Čistopol

Viktoras Petkus, Mitglied der litauischen Helsinkigruppe, wurde aus der Haft­anstalt Vladimir in das Gefängnis Čistopol verlegt. Die Haftanstalt Vladimir wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1980 aufgelöst, die Insassen in das weit abgelegene Čistopol verlegt. Die jetzige Adresse von Vikto­ras Petkus lautet:

422950 Tatarskaja ASSR Čistopol Ue 148 st. 4

Ulianovsk

Ona Pranskūnaite hat am 20. Januar 1979 ihre Haftstrafe wegen Vervielfälti­gung und Verbreitung der »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« ver­büßt und wurde freigelassen. Noch am Abend desselben Tages ist sie auf dem Luftwege nach Kaunas zurückgekehrt. Auf dem Flugplatz in Kaunas wurde sie mit Blumensträußen empfangen und in mehreren festlichen Empfängen geehrt. Obwohl sichtlich von den durchstandenen Strapazen gezeichnet, ist Ona Prans­künaite in geistiger Hochstimmung in die Heimat zurückgekehrt.

Potma

Ein Bericht des nationalen Märtyrers Petras Paulaitis: Immer noch geht's irgendwie voran. Bin jetzt über die 32. Jahresgrenze hinaus. Bleiben noch drei Jahre. Schaue mit ruhigem Blick in die Zukunft, sie wird bes­ser sein, wenn auch nicht mehr für mich, so doch ganz gewiß für mein Vater­land, meine Heimatgenossen. Stets aber und überall — fiat voluntas Tua. Mir bleibt nur eines, allen Landsleuten zu danken, euch alle nur noch mehr zu lieben und mich für das gemeinsame und berechtigte Freiheitsanliegen aller hin­zugeben. Jedes herzliche Wort gütiger Brüder und Schwestern wirkt hier hinter Stacheldraht wie Balsam: deckt Mängel zu, lindert manche Dornenstiche, an denen es hier nicht fehlt, mildert manche Pein. Das Geleit liebender Herzen macht selbst das Joch der Okkupanten weniger schwer, das man durch sein Le­ben zu schleppen hat — jahraus, jahrein. Wie kann ich nur all den liebenden Seelen danken, die meiner gedenken und mir gelegentlich auch schreiben? Was ich tun kann, gleicht Flugversuchen eines Vogels, dem man die Schwingen ge­stutzt hat.

Ein jeder kennt ja wohl Gesundheitsprobleme und Gebrechen der verschieden­sten Art. Nicht zu vermeiden, besonders im Winter, sind hier Attentate auf die Gesundheit — Grippen verschiedener Art, Arthrosen, Rheumatismen und ähn­liche Plagen. Doch bisher sind auch dies unwichtige Einzelheiten, denen man nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen sollte — sie kommen und gehen, man selbst bleibt auf der Stelle. Es gibt Wichtigeres sich zu sorgen und zu bedenken. Weiß nicht, wie sehr ich mich über das Dichterwort von Maironis freuen soll:

— Ich bitte um Leben, nicht um den Tod Zu kämpfen, das ist mein Verlangen Dazu hat der Höchste mir Kräfte verliehn Und Tränen,zu waschen die Wangen.

Daher — Deo gratias und alles in allem — fiat voluntas Tua!

Petras Paulaitis ist eine der edelsten Persönlichkeiten unter uns Litauern. Auf dem Sacharov-Tribunal in Kopenhagen bezeichnete man Paulaitis als ein Mu­sterbeispiel moralischer Sauberkeit. Die »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« ersucht die Brüder in der Emigration, den Namen dieses langjährigen nationalen Märtyrers ihrer Sache immer und immer wieder zu wiederholen — Petras Paulaitis. Laßt uns alle auf seine schnellstmögliche Entlassung in die Freiheit dringen!

Die Adresse von Petras Paulaitis

Mordovskaja ASSR Stancija Potma p/o Lesnoij 385/19-3

Potma

Frau Elena Lapieniene besuchte am 20. November 1978 ihren Ehemann Vladas Lapienis, der hier, zusammen mit P. Paulaitis, im Mordovisen Lager 19 inhaf­tiert ist. Vor und nach dem Zusammentreffen mit ihrem Gatten wurde Frau La­pieniene eingehender Leibesvisitationen unterzogen. Die Tschekistin Masa zog sie fast nackt aus, zerrte die Zöpfe auseinander, drehte und wendete sie hin und her, inspizierte sogar Füße und Fersen, um ja kein, etwa daranklebendes »anti­sowjetisches Papierchen« zu übersehen. Es ist nicht zu begreifen, wie so ein gro­ßer Staat wegen eines wahren Wortes auf einem Papierschnipsel so ängstlich zit­tert. Frau Lapieniene durfte ihrem Mann kein Paket übergeben, obwohl Häft­linge nach Verbüßung der Hälfte ihrer Strafe das Recht auf Paketempfang haben. Aus der Lagerhaft schreibt V. Lapienis selbst:

»Bis ich nach dem Mittagessen von der Kantine bis zur Wohnstätte marschiere, ist die ganze Brotration meist schon aufgezehrt . . .« Zwangsarbeit, Hunger, dauernde Erniedrigung und Strafen, daraus besteht das sowjetische Lagerleben.

Während der Gerichtsverhandlung gegen Vladas Lapienis versuchte das KGB, auch seine Frau Elena als Zeugin gegen ihren Gatten auszunutzen. Diese gab al­lerdings eine drastische Schilderung des grobschlächtigen Benehmens der Ge­heimdienstbeamten während der Haussuchung und bei der Beschlagnahme reli­giöser Literatur. Trotzdem nutzte das Gericht die Aussage von Frau Elena La-pieniene zur Feststellung, niemand hindere sie, zur Kirche zu gehen, was doch beweise, daß in Litauen heute Glaubensfreiheit herrsche. Sicher hindert Frau Elena, die heute als einfache Köchin arbeitet, niemand am Kirchgang, doch seit Jahren wartet sie vergeblich etwa auf die Zuteilung einer Kommunalwohnung. Dies, obwohl sie zu den erstberechtigten Anwärtern zählt und die Wohnungs­kommission alljährlich feststellt, die jetzigen Wohnverhältnisse seien mehr als schlecht.

Als Frau Elena in Pension ging, vergaß die Betriebsleitung nicht, die gläubige Christin zu brüskieren. Trotz langjähriger gewissenhafter Pflichterfüllung er­hielt sie auch nicht das geringste Abschiedsgeschenk ihres Betriebes (wie dies sonst stets und überall üblich ist). Einmal bat Frau Lapieniene die Vorsitzende des Gewerkschaftskomitees F. Sterskaja um einen Bezugsschein zum Ankauf ei­nes Teppichs. Die Funktionärin, der Frau Elena als gläubige Christin bekannt war, fauchte nur böse zurück: »Für so was gibt's nie was! . . .«