Pater Sigitas Tamkevičius
Am 29. August 1979 wurde ich in das Büro des Staatsanwaltes der Litauischen SSR vorgeladen und sollte eine Verwarnung mit Beschuldigungen gegen mich unterzeichnen, für welche ich mit dem Artikel 68, § 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR, bestraft werden könnte. Folgendes warf man mir vor: Es wird behauptet, ich hätte in meinen Predigten erfundene falsche Behauptungen aufgestellt, die die sowjetische Lebensweise beschmutzten. Ich hätte aktiv bei der Gründung des Katholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen mitgewirkt und deren Schriften mit herausgegeben, welche sogar schon den Westen erreicht hätten, auch hätte ich Gläubige angehalten, sowjetische Gesetze zu mißachten.
Staatsanwalt Bakučionis, mit dem Verhör durch die Sicherheitsorgane beauftragt, erklärte mir, welches der Vergehen von der Staatsanwaltschaft als Verbrechen betrachtet wird. In meinen Predigten soll ich gesagt haben, daß die Sowjetregierung die Trunksucht nicht ernsthaft genug bekämpfe. Daß gläubige Kinder in den Schulen verfolgt würden. Daß die atheistische Erziehung der Menschen verantwortlich sei für die meisten Übel. Spräche ich in meinen Predigten gegen den Atheismus, meinte ich in Wirklichkeit die sowjetische Regierung. Das Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen ist nicht registriert und demzufolge illegal. Deshalb antworten die sowjetischen Behörden nicht auf die Erklärungen des Komitees.
Ferner soll ich die Gläubigen angestiftet haben, die sowjetischen Gesetze während meiner zwei Prozesse in Vilkaviškis und Varėna nicht beachten zu wollen. Ich habe den Verweis des Staatsanwaltes nicht unterzeichnet, weil ich ganz entschieden gegen die Vorwürfe protestiere, die gegen mich erhoben wurden, und versprach, dazu Stellung zu nehmen.
Ich betrachte den Vorwurf als absurd, durch falsche persönliche Interpretierung gegen die Sowjetregierung, die soziale Ordnung verstoßen zu haben. Ich möchte von Ihren Informanten ein einziges Detail meiner Predigten hören, welches verunglimpft und nicht den Realitäten des täglichen Alltags entspricht. In meinen Predigten habe ich nicht verleumdet, sondern sowjetische Beamte kritisiert, die Gläubige diskriminieren. Ich berufe mich auf die Konstitution der Litauischen SSR, die u. a. folgendes besagt: »Es ist verboten, jemanden aufgrund von Kritik zu verfolgen. Personen, die Kritiker verfolgen, werden staatsanwaltlich belangt« (Artikel 47).
In sowjetischen Schulen sind gläubige Schüler ständig irgendwelchen Diskriminierungen ausgesetzt. Das sind keineswegs Einzelfälle, wie Sie, Herr Staatsanwalt, betonen, sondern es ist in ganz Litauen weit verbreitet. In Kybartai gab es einen ganz klaren Beweis für die Diskriminierung gläubiger Schüler, was sich zunächst in einer öffentlichen namentlichen Darstellung der gläubigen Schulkinder äußerte, über schlechtere Betragensnoten, weil die Kinder den Gottesdienst besuchten, bis hin zu einem Verhör derjenigen Jungen, die bei der Messe ministrierten. Nicht ich sollte einen Verweis dafür erhalten, die Öffentlichkeit auf diese Art der Diskriminierung hingewiesen zu haben, sondern diejenigen, die die Studenten verfolgen, indem sie nicht nur gegen die Humanität verstoßen, sondern ebenso gegen die Gesetze der Sowjetunion. Wenn die sowjetischen Regierungsorgane sich mehr um die Diskriminierungen der gläubigen Schüler kümmern würden und die wirklich Schuldigen bestrafen würden, müßten wir Priester dieses Thema gar nicht erst ansprechen.
Und stimmt es nicht, daß die Sowjetregierung die Trunksucht nicht wirklich ernstlich bekämpft? Die Geschäfte in den Städten und auf dem Lande sind überfüllt mit Alkohol und billigem Wein. Der Verkauf dieser Gifte ist weit verbreitet. Die Nation erstickt im Alkohol, und was wird getan, um dieses Laster zu zügeln? Vereinigungen gegen den Mißbrauch des Alkohols wird keine Chance der freien
Tätigkeit gewährt. Die Produktionsmengen für alkoholische Getränke werden nicht verringert (sie werden nicht einmal durch die Presse veröffentlicht), sondern noch erhöht.
Staatliche Kommissionen zur Bekämpfung des Alkoholismus bemühen sich nicht darum, daß die Betreffenden trocken bleiben, sondern nur darum, daß die Alkoholiker keine Verbrechen begehen, keine Krankheiten übertragen, sich nicht unerlaubt vom Arbeitsplatz entfernen etc. Die litauischen Behörden müssen es schon vor sehr langer Zeit aufgegeben haben, darüber nachzudenken, warum pro Kopf der sowjetischen Bevölkerung jedes Jahr durchschnittlich 170—180 Rubel für Alkohol ausgegeben werden.
Der Staatsanwalt Bakučionis hält mir vor, daß ich die Sowjetregierung für viele Übel verantwortlich mache.
Es ist schon tragisch, daß so wenig gebildete Informanten in die Kirchen von Kybartai geschickt wurden. Sie konnten nicht unterscheiden zwischen den Konzepten der »Atheisten« und »Sowjetregierung«. In meinen Predigten rede ich nie gegen die Sowjetregierung. Als Priester habe ich jedoch nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Gottlosigkeit zu bekämpfen. Und ich bin ganz fest davon überzeugt, daß gerade diese ein geistliches Vakuum in den Menschen erzeugte in den Nachkriegsjahren, daß sie moralische Grundsätze zerstörte und Tür und Tor den Verbrechen öffnete, etwas, das sich weder die Nachkriegsjahre noch das gläubige Litauen jemals hätten träumen lassen.
Die zweite Anklage gegen mich: Ich hätte das illegale Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen mitbegründet und Schriften herausgegeben, die sogar in den Westen gelangt sein sollen und das Leben in der Sowjetunion verunglimpft hätten.
Ja, zusammen mit vier anderen Priestern habe ich das Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen gegründet und ihre Unterlagen über Verfolgung der Kirche herausgegeben. Wir mußten dies nicht auf Drängen des Kongresses der Vereinigten Staaten tun, wie Sie, Herr Staatsanwalt, es uns vorwerfen, sondern wir taten es für die ständig verfolgte katholische Kirche Litauens. Für einen Moment, und sei es nur in Ihrer Vorstellung, versetzen Sie sich in die Lage eines Gläubigen und genießen Sie die »Freiheit des Glaubens«, die in Sowjetlitauen herrscht. Zwei Bischöfe, Julijonas Steponavičius und Vincentas Sladkevičius, leben seit zwanzig Jahren im Exil, ohne angeklagt und verurteilt zu sein. Bischöfe dürfen keine Priester ernennen ohne Bekanntgabe und Genehmigung des Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten. Nicht ein einziger junger Mann darf im Theologischen Seminar aufgenommen werden ohne Wissen und Genehmigung des Kultusamtes und KGB (Sicherheitspolizei). In diesem Jahr wurde den zehn Kandidaten das Studium am Seminar untersagt. Die Tätigkeit eines Priesters in der Pfarrei unterliegt der Überwachung und Beschränkungen durch den Sowjetstaat. Gläubige dürfen nicht in Schulen arbeiten, keine leitenden Positionen übernehmen etc., etc. Nicht nur ich, auch alle Gläubigen Litauens würden gern wissen, was die Staatsanwaltschaft unternommen hat, um diese Art der Diskriminierung der Gläubigen zu lindern und um wirklich Kirche und Staat voneinander zu trennen. Nennen Sie, sofern Sie dazu in der Lage sind, wenigstens ein Beispiel, wo die Sowjetregierung einen litauischen Atheisten für offene Diskriminierung eines Gläubigen bestraft hat. Diskriminierung gegen Gläubige in Litauen ist eine schwelende Wunde, die verborgen ist. Dies ist der Grund, weshalb Sie das Katholische Komitee für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen nicht tolerieren können, denn es verteidigt beides, das Recht der Gläubigen und das Recht der Kirche. Es lag niemals im Interesse des Komitees, gegen den Sowjetstaat zu kämpfen oder ihn zu schwächen. Es ist daher also vollkommen unangebracht, seinen Mitgliedern nichtexistierende Verbrechen anzulasten. Sie bezeichnen das Katholische Komitee als illegal unter dem Vorwand, daß es nicht registriert sei. Herr Staatsanwalt, Sie wissen, daß wir nicht im geheimen arbeiten, sondern in aller Öffentlichkeit. Wir unterrichteten am 13. November 1978 die Sowjetbehörden davon, daß wir das Katholische Komiteegegründet hätten. Wenn Sie bis heute unser Komitee nicht registriert haben, so ist das nicht unser Fehler. Mein drittes Verbrechen: Menschen verleitet zu haben, die sowjetischen Gesetze zu übertreten. Ebenso wurde mir vorgeworfen, daß bei meinen Prozessen in Vilkaviškis und Varėna Gläubige in großer Zahl anwesend gewesen seien. Wieso soll ich dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Leute Sympathie für ihren Priester und sein Schicksal bekunden? Ist es für einen sowjetischen Bürger ein Verbrechen, einem öffentlichen Prozeß beizuwohnen? Wenn hier jemand verantwortlich ist, so lediglich die Atheisten in Litauen, die es während 35 Jahren nicht geschafft haben, einen Priester von seinen Gläubigen abzusondern. Herr Staatsanwalt, Sie legen mir Artikel 68, § 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR zur Last: für ein derartiges Verbrechen kann ich bis zu sieben Jahre Freiheitsstrafe bekommen. Ist es möglich, daß sich die atheistische Propaganda so wenig zutraut, daß sie fürchten muß, irgendein Priester könne das zerstören, was litauische Atheisten in über 35 Jahren aufgebaut hätten? Ist es möglich, daß die Behörden der Litauischen SSR glauben, Meinungen mit dem Stock bewältigen und damit die religiöse Wiedergeburt einer Nation aufhalten zu können? Bei der Staatsanwaltschaft wurde ich daran erinnert, daß nur Bischöfe ein Interesse für die Angelegenheiten der Kirche zeigen sollen. Ich möchte noch einmal zitieren, was ich darauf antwortete: Vergessen Sie nicht, daß die litauische katholische Kirche nicht die russisch-orthodoxe Kirche ist, wo die atheistische Regierung die Kirche durch gehorsame Bischöfe und Terror an den Priestern und Gläubigen zerstören kann. Das wird niemals in Litauen passieren, denn der Heilige Vater wohnt im Vatikan, nicht in Moskau, und nicht nur die Bischöfe, sondern Priester und auch Laien kümmern sich um die Angelegenheiten der katholischen Kirche. Kybartai, 6. September 1979 Pater S. Tamkevičius,
Mitglied des Katholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen PS: Kopien dieses Briefes schicke ich an die offiziellen litauischen Behörden und an den Herausgeber der Zeitschrift Tiesa.
Die Chronik der LKK betrachtet die Verwarnung durch die Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR als eine ganz gewöhnliche Erpressungstaktik der Sowjetunion zum Zwecke der Einschüchterung nicht nur der Mitglieder desKatholischen Komitees für die Verteidigung der Rechte der Gläubigen, sondern aller litauischer Priester, um sie von einer Zusammenarbeit mit dem Komitee abzuhalten. Trotzdem kann es möglich sein, daß die beiden Priester festgenommen und verurteilt werden. Von der Entscheidung des Kremls wird alles abhängen. In vielen Gemeinden Litauens werden Unterschriften gegen eine Verfolgung von Pater Svarinskas und Pater Tamkevicius gesammelt.