Vilnius

Neuerdings versucht die Regierung, die Legitimität ihrer Unterdrückungsmaß­nahmen religiöser und politischer Rechte in Litauen, mit Hilfe verschiedener so­ziologischer »Untersuchungen« zu beweisen.

Anfang 1978 wurden in verschiedenen Behörden des Landes Fragebogen verteilt, in denen die Mitarbeiter eine Reihe von Fragen bezüglich ihrer Haltung zur Reli­gion beantworten mußten. Unter den Fragen waren auch die folgenden: Was ist Ihre Einstellung zur Religion? Gehen Sie zur Kirche, um dort zu beten? Feiern Sie religiöse Feiertage? Wie bewerten Sie die Religion? Zu diesen Fragen sind alterna­tive Antwortmöglichkeiten gleich vorgesehen. So hat der Befragte bei der Frage: Wie bewerten Sie die Religion? die Auswahl zwischen —

1.     Religion ist schädlich,

2.     Religion widerspricht der Wissenschaft,

3.     Religion bringt keinen Nutzen, schadet aber auch nicht,

4.     Religion beruhigt den Menschen,

5.     weiß nicht,

wobei die antireligiöse Tendenz ziemlich deutlich wird.

Trotzdem könnte man auch mit dieser Art Befragung noch einverstanden sein, wenn sie wenigstens gewissenhaft durchgeführt würde, die Resultate öffentlich bekanntgegeben und die Lage der Gläubigen entsprechend verbessert werden würde. Doch wird das Resultat allein schon dadurch entstellt und vorfabriziert, daß Vertrieb, Befragung, Summierung und Auswertung der Antworten den Par­teiorganisationen der einzelnen Dienststellen anvertraut wurde. Diese sorgen für die Vernichtung derjenigen Antworten, die zugunsten der Religion ausfallen, so daß im Zentrum der soziologischen Auswertung schließlich nur diejenigen Frage­bogen stehen, die eine negative Haltung in bezug auf Religion bescheinigen. Auf diese Weise gelingt es jedem geschickten Parteisekretär zu »beweisen«, daß die atheistische Erziehung unter seiner Leitung prachtvoll gedeiht und alle Mitar­beiter Atheisten sind (selbstredend beläßt man den einen oder anderen Fragebo­gen mit Antworten eines »Indifferenten« in der Auswahl). Der Parteisekretär ver­meidet auf diese Weise Unannehmlichkeiten »von oben«, auch wenn die Resulta­te solcher soziologischen »Forschung« dadurch verfälscht werden. Das Resultat dieses Jonglierens war, daß in einzelnen Betrieben, in denen sich über 50% der Beschäftigten zum Glauben bekannt hatten (tief gläubig, Kirchgän­ger, nur an Festtagen usw.), als Forschungsergebnis schließlich der Eindruck übrigblieb, 95 % der Belegschaft bestehe aus militanten Atheisten. Mit Freuden darf man festhalten, daß nach der Erstbefragung, d. h. nach noch nicht verfälschten Unterlagen, die Gruppe der Gläubigen größer war als die der Indifferenten. Ein weiterer Täuschungsfaktor bestand darin, daß bei der Befra­gung Angestellter mittleren Alters in den Betrieben nicht nach den Ansichten der Elterngeneration gefragt wurde. Es ist kein Geheimnis, daß es unter Menschen der älteren Generation einen höheren Prozentsatz an Gläubigen gibt. Diese sind gleichberechtigte Bürger, deren Meinung mit zu erfassen wäre. Die Fragebogen des Jahres 1978 enthielten auch manche provokative, vom Ge­heimdienst gestellte Fragen, z. B.: Was ist Ihre Ansicht in bezug auf das russi­sche Volk und die anderen Brudervölker der UdSSR? Sprechen Sie gerne rus­sisch? Wie meinen Sie, ist die Gemeinschaft sozialistischer Staaten mit Gewalt ge­gründet worden? Welches ist Ihre Ansicht zu den Ereignissen in Ungarn 1956, handelte es sich um eine Intervention der UdSSR? Wie beurteilen Sie den Ein­marsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968? usw. Außerdem wurden die Fragebogen nur ausgesuchten Personen in leitenden Posi­tionen und Parteimitgliedern zur Beantwortung ausgeteilt. Somit können die Ant­worten auf verschiedene Fragen auf keinen Fall verallgemeinert oder als wahrer Spiegel der öffentlichen Meinung angesehen werden.

Schließlich als Wichtigstes — die eigentlich selbstverständliche Voraussetzung — Geheimhaltung (um Beeinflussungen auszuschalten) war absichtlich nicht gege­ben — die Befragten wurden in einem Saal nebeneinander plaziert. So war es bei bestem Willen nicht möglich, die eigene Meinung offen zu äußern. Wer kann schon für den Nachbarn rechts oder links garantieren, vor allem, Parteimitglie­der .. . Und so haben die Resultate dieser soziologischen »Forschung« erneut das Bild der wirklichen Lage verdeckt.

Das ist schlimmer als Mord

Am Vorabend des Johannitages, am 23. Juni 1979, hatte sich eine Gruppe Ju­gendlicher bei dem, von den Händen der Gottlosen geschändeten, Kirchlein von Pavaisninkai versammelt. Bei Sonnenuntergang begab sich die Jugendgruppe, ein Kreuz auf den Schultern tragend, geistliche Lieder singend und laut Rosenkranz­gebete rezitierend zu dem Platz hin, wo einst geplant war, eine Kirche zu bauen. Hoffnungsvoll erscholl durch die Abendstille das Gebet, wie ein Appell an die Nation.

Nach wenigen Minuten erhob sich das große und schöne Kreuz mit der Inschrift: »Allmächtiger, erneuere das Antlitz unseres Volkes!«

Natürlich traten Geheimdienst und Miliz aus Lazdijai sofort auf den Plan, um die Errichter des Kreuzes aufzufinden. Noch nie haben die Milizionäre bei der Suche nach Rowdies soviel Eifer gezeigt.

Am 2. Juli brachte der Beauftragte VI. Kavaliukas den Schüler der X. Klasse, An­tanas Ramanauskas, aus der elterlichen Wohnung direkt in die Milizwache nach Kapčiamiestis. Der Schüler wurde vernommen, bedroht, man werde ihn »fertig­machen«, wenn er schweige. Der Milizbeauftragte fragte, wer die Aktion organi­siert, wer was getan, wer das Kreuz geweiht und aufgestellt habe, wo die große

Menge Jugendlicher hergekommen sei. Der Junge erklärte, er wisse überhaupt von nichts.

»Du wirst deine Mittelschule nie beenden, man wird dich in eine Kinderkolonie bringen«, drohte Inspektor Kavaliukas. Bei der Entlassung nach Hause befahl der Milizbeauftragte dem Kind, seinen Eltern kein Wort von der Vernehmung zu er­zählen.

Am 5. Juli gegen 14 Uhr erschien vor dem Wohnhaus der Zybudas im Dorfe Menciskės ein Geheimdienstauto mit dem betrunkenen Geheimdienstler J. Zinke­vičius und demselben Milizionär Kavaliukas. Sie überfielen zunächst die Mutter wegen schlechter Erziehung der Kinder, denn diese gingen zur Kirche und hätten am 23. Juni sogar ein Kreuz errichtet. Zinkevičius verlangte, den Sohn Romas und die Tochter zu sehen. Als die Mutter fragte, ob es denn wirklich so ein großes Verbrechen sei, ein Kreuz zu errichten, daß sogar die Miliz nach den Verbrechern fahnde, antwortet Zinkevičius: »Schlimmer als Mord!«

Romas wurde in ein Zimmer gesperrt und mit Drohungen überschüttet: »Du hast die Inschrift gemacht!« brüllte der wütende Geheimdienstler und erhob seine Ak­tentasche, um zuzuschlagen: »Ich werde dir so auf die Schnauze schlagen, daß du dir eine neue Visage anschaffen kannst!«

Die Vernehmer drohten wie sie nur konnten: Schulverweis, Schul- und Lernver­bot, Einweisung in eine Erziehungsanstalt, Gefängnishaft, Verdreschen. Als die Drohungen nicht fruchteten, steckte man den Jungen in das Auto und brachte ihn nach Kapčiamiestis. Bei der Fahrt durch den Wald wurde gedroht, ihn hier zu­sammenzuschlagen und im Wald liegenzulassen; doch Romas betete und reagierte überhaupt nicht auf diese Behandlung.

Die erneut aufgenommene Vernehmung in der Milizstation Kapčiamiestis dauerte weitere zwei Stunden. Wieder wurde bei der Entlassung drohend verboten, je­mand auch nur ein Wort zu sagen. Am folgenden Tag wurde Romas Zibuda auch noch zum Geheimdienst Lazdijai vorgeladen. Dort verhöhnte man ihn, daß er bei der Messe ministriere, erkundigte sich, wo er denn eine Mittelschule abschließen wolle, verlangte die Namensnennung von Kameraden, die ebenfalls ministrieren. Bei der Entlassung ließ man ihn wissen, man werde sich noch mehrmals sehen . . .