Interview des Rektors des Priesterseminars Kaunas, Viktoras Butkus, mit der Moskauer französischsprachigen Zeitschrift Les Nouvelles de Moscou, Nr. 31, vom 3. Juli 1976, und den englischsprachigen Moscow News, vom 12.Juni 1976:

Die römisch-katholische Kirche in der Sowjetunion

In der Sowjetunion gibt es auch Gemeinden der römisch-katholischen Kirche, die sich hier ebenso frei betätigen können wie andere Religionsgemeinschaf­ten. Die rechtliche Stellung der römisch-katholischen Kirche unterscheidet sich in keiner Weise von der der protestantischen, orthodoxen, muselmanischen, buddhistischen, der evangelischen oder anderen Glaubensgemeinschaften. Katholische Gemeinden gibt es in zehn der fünfzehn Unionsrepubliken der UdSSR. Die überwiegende Mehrheit katholischer Gläubigen und Kirchen be­findet sich in Litauen, Lettland und den westlichen Gebieten der Ukraini­schen und der Weißrussischen Unionsrepublik.

Nachstehendes Interview wurde uns bereitwilligst vom Rektor des römisch-katholischen Priesterseminars in Kaunas, Doktor der Theologie, Viktoras Butkus, gewährt.

Frage:

Die feindliche Auslandspropaganda verbreitet die verschiedensten Erfindun­gen über die Lage der Kirche in Sowjetlitauen. Würden Sie so freundlich sein, uns zu erzählen, wie es sich in Wirklichkeit verhält?

—        Wie alle Bürger der UdSSR genießen auch die Bewohner Litauens die ihnen in Artikel 96 der Verfassung zuerkannte Gewissensfreiheit. Danach steht es jedem Bürger frei, eine Kirche zu besuchen oder zu Hause zu beten, sein Haus mit einem Kreuz oder beliebigen religiösen Bildern zu schmücken, Gebetbücher, Bibeln und andere religiöse Schriften käuflich zu erwerben.

Frage:

Ist die Anzahl der Gemeinden und Diözesen, die Zahl der katholischen Kir­chen und Priester in Litauen unter der Sowjetmacht zurückgegangen?

—        Die Zahl der Pfarreien und Bistümer ist gleichgeblieben; was die Zahl der Priester anbetrifft, so ist diese heute etwas geringer, vor allem, weil etliche der Kultdiener Litauen während des Zweiten Weltkrieges verlassen haben. Die Katholische Kirche Litauens hat das Recht, ihre eigene Leitung zu bestim­men. Die heute in Litauen bestehenden Erzbistümer Vilnius und Kaunas, auch die Diözesen Kaišiadorys, Panevėžys, Telšiai und Vilkaviškis wurden zur Zeit der bürgerlichen Herrschaft gegründet. Die Regierung Sowjet­litauens hindert die Verwalter dieser Bistümer nicht an der Ausübung ihrer Ämter in den Diözesen bzw. im ganzen Land. Sie sind berechtigt, Konferen­zen abzuhalten und über kirchliche Angelegenheiten zu entscheiden. So ver­sammelten sich in Telšiai die Ordinarien der Bistümer, um in Übereinstim­mung mit den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils einOrdinarien­kollegium zu bilden, dessen augenblicklicher Vorsitzender, Juozapas Labu­kas, Apostolischer Administrator des Erzbistums Kaunas und des Bistums Vilkaviškis ist. Das Kollegium hat inzwischen eine Reihe von Schreiben und weitere Dokumente an die Geistlichen und Gläubigen Litauens verfaßt und herausgegeben.

Nach dem II. Vatikanischen Konzil gab die Liturgische Kommission ein lateinisch-litauisches Rituale für Pfarrer und Organisten heraus, das die zu­ständige Vatikanische Kongregation für die Katholische Kirche in Litauen und im Ausland für verbindlich erklärt hat. Im Jahre 1968 erschien in Litauen eine übersetzte Sammlung sämtlicher Beschlüsse des II. Vatikanums. Im selben Jahr wurden ferner ein Meßbuch, danach die Psalmen und das Neue Testament herausgegeben.

Frage:

Wie wurden die im Krieg zerstörten Kirchen repariert und wiederaufge­baut?

—        Der Zweite Weltkrieg hat zahlreiche ländliche Wohnstätten und Städte in Ruinen verwandelt und ganze Dörfer hinweggefegt. Der Krieg hat auch die Kirchen nicht verschont. Unter den zerstörten Gotteshäusern wären zu nennen: Die St.-Peter-und-Paul-Kirche in Šiauliai, die Kirchen in Raseiniai, Kudirkos-Naumiestis, Kuršėnai und in anderen Orten, insgesamt an die vier­zig Gotteshäuser. Obwohl die Wirtschaft des kriegszerstörten Landes knap­pes Baumaterial dringend benötigte, fand die Regierung der Republik Mög­lichkeiten, auch Material für den Wiederaufbau von Kirchen zur Verfügung zu stellen.

Auf diese Weise wurden allein im Bistum Telšiai die Kirchen von Kretinga, Taurage, Kuršėnai, Papile, Kruopiai, Kvėdarna, Leskava und Mažeikiai wiederaufgebaut. Als Ersatz für abgebrannte Kirchen wurden in fünf Bistü­mern Kapellen eingerichtet. Die kirchlichen Bauten werden sorgfältig instand­gehalten und sind wiedererrichtet und restauriert worden. Weder im Bistum noch in der ganzen Republik wird man einen einzigen vernachlässigten Kir-chenbau finden.

Frage:

Kann die katholische Kirche in Litauen Priester ausbilden?

—        Das Seminar in Kaunas dient der Priesterausbildung. Seine Leitung und Professorenschaft sind von den Ordinarien ernannt. Die Ausbildung ist kostenlos und dauert fünf Jahre. Das Ausbildungsprogramm entspricht voll und ganz den Bestimmungen der Vatikanischen Dogmenkongregation und unterscheidet sich in seiner jetzigen Form praktisch in nichts vom Programm der römisch-katholischen Universitäten.

Frage:

Kann die katholische Kirche Litauens Kontakte zu Menschen gleichen Glau­bens im Ausland unterhalten?

—        Vertreter unserer katholischen Kirche unterhalten Beziehungen zum Vati­kan und zu katholischen Kirchen des Auslands. Sie beteiligten sich sehr aktiv an der Arbeit des II. Vatikanischen Konzils, nahmen und nehmen an den von Paul VI. einberufenen Bischofssynoden teil, sind im Rahmen der Vatikan­kommission für Kanonisches Recht tätig, beschicken katholische Konferenzen in Europa, unternehmen Pilgerfahrten und besuchen verschiedene katholische Kirchen des Auslands. Außerdem unterhalten die Katholiken Litauens Bezie­hungen zu Glaubensbrüdern im Ausland und laden diese zum Besuch der UdSSR ein.

Abschließend möchte ich sagen, daß all dies die Erfindungen der reaktionären Presse des Auslands zerstört, in der die Lage der Katholischen Kirche in Litauen und anderen Sowjetrepubliken in einem falschen Licht dargestellt wird. Wie man sieht, ist die Situation der Katholischen Kirche in Litauen und anderen Sowjetrepubliken dem Bilde, das ein Teil der Westpresse zeichnet, gänzlich unähnlich.