Die Moskauer Unterstützungsgruppe zur Ausführung der Helsinkiabkommen der UdSSR
8. Dezember 1978 — Dokument Nr. 69
Dreißigjähriges Bestehen der Allgemeinen Menschenrechtserklärung
Mitteilung
Die von den Vereinten Nationen vor 30 Jahren anerkannte Allgemeine Menschenrechtsdeklaration wurde zur wichtigsten Etappe der Formierung humanistischer Prinzipien in der gegenwärtigen Gesellschaft. Kurze Zeit vorher, bevor sie anerkannt wurde, endete der Zweite Weltkrieg, und der Hitler-Nazismus wurde vernichtet. Nicht weniger machte der Tod Stalins der verbrecherischen Diktatur ein Ende.
Aber auch heute werden in vielen Ländern der Welt, die UdSSR nicht ausgenommen, die erwähnten Prinzipien der Deklaration noch lange nicht eingehalten.
In der UdSSR werden viele wichtige Artikel der Allgemeinen Menschenrechtsdeklaration verletzt:
Artikel 19
die Überzeugungsfreiheit und Freiheit auf Information und Verbreitung von Informationen; Artikel 13
das Recht auf eine freie Wahl für das Land, in dem man leben möchte — innerhalb des Landes — den Wohnort; Artikel 18 Religionsfreiheit; Artikel 10 und 11
Gerichtsöffentlichkeit und Gerechtigkeit; Artikel 5
Verbot von grausamen und die Menschen demütigenden Strafen; Artikel 20
Versammlungsfreiheit; Artikel 23 und 26
widersprechend dem Geist dieser Artikel — freie nationalistische und ideologische Diskriminierung in der Arbeitsstätte und im Bildungsbereich. Eine nicht zugesicherte Freiheit auf Berufsgewerkschaften; Artikel 15
das Recht auf Erhaltung seiner Staatsangehörigkeit oder ihre Abänderung; Artikel 12
das Korrespondenzgeheimnis und Unantastbarkeit der Wohnungen.
In unterschiedlichen Ausmaßen werden auch andere Artikel verletzt. — Als wichtigste Verletzung ist zu beachten, daß, abgesehen von der SNO-Generalversamm-lung und ihrer Aufforderung, »alles zu unternehmen, was zur Verbreitung, Mitteilung und Aufklärung an Schulen und anderen Unterrichtsinstitutionen dient«, der Deklarationstext für die breiten Gesellschaftsschichten in der Sowjetunion noch ganz unbekannt ist.
In den 60—70er Jahren formierte sich eine Bewegung für die Verteidigung von
Menschenrechten, die sich auf die Allgemeinen Deklarationsprinzipien beruft. Briefe und Bittgesuche zur Verteidigung einzelner Personen, Artikel, literarische und geschichtliche Werke, Tagebücher und Briefe aus Lagern und Gefängnissen, ausführliche Aufzeichnungen der Gerichtsprozesse, Initiativgruppen der UdSSR für die Menschenrechtsverteidigung, das Komitee für Menschenrechte, das regelmäßige Erscheinen der Einamuju ivykiu Kronikos (Chroniken laufender Ereignisse), Dokumente der Helsinkigruppen, psychiatrische Arbeitskommissionen u. a.
— All das deckte eine Menge an Fakten über das Vergehen an den grundlegenden Menschenrechten in der UdSSR für die sowjetische und weltliche Gesellschaft auf. Dies wurde zu einem wichtigen Beitrag für die Bildung der Verteidigungsideologie weltlicher Menschenrechte, der es gelang, auf humanistischer Basis viele Menschen des ganzen Erdballes, unabhängig von der Rasse, Nationalität, Religion, sozialen Verhältnissen und Staatsangehörigkeit, zu verbinden.
Wir sind überzeugt, daß die Verantwortung für die Aufsicht der Menschenrechte nicht nur dem Staat, sondern auch den Bürgern zufällt.
Indem wir unsere Treue der Allgemeinen Menschenrechtserklärung bekunden und eine Wahrung der Humanität und der Menschenrechte anstreben, so, wie es in der Schlußakte von Helsinki verankert worden ist, halten wir es für notwendig:
— alle Gewissensgefangene zu befreien;
— die Artikel 70 und 190-1 des RTFSR-Strafgesetzbuches zu ändern (dementsprechend auch die Artikel des Strafgesetzbuches der Unionsrepubliken), die eine Verfolgung aufgrund von Überzeugungen, Informations- und Ideenaustausches zuläßt;
— alle rechtlichen Hindernisse zu beseitigen und das Recht auf freie Wahl des Landes zu gewähren, in dem man leben möchte (das Recht in seinem Lande bleiben zu können und frei in dieses zurückzukehren), und das Recht auf freie Wahl seines Wohnortes im Landesinnern;
— die Verfolgung aller Kirchengläubigen sofort zu unterbinden;
— die Zusicherung einer tatsächlichen Trennung der Kirche vom Staat;
— im wesentlichen das Regime in Gefängnissen und speziellen psychiatrischen Krankenhäusern zu ändern, humanere Gesetze der Arbeitsbesserung zu verabschieden;
— die Zwangsarbeit in Gefangenenstätten, in der Verbannung und in der Bewährungszeit zu liquidieren;
— den Artikel 209 des RTFSR-Strafgesetzbuches zu ändern (und dementsprechend die Artikel der Strafgesetzbücher der Unionsrepubliken);
— die psychiatrischen Repressalien, die sich aus politischen Gründen ergeben, zu beenden;
— die Diskriminierung in Wissenschaft und Arbeit aufgrund der Nationalität, Überzeugungen, Religion, einer verbüßten Haftstrafe auf Gerichtsbeschluß und im Zusammenhang mit Verwandtenverfolgung zu beenden;
— Zusicherung auf Freiheit für Berufsverbände und andere Assoziationen;
— die Verletzungen des Inlands- und Auslandsinformationsaustausches zu beenden, ebenso die Störungen in der Post-, Telefon- und Telegrafenverbindung;
— sämtliche Beschlüsse, die eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit, aufgrund politischer Motive ermöglichen, zu vernichten.
Mit diesem Dokument wenden wir uns an die Regierung der UdSSR und die Regierungen der 34 Länder, die die Schlußakte von Helsinki unterzeichnet haben, und an alle Vereinten Nationen, die vor 30 Jahren die Allgemeine Menschenrechtsdeklaration verkündeten »als Aufgabe, um deren Verwirklichung sich alle Völker und Staaten bemühen müssen«.
Dieses Dokument bleibt das ganze Jahr hindurch zur Unterzeichnung in unserem Lande und anderswo, für die, die sich zusammen mit uns bemühen, im Leben real die Allgemeine Menschenrechtsdeklaration zu verwirklichen, mit der Überzeugung, daß diese nicht nur die persönliche Freiheit und das Leben, sondern auch die Friedensvereinigung in der ganzen Welt garantiert.
8. Dezember 1978 Elena Bonner, Sofia Kalistratova, Malva Landa,
Naum Meiman, Viktor Nekipielov, Tatjana Osi-pova, Jurij Jarym-Agaev
Wir schließen uns dem an:
Tatjana Velikanova, Andrej Sacharov, Raisa Lert, Aleksandr Lavut, Leonard Ternovskij, Evgenij Nikolaev, Marija Petrenko-Podjapolskaja, Viera Livčak, Irina Kaplun, Georgij Vadimov, Lev Kopelev, Lidij Čiukovskaja, Vladimir Karni-lov, Nina Strokatova (Karavanskaja).
Die katholischen Priester — Mitglieder des Komitees für Verteidigungsrecht der Gläubigen:
Jonas Kauneckas, Alfonsas Svarinskas, Sigitas Temkevičius, Vincas Vėlavičius, Juozas Zdebskis.
Rev. Juozas Adomaitis, Rev. Lionginas Kunevičius, Rev. Petras Dumbliauskas, Rev. Venclovas Degutis, Rev. Antanas Gražulis, Rev. Jonas Maksvytis, Rev. Albinas Deltuva, Rev. Mikalojūnas, Rev. Vaclovas Stakėnas, Rev. Virgilijus Jauge-lis, Rev. Gvidonas Dovydaitis.
Diesem Dokument haben sich noch viele Priester und Nichtgeistliche — Litauer
— angeschlossen. Die »Chronik« hatte jedoch keine Möglichkeiten mehr, ihre Nachnamen in Erfahrung zu bringen.