Pasvalys

In der Mittelschule wurde am 29. Januar 1979 eine Atheismuswoche eröffnet. Es gab eine Ausstellung von Schülerbildern atheistischer Thematik. Die Schüler nah­men an den Veranstaltungen nur widerwillig teil. Bilder von Schülern der Ober­klassen waren selten, die meisten (rund 40) Arbeiten stammten von Schülern der 5.—6. Klasse, die solche Bilder während des Unterrichts malen mußten. Die Leh­rerin Frau Slančiauskienė ging von Klasse zu Klasse, um die Malarbeiten zu be­schleunigen.

In der Nacht vom 1. zum 2. Februar verschwanden plötzlich alle Bilder und athei­stischen Wandzeitungen. Statt dessen hing am Schwarzen Brett ein Plakat mit Auszügen aus der Verfassung der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen (Artikel 50): »Den Bürgern der SSR Litauen wird Gewissensfreiheit garantiert, d. h. das Recht, jede Religion zu bekennen oder auch keine, religiöse Kulte auszuüben oder atheistische Propaganda zu betreiben. Unruhe und Haß im Zusammenhang mit religiösem Glauben zu schüren, ist verboten. In der Litauischen SSR ist die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt.«

Um den »Diebstahl« eiligst zu vertuschen, arrangierten die Lehrer am frühen Morgen schnell eine Ersatzausstellung. Am 3. Februar abends fand eine Ver-

Sammlung von Schülern und Studenten statt, die von rund 300 Menschen besucht war. Leere Stellen fand man mit Aufrufen beklebt oder mit (verbotenen) litaui­schen Nationalflaggen dekoriert. Unter den Aufrufen waren auch solche wie »Weg mit den russischen Okkupanten«, »Freiheit für Litauen« und Kurzgedichte wie dies:

Raudona, žalia ir geltona        Gelb, Grün und Rot sind unsre Farben
Tai mūsų trispalvė vėliava       In Litauens Dreifarbenband
Kovokime už laisve broliai      Laßt Brüder uns für Freiheit kämpfen
Ir vėl laisva bus Lietuva.        Daß wieder frei sei unser Land.*

Die Aufrufe erregten allergrößtes Aufsehen. Zwecks Auffindung der Kontras (Konterrevolutionäre) wurden sechs Lehrer zusätzlich angefordert. Aufrufe ähnlichen Inhalts erschienen auch im Schulinternat, wo am 5. Februar eine sorgfältige Durchsuchung stattfand.

Während der Unterrichtsstunden wurden die Schüler der 11. Klasse am 5., 6., 7. Februar ins Büro des Direktors zu Gesprächen mit Geheimdienstbeamten vorge­laden.

Am 7. Februar wurde die Schülerin Rima Juzytė (11. Klasse) zu einer ähnlichen Vernehmung ins Büro des Direktors befohlen und nach eineinhalb Stunden ins Haus der Räte abgeführt. Die Geheimdienstler versuchten sie im guten wie unter Drohungen zu veranlassen, sie solle verraten, wer die Aufrufaktion organisiert, die Verbreitung angeordnet habe. Die Vernehmung dauerte ohne Mittagspause bis abends 18.30 Uhr. Das Mädchen kam anschließend in Begleitung des Leiters der Geheimdienst-Nebenstelle Pasvalys, Ivaškevičius, und dessen Mitarbeiter Ro-ginovas nach Hause. Von der Vernehmung ihrer Tochter erfuhren die Eltern nichts. Unter Beiziehung des Direktors der Mittelschule, Vytautas Kanapeckas, wurde die Vernehmung nun in der Privatwohnung fortgesetzt. Obwohl keine Ge­nehmigung dazu vorhanden war, wurde auch das Zimmer der Rima Juzytė durchsucht. Ivaškevičius nahm Flamaster, Plakatfarben, Heiligenbilder an sich. Die ungebetenen Gäste verließen das Haus erst gegen 22.30 Uhr. Am 8. Februar wird Rima Juzytė nochmals ins Direktionszimmer bestellt und der Geheimdienst­ler Roginovas befiehlt ihr, verschiedene Artikel aus der Verfassung der UdSSR nachzuschreiben. Das Mädchen weigert sich, irgend etwas zu schreiben. Am 9. Februar wird Rima Varžinskaitė (ebenfalls 11. Klasse) zum Direktor be­stellt. Nach der vergeblichen Mühe mit Rima Juzytė beschlossen die Geheim­dienstler nun erfolgversprechendere Methoden anzuwenden. Das Mädchen wurde so lange bedroht bis es gestand, selbst Aufrufe verbreitet zu haben. Nach der Ver-

 

*   Dieser Vierzeiler wurde, besonders von der Jugend, bereits 1940/1941 mit Begeisterung zur Melodie der »Internationale« gesungen, daß man alsbald davon absehen mußte, die Melodie übermäßig oft erklingen zu lassen. Der Text hat anscheinend die Zeiten überdauert. (Im litauischen Text sind die Farben der /verboteneny Nationalflagge in umgekehrter Reihen­folge angegeben, was die danebenstehende freie Übersetzung ins Deutsche korrigiert.)

 

nehmung wurde das Kind krank. Nach massiven Drohungen mit Schulentlassung und Schulverbot sowie Drohungen mit Repressalien gegen die Eltern (beide Par­teimitglieder — die Mutter Geschichtslehrerin, der Vater Jurist) »gestand« auch die dritte »Verbrecherin«, Rasa Pulkauninkaitė.

Dieselben Mädchen wurden noch mehrfach während der Unterrichtsstunden vom Schuldirektor V. Kanapeckas, seiner Stellvertreterin Janina Miežanskienė und der Komsomolsekretärin vernommen (immer während der Unterrichtsstunden). Am 13. März wurden unter Leitung des Geheimdienstlers Roginovas und des Di­rektors Reden für R. Varžinskaitė und R. Pulkauninkaitė, die Komsomolsekretä­rin der Klasse und einige Schüler aufgesetzt. Es wurde strikt verboten, anderen Mitschülern davon zu erzählen. Nach diesen Vorbereitungen schritt man zur Abi­turientenversammlung der Schule. Teilnehmer — alle Elfkläßler (Abiturklasse), die Elternbeiräte aller Klassen, Lehrer, die Geheimdienstler Ivaškevičius und Ro­ginovas, die Eltern von R. Juzytė und R. Pulkauninkaitė. Zusammen waren etwa 200 Menschen im Saal.

Die Schülerin R. Varžinskaitė verlas ihren Text, bereute und versprach unter Trä­nen, so etwas nie wieder zu tun. Sie erhielt nur eine strenge Verwarnung. Die Trä­nen verhalfen ihr wohl dazu . . .

R. Pulkauninkaitė bereute auch heftig (weinte aber nicht). Es sprach auch ihre Mutter. Die Betragensnote der Schülerin wurde auf »genügend« herabgesetzt und ein Vermerk in der Personalkarte vorgenommen.

Die Schülerin R. Juzytė erhielt eine noch schärfere Strafe: Ausschluß aus dem Komsomol, Betragensnote herabgesetzt auf »ungenügend«, Ausstellung einer Charakteristik angekündigt, die eine Aufnahme in anderen Sowjetschulen un­möglich macht. Man erklärte, ihr Platz sei nicht in einer Sowjetschule, sondern in einer Psychiatrischen Anstalt. Den Eltern wurde nicht gestattet, sich zu äußern.

Žemaičiu Kalvarija (Varduva im Rayon Plungė)

Die am 11. April 1979 begonnene Jagd nach Schülern, die zur Kirche gehen, wird fortgesetzt. Knaben, die ministrieren und Mädchen, die im Chor singen, werden ins Direktorenzimmer geholt und dort, während der Unterrichtsstunden, von der Lehrerin Neniškienė und Geheimdienstlern aus Plungė vernommen. Ausgefragt wurden u. a. die Schülerinnen Vida Vilniūtė (Kl. X), Valė Gintvainytė (Kl. VII), Birutė Šlimaitė (Kl. XI), Lima Mažrimaitė (Kl. VII), Laima Brazdeikytė (Kl. X) und der Schüler Martynas Jurgutis (Kl. IX). Ihnen wurden solche Fragen gestellt: Bekommt ihr antisowjetische Zeitungen? Woher habt ihr die Abzeichen und Mit­gliedsbücher der »Freunde der Eucharistie«? Wer organisiert Ausflüge? Was er­zählen die Pfarrer in der Predigt? Wer singt im Chor? Wer gehört den »Freun­den« an? Bei Vida Vilniūtė fanden gleich zwei Haussuchungen statt. Gesucht wurde nach Untergrundliteratur, Fotoalben wurden durchgesehen. Der Schülerin Vilniūtė wurde gedroht, sie komme wegen Verbreitung von Untergrundliteratur ins Gefängnis. Haussuchung fand auch bei Valė Gintvainytė statt. Bei ihr fand man selbstverfaßte Gedichte antisowjetischen und religiösen Inhalts. Deshalb wurde ihr gedroht, sie käme als Minderjährige in eine Verbrecherkolonie für Ju­gendliche.

Den Schülern wurden die Büchlein der »Freunde der Eucharistie«, der Abstinenz­ler und der Kreuzbergprozessionen, verschiedene Gedichte und Heiligenbildchen abgenommen. Bei den Vernehmungen zeichnete sich die Lehrerin Neniskiene durch besondere Unverschämtheiten und Grobheiten aus und benahm sich wie ein Gendarm mit Arrestanten.

Gedrimai (Rayon Telšiai)

Die Schülerin Stefa Račkauskaitė der VIII. Klasse der hiesigen Achtklassenschule überreichte dem Direktor Limantas am 21. März 1979 eine Anfrage wegen Her­absetzung ihrer Betragensnote. Der Direktor überfiel das Mädchen: »Ich würde dir am liebsten in die Schnauze schlagen, wüßte ich nicht, daß du gleich zum Pfar­rer rennst, und zwei Tage später berichtet der Vatikansender darüber!« Der Text der Anfrage lautete:

Sehr geehrter Direktor!

Ich bin Schülerin der achten Klasse, gläubig und religiös. Das wissen Sie vermut­lich auch längst.

Überall hört man jetzt viel von Gewissensfreiheit. So auch in der Verfassung der Sowjetunion. Dort wird allen Bürgern gleiches Recht zugesichert. Dort steht auch geschrieben, man dürfe sich zu jeder Art Religion bekennen. Ist das wirklich so?

Nein, es ist nicht so. Überall werden gläubige Menschen als Dunkelmänner, als rückständig und ungebildet bezeichnet. Religiöse Menschen sind Bürger zweiter Klasse. So ist es auch bei uns, hier in der 8. Klasse der Schule von Gedrimai. Vor dem Wettbewerb in Russisch fand eine Beratung statt. Ich sollte ein Märchen erzählen. Ich weigerte mich, da mir bereits bekannt war, daß meine Betragensnote bereits auf »genügend« herabgesetzt worden ist. Darüber machte ich dem Klas­senlehrer Meldung: »Ich werde dies Märchen nicht auswendig lernen. Das über­lasse ich gerne den Schülern mit hervorragenden Betragensnoten.« Der Klassen­lehrer bat mich zu einer kurzen Unterredung außerhalb des Klassenraums. Ich war einverstanden, fragte noch, ob ich mein Notizbuch mitnehmen solle. Nein, hieß es. Außerhalb der Klasse erklärte mir der Klassenlehrer, daß meine Betra­gensnote herabgesetzt worden sei, weil ich am 25. Dezember 1978 statt in die Schule zu gehen an einer religiösen Feier teilgenommen hätte. Ich antwortete dem Klassenlehrer, daß dies doch wohl wenig Bedeutung habe: »Wissen Sie nicht, daß wegen solcher Sachen Betragensnoten nicht herabgesetzt werden dürfen?« Das war der Inhalt unserer Unterredung, nach der ich in die Klasse zurückkehrte. Am folgenden Tage übernahm ich doch das Märchen. Verehrter Direktor, im ersten Trimester wurde meine Betragensnote wegen eines »Verbrechens« herabgesetzt, wofür aber im zweiten? Vielleicht werden Sie sagen mangels gesellschaftlicher Aktivität? Wie kann ich als gläubiger Mensch an athei­stischen Nachmittagen teilnehmen?

Sollte meine Betragensnote aus anderen Gründen herabgesetzt worden sein, so bitte ich um Mitteilung, wenn aber wegen meines Glaubens ... ich begehe doch kein Verbrechen, wenn ich zur Kirche gehe, verstoße doch gegen kein Gesetz. Das ist doch alles in der Verfassung erlaubt. Ich glaube, die ungläubigen Jungen und Mädchen richten vielleicht mehr Schaden an. In ihrer »Nüchternheit« haben sie die Fenster der Bushaltestelle ausgeschlagen und begehen Räubereien. Wird ihnen deshalb die Betragensnote herabgesetzt? Keineswegs, diese Jugendlichen gelten sogar als vorbildlich.

So sieht also die Gleichberechtigung der Bürger und Schüler aus. Man kann durchaus sagen, daß es bei uns keinerlei Gleichberechtigung gibt.

21. März 1979        gez. Stefa Račkauskaitė

Dorf Brevikiai, Rayon Telšiai, Post Pakruojis

Vabalninkas

Im Frühjahr dieses Jahres wurde hier eine Frau bestattet, unter deren Kindern sich eines namens Petras Klinga befand, der Leiter der Bildungsabteilung im Ray­on Panevėžys ist. Nach der Bestattung seiner Mutter begann für Petras Klinga ei­ne Serie großer Unannehmlichkeiten. Irgendwer hatte nämlich vermeldet, daß er im Rahmen eines katholischen Begräbnisses hinter dem getragenen Sarg seiner Mutter in die Kirche gegangen sei und dort während des Totenamtes verweilte. Wegen dieses Verbrechens wurde Petras Klinga an seiner Arbeitsstelle terrorisiert. Selbst das Rayonkomitee befaßte sich mit dem Fall, denn der Verbrecher ist Mit­glied der KP Litauens. Selbst Ausschluß aus der Partei und damit Verlust des Ar­beitsplatzes wurden erwogen.

Schließlich mußte er sich nach langen Vernehmungen und Beratungen in Vilnius verantworten. Als man ihn dort fragte: »Was hast du in der Kirche getan?« ant­wortete P. Klinga: »Gestanden«. »Nun, wenn du weiter nichts getan hast, als dort zu stehen, kannst du zurückkehren und deine Arbeit weiter verrichten«, lautete die Antwort. So löste sich das Problem in überraschend harmloser Weise.

Skapiškis (Rayon Kupiškis)

Der Direktor der hiesigen Mittelschule, Jonas Kausakys, diskriminiert gläubige Schüler auf grobe Art und Weise. So wurden nach einer Dieberei Haussuchungen demonstrativ nur bei gläubigen Schülern vorgenommen (darunter den Schülerin­nen Stase Raudonyte, Vaida Belickaitė und Petrašonytė). Als sich die Eltern, un­gehalten wegen Verdächtigung und Schmähung ihrer Kinder, beschwerten, schnappte der Direktor zurück: »Wir bekämpfen religiösen Aberglauben und werden weiter dagegen kämpfen.«

Am Josephstag gratulierten alle Kinder, die zur Kirche gingen, ihrem Gemeinde­pfarrer Juozapas Giedraitis mit Blumen und Gedichten zum Namensfest. In der Schule gab es deshalb Krach. Die Lehrerin, Frau Markevičiene, bedrohte die Kin­der so sehr, daß sie Angst hatten, zur Schule zu gehen. Als die Eltern verlangten, von weiterem Angstmachen der Kinder abzulassen, erklärte sie den Eltern, die Gratulationskur bei dem Pfarrer sei eine politische Veranstaltung gewesen.

Luokė (Rayon Telšiai)

Der Direktor der hiesigen Mittelschule, Vaišvila, der Lehrer Andriuškevičius, der Redakteur der Rayonzeitung Telšiai Komunismo Švyturis (Komsomol-Leucht­turm), Vaseris, und zwei Mitglieder des Parteikomitees Telšiai vernahmen am 31. Mai 1979 mehrere Schüler der Mittelschule Luokė. Es handelte sich um die Schü­ler Gintaras Jankauskas (Kl. VI), Valius Ambrožas (Kl. V), Saulius Leščianskas (Kl. V). Die Schüler wurden getadelt, weil sie in der Kirche bei der hl. Messe mini-strieren. Deswegen waren die genannten Schüler mitsamt ihrem Schulkameraden Romas Želvys (Kl. V) bereits vor zwei Wochen vernommen worden. Damals hatte man von ihnen das Ausfüllen eines Fragebogens über ihren Glauben gefordert. Zum Ende des Schuljahres wurden diesen Schülern die Betragensnoten vermin­dert. Obwohl sie bis dahin die Zensur »beispielhaft« hatten, lautete sie jetzt nur noch »genügend«.

Auch bei Anwendung solcher Mittel werden die Atheisten mit der Schuljugend nicht fertig. Saulius Leščianskas z. B. sagte den Vernehmern ins Gesicht: »Ich werde auch weiter zur Kirche gehen und nur meinen Eltern und dem Pfarrer ge­horchen.« Doch die atheistischen Gewaltanwender erdenken immer neue Pres­sionsmittel.

Am 4. Juni wurden die genannten Schüler mit ihren Eltern zur Miliz nach Telšiai vorgeladen. Die Miliz hatte eine Beschwerde des Lehrers Andriuškevičius der Mit­telschule Luokė erhalten. Darin wird Gemeindepfarrer Sapoka bezichtigt, Kinder in die Kirche zu locken und sie mit alkoholischen Getränken zu bewirten. Doch ließen sich die Behauptungen durch keinerlei Tatsachen erhärten, denn nichts der­gleichen hat stattgefunden. Das einzige Verschulden des Pfarrers bestand darin, daß er auch Schüler zum Kirchgang einlädt. Die Milizbeamten waren über die ab­surden Unterstellungen so ungehalten, daß sie darüber in Gegenwart der Eltern und Schüler lachten:

— Das ist kein Verbrechen! Geht zur Kirche, sooft ihr wollt. Gesetzliche Verbote gibt es nicht. Kennen diese Lehrer denn die Gesetze nicht? Wir wissen jedenfalls, daß Leute, solange sie in der Kirche sind, wenigstens keine Fenster einschlagen, und das bedeutet für uns — weniger Arbeit.

Sidabravas (Rayon Radviliškis)

In der hiesigen Mittelschule wurde die atheistische Arbeit aktiviert. Trotz des Bei­spiels des »Menschgewordenen«, V. Starkus, beteiligte sich die Jugend in Scharen an den Veranstaltungen der Karwoche und der Osterprozessionen. Am 10. April zwang die Klassenlehrerin Frau J. Bajorūnienė den Schüler Sigitas Kalnius (und zwei Schülerinnen der 10. Klasse) zu einer schriftlichen Erklärung, warum sie vor einigen Tagen den Sakristan aufgesucht hätten. Sigitas Kalnius meinte, als Nichtmitglied des Komsomol dürfe er doch wohl einen Kirchendiener besuchen.

Kurz vorher hat der Sportlehrer Barzdonis bei Taschenuntersuchung der Schüler der VII. Klasse, dem Arvydas Lotužas einen Rosenkranz abgenommen. Der Schüler wurde gefragt, ob er zur Kirche gehe. Als er bejahte, erklärte der Lehrer, das sei wohl »Großmütterchens Erbe«, und er werde den Rosenkranz den Eltern zurückgeben.

Die Lehrerin für die litauische Sprache Frau V. Pranculienė erklärte am 12. April vor Schülern der Klasse Vllb: »Kirchen sind nur für alte Frauen gebaut . . . Jetzt kommt Ostern, ein religiöses Fest. Ihr seid schon in der achten Klasse und solltet daher nicht auf dem Kirchengelände gesehen werden, benehmt euch ordentlich.« Besonders kämpferisch gab sich der Lehrer Motiekaitis. Am 14. April behandelte er in seiner Klasse (Via) während der Hälfte der Zeichenstunde atheistische The­men. Seiner Meinung nach sollten nur alte Leute zur Kirche gehen, die Jugend ha­be dort nichts zu suchen. Und mit großer Geste: Hier zeige ich euch einhundert Rubel — die sind zu sehen — Gott aber ist unsichtbar, wozu da noch in die Kirche gehen. Dann zeigte er mit dem Finger auf die Schülerin Vilma Petraitytė und schrie: »Du da gehst zur Kirche!« Die Schülerin antwortete darauf: »Ja, ich will es ja selbst.« Darauf drohte der Klassenlehrer mit Absetzung als Leiterin der Pio­niergruppe und Herabsetzung der Betragenszensur. Die Schülerin antwortete dar­auf, sie könne von dem Posten der Pionierorganisation ja selbst zurücktreten, Noten herabzusetzen aber hätte der Lehrer wohl doch kein Recht: denn es gehen ja auch Lehrer zur Kirche! Der Lehrer befahl ihr, zu schweigen und setzte hinzu, die Lehrer wüßten sehr wohl, welche Kinder gläubig seien. Denen werde man die Betragenszensuren herabsetzen und sie aus der Schule hinauswerfen. Am selben Tage ließ Direktor M. Razma die beiden Schwestern Zita und Laima Stanelis rufen und brachte sie in das Zimmer der Lehrerin Motiekaitienė. In Ge­genwart des Direktors fragte diese die Mädchen aus, wer ihnen »befehle« zur Kir­che zu gehen, wo sie ihre weißen Kleider her hätten, ob jemand in der Kirche Sü­ßigkeiten verteilt, welche Kinder sonst noch zur Kirche gehen, ob sie zu Ostern Blumen gestreut hätten. Die Mädchen erklärten, sie gingen aus eigenem Antrieb zur Kirche, daß kein Mensch Süßigkeiten verteile, die Lehrer möchten doch kom­men und sich selbst davon überzeugen.

Die Mädchen wurden von der Lehrerin verwarnt, wenn sie weiter in die Kirche gingen, werde man ihre Betragensnoten herabsetzen.

Am 16. April holte sich der Direktor die Schülerin Vida Balčiūnaitė (Kl. Via) in sein Büro. In Gegenwart der Abteilungsleiterin für Lehrwesen, Frau Motiekaitie­nė, fragte er das Mädchen aus, seit wann es zur Kirche gehe, wer das anordne, wer dort was verteile, welche Kinder noch zur Kirche gehen und ob sie wirklich weiter Kirchgängerin sein wolle. Die Schülerin bejahte, sie beabsichtige weiter zur Kirche zu gehen, worauf der Direktor drohend meinte, auf Kirchenbesuch stehe Vermin­derung der Betragensnote, und, falls das nichts nütze, Entfernung aus der Schule. Am 18. April stellten die Atheisten in der Schule einen Stand mit atheistischem Werbematerial auf, während einer Versammlung der Komsomolgruppe wurden eine Lehrerin und eine Schülerin damit beauftragt, zu beobachten, welche Schüler zur Kirche gehen. Es handelte sich um die Russischlehrerin Frau Z. Vaškevičienė und die Schülerin Sabaliauskaitė der Klasse XI.

Am 19. April erklärte die Klassenlehrerin Z. Vaškevičienė ihrer Klasse (Vllb), daß es Gott gar nicht gebe, und daß die Gutsherren das Fasten erfunden hätten, um ihre Leibeigenen zum Hunger zu zwingen. Sie fragte die Schüler aus, wer unter ih­nen zur Kirche gehe. Diese antworteten, daß sie durchaus zur Kirche gehen dürf­ten, denn diese sei doch von der Schule getrennt. Die Klassenlehrerin meinte dann, nur alte Weiblein beteten und knieten tagtäglich. Sie fügte hinzu, über Ostern seien Rayonsbeamte dagewesen, sie hätten alle in der Kirche gewesenen Schüler aufgeschrieben, und der Pfarrer werde wegen seiner Predigt bestraft. Es ist kein Geheimnis, daß ein Teil der Lehrer gläubige Menschen sind und ihre Religion auch praktizieren. Eine Lehrerin formulierte das so, aus eigener Initiati­ve tadele sie keine gläubigen Kinder, doch es »gibt Druck von oben«. Teilnahme von Schülern an Kulthandlungen ist gesetzlich keineswegs verboten. Lehrer, die gläubige Kinder aus eigener Initiative terrorisieren oder dies wegen »Druck von oben« tun, kann man daher kaum anders bezeichnen — wie es der Gemeinde­pfarrer in seiner Osterpredigt tat, als »Sargtischler ihres Volkes«.