius drucken lassen, der die Einwilligung verweigerte. Wegen die­ses Artikels hatte sich A. Juška wiederholt an den Direktor gewandt, doch dieser versuchte, einer Diskussion oder Entscheidung über die Druckfrage auszuweichen.

Angeblich wurde A. Juška eine seinen Qualifikationen nicht entsprechende Arbeit zugewiesen, die eigentlich ein Laborant erledigen könnte.

 

 

Vilnius

Das letzte Spiel der Saison der Fußballmannschaft „Žalgaris" Vilnius auf eigenem Platz fand am 28. November statt.

Nach dem siegreichen Verlauf des Spiels — 3:0 für „Zalgaris" — stimmten die an die Tausende zählenden Zuschauer populäre litauische Volkslieder an („Mauern auf dem Berge", „Wuchs im Wald ein Ahornbaum") und äußer­ten ihre Begeisterung in Kundgebungen, die die Miliz und die zivilen Sicher­heitsbeamten vergeblich zu unterdrücken versuchten. Die Hilflosigkeit der Ordnungshüter machte die Menge nur noch kampflustiger, bis sich spontan eine Marschkolonne von etwa 2000 Menschen, fast lauter Jugendliche, bil­dete. Diese marschierte zweimal um das Fußballfeld und zog anschließend, unter Absingen von Liedern, zum Stadtzentrum, im Marschrhythmus den Namen ihrer Mannschaft „Žalgaris" skandierend. Der Triumphmarsch der Fußballenthusiasten — ausgelöst durch den wirklich großartigen Sieg der „Žalgaris-Elf" — wurde schließlich zur demonstrativen Äußerung der wah­ren Stimmung der Jugendlichen in Vilnius.

 

Der Zug bewegte sich durch die Hauptstraßen — vergeblich hatte man ver­sucht, ihn an der Dzeržinskis-Brücke aufzuhalten — und marschierte dann rund um das Quartal des KGB-Gebäudes, wobei man die hinter Vorhängen versteckten Geheimdienstler mit Pfiffen und Rufen „feierte". Umfangreichen Einheiten der Miliz und des Geheimdienstes gelang es schließlich nur mit Hilfe herbeigerufener Spezialeinheiten der Armeegarnison Vilnius, den De­monstrationszug aufzulösen. Verschiedene Demonstranten wurden ver­haftet.

 

Vilnius

Anfang Mai 1976 ließ der Verwaltungsbeamte Daunoras vom Gewerk­schaftshaus Vilnius die Vertreterinnen des „Volksliedklubs", Frl. Aldona Kutkauskiatė und Frau Virginija Ašmantienė, vorladen und verlangte von

Nijolė Sadūnaitė

 

Innenansicht der Kapelle „Tor der Morgenröte", in Vilnius.

ihnen, sie sollten einen Artikel über die Presse der Republik abfassen, um eine Meldung von Radio Vatikan zu dementieren, nach der der „Volkslied­klub" verfolgt werde. Im Falle einer Zusage versprach Daunoras dem Klub Anschaffung neuer Garderoben, Teilnahme am Baltischen Ethnographie-Festival in Vilnius u. a. m. Die Vertreterinnen des Klubs weigerten sich je­doch, einen solchen Artikel abzufassen.

Es war übrigens interessant, festzustellen, daß die Zeitung „Abendnachrich­ten" und das Rundfunk-Lokalprogramm nach der Meldung des Vatikansen­ders Hinweise auf Wochenendveranstaltungen des Klubs brachten, die weder geplant waren noch jemals stattfanden. Der Unfug hörte erst auf, als es zu Unmutsäußerungen von Lesern kam, die auf Grund der Zeitungsmeldung zum Besuch der angeblichen Veranstaltungen erschienen waren.

Kaunas

Viele Kleriker des Priesterseminars verbrachten recht unruhige Osterferien. Sie wurden vom Geheimdienst gefragt, woher sie die „Chronik der Litau­ischen Katholischen Kirche" und die (Untergrundzeitschrift) „Aušra"(Mor­genröte) beziehen. Auch wollte man wissen, wie sie den 16. Februar (Unab­hängigkeitstag Litauens) gefeiert hätten. Schließlich wurden die Kleriker über Priester ausgehorcht, die der Geheimdienst ausdrücklich als „Reaktio­näre" bezeichnete, z. B. K. Žilius, V. Cukuras u. a. Nach solchen „Unterhal­tungen" wurden die Kleriker genötigt, zu versprechen, das Treffen mit den Geheimdienstbeamten geheimzuhalten.

Kaunas

Am 16. April 1976 ließen Direktor Antanas Ruginis vom Blinden-Pro-duktions- und -Lehrkombinat Kaunas und Direktor Smalogys vom Kultur­haus des Blindenverbandes Kaunas die Arbeiter und Amateurmusikanten Antanas Jonušas und Feliksas Sinkevičius vorladen. Man fragte sie: „Wieviel zahlt euch der Pfarrer für das Spielen in der Kirche zu Ostern? Wir zahlen euch genausoviel — wenn ihr nicht mehr bei ihm spielt!" „Ich pflege meine Freunde nicht zu betrügen. Deshalb werde ich mein Wort halten, hingehen und spielen", antwortete Jonušas entschlossen, und Sinke­vičius erklärte zusätzlich:

„Ich singe jeden Sonntag in der Kirche, und auch zu Ostern werde ich unbe­dingt dabei sein."

Der Direktor versuchte noch zu drohen, man werde ihnen die Instrumente abnehmen, doch da es der Laienbewegung ohnehin an Musikanten fehlt, hütete er sich, deren Zahl zu vermindern.

Am 19. April waren die Kapellmeister des Orchesters bei Direktor Ruginis vorgeladen. Sie wurden getadelt, in ihrem Kollektiv herrsche keine Ordnung und sie hätten den Mitgliedern nicht untersagt, in der Kirche zu spielen. Es wurde eine Liste mit über zehn Namen verlesen, und jeder der so erfaßten „Verbrecher" wurde aufgerufen, sich zu rechtfertigen.

Der Direktor des Musik-Kollektivs, J. Kairys, verkündete, keiner dürfe in der Kirche musizieren. Vor allem aber solle man an die Zukunft denken; solche Verbrechen sollten sich im nächsten Jahr nicht wiederholen. Es sei das beste, die Musikanten zu Ostern zu einem Konzert in einen anderen Rayon zu bringen. Die Mitglieder des Orchesters waren entrüstet, daß man sich in die Freizeitgestaltung ihrer freien Tage einmischte.

Kaunas

Nach seiner Rückkehr aus dem Straflager in Mordowien am 27. März 1975 suchte Vidmantas Povilionis lange vergeblich nach Arbeit, bis es ihm schließ­lich am 13. September 1975 gelang, als Arbeiter bei der Vereinigung der Brotbäckereien in Kaunas eine Beschäftigung zu finden. Nach einigen Monaten übernahm er bereits den Posten eines Ingenieur-Tech­nologen und avancierte zum Oberingenieur-Technologen für Qualitätsfra­gen der Vereinigung, d. h. praktisch oblag ihm die Leitung der technischen Kontrolle.

Am 26. März 1976 wurde V. Povilionis zum Generaldirektor der Firma vorgeladen, der ihm eröffnete, gewisse Organe verlangten, Povilionis aus seiner jetzigen Position zu entlassen, denn er habe „kein Recht, mit Menschen zu arbeiten", d. h. eine führende Stellung zu begleiten. (In seinem Arbeits­buch befindet sich der frühere Eintrag: „Arbeitsentlassen von der Litauen-filiale des KSSP MI gemäß Brief des KGB"!) So wurde Povilionis nach sechs Monaten erneut arbeitslos.

Kaunas

Bei dem Bildhauer Rimantas Šulskis, wohnhaft in Kaunas, V.-Kuzmo-Straße 29a, fand am 4. Mai 1976 eine Haussuchung statt. Unter der Lei­tung von Hauptmann Markevičius suchten die Geheimdienstler nach ver­steckten Exemplaren der „Chronik der LKK" und anderer antisowjetischer Literatur. Bei dieser Gelegenheit wurde das Buch von Solženycin „Archipel Gulag" gefunden.

Rimantas Šulskis, geboren 1943, ist Mitglied des Verbandes der jungen Ma­ler Litauens.

Kaunas

Die im Verlauf einer früheren Haussuchung bei Frl. M. Gavenaitė beschlag­nahmten Bücher wurden der Besitzerin am 25. November 1974 vom KGB bis auf einige Bände zurückgegeben. Auf das Ersuchen, auch das mit Schreib­maschine abgeschriebene Buch Didžioji kryžkele (Der große Kreuzweg) von Brazdžionis und das noch nicht vollständig abgeschriebene Werk Lietuviško charakterio problemos (Probleme des Litauischen Charakters) ebenfalls zu­rückzugeben, antwortete der KGB:

„Es handelt sich um politische Bücher, und deshalb geben wir sie nicht zu­rück." Aus unbekannten Gründen waren die Geheimdienstler diesmal ge­genüber M. Gavenaitė ausnehmend höflich.

Kaunas

Henrikas Klimašauskas befindet sich gegenwärtig nicht in Kaunas, sondern in Vilnius im Geheimdienstgewahrsam.

Taurage

Der Verkäufer im städtischen Zeitungskiosk, Montvila, veräußerte vor Weihnachten 1975 einige fotokopierte Weihnachtskarten und wurde des­halb entlassen.

Telšiai

Der Moskauer Funktionär Murnikov und der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, nahmen an einer Besprechung der Dekane des Bistums Telšiai teil.

Tumėnas äußerte sich mißbilligend über die „Chronik der LKK", die die Spannungen zwischen Staat und Kirche nur noch vergrößere. Gäbe es keine „Chronik", so wäre das Klima weit milder, meinte er und fügte hinzu, die Herausgeber irrten sich, wenn sie meinten, sie könnten mit Hilfe der „Chro­nik der LKK" etwas erreichen. Man werde nichts „erkämpfen" lassen und die Dekane seien aufgefordert, den Herausgebern keinerlei Hilfe zu leisten. Der Beauftragte äußerte den Wunsch, daß die „Chronik der LKK" nicht mehr erscheinen möge.

Die Dekane versicherten ihrerseits, daß die Herausgabe der „Chronik der LKK" nicht von ihnen abhängig sei, doch verpflichtete sich dem Beauftrag­ten gegenüber keiner, ausdrücklich gegen die Publikation tätig zu werden. Es wurde ferner über Kinderkatechese gesprochen, und der Beauftragte er­klärte, in dieser Frage sei kein Nachgeben zu erwarten. Die Priester hätten zwar das Recht, das Wissen der Kinder zu überprüfen, dürften aber keinen Unterricht erteilen. Die Frage religiöser Druckschriften werde noch zur Sprache kommen, inzwischen habe man neue Gebetbücher und Breviere er­halten.

K. Tumėnas äußerte Zufriedenheit darüber, daß die Versorgung von Kran­ken in Hospitälern nun garantiert sei.

„Bei uns herrscht größte Gewissensfreiheit. Sollte sie jemand behindern, rufen Sie bitte bei mir an", meinte der Beauftragte am Schluß seiner Aus­führungen.

 

Mažeikiai

Die alte Mutter Gelumbauskienė wurde laufend von den Ortsgewaltigen gequält, weil sie neben ihrem Haus in der Ausrosstraße 7 ein Kreuz er­richtet hatte (siehe „Chronik der LKK", Nr. 19, 21). Da sich die alte Frau weigerte, für die Vernichtung ihres Kreuzes auch noch zu bezahlen, hat die Abteilung öffentlidie Arbeiten der Rayonsverwaltung beim Volksgericht die gerichtliche Eintreibung der Forderung beantragt.

 

An das

Volksgericht Mažeikiai

Antragsteller: Abteilung öffentliche Arbeiten der Rayonsverwaltung Mažeikiai

Forderung gerichtet an: Gelumbauskienė, Emilija, Tochter des Juozas Höhe der Forderung: 50 Rubel

 

Erklärung des Antragstellers

In Ubereinstimmung mit der Verfügung Nr. 180 des Deputiertenrates der Werktätigen des Rayons Mažeikiai hat die Abteilung öffentliche Arbeiten am 3. Dezember 1975 die vor dem Hause Ausrosstraße 7 von der Bürgerin E. Gelumbauskienė ohne Genehmigung errichtete Konstruktion auf dem Wege der Zwangsvollstreckung abbrechen lassen und ihr die Summe von 50 Rubeln — Arbeitslohn für die Entfernung eines Kreuzes — in Rechnung gestellt (s. Rechnung Nr. 111 342). Die Bürgerin Gelumbauskienė hat jedoch nicht gezahlt.

 

Das Rayonsvolksgericht wird daher ersucht, die Summe von 50 Rubel Ar­beitsgeld plus Gerichtskosten von der Bürgerin E. Gelumbauskienė zugun­sten der Abteilung öffentliche Arbeiten einzutreiben.

Abteilung öffentliche Arbeit des Rayons

Mažeikiai,

gez. Makota

                                           Buchhalter der Abteilung — gez. (unleserlich)

 

Das „Verbrechen" der greisen E. Gelumbauskiene wurde gleich dreimal vor Gericht behandelt. In der ersten Verhandlung am 11. März verweigerte Frau Gelumbauskiene erneut die Zahlung, weil sie niemanden mit dem Ab­bruch des Kreuzes beauftragt habe. Die Verhandlung wurde auf den 23. März vertagt, und Zeugen mußten bestätigen, daß es sich bei der ent­fernten „Konstruktion" auch wirklich um ein Kreuz, nicht etwa um ein gan­zes Bauwerk gehandelt habe.

In der dritten Verhandlung am 22. April wurde Mutter Gelumbauskienė schließlich das Wort entzogen.

„Wer hat das Kreuz abgebrochen?" wollte das Gericht vom Vertreter der Abteilung öffentliche Arbeit wissen.

„Wir mußten Leute von der Straße zum Abbruch mieten, denn unsere Arbei­ter wollten das Kreuz nicht entfernen", erklärte der Vertreter des Antrag­stellers dem Gericht.

Übrigens trifft es zu, daß sich unter den 400 Arbeitern der Abteilung auch nicht einer bereitfand, das Kreuz zu entfernen. Man mußte einige Trunken­bolde von der Straße auflesen und mit dem Abbruch beauftragen. „Und wieviel habt ihr für die Entfernung des Kreuzes gezahlt?" wollte das Gericht wissen.

„50 Rubel", bestätigten die Antragsteller. „Und wieviel Arbeitszeit war dazu nötig?"

Hier mischte sich die alte Frau Gelumbauskienė ein: „Kaum 15 bis 20 Mi­nuten ... Um das Kreuz abzubrechen, den Zaun zu zerstören und den Stamm zu zerhacken, brauchte man nicht viel Zeit." Der alten Frau wurde geboten zu schweigen.

„Ihr zahlt aber gut fürs Absägen von Kreuzen, fünfzig Rubel für eine Vier­telstunde Arbeit! Nächstes Mal melde ich mich ...", meinte der Richter. Auf die Frage: „Und wenn einer nun für die Entfernung des Kreuzes 100 Rubel gefordert hätte?" erhielt er zur Antwort: „Hätten wir eben hundert Rubel bezahlt..."

Noch immer ist unklar, wieviel die alte Frau Gelumbauskiene nun schließ­lich für die Schändung ihres Kreuzes zahlen mußte ...

 

Palanga

Ausländische Touristen vermissen die berühmte Herz-Jesu-Statue im Tiške-vičius-Park des Seebades Palanga. Uber das Schicksal dieses Kunstwerkes, eines französischen Bildhauers, wollen wir den Gläubigen daher einige De­tails berichten.

Viele Jahre war die wunderschöne Herz-Jesu-Statue ein Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher des Seebades. Manche knieten zum Gebet nieder, an­dere verweilten davor in Gedanken versunken oder schmückten das Denk­mal mit Blumen. Nur die alten Atheisten von Palanga konnten nicht in

Ruhe daran vorbeigehen. Mit dem Einmarsch der Roten Armee begann die Serie der Versuche, das Denkmal zu zerstören oder umzustoßen. Dieselben Soldaten, die in der Grotte des Birutė-Berges bereits die Statue der Mutter Gottes mit Kugeln durchsiebt hatten, unternahmen alsbald auch Attentate gegen die Herz-Jesu-Statue. Einmal gaben mehrere Rotarmisten einige Sal­ven aus ihren Maschinenpistolen ab. Zwar richteten die Kugeln Schaden an, doch blieb die Statue stehen.

Nun begannen die Gottlosen mit der systematischen Verunreinigung der Umgebung, zertrampelten und vernichteten die Blumen. Gläubige räumten bis zum nächsten Morgen alles wieder auf und pflanzten neue Blumen ein. So tobte eine Zeit lang ein stummer Kampf zwischen Gottlosen und Gläu­bigen hin und her.

In einer Nacht im Jahre 1948 verschwand die Statue plötzlich aus dem Park von Palanga. Organisator der Entführung war der damalige Vorsitzende des Exekutivkomitees (Stadtverwaltung) Palanga, Vilnius, mit seinen Hel­fern Aksijonaitis und Kuršius. Die Statue wurde an einen Traktor gebun­den, umgestürzt und mit dem Hammer zertrümmert, dann der Altmetall­sammlung zugeführt. Noch heute leben zahlreiche Zeugen jener beschämen­den Vorgänge. Die einen weinten, andere erhoben Vorwürfe: „Fürchtet ihr euch nicht vor Gottes Strafe?"

Nach einiger Zeit erhängte sich der Ober-Exekutor, der Komiteevorsitzende Vilnius. Gewissensbisse? Geistige Umnachtung? Aksijonaitis wurde von an­tikommunistischen Partisanen umgebracht. Kuršius, der Dritte im Bunde, lebt noch.

 

Viekšniai

Unbekannte Übeltäter warfen am 5. Dezember die Fenster der Kirche zu Viekšniai ein, dabei landete ein Stein auf dem Altar, direkt vor dem Taber­nakel. Der alte invalide Ortspfarrer nahm den Stein mit den Worten in Ver­wahrung: „Zur Erinnerung. Der Stein ist als Frucht atheistischer Erziehung des Gedenkens wert..."

Auf den Friedhöfen in Mažeikiai und Viekšniai wurden Denkmäler zer­trümmert und Christusfiguren von Kreuzen heruntergerissen. Warum eigent­lich übersieht die Obrigkeit randalierende junge Rowdys? Warum werden nur die Jugendlichen bestraft, die zur Kirche gehen?!

 

Ceikiniai

Anfang 1976 wandten sich Bewohner des Dorfes Didžiasalis familienweise und schriftlich an den Pfarrer ihrer Gemeinde, K. Garuckas (Ceikiniai), und baten um dessen Hausbesuch. Der Priester entsprach dieser Bitte am 25. Fe­bruar.

Am nächsten Tag bereits riefen der Ratsvorsitzende des Deputiertenrates Sorokinas und der Vorsitzende des Rayon-Exekutivkomitees, A. Vaitonis, bei Pfarrer K. Garuckas an und verboten ihm weitere „Kaiendebesuche". Am 3. März wurde Pfarrer Garuckas ins Rayonskomitee Ignalina gerufen und von A. Vaitonis und dem KGB-Rayonschef, Paškevičius, erneut ver­mahnt: „Kalendebesuche sind nicht erlaubt." Da der Gemeindepfarrer ener­gisch darauf bestand, ein schriftliches Verbot von Kalendebesuchen zu sehen, wies A. Vaitonis irgendein belangloses Schriftstück vor, das er jedoch weder lesen noch abschreiben ließ.

Wegen der Kalendebesuche kündigte der KGB-Chef dem Gemeindepfarrer K. Garuckas ein dreijähriges Berufsverbot an, doch werde er dies nicht selbst vollziehen, sondern durch den Beauftragten des Rates für religiöse Angele­genheiten veranlassen.

Ein Gemeindemitglied hatte Pfarrer Garuckas mit seinem Pkw morgens zur Vernehmung gebracht und abends nach Didžiasalis mitgenommen. Es handelte sich um Pranas Rakštelis, einen religionsgläubigen Mann, der un­überlegt und mangels Prinzipientreue Parteimitglied geworden war. Jetzt wurde ihm vom Vorsitzenden der Kollektivwirtschaft „Neuer Weg" wegen dieses Vorfalles mit Strafen und Parteiausschluß gedroht. Pfarrer K. Garuckas hat darüber am 9. März 1976 dem Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, schriftlich berichtet und Durchschriften an die Kurialverwaltung der Diözesen Litauens versandt.

 

Biržai

An den Minister für Gesundheitswesen 

Erklärung

der Bürgerin Antanina Norkutė, wohnhaft in Biržai, Basanavičiusstraße 6

Nach plötzlicher Erkrankung wurde ich am 28. Dezember 1976 in die In­nere Abteilung I des Krankenhauses Biržai eingeliefert. Am 3. Januar 1976 erklärte mir der Arzt Dr. Janulis im Krankenzimmer: „Weil du gestern um einen Priester gebeten hast, hat der Oberarzt Dauguvietis deine Entlassung aus dem Krankenhaus angeordnet!" Zeugen des Vorfalls sind die mit mir im selben Raum untergebrachten Frauen. In der Nacht verschlimmerte sich mein Zustand.

Ich wurde nach Hause gebracht. Die Behandlung wurde unterbrochen. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter. Keinerlei Hilfe wurde mir zuteil. Ich war erschüttert. Selbst Schwerverbrecher werden doch im Falle einer Erkrankung behandelt. Aber was habe ich denn verbrochen? Ich habe viele Jahre im medizinischen Dienst gearbeitet und beziehe jetzt eine Rente. Doch gibt es Ärzte, die die Menschenrechte mißachten und es gar wagen, mit dem Leben von Menschen zu spielen. Oberarzt Dauguvietis hat sich vor mei­ner Ausweisung nicht einmal vergewissert, ob ich wirklich nach einem Prie­ster gerusen hatte. Es trifft nämlich gar nicht zu. Doch selbst wenn jemand um priesterlichen Beistand bittet, ist das vielleicht ein Verbrechen? Das Benehmen dieses Arztes ist kein Zufall. Es charakterisiert hinreichend die Person und die Tätigkeit des Dr. Dauguvietis. Die Patienten leiden darunter, sind aufgebracht und schweigen nur deshalb, weil sie noch trau­rigere Folgen fürchten. Andere wissen nicht, wohin sie sich wenden und ihre Proteste richten sollen.

Es ist nicht auszudenken, was einem Angehörigen des medizinischen Perso­nals bevorsteht, der es wagen sollte, einen Priester an einen Patienten her­anzulassen, und sei es ein Sterbender. Zahlreiche Unannehmlichkeiten er­warten Patienten, die es wagen, um religiösen Beistand zu ersuchen. Das zu beweisen, bedarf es wahrlich keiner sonderlichen Anstrengung. Ich selbst bin ein lebendes Beispiel. Alle wissen, daß dies in Ausführung atheistischer An­ordnungen geschieht. Doch seit wann ist ein Krankenhaus eigentlich eine Umerziehungsanstalt für Kranke und Sterbende? Weiß man höheren Ortes wirklich nicht, was sich im Krankenhaus Biržai abspielt? Warum wird die Willkür gewisser Einzelpersonen geduldet?

Ich schreibe diesen Brief als zusätzliche Erklärung zu meinem Telegramm vom 3. Januar, welches Sie anscheinend erhalten haben, denn bereits am 4. Januar erschien ein Arzt, um die Hausbehandlung aufzunehmen. Ich be­danke mich sehr für diese Hilfeleistung, ohne die ich vermutlich nicht mehr leben würde. Ich darf hoffen, daß auch die anderen Mißstände in dem Kran­kenhaus umgehend beseitigt werden.

Biržai, 12. Januar 1976        Ihre dankbare — A. Norkutė

 

 

Gulbinėliai

„Das Kontrollkomitee für die Durchführung der Kultgesetze im Rayon Pas­valys erhielt Hinweise, daß der Pfarrer der Gemeinde Gulbinėliai, S. Užda­vinys, unter Mißachtung sowjetischer Gesetze die religiöse Unterweisung Jugendlicher organisiere und daß Minderjährige während des Gottesdienstes in der Kirche zu Gulbinėliai systematisch den Messedienst verrichteten. Die Mitteilungen sind überprüft und bestätigt worden.

Das ungesetzliche Verhalten des Pfarrers der Religionsgemeinschaft Gulbi­nėliai, S. Uždavynis, wurde in einer Sitzung des Kontrollkomitees für die Durchführung der Kultgesetze im Rayon Pasvalys beraten, das beschloß, den Geistlichen zu verwarnen." (Darbas, Arbeit, Zeitung des Rayons Pas­valys vom 13. Mai 1976.)

Pfarrer Uždavinys war bei der Sitzung des Komitees am 6. Mai von 11 bis 14 Uhr anwesend. Anschließend wurde er vom Geheimdienstbeamten Iva­škevičius vorgeladen, der ihm eine bessere Gemeinde und höhere Stellung versprach, wenn er sich der Sowjetmacht gegenüber zukünftig loyal ver­halten würde.

 

Šiauliai

Ein erneuter Einbruch in der Kirche von Aukštelkės wurde am 27. März begangen. Die Einbrecher waren weniger auf Diebesgut als auf Durch­suchung aus. So wurden z. B. Musiknoten in einem Schrank durchstöbert, man suchte scheinbar nach verbotener Literatur.

 

Kybarati

Bei einem Einbruch Anfang Mai in das in Reparatur befindliche Pfarrhaus Kybartai durchsuchten die Einbrecher das kirchliche Standesamtsregister (Metrika). Es dürfte sich daher nicht um gewöhnliche Diebe gehandelt haben, denn sie waren nicht auf Geld, sondern auf Druckschriften aus.

Varanavo (Weißrussische SSR)

Die im Dorfe Smilgiai des Rayons Varanavo ansässigen Litauer wurden un­längst von einer Folkloregruppe besucht. Die Einwohner freuten sich über mitgebrachte Literatur in litauischer Sprache und lauschten eifrig den Liedern und Erzählungen. Plötzlich erschien ein Beauftragter der Kreisbehörde, kon­trollierte die Ausweispapiere der Gäste, verlangte, die „Verbreitung natio­nalistischer Gefühle" zu unterlassen und sofort abzureisen. Im Weigerungs­falle würde man alle verhaften. Der Vorsitzende des Ortsowjets, Cironka, fiel inzwischen über zwei Mädchen her, die ein altertümliches Gebäude foto­grafieren wollten, nahm ihnen gewaltsam den Fotoapparat ab und machte die Filme unbrauchbar.

Die erschrockenen einheimischen Litauer wagten nicht, die Folkloristen zu schützen. Als gar die Miliz anrückte, bat eine Frau auf den Knien, wegen der Aufnahme der Gäste doch keine Geldstrafen zu verhängen. Nach dem Abrücken der Amtsträger berichteten die Gastgeber über die Willkürmaß­nahmen der örtlichen Behörden, die anscheinend jede Verbindung zum be­nachbarten Litauen unterbinden wollten