erlassen vom Präsidium des Obersten Sowjets

Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen

25. Dezember 1978 Nr. 5

An das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR

An das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR

An die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

An den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis

Vor dreißig Jahren, am 10. Dezember 1948, billigte die UNO-Generalversamm-lung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren Einhaltung und Durchführung zu garantieren sich auch die Sowjetunion feierlich verpflichtet hat. Die Sowjetpresse behauptete sogar, die neue Konstitution der UdSSR ga­rantiere erheblich mehr an Rechten und Freiheiten, als in der Allgemeinen Er­klärung der Menschenrechte vorgesehen ist.

Die Katholiken Litauens hatten in den Nachkriegsjahren unter verschiedensten Formen der Diskriminierung zu leiden. Angesichts des Jubiläums der Verkündi­gung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hofften sie daher, die So­wjetregierung werde ihnen jetzt etwas mehr an Rechten und Freiheiten zugeste­hen. Doch das Gegenteil trat ein. Am 24. November 1978 hat der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, alle Bischöfe und Verwal­ter der Diözesen Litauens nach Vilnius vorgeladen. Ihnen wurde ausdrücklich erklärt, von jetzt ab müsse man sich voll an die Bestimmungen der Verordnung des Obersten Sowjets der Litauischen SSR betreffend das »Statut religiöser Ge­meinschaften« halten. Zuwiderhandelnde würden streng bestraft. Bei Bestätigung des »Statuts religiöser Gemeinschaften« (SRG) hätte das Präsi­dium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR vor allem davon ausgehen sol­len, daß die katholische Kirche Litauens nicht nur über geschichtliche Tradition von 600 Jahren verfügt und unbestreitbare Verdienste um Litauen hat, z. B. die vor 400 Jahren von Jesuiten gegründete Universität Vilnius. Zur katholischen Kirche gehören heute nicht weniger als 70 Prozent der Einwohner Litauens, nur eine unbedeutende Minderheit hält sich für Atheisten. Eine Volksregierung hät­te bei Bestätigung des Statuts auf die Überzeugungen und den Willen der Mehr­heit des Volkes Rücksicht nehmen müssen. Man hat sich aber im Gegenteil so verhalten, daß die Interessen einer Handvoll von Atheisten den diskriminieren­den Charakter des »Statuts religiöser Gemeinschaften« geprägt haben. Mit diesem Schreiben wollen wir die Aufmerksamkeit der Sowjetregierung dar­auf lenken, wie Geistliche und Gläubige Litauens das ihnen aufgezwungene Sta­tut bewerten, das den Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschen­rechte ebenso widerspricht wie den Bestimmungen der Verfassung der Litaui­schen SSR — und dessen eigentliches Ziel darin besteht, die katholische Kirche Litauens mit administrativen Mitteln zu vernichten.

Das »Statut religiöser Gemeinschaften« sieht vor, daß eine religiöse Gemein­schaft registriert sein muß (Artikel 2), ohne Registrierung darf sie ihre Tätigkeit nicht aufnehmen (Art. 4). Zwecks Registrierung muß eine religiöse Gemein­schaft beim zuständigen Rayon- oder Stadt-Exekutivkomitee des Rates der Volksdeputierten einen Antrag stellen. Das Exekutivkomitee unterbreitet seine Entscheidung samt Schlußfolgerungen dem Ministerrat der Litauischen SSR (Art. 5). Hier werden die eingegangenen Unterlagen beraten (Art. 7) und dem Rat für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR übersandt, der die religiöse Gemeinschaft registriert oder den Antrag ablehnt (Art. 4). Das »Statut religiöser Gemeinschaften« setzt das Alter der Mitglieder mit nicht unter 18 Jahren fest (Art. 3). Die katholische Kirche hat dieser Vorschrift nie zugestimmt und wird ihr nicht zustimmen, da dies ihrer Lehre und Rechtsver­fassung (Kanonisches Recht) widerspricht. Gestützt auf Christi Gebot.geht die Kirche davon aus, daß Taufe, Buße und die anderen Sakramente Voraussetzung der Erlösung sind, und verlangt daher, daß Neugeborene innerhalb des ersten Lebensmonates getauft werden und Kinder ab etwa dem siebten Lebensjahr zur Beichte und Kommunion gehen. Mit anderen Worten, Kirchenmitglieder sind Menschen nicht erst mit 18 Lebensjahren, sondern bereits seit ihrer Taufe. Wenn also der Staat in der Verfassung allen Bürgern, ohne Einschränkung, die »Freiheit, religiöse Kulte auszuüben«, garantiert, so dürfen staatliche Gesetze diese Garantien nicht wieder hinfällig machen oder einschränken. Bestimmungen, die eine Mitgliedschaft religiöser Gemeinschaften erst ab 18

Jahren ermöglichen, öffnen einer Diskriminierung der Gläubigen Tür und Tor. Es besteht keinerlei Garantie dafür, daß die Behörden, gestützt auf Artikel 3 des Statuts, eines Tages nicht dazu übergehen, die Taufe von Kindern zu verbieten, Jugendlichen die Teilnahme am Empfang der Sakramente bzw. den Kirchenbe­such selbst zu verbieten. Das Beispiel der Russischen Sozialistischen Föderation und anderer Sowjetrepubliken zeigt, daß solche Bedenken der Gläubigen Litau­ens durchaus berechtigt sind. Die Bestimmungen über Religionsgemeinschaften in der Lettischen SSR verbieten Menschen unter 18 Jahren direkt die Teilnahme an religiösen Kulthandlungen.

Die Bestimmungen machen die Registrierung einer religiösen Gemeinschaft zwar zur Pflicht, garantieren aber keineswegs die Registrierung selbst. Diese kann praktisch durch das Rayon-Exekutivkomitee, den Ministerrat oder den Rat für religiöse Angelegenheiten verhindert werden. Eine religiöse Gemein­schaft kann somit Jahre hindurch mit Registrierungsformalitäten schikaniert werden, ohne auch nur feststellen zu können, wer eigentlich der Schuldige ist. Sie hat nicht einmal das Recht, die Maßnahmen örtlicher Behörden einem regu­lären Volksgericht zu unterbreiten. Die Gläubigen von Žalioji (Rayon Vilkaviš­kis) haben sich, nach zahlreichen wirkungslosen Versuchen, am 31. März 1978 an den Rat für religiöse Angelegenheiten in Moskau gewandt und um Registrie­rung ihrer religiösen Gemeinschaft gebeten. Diese Eingabe der Religionsgemein­schaft Žalioji wurde daraufhin von Moskau an den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten in Vilnius übersandt, der die ganze Sache dem Rayon-Exekutivkomitee in Vilkaviškis zur Entscheidung übergab, dessen Vertreter U. Urbonas jetzt erklärte: eine Religionsgemeinschaft Žalioji würde niemals regi­striert werden.

In den Jahren 1976—1977 erging es der Religionsgemeinschaft Slabadai (Rayon Vilkaviškis) so ähnlich beim vergeblichen Versuch der Registrierung ihres Komi­tees; dauernd hatte man mit der Willkür der Behördenvertreter zu kämpfen. Wenn nach den Bestimmungen der Verfassung der Litauischen SSR »die Kirche vom Staat getrennt ist«, hätte der Staat auch kein Recht, die Registrierung einer Religionsgemeinschaft zu verlangen; die Mitteilung über die Existenz einer sol­chen wäre ausreichend. Registrierungszwang bedeutet nichts anderes als Ver­bot, denn erst eine Registrierung verleiht Existenzrechte. Dies aber steht in di­rektem Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wo es heißt: »Jedermann hat das Recht und die Freiheit, Organisationen anzugehö­ren« (Art. 20).

»Eine Religionsgemeinschaft besitzt ein Anschaffungsrecht für kirchliche Ein­richtungsgegenstände, religiöse Kultgeräte und Transportmittel sowie das Recht, Gebäude zu mieten, zu kaufen oder zu errichten . . .« (Art. 3). An anderer Stelle derselben Satzungen heißt es aber: »Gegenstände der Kultaus­übung, Gegenstände, die Religionsgemeinschaften vertragsmäßig zur Nutzung überlassen sind, diesen gespendete oder von diesen angeschaffte Kultgegenstän­de bleiben Staatseigentum . . .« (Art. 22). Im Fall der Auflösung werden einer

Religionsgemeinschaft sogar Gelder, Weihrauch, Kerzen, Weine, Wachs, selbst das Heizmaterial abgenommen (Art. 34).

Der Sinn des Art. 3 wäre somit: Eine Religionsgemeinschaft hat das Recht, Ein­richtungen des Kirchenraums, Kultgegenstände, Transportmittel, Bauten usw. anzuschaffen — allerdings nicht für sich, sondern für den Staat. Durch eine sol­che Enteignung gespendeter Sachwerte wird der Wille der Gläubigen gröblich verfälscht, die ihre Spenden der Kirche zukommen lassen und keineswegs beab­sichtigen, den Staat oder Museumsbestände zu bereichern. Der Staat hält sich somit nicht an die Bestimmungen der Allgemeinen Deklaration der Menschen­rechte, die verkündet, »niemandem darf sein Besitz willkürlich weggenommen werden« (Art. 17,2).

Artikel 10 der Statuten besagt, daß eine Religionsgemeinschaft nach festgesetz­ter Ordnung ein besonderes Bethaus »erhalten kann«. Somit kann eine Reli­gionsgemeinschaft ein Bethaus auch nicht erhalten, wenn etwa ortsansässige Atheisten oder Behördenvertreter es so wollen. In Litauen sind zahlreiche Kir­chen willkürlich geschlossen worden (Kaunas, Klaipėda, Ukmergė, Panevėžys und anderenorts). Religionsgemeinschaften müssen das uneingeschränkte Recht haben, Kirchenbauten zu errichten oder neu anzuschaffen, soweit sie über sol­che bisher nicht verfügen. Die Kirchen Litauens sind nicht von Atheisten, son­dern vom gläubigen Kirchenvolk errichtet worden, eine Genehmigung zur Nut­zung ist daher keinerlei staatlicher Gnadenerweis für die Gläubigen. Ebensowenig befugt ist der Staat festzusetzen, über wieviel Bethäuser eine Reli­gionsgemeinschaft verfügen darf. Dies wäre ein flagranter Eingriff in die inne­ren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft.

Die Satzung bestimmt ferner, daß Funktionen innerhalb einer Religionsgemein­schaft nur von Einzelpersonen ausgeübt werden dürfen, d. h., der Status einer juristischen Person (Körperschaft) wird einer Religionsgemeinschaft nicht zuer­kannt. Landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften, Kooperative, Kran­kenhäuser, künstlerische oder Sportverbände u. a. Organisationen können da­gegen als juristische Personen anerkannt werden — Religionsgemeinschaften besitzen dieses Vorrecht jedoch nicht. Daraus ergibt sich, daß die Gläubigen Li­tauens (ähnliches gilt für die Gläubigen in der UdSSR) vor dem Gesetz den Atheisten nicht gleichgestellt sind — d. h., der Staat traktiert Gläubige praktisch wie Bürger zweiter Klasse,und dies, obwohl die Verfassung der Litauischen SSR ausdrücklich bestimmt, »vor dem Gesetz sind alle Bürger Sowjetlitauens gleich« (Art. 32).

»Generalversammlungen und Gruppenzusammenkünfte der Gläubigen — au­ßer zu gottesdienstlichen Zwecken — sind bei Genehmigung durch ... das Exe­kutivkomitee statthaft« (Art. 12). Anders ausgedrückt, ohne Genehmigung der örtlichen Rayonbehörde ist selbst Erörterung von Glaubensfragen in Gruppen von drei bis vier Menschen unstatthaft. Diese Bestimmung widerspricht der All­gemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren Art. 20,1 festlegt, »jedermann hat das Recht auf freie Teilnahme an friedlichen Versammlungen«.

Hier entsteht der Eindruck, daß der Staat die Gläubigen als Verbrecher ansieht, die auf Schritt und Tritt zu überwachen sind. Solche unberechtigten Bestim­mungen provozieren Unwillen, Mißtrauen und Feindschaft der Gläubigen ge­genüber der Staatsmacht, was der normalen Entwicklung der Gesellschaft äu­ßerst abträglich ist.

»Eine Religionsgemeinschaft wählt in öffentlicher Wahl Personen aus ihrer Mitte in die ausführenden Organe« (Art. 13).

Wäre die Kirche in der Litauischen SSR wirklich vom Staat getrennt (Art. 50 der Verfassung), würde sich der Staat wirklich so eingehend darum kümmern, ob Funktionäre einer Religionsgemeinschaft in öffentlicher oder geheimer Wahl bestimmt werden? Die ausdrückliche Vorschrift eines öffentlichen Wahlverfah­rens innerhalb einer Religionsgemeinschaft kann von den Gläubigen nur als Be­mühung des Staates gedeutet werden, die Beauftragung befähigter Amtsträger der Religionsgemeinschaft zu behindern. Das Statut verbietet Staatsbeamten die Teilnahme an Generalversammlungen der Religionsgemeinschaft nicht; den Be­amten wird es so ermöglicht, die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mora­lisch zu erpressen, dem Exekutivkomitee genehme Kandidaten statt Personen zu wählen, die die Interessen der Religionsgemeinschaft vertreten. Falls solche »öffentliche Wahlen« dennoch »unerwünschte« Resultate zeigen, d. h., die Gläubigen einen besonders standfesten und aktiven Vertreter ihrer In­teressen wählen, so ist das Rayon-Exekutivkomitee nach wie vor berechtigt, je­de beliebige Person nach eigenem Ermessen aus dem Bestand der Exekutivorga­ne einer Religionsgemeinschaft zu entfernen (Art. 14), und, anders ausgedrückt, die atheistische Obrigkeit versucht über die Exekutivkomitees, die Kirche zu ad­ministrieren und sie den eigenen Absichten gefügig zu machen. »Religiöse Zusammenschlüsse haben kein Recht, besondere Zusammenkünfte für Kinder oder Jugendliche zu organisieren« (Art. 17). »Religionsunterricht darf nur in einer geistlichen Schule zugelassen werden« (Art. 18). In den staatlichen Schulen werden gläubige Kinder gezwungen, gottlosen Schü­lerorganisationen beizutreten, was der Allgemeinen Deklaration der Menschen­rechte widerspricht, die in Art. 20 besagt, »niemand darf gezwungen werden, ir­gendeiner Organisation beizutreten«. Gläubige Schüler müssen an atheistischen Sonderveranstaltungen der Jungen Pioniere und des Komsomol teilnehmen, während ihnen selbst Treffen zwecks Vertiefung ihres Glaubens und das Proben religiöser Lieder verboten bleibt, denn diese gelten als »Sonderversammlun­gen«. Artikel 17 des Statuts widerspricht eindeutig Art. 20 der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte, worin jedermann (auch Kindern, Schülern und Jugendlichen) das Recht garantiert wird, freiwillig an friedfertigen Ver­sammlungen teilzunehmen.

Art. 18 des Statuts spricht von »geistlichen Schulen«, die in Sowjetlitauen ver­boten sind. Das einzige verbliebene Priesterseminar ist limitiert und steht unter strenger Kontrolle von Staatsbeamten.

Die Artikel 22 und 34 des Statuts erklären selbst notwendige Kultgegenstände zu

Staatseigentum, wodurch die Behörden geradezu ermutigt werden, selbst Geräte der heiligen Messe wie Kelche, Monstranzen u. a. gegebenenfalls zu enteignen. Nur mit Schaudern werden die Gläubigen zur Kenntnis nehmen, daß der Staat solchen Kirchenraub auch noch gesetzlich sanktioniert. Das Gewissen selbst ge­bietet einem jeden Gläubigen, Geräte des hl. Meßopfers mit allen seinen Kräften vor räuberischen Zugriffen zu schützen. Das Statut bringt somit Millionen gläu­biger Menschen künstlich in Opposition zur Regierung und provoziert Kon­flikte. Die obigen Artikel beleidigen heiligste Gefühle der Gläubigen. Was bleibt eigentlich übrig von der Trennung der Kirche vom Staat, wenn Regierungsbe­amte ihre Hände selbst nach der allerheiligsten Stelle des Altars, dem Taberna­kel, ausstrecken dürfen.

Beraubt man eine Religionsgemeinschaft ihres Eigentums, so verstößt man gegen die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte, die bestimmt: »Jeder Mensch hat ein Recht auf Eigentum — einzeln wie auch in Verbindung mit anderen Personen« (Art. 17).

An eine Beendigung der Diskriminierung der Kirche werden die Gläubigen erst glauben können, wenn den Religionsgemeinschaften das Recht auf Eigentum und die Eigenschaft juristischer Persönlichkeit zuerkannt werden. Das Statut gestattet einer Religionsgemeinschaft die Nutzung von Bethäusern und Kultgerätschaften nur auf Grund eines Vertrages mit dem Rayon-Exekutiv­komitee und bei Akzeptierung aufgezwungener, einseitiger Bedingungen (Art. 22, 23, 24, 25).

Die Organisation religiöser Unterweisung der Schüler wurde durch Präsidial­erlaß des Obersten Sowjets der Litauischen SSR vom 12. Mai 1966 verboten. Diese Anordnung sollte als praktisch nicht existent betrachtet werden, denn sie widerspricht der Internationalen Konvention über »Bekämpfung der Diskrimi­nation im Bildungswesen«, die seit dem 1. November 1962 in der UdSSR gültig ist. Artikel 6 dieser Konvention bestimmt, Eltern müssen »die Gewißheit haben, daß die religiöse und moralische Erziehung ihrer Kinder der elterlichen Über­zeugung entspricht«. Artikel 18 des Statuts beraubt die Eltern aber der Garantie einer so gearteten Erziehung. Auf Grund der Verordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Litauischen SSR vom 12. Mai 1966 wurde eine Reihe von Priestern in Litauen — Juozas Zdebskis, Prosperas Bubnys, Antanas Šeškevi­čius — zu Gefängnisstrafen verurteilt, nur weil sie Kindern auf Wunsch der El­tern religiöse Unterweisung erteilten.

Nach besagtem Artikel 18 kann selbst ein Großvater strafrechtlich belangt wer­den, wenn er seinen Enkeln vom lieben Gott erzählt. Die Zulassung des Reli­gionsunterrichts in geistlichen Schulen, die doch verboten sind, ist an sich eine hinterhältige Bestimmung, mit der versteckten Absicht, die Religion baldmög­lichst zu vernichten. Artikel 18 läßt die Möglichkeit offen, in Zunkunft selbst Priestern das Predigen zu verbieten, denn Predigt in einem Kirchenraum ist doch wohl religiöse Unterweisung außerhalb einer geistlichen Schule. Der Arti­kel 18 widerspricht letztlich auch der Allgemeinen Deklaration der Menschen­rechte, die jedem Menschen die Freiheit garantiert, »Informationen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten, mit beliebigen Mitteln und unabhängig von Staatsgrenzen« (Art. 19). Warum setzt das Statut eigentlich dem Religions­unterricht derartige Grenzen?

»Die Ausübung von Kulthandlungen ist Priestern nur in Kirchenräumen und im Territorialbereich der Religionsgemeinschaft gestattet, der sie dienen« (Art. 19). Christus hat seinen Jüngern keinesfalls geboten, sich an staatlich konzessionier­te Religionsgemeinschaften zu wenden, sondern hinzugehen in alle Welt (Matth 28,19) und das Evangelium zu verkünden — den Heiden, Gläubigen und Athei­sten. Artikel 19 zwingt einerseits die Geistlichen dazu, gegenüber dem eigenen Gewissen schuldig zu werden, und hindert andererseits die Gläubigen an der Ausübung der ihnen auferlegten Pflichten. Wenn staatliche Bedienstete die Priester daran hindern, etwa bei Ablaßfeiern oder Einkehrtagen einander aus­zuhelfen, so hindern sie Gläubige daran, die Osterbeichte abzulegen und Sün­denerlaß zu erlangen, wodurch die Verfassungsbestimmungen der Litauischen SSR über Garantie der »Kultfreiheit« gänzlich zur Farce gemacht werden. Arti­kel 19 widerspricht auch der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte, die jedem das Recht verleiht, seine Ideen unabhängig von Staatsgrenzen zu verbrei­ten (Art. 19), unabhängig vor allem auch vom Territorialbereich einer Reli­gionsgemeinschaft.

»Religiösen Zentren und bischöflichen Verwaltungen ist das Recht verliehen, kirchliche Einrichtungsgegenstände und religiöse Kultgeräte herzustellen« (Art. 20).

Mit der Verleihung dieses Rechts wurden aber die Möglichkeiten zur Wahrneh­mung genommen. In der gesamten Nachkriegszeit wurde in Litauen legal kein einziger Rosenkranz hergestellt, nicht ein einziger Katechismus herausgegeben. Mit Genehmigung der Sowjetmacht durfte nur eine sehr beschränkte Anzahl von Gebetbüchern gedruckt werden, die nicht einmal für ein Hundertstel der Gläubigen ausreichte.

Diese »Verträge« aus der Stalinära wurden der katholischen Kirche Litauens 1948 aufgezwungen, wobei den Gläubigen mit Schließung der Gotteshäuser und Repressalien gegen die Priesterschaft gedroht worden war. Merkwürdig, doch wahr bleibt die Tatsache, daß die Sowjetmacht im Jahre 1976 das stalinsche Un­recht an der Kirche wiederholt hat, indem sie die Erneuerung dieser »Verträge« erzwang. In Wirklichkeit würde niemand diese gläubige Menschen diskriminie­renden Verträge aus freiem Willen abschließen — denn sie dienen den Staatsbe­diensteten lediglich zur administrativen Einmischung in die inneren Angelegen­heiten der Kirche.

Das Statut gestattet es Vertretern der jeweiligen Exekutivkomitees, Kirchenräu­me und kirchliche Besitztümer jederzeit zu inspizieren (Art. 25, Ziff. f). Unwill­kürlich kommt einem der Gedanke, daß Vertretern der Staatsmacht hier die Möglichkeit gegeben werden soll, zu jeder Tageszeit (auch um Mitternacht) Durchsuchungen der Kirchenräume vorzunehmen — immer »zwecks Überprü­fung und Inansichtnahme staatlichen Eigentums« — einschließlich des Altars und des Tabernakulums, dem Aufbewahrungsort des Allerheiligsten. Das Statut sieht vor, daß sich Personen entsprechenden Glaubens und Ausrich­tung später dem Kreis der (Art. 20) Beauftragten einer Religionsgemeinschaft anschließen können (Art. 22). Hier wird absichtlich ein gewisser Spielraum of­fengelassen, um zwielichtige Personen in die Religionsgemeinschaft einzu­schleusen. »Personen entsprechender Ausrichtung« dürften in den Augen der Staatsbeamten wohl Leute sein, die früher einmal kirchlich getauft, im übrigen aber längst zu Gottlosen geworden und jetzt nur noch an Durchsetzung staatli­cher Aufträge interessiert sind. Sobald solche Menschen die Mehrheit einer Reli­gionsgemeinschaft bilden, können sie zu deren Zerstörung schreiten. Eine Reli­gionsgemeinschaft sollte wirklich nur aus öffentlich bekannten und wahrhaft gläubigen Menschen bestehen.

Versicherungsleistungen für Brandschäden an Bethäusern werden dem Exeku­tivkomitee zugeleitet, das berechtigt ist, über die Verwendung der anfallenden Mittel nach Belieben zu entscheiden (Art. 29).

Welche betrügerische Schädigung der Gläubigen! Sie errichten eine Kirche und zahlen dem Staat dafür Steuern, bleiben aber im Unglücksfall vom Empfang der Versicherungsleistung ausgeschlossen. In solchen Fällen erhalten die Reli­gionsgemeinschaften meist erst gar keine Genehmigung, ein neues Bethaus zu errichten. Als Beispiel sei auf die Gemeinde Sangrüda (Rayon Kapsukas) ver­wiesen. Als dort die Kirche abbrannte, kassierte das Rayon-Exekutivkomitee nicht nur die Leistungen der Feuerversicherung, sondern gleichzeitig wurde der Religionsgemeinschaft untersagt, ein neues Gotteshaus zu errichten, und die Gläubigen mußten sich einen Kirchenraum in einem Wohnhaus einrichten. Ähnlich erging es den Gemeinden von Batakiai, Gaure und anderenorts. Artikel 29 ermutigt kämpferische Atheisten geradezu, Kirchenbauten absichtlich zu zer­stören. Die Gläubigen Litauens mutmaßen ohnehin, daß die Mehrzahl der Kir­chenbrände nach dem Krieg auf Brandstiftung durch Menschen bösen Willens zurückzuführen ist.

Der Ministerrat der Litauischen SSR besitzt das volle Recht, Kirchen jederzeit ohne Rücksicht auf den Willen der Gläubigen zu schließen, für profane Zwecke zu nutzen bzw. ganz abzureißen.und zwar bei Konfiskation aller sonstigen Be­sitztümer (Art. 30, 31, 32, 33, 34). In den Jahren seit Kriegsende wurde den Gläubigen Litauens größter Schaden zugefügt durch Schließung von Kirchen gegen den Willen der Gläubigen und Umwandlung derselben in Lagerhäuser, Werkstätten und ähnliches. Der Dom St. Casimir in Vilnius wurde sogar in ein atheistisches Museum verwandelt. Da Religionsgemeinschaften nicht als juristi­sche Körperschaften anerkannt werden, besteht nicht einmal die Möglichkeit, berechtigte Ansprüche auf dem Rechtswege geltend zu machen. Die Gläubigen befinden sich in einem Dauerzustand der Angst vor Willkür der örtlichen Machthaber — denn jederzeit kann, als Strafe für angeblichen Ungehorsam, die Schließung ihres Gotteshauses verfügt werden.

Genügt doch bereits eine Denunziation des örtlichen Atheistenrates, eine Reli­gionsgemeinschaft verletze die Kultgesetze, um den Ministerrat zur Schließung einer Kirche oder Auflösung einer Religionsgemeinschaft zu veranlassen (Art. 35 und 36). Die Religionsgemeinschaft hat also nicht nur vor Regierungsbeam­ten, sondern bereits vor jedem atheistischen Mitbürger zu zittern. Artikel 35 schwebt wie ein stets gegenwärtiges Damoklesschwert über den Häuptern der Gläubigen.

Normal könnte ein solcher Zustand erst dann genannt werden, wenn die Exi­stenz einer Religionsgemeinschaft von einem Gerichtsurteil und im Falle schwe­rer Verfehlungen abhängig wäre, nicht aber bereits im Falle der Nichtbeachtung von Bestimmungen, die ohnehin der Verfassung des Landes widersprechen. Die Artikel 37 bis 44 besagen, daß selbst geringfügige Reparaturarbeiten einer Genehmigung des Rayon-Exekutivkomitees bedürfen. Während solcher In­standsetzungsarbeiten, die sich unter Umständen länger als ein Jahr hinziehen können, sind Gottesdienstverbote möglich; auf Empfehlung einer vom Exeku­tivkomitee ernannten Kommission kann sogar der Abbruch eines Kirchenbaus verfügt werden. All dies gibt der atheistischen Obrigkeit weitgehende Möglich­keiten, den Gläubigen unter dem Vorwand von Reparaturarbeiten oder Baufäl­ligkeit ihre Kirche wegzunehmen oder den Glauben auf andere Weise admini­strativ zu bekämpfen. In keiner Form erwähnt das Statut auch nur andeutungs­weise die Möglichkeit, daß ein Exekutivkomitee den Gläubigen bei kirchlichen Bauarbeiten helfen könnte, etwa durch Zuteilung von Baumaterial. Gegenwär­tig fürchten Einzelpersonen und Organisationen, bei Reparaturarbeiten an Kir­chenbauten überhaupt mitzuwirken, denn inoffiziell gilt dies bereits als anti­sowjetische Tätigkeit.

Spenden sammeln ist Religionsgemeinschaften nur innerhalb des Bethauses er­laubt (Art. 45). Diese Einschränkung soll insbesondere kleinere Gemeinden tref­fen. Da Kolchosbauern oftmals gezwungen werden, sonntags zu arbeiten und andere Gläubige, etwa wegen hohen Alters und überlanger Anreisewege, nicht an Gottesdiensten teilnehmen können, sind sie auch nicht in der Lage, ihre Spenden zur Erhaltung ihrer Kirche bei der gottesdienstlichen Kollekte zu ent­richten. So will man Religionsgemeinschaften daran hindern, ausreichende Mit­tel für Reparaturen, Gehälter und vor allem Aufbringen der gewaltigen Steuer­last aufzubringen.

Eine Religionsgemeinschaft hat kein Recht, Selbsthilfekassen zu gründen (Art. 45, Ziff. d). Dies Verbot widerspricht Christi Gebot, Menschen Gutes zu tun, und verbietet den Gläubigen, nach den Gesetzen christlicher Nächstenliebe zu leben. Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft wird regelrecht verboten, sich gegenseitig materielle Unterstützung zu leisten (Art. 45). Der Staat verweigert kirchlichen Bediensteten (Geistlichen, Organisten, Kirchendienern) die Mit­gliedschaft in der Gewerkschaft und Altersversorgung. Die Artikel 32 und 41 der Verfassung der Sowjetrepublik Litauen finden auf sie keine Anwendung. Die Geistlichen Litauens z. B. leisten alljährlich riesige Steuerzahlungen, haben aber keinerlei Anspruch auf Altersversorgung (Altersrenten). Das Verbot für Religionsgemeinschaften, ihren Mitgliedern gegenseitig Hilfe zu leisten, ist un­menschlich und kommt dem Verdikt gleich, Diener der Kirche im Alter zu einer Art »Recht auf Hunger und Not« zu verdammen.

Geistlichen sind private Visiten und Kollektenbesuche bei Gemeindemitgliedern verboten (Art. 45).

Bestimmungen des kanonischen Rechts verpflichten einen Geistlichen, seine Pfarrkinder wenigstens einmal im Jahr zu besuchen. Das Besuchsverbot beab­sichtigt, die Geistlichen von der Gemeinde zu isolieren. Einem Priester wird so­mit nicht nur verboten, in anderen Gemeinden tätig zu werden, er darf seinen direkten Pflichten auch in der eigenen Gemeinde nicht voll nachkommen. Alle der Kirche geschenkten Sachwerte, z. B. Teppiche, Kelche usw., müssen in einem Inventarverzeichnis geführt werden (Art. 46) und werden Staatseigen­tum. Gläubige, die Sachspenden für ihre Kirche leisten, haben natürlich keiner­lei Absicht, die gespendeten Dinge dem Staat zu übereignen. Dieser Artikel stellt daher eine Diskriminierung dar und bezweckt die Abschreckung der Gläubigen, ihre Kirche zu unterstützen oder zu schmücken.

Geistlichen ist gestattet, Schwerkranke in Krankenhäusern zu besuchen (Art. 49). Dieses Recht wird aber permanent dadurch eingeschränkt, daß die Ärzte auf Anweisung der Exekutivkomitees solche Krankenbesuche unter Vorwänden verbieten, wie z. B., der Kranke sterbe ja noch gar nicht, oder es gebe keine Räumlichkeiten, in denen der Geistliche einem Patienten letzte religiöse Trö­stungen leisten könne. Artikel 49 schränkt das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf »Kultfreiheit« in unzulässiger Weise ein.

Religiöse Prozessionen oder Riten unter freiem Himmel bedürfen der Sonderge­nehmigung durch das Exekutivkomitee (Art. 50). Wenn Atheisten das Recht ha­ben, Umzüge, Festivals und verschiedene zivile Feierlichkeiten öffentlich zu ver­anstalten, sollte dasselbe Recht wohl auch den Gläubigen zustehen. Doch in der gesamten Nachkriegszeit hat keine Religionsgemeinschaft in Litauen jemals die Genehmigung zu Umgängen außerhalb der Kircheneinfriedung erhalten (einzige Ausnahme — Bestattungskondukt bei der Beerdigung Geistlicher).

Artikel 50 verbietet Priestern, geistliche Kulthandlungen in Privatwohnungen der Gläubigen wie z. B. Taufe kranker Kinder, Weihe eines Hauses u. a. vorzu­nehmen. Die Gläubigen halten dieses Verbot für einen verfassungwidrigen Ver­stoß gegen das Recht der Unverletzlichkeit der Privatwohnung und Eingriff in Gewissensangelegenheiten der Bürger. Derselbe Artikel verbietet, ohne Geneh­migung des Exekutivkomitees, selbst das gemeinsame Gebet von drei bis vier Gläubigen im Freien, im Walde oder in einer Privatwohnung. Religiöse Kult­handlungen sind nur auf ausdrückliches Ersuchen eines Schwerkranken oder Sterbenden zulässig. Mit anderen Worten, das Exekutivkomitee entscheidet, wer schwer krank ist oder im Sterben liegt. In der Moldauischen Republik wird verlangt, daß ein Arzt bescheinigt, ein Patient liege im Sterben oder sei schwer krank. Erst dann kann ein Priester hoffen, daß sein Exekutivkomitee ihm die Genehmigung zu einem Krankenbesuch erteilt.

Falls die Sowjetmacht der Geistlichkeit und den Gläubigen dies antihumane und verfassungswidrige Statut aufzwingt — das überdies der Allgemeinen Deklara­tion der Menschenrechte und anderen internationalen Verpflichtungen der So­wjetunion widerspricht —, so wird sich im Volke ein Sturm der Empörung erhe­ben, da sich Millionen von Gläubigen benachteiligt und erniedrigt fühlen. Aus oben dargelegten Motiven ersuchen wir daher die Präsidien der Obersten Sowjets der UdSSR und der Litauischen SSR,dies Statut möglichst schnell zu­rückzuziehen.

Mitglieder des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubi­gen —

gezeichnet von den Priestern: Jonas Kauneckas Alfonsas Svarinskas Sigitas Tamkevičius Vincas Vėlavičius Juozas Zdebskis

Alle Geistlichen der Diözesen Litauens richten Eingaben an die Sowjetregie­rung, worin sie gegen die Satzung für Religionsgemeinschaften protestieren und ihre Entschlossenheit bekunden, diese nicht zu befolgen. Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, hat nach Bekanntwerden der Unterschriftenaktion zur Solidarisierung mit dem Do­kument Nr. 7 des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläu­bigen die Bischöfe und Administratoren Litauens gewarnt, sie mögen den Geist­lichen verbieten, derartige Erklärungen zu unterzeichnen. Der Bischof von Pa­nevėžys, Romualdas Krikščiūnas, hat die Weisung von P. Anilionis an die De­kane weitergeleitet, sie lehnen Protestbekundungen ab. Texte werden in der nächsten Nummer der Chronik veröffentlicht.