Im Jahre 1948 wurde von der Regierung angeordnet, an allen Kirchen ein „Zwanzigergremium" der Gläubigen zu bilden, denen nach einem von der Regierung aufgestellten „Vertrag" erlaubt wurde, die von der Regierung enteigneten Kirchen zu mieten. Bei Weigerung seitens dieses Zwanzigergremiums den Vertrag zu unterzeichnen, wurde mit der Schlie­ßung der Kirche gedroht. Niemand zweifelte daran, daß Stalin seine Drohung auch wahrmachen werde. Das Land stand unter Terror — die Leute wurden nach Sibirien deportiert, Gefängnisse und Kellerverließe waren vollgepfropft mit unschuldigen Menschen, auf den Plätzen der Städte wurden die geschändeten Leichen der Freischärler ausgestellt, ein Drittel der Priester beschritt den Weg der „Gulag". Der einzige in Litauen verbliebene Bischof, Kazimieras Paltarokas, hat, um Priester und Gläubige zu schützen, niemals ernsthaften Widerstand gegen die Unterzeichnung die­ser aufgezwungenen „Verträge" geleistet.

Nachfolgend der Wortlaut dieses den Gläubigen Litauens aufgezwungenen „Vertrages":

„1. Wir, die Unterzeichner, verpflichten uns, das uns übergebene Gebethaus samt dem zu ihm gehörenden Besitz pfleglich zu verwalten und ohne Ausnahme lediglich zweckentsprechend zu nutzen. Wir übernehmen die Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz des uns anvertrauten Gutes und für die Einhaltung sämtlicher durch den Vertrag entstandener Verpflichtungen.

2. Wir verpflichten uns, das Gebäude lediglich zu religiösen Kultzwecken zu nutzen, indem wir dieses Recht auch allen anderen Personen dieses Glaubensbekenntnisses zugestehen, und nicht zulassen, daß die religiösen Zeremonien von nicht in dem Rat für Religiöse Kultangelegenheiten bei dem Beauftragten des Ministerrates der UdSSR für die Litauische Sowjet­republik gemeldeten Kultdienern vorgenommen werden.

3. Wir verpflichten uns, alles zu tun, damit der uns übergebene Besitz niemals zu anderen als zu den in Punkt 1 und 2 des Vertrages vorgesehenen Zwecken genutzt wird.

4. Wir verpflichten uns, mit eigenen Mitteln sämtliche Ausgaben zur In­standhaltung der Gebethäuser zu bestreiten, desgleichen sämtliche Aus­gaben zur Renovierung der Gebäude, ihrer Beheizung, Versicherung, Be­wachung, Entrichtung der örtlichen Steuerabgaben und dergleichen.

5. Wir verpflichten uns, ein Verzeichnis des Kultinventares zu führen, in dem sämtliche durch Spenden oder auf andere Weise neuangeschafften Kulturgegenstände, soweit sie nicht persönliches Eigentum darstellen, ein­zutragen sind.

6. Wir verpflichten uns, den vom Stadt-Exekutivkomitee beauftragten Personen und dem Beauftragten des Rates für Religiöse Kultangelegen­heiten die Möglichkeit zu bieten, den verwalteten Besitz außerhalb der für den Kultdienst vorgesehenen Zeit zu überprüfen und zu besichtigen.

7. Für das Abhandenkommen und die Beschädigung des uns übergebenen Besitzes haften wir gemeinsam in Höhe des verursachten Schadenwertes.

8. Der Besitz muß im Falle seiner Rückgabe sich in dem gleichen Zustand befinden, in dem er zur Nutzung und Bewahrung übergeben worden ist.

9. Für das Nichteinhalten der in dem Vertrage aufgestellten Regelung tragen wir vor dem Gesetz die volle Verantwortung und außerdem hat das Stadt-Exekutivkomitee das Recht, die Gültigkeit des Vertrages aufzu­heben.

10.  Sollte der Fall eintreten, daß wir es für nötig halten, den Vertrag zu kündigen, so muß das Stadt-Exekutivkomitee davon schriftlich in Kenntnis gesetzt werden. Außerdem erlischt unsere im Vertrage vorgesehene Verantwortung für das Vermögen erst nach Ablauf einer Woche nach Einreichung der Erklärung, und während dieser Zeit haften wir voll für die Einhaltung des Vertrages.

Wir verpflichten uns gleichfalls, innerhalb dieser Zeit den Besitz in ordent­lichem Zustand abzuliefern.

11.   Ein jeder von uns, die wir diesen Vertrag unterzeichnet haben, kann sich aus dem Gremium zurückziehen, indem er dies schriftlich dem KreisExekutivkomitee kundtut. Dies entbindet jedoch den Zurücktretenden nicht von seiner Verantwortung für die dem Gebethaus sowie dem anderen übernommenen Besitz zugefügten Schäden während der Zeit, in der der Austretende dem Vermögensverwaltungsgremium angehört hat.

12. Keines der Gremiumsmitglieder im einzelnen sowie das Gremium als solches darf einem dem gleichen Glaubensbekenntnisse angehörenden Bürger verweigern, diesen Vertrag noch zu einem späteren Zeitpunkt zu unter­zeichnen und zusammen mit den anderen Vertragsunterzeichnern das Vermögen uneingeschränkt zu verwalten, solange ihm dieses Recht nicht gerichtlich aberkannt worden ist."

Die sowjetische Propaganda verurteilt fortwährend die sich unrechtmäßig an fremdem Gut bereichernden Kapitalisten. Wo in der Welt gibt es noch einen Kapitalisten, der einem Menschen alles fortnimmt und dann die fortgenommenen Sachen an ihn zurückvermietet, indem er ihm für die Benutzung Steuern abverlangt, und der das von dem Mieter neuerworbene oder ihm geschenkte Gut mit Beschlag belegt? Dieser Mieter ist so rechtlos, daß er stets bereit sein muß, dem Kapitalisten seine sämtliche Habe zu überlassen. Der Mieter darf in seinen Bereich keine dem Kapitalisten nicht genehme Person einlassen, dem Kapitalisten selber muß er dagegen stets Einlaß gewähren, damit dieser seinen Raub überprüfen kann. Solche Aus­beuter und Ausgebeuteten findet man nirgends in der Welt, außer in der Sowjetunion.

Die gottlose Regierung rühmt sich dessen, daß sie den Gläubigen die Kirchen kostenlos überließe. Das ist eine Lüge! Der 4. Art. des Vertrages verpflichtet die Gläubigen zur Zahlung der Versicherungsgebühren sowie der Ortssteuer und einer sechsmal höheren Stromrechnung — 25 Kop. pro kWh — als üblicherweise verlangt wird. Die Steuerabgaben bringen der Regierung Riesenbeträge ein.

In diesem Vertrag wird einzig und allein der Mieter verpflichtet, der „Eigner" — die Sowjetregierung —verpflichtet sich zu keiner Gegenleistung. Ein solch einseitiger „Vertrag" demütigt und beraubt die Gläubigen. Die Gläubigen wären gerne zu einem menschlicheren beidseitig verpflichtenden Vertrag bereit, ein solcher ist jedoch undenkbar. In letzter Zeit strebt die Regierung ein noch strengeres Vertragsregime an. So versucht sie, bereits seit fünf Jahren, den Pfarreiausschüssen die Unterzeichnung eines neuen Vertrages aufzuzwingen. Der neue Vertragstext wurde weder mit der Kirchenobrigkeit, noch mit den Gläubigen ausgehandelt. Es ist bedauerlich, daß die Kirchenobrigkeit sich nicht viel deutlicher gegen einen solchen unge­rechten und menschenunwürdigen Vertrag zur Wehr gesetzt hat. Da die Regierung sich ihres Unredites bewußt war und eine heftige Reaktion befürchtete, wurde die Unterzeichnung der neuen Verträge mehrere Jahre hinausgezögert. Die Regierung versucht, bildhaft gesprochen, die Pfarrei­ausschüsse einzeln an die ausgeworfenen Angelhaken zu bekommen: die einen durch Drohung mit einer Kirchenschließung, die anderen durch Uber-listung, die dritten durch Mithilfe willfähriger Pfarrer, die Unterzeichnung des Vertrages in die Wege zu leiten.

worin unterscneiaet sicn nun aer neue Vertrag von dem der Stalinzeit?

Wir, die dieses Schriftstück unterzeichnenden Personen, wohnhaft in        , zugehörig zu der        Religionsgemeinschaft, die ordnungsmäßig am        19 ... registriert wurde, im nachfolgenden als „PERSONEN" bezeichnet, und das Rayon/Stadt-Exekutivkomitee des Sowjets der Werktätigendeputierten von        , vertreten durch den Bevollmächtigten , im nachfolgenden als „EXEKUTIVKOMITEE" bezeichnet, haben nachstehenden Vertrag abgeschlossen:

1.        Das „Exekutivkomitee" überläßt und die „Personen" übernehmen zur
unentgeltlichen Nutzung folgenden Besitz:

a)        ein Kultgebäude, aus Stein, aus Holz (Zutreffendes unterstreichen), befindlich in         (Adresse), umgeben von einer Mauer, Holzzaun (Zutreffendes unterstreichen);

  1. Kultgegenstände nach beifolgendem Inventarverzeichnis        ;
  2. Wohnhäuser, befindlich in        (genaue Adresse), mit einer Nutz­fläche von        qm, sowie andere Baulichkeiten (aufzählen)        ;
  3. anderen Besitz (aufzählen)        ;

2.        Die den Vertrag unterzeichnenden „Personen" verpflichten sich:

  1. das der Religionsgemeinschaft übergebene Kultgebäude und anderen Besitz pfleglich zu behandeln und zu bewahren;
  2. das Kultgebäude instandzusetzen, ebenfalls aus eigenen Mitteln die entsprechenden Gebühren — Heizkosten, Versicherungs-, Schutz- und andere Gebühren — zu entrichten, die mit der Nutzung und Wartung des Besitzes verbunden sind;
  3. die dem Staate entstehenden Verluste bei Beschädigung und Abhanden­kommen dieser Vermögenswerte zu ersetzen;
  4. das Kultgebäude und die anderen Gegenstände lediglich zu Kult-zwecken zu nutzen;
  5. ein Verzeichnis (Buch) des übergebenen Besitzes anzulegen, in dem sämtliche neuerworbenen Kultgegenstände (durch Kauf, Spenden, Übergabe aus anderen Gebethäusern u. ä.) einzutragen sind, mit Ausnahme per­sönlichen Eigentums.

3.        Die „Personen" verpflichten sich, den Vertretern des Rayon-(Stadt-) Exekutivkomitees periodisch zu beliebigen Tageszeiten, außer denen des Gottesdienstes, Einsicht in den Vermögensstand zu gewähren, damit festgestellt werden kann, ob die Religionsgemeinschaft das ihr übergebene Gut richtig verwaltet und um Angaben zu erhalten, die zur Besteuerung der Kultdiener und anderer Personen nötig sind.

4.        Der Vertrag kann autgehoben werden:

  1. falls die Gläubigen die Nutzung des Kultgebäudes von sich aus kündigen;
  2. falls die Religionsgemeinschaft sich nicht an die Vertragsbedingungen hält,
  3. falls nach bestehender Ordnung beschlossen wird, das Gebethaus (Kult­gebäude), dessen Nutzung durch den Vertrag erlaubt wurde, zu schließen.

5.        Der Vertrag liegt in dreifacher Ausfertigung von: 1 Expl. in den        

Akten des        Exekutivkomitees des Sowjets der Werktätigendeputier-

ten, das 2. Expl. in den Akten der        Religionsgemeinschaft, das

3. Expl. in den Akten des Rates für Religiöse Angelegenheiten bei dem Beauftragten des Ministerrates der UdSSR für die Litauische SSR.

Der bevollmächtigte Vertreter des „Exekutivkomitees" des Sowjets der Werktätigendeputierten (Unterschrift) die „Personen" (Name, Vorname, Vatername, Adresse, Unterschrift)

Das Recht zur Unterzeichnung dieses Vertrages über die Nutzung des Kultgebäudes und des anderen Besitzes haben sämtliche Gläubigen der entsprechenden Religionszugehörigkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die zum Kult benötigten Immobilien und Gegenstände bereits ausge­liefert sind, die späteren Vertragsunterzeichner sind gleichberechtigte Nutz­nießer und ebenso an der Verwaltung beteiligt wie auch diejenigen Perso­nen, welche den Vertrag schon früher unterzeichnet haben. Jeder der Vertragsunterzeichner hat das Recht, seine Unterschrift zurück­zuziehen, indem er eine entsprechende Eingabe bei dem Rayon-(Stadt-) Exekutivkomitee des Sowjets der Werktätigendeputierten einreicht. Dies entbindet ihn jedoch nicht von seiner Verantwortung für die Pflege und Sicherheit der Vermögenswerte bis zu dem Termin der Einreichung seiner Eingabe.

den        19 ....

In dem neuen Vertrag ist der Ausschuß der Religionsgemeinschaft ver­pflichtet, den Finanzbehörden mitzuteilen, wieviel der Priester für seine religiösen Dienstleistungen an Spenden einnimmt. Kein Zweifel, die Regie­rung möchte die gleiche Ordnung auch in Litauen einführen, die bereits in Rußland besteht. Die Eltern, z. B., die ein Kind taufen lassen wollen, wenden sich dort nicht an den Geistlichen, sondern an die Kassierer der Religionsgemeinschaft. Die Eltern machen eine schriftliche Eingabe, in der sie den Willen zur Taufe ihres Kindes bekunden, zeigen ihre Pässe vor, es wird eine Taufurkunde ausgestellt und die Zahlung der Taufgebühren quittiert. Mit dieser Quittung gehen sie dann zum Geistlichen, der die Taufe vornimmt. Die Regierung ist nicht nur daran interessiert, die Ein­künfte der Priester in Erfahrung zu bringen, sondern auch, wer die religiösen Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Wie können die Gewissens­angelegenheiten der Leute geheim bleiben, wenn sie vor allerlei Kassierern und Vorsitzenden vorgetragen werden müssen, in deren Ämter die Regie­rung gerne ihr wohlgesinnte Personen einschleust. Nach Verordnung der Sitzung des Obersten Sowjets, Artikel 14, vom 28. Juli 1976 wird den Exekutivkomitees die Befugnis zugestanden, aus dem Gremium der Reli­gionsgemeinschaft jede der Regierung nicht genehme Person zu entfernen. Durch den Zwang zur Unterzeichnung dieses neuen Vertrages werden die Gläubigen von der Regierung verpflichtet, anzuerkennen, daß „nach beste­hender Ordnung" die Kirche auch geschlossen werden kann. Dieses „nach bestehender Ordnung" sind unbekannte und sogar erst in Zukunft fest­zulegende, von der Sowjetregierung diktierte Bedingungen. Wer kann schon sagen, ob die Regierung nicht auch uns dazu zwingt, wie es bereits in Weißrußland geschieht, vor die Kirchenportale Vertreter der Religionsge­meinschaften zu stellen, die dafür zu sorgen haben, daß die Kirche nicht von Schülern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren betreten wird, anderenfalls die Kirche „nach bestehender Ordnung" geschlossen werde. Der Zwang zur Unterzeichnung eines solchen Vertrages kommt dem Zwange, sich selber die Schlinge um den Hals zu ziehen, gleich. Nach dem neuen Vertrag sowie der neuen Verordnung des Obersten Sowjets, müssen die Gläubigen im Falle der Schließung einer Kirche alles an die Regierung abliefern, sogar die heiligen liturgischen Gefäße, die dann als Anschauungsobjekt in atheistischen Museen oder zu sonstigen profanen Zwecken dienen. Kann man denn die Gläubigen noch tiefer demütigen und kränken? Als die Regierung in vergangenen Jahren die Bauern zum Eintritt in den Kolchosen zwang und nach Sibirien zwangsverschickte, wurde dies auch als freiwilliger Zusammenschluß der Kolchosbauern und als Übersiedlung in die Region Krasnojarsk auf eigenen Wunsch deklariert. Ebenso „freiwillig" geschieht nun die Unterzeichnung durch das Zwanzigergremium. Die Be­schlüsse von Helsinki sind in der Sowjetregierung nur papierene Heuche­leien.