Im September 1977 besuchte die Ehefrau von P. Plumpa ihren Mann, der im 36. Lager von Perm eingesperrt ist. Vor dem Treffen wurde sie völlig entkleidet und durchsucht. Verweigert man solche Durchsuchungen, so erhält man keine Genehmigung zum Besuch. P. Plumpa ist durch die schweren Lagerverhält­nisse stark erschöpft, aber trotzdem standhaft. Gleich nach dem Wiedersehen mit seiner Frau, wurde er in ein anderes Lager verlegt. Seine jetzige Adresse ist: Perm, sr., Cusovskij r., Vsevsvetskaja st., vs 389/35.

Im Oktober 1977 durfte Frau Lapienienė ihren Mann, den Gefangenen VL. Lapienis, in Mordovien besuchen. Seine jetzige Adresse ist: Mordovskaja ASSR, Potma-Barasevo, učr. zx 385/3-5.

Hier einige Auszüge aus dem Verhör von VI. Lapienis:

Der Untersuchungsrichter zu Lapienis: ,,Du bringst durch Deine Tätigkeit viele Leute in „Eure" Gefängnisse."

Lapienis: „Ich habe keine Gefägnisse. Wenn ich welche hätte, müßte ich nicht lange überlegen, wer dorthin gehörte — diese Leute oder Sie."

Der Untersuchungsrichter bemerkt, daß die Leute oft nicht lange in den Gefängnissen leben.

Lapienis antwortet: „Sie sollten einmal selbst dorthin gehen, um zu sehen, ob Sie das Leben dort lange ertragen."

Ona Pranskünaite befindet sich zur Zeit im 3. Lager Mordoviens (dort, wo auch N. Sadūnaitė gefangengehalten wurde). Die Adresse ist: Mordovskaja ASSR, Tengusevskij r., Barasevo, ucr. zx 385/3-4. Sie ist zu zwei Jahren Lagerhaft aufgrund des Artikels 199 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR verurteilt worden. Nach anderen Berichten befindet sich O. Pranskūnaitė in Cuvasisen ATSR, Lager Kozlovsk.

Am 11. Juni wurde ein Paket an Nijolė Sadūnaitė abgeschickt, doch es kam mit dem Vermerk „Nicht zuständig" zurück. Am 12. Juli wurde ein anderes Paket abgeschickt, das nach 23 Tagen verschmutzt, naß, zerrissen zurückkam. Man mußte alles wegwerfen.

Eine Ärztekommission entschied im Juni, daß Nijolė ins Krankenhaus ein­geliefert werden sollte (die Körpertemperatur hielt sich ständig bei 37,8 - 38), aber die Lagerverwaltung war damit nicht einverstanden. Sie erlaubte nicht einmal, ihre Lunge zu röntgen.

Die Zeit vom 31. März bis zum 13. Mai verbrachte Nijolė in der Isolation in Saransk. Hier versuchten die Sicherheitsbeamten, sie umzustimmen: sie wurde gut verpflegt, sogar Schokolade bekam sie. Man versuchte, sie dazu zu bewegen, ihre „Fehler" zu bereuen. Zur Zeit lebt Nijolė in der Verbannung am Fluß Angara im Städtchen Bogucany, Krasnojarskij kr., Beregovaja 18-3. Bogucany kann man von Krasnojarsk aus über die Taiga mit dem Flugzeug erreichen. Dorthin wurde Nijole unter Bewachung gebracht. Die einheimische Bevölkerung staunt, daß Nijole viel Besuch aus ihrer Heimat bekommt.

Aus den Briefen von Nijolė Sadūnaitė

„Am 24. August verließ ich Barasev. Vor der Abreise eröffnete mir die erste Buchhalterin, ich müsse sobald ich mein Reiseziel erreicht habe meine neue Adresse mitteilen, sonst könne sie mir meinen Lohn nicht nachschicken... und wenn es nicht gute Menschen gäbe, so müsse ich bis zum nächsten Lohn hungern. Nach 27 schweren Reisetagen bekäme mir das schlecht. Gott sei Dank, daß es überall noch gute Menschen gibt, die mir viel geholfen haben und auch jetzt noch helfen.

Je eine Woche verbrachte ich in den Gefängnissen von Čeliabinsk, Novosibirsk und Krasnojarsk. Überall waren die Gefängnisse übervoll, so daß wir oft ein Bett zu zweit teilen mußten. Von Sauberkeit oder anderen hygienischen Notwendigkeiten kann keine Rede sein. Nur durch glückliche Umstände blieb ich von Läusen verschont. Über meinen Kampf mit den Wanzen, haben andere Frauen, die daran schon gewöhnt sind, gelacht. Was soll ich machen, ich kann mich nicht daran gewöhnen zu schlafen, wenn die Wanzen beißen... Und wenn man zwei aufeinanderfolgende Nächte ohne Schlaf verbringt, verliert man auch noch die letzten Kräfte. Kein Wunder, daß auch meine Herztätigkeit schwächer wurde, aber jetzt, Gott sei Dank, ist alles schon Vergangenheit.

Am 5. September wäre ich fast dorthin gelangt, wo es keine Schmerzen und keine Tränen mehr gibt. Es ist erstaunlich, daß man sich dabei ganz ruhig fühlt, man hat keine Angst. Man hat nur einen einzigen klaren Gedanken: Gott sei Dank, alles geht zu Ende! Denn das Herz macht keine Spaße — streikt es einmal, dann, lebt wohl! Aber diesmal ging der Tod an mir vorbei, — die Bewacher haben es verhindert mit Medikamenten, Wasser und Luft, so daß ich aus der Ohnmacht erwachte.

Auf der Reise hatte ich Grippe und Mittelohrentzündung. Behandelt wurde ich nicht, weshalb ich jetzt ein taubes Ohr als Andenken habe... Ich danke dem lieben Gott, daß ich mit dem anderen Ohr noch hören kann. Es wäre nur gut, wenn ich Flüche und unanständige Reden nicht zu hören brauchte, sondern mich nur an guten Worten und klangvoller Musik erfreuen könnte.

Unterwegs und in den Gefängnissen — überall gab es Durchzug. Die Fenster sind ohne Scheiben. Fast alle niesen, sind verschnupft, husten. Durchhalten können nur die Abgehärtetsten und die Kräftigsten. Am schlimmsten war es in den Waggons. Es war viel zu eng.

Und nun bin ich wieder frei! Was für ein großes Glück für mich! Aus voller Brust atme ich die frische Luft der Taiga ein, freue mich über das weite Land, über die unschuldigen Augen der Kinder. Ich danke dem lieben Gott für alles Schöne in der Natur, für das Gute in den Herzen der Menschen!

Wie unendlich arm ist der Mensch ohne die Gnade Gottes. Davon zeugen Millionen der Armen im Geiste, die nicht das Glück hatten, den lieben Gott kennen- und liebenzulernen und die von Kindheit an auf den Irrwegen des Lebens wandern. Sehr viele solcher Menschen traf ich auf der Reise. Ungeachtet dessen, wie tief sie gesunken sind, in jedem von Ihnen lodert noch ein Fünkchen des Guten, das durch ein gutes Wort entfacht werden kann. Wie notwendig haben ihre durch das Böse gepeinigten Seelen die Gnade Gottes. Beten wir und opfern wir uns, da die Zahl dieser Armen im Geist ständig zunimmt. Ich erlebte tatsächlich, wie unglücklich der Mensch ohne Gott sein kann.

Die Mittelschule ist noch nicht instandgesetzt, deswegen benutzen unsere Schüler die Räume der achtklassigen Schule in der zweiten Schicht ab 14 Uhr. Wir gehen auch nachmittags zur Arbeit. Wir läuten zum Unterricht und zu den Pausen, geben acht, daß die Gänge sauber sind, und nach dem Unterricht säubern wir alle Klassenräume. Es gibt sehr viel Arbeit, da es an Putzfrauen mangelt und wir, Ana und ich, müssen für vier arbeiten. Vorgestern wurde eine dritte Putzfrau angestellt, und deshalb haben wir es jetzt viel leichter. Außerdem kehren auch die Kräfte langsam wieder zurück. Was die Freiheit bedeuten kann! Erst zehn Tage bin ich frei und schon stehe ich kräftig auf den Beinen, nicht einmal ein starker Wind ängstigt mich. Die Schwäche geht vorbei; bei der Arbeit ermüde ich weniger und fühle schon, daß ich bald genau so kräftig sein werde wie früher, bevor man mich gefangen nahm.

Mein Löhn aus dem Lager wurde mir bisher noch nicht überwiesen. Hätten mich nicht gute Menschen unterstützt, hätte ich Hunger leiden müssen.

Mit den Menschen hier komme ich gut aus, alle sind zu mir freundlich und gut. Ich bemühe mich meinerseits, auch niemandem etwas schuldig zu bleiben. Wir leben hier sehr schön.

Allen, die an mich denken, danke ich sehr herzlich. Der liebe Gott segne und behüte alle!

Auf Wiedersehen! In Liebe und Dankbarkeit

Nijolė