Am 29. Mai 1980 war der Pfarrer von Sasnava, Priester Albinas Deltuva, zum Verhör in das KGB von Vilnius geladen worden. Der KGB-Mitarbeiter Rainys be­fragte ihn über die festgenommene Ona Vitkauskaitė, ob sie tatsächlich an der Kirche von Sasnava mitgearbeitet, und ob sie ihm nicht gelegentlich die »Chronik der LKK« zu lesen gegeben hätte? Der Untersuchungsrichter erkundigte sich wei­ter, ob der Priester Deltuva wirklich einige, an die Sowjetregierung gerichtete Do­kumente unterzeichnet habe?! — Das Untersuchungsprotokoll unterschrieb der Priester nicht und motivierte sein Verhalten damit, daß er sich nicht sicher sei, ob hier überhaupt ein Verbrechen vorliegen würde. Nach seiner Meinung würden vielleicht in einigen Jahrzehnten für die, die man jetzt für Verbrecher hält, Denkmäler errichtet werden. Der Untersuchungsrichter Rainys bekräftigte, daß sie beide —Priester sowie Untersuchungsrichter — dieses nicht mehr erleben wür­den. Auch sagte Rainys, daß die Priester Svarinskas, Tamkevičius und Zdebskis sich umsonst anstrengen würden, sie könnten ja sowieso nichts ändern. Danach wurde der Priester Deltuva nach Hause entlassen.

Am 2. Juni 1980 war Fräulein Bernadeta Mališkaitė in die Abteilung des Staatssi­cherheitsdienstes der Stadt Kaunas beordert worden. Die Erziehungsmaßnahmen führte irgendein Staatssicherheitsbediensteter durch, der nicht den Mut hatte, sei­nen Namen zu nennen. Zweieinhalb Stunden erklärte er, wie ein Gläubiger zu sein hätte. Der Untersuchungsrichter tat alles, um davon zu überzeugen, daß die Kir­che Litauens eine völlige Glaubensfreiheit habe; er meinte, sie wären sehr human und würden niemanden aus der Kirche vertreiben. Während der Unterredung schmähte der KGB-Bedienstete ununterbrochen die Priester, er benannte sie Habichte und Blutsauger. Ab und zu folgten Fragen: ob sie die Verhafteten Na­vickaitė und Janulis kennen würde, und ob sie diese Personen bei Ona Vitkaus­kaitė in der Wohnung gesehen habe?!

Am Nachmittag unterhielt sich der Vorgesetzte des Staatssicherheitsdienstes, Bag­donas, mit Mališkaitė. Er erklärte, daß Mališkaitė das Leben nicht kennen würde, daß um sie herum viele Gefahren lauern würden und daß sie unter den schlechten Einfluß bösartiger Menschen geraten sei. Er schlug ihr vor, über das Leben nach­zudenken und die nötigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.

Am 13. Juni 1980 erhielt der Pfarrer von Kybartai, Priester Sigitas Tamkevičius, eine Aufforderung, sich am 17. Juni zum Verhör nach Moskau (Malaja Lubjan-ka 12a) zu begeben. — Er fuhr nicht hin.

Am 23. Juni 1980 übergab der Vorgesetzte des KGB, Vaišvila (zuständig für den Bezirk Vilkaviškis), dem Priester Tamkevičius persönlich eine Einladung, die abermals dazu aufforderte, sich in den nächsten Tagen in Moskau bei dem Unter­suchungsrichter Kopajew vorzustellen. Dazu äußerte der Priester Tamkevičius, daß er keinesfalls zum Verhör fahren würde, denn ihm wären jegliche Verbre­chen in Moskau unbekannt und deswegen könnte er auch nichts bezeugen. Sollte er aber den KGB-Mitarbeitern von Wichtigkeit sein, so könnten sie ihn ja selber dort hinbringen.

Am 23. Juni 1980 war die aus Kapsuskas stammende Genė Paliaukaitė zum Ver­hör in das KGB der Stadt Vilnius gerufen worden.

Der Untersuchungsrichter Rainys fragte, ob Paliaukaitė die Festgenommenen Bu­zas, Janulis, Navickaitė und Vitkauskaitė kennen würde, ob sie die »Chronik der LKK« gelesen habe, den Priester Tamkevičius und Fräulein Birutė Briliūtė ken­nen würde, ob sie in Kybartai war usw. Als die Befragte antwortete, daß ihr die erwähnten Personen unbekannt seien, bedauerte dies der Untersuchungsrichter Rainys, sie würde im Unglück ihre Freunde verleugnen. Wenn sie aber alles erzäh­len würde, könnte sie ihren Freunden Erleichterung verschaffen. Der Untersu­chungsrichter Rainys behauptete, Paliaukaitė habe ihre Wohnstätte zu einem In­ternat umfunktioniert.

Nach der Mittagspause erschien der Untersuchungsrichter Rainys angetrunken; er riet Paliaukaitė zu heiraten, denn dann würde sie ein normaler Mensch sein. Rai­nys wurde sehr wütend, als Paliaukaitė das Untersuchungsprotokoll nicht unter­zeichnete. Dazu äußerte er: »Wir kennen euer altes Lied — ich weiß von nichts, ich kenne niemanden und unterschreibe nichts! Wer hat dir das beigebracht? Ihr seid alle belehrt worden!«

Am 23. Juni 1980 war die Lehrerin Birutė Briliūtė zum Verhör nach Vilnius gebe­ten worden. Der KGB-Mitarbeiter verhörte sie den ganzen Tag; er beschuldigte Briliūtė der Zusammenarbeit mit den Verhafteten Buzas, Janulis, Navickaitė und Vitkauskaitė. Er befragte sie über den Pfarrer von Kybartai, Priester Sigitas Tam­kevičius, und über die Organistin der Kirche zu Kybartai, Genovaitė Mačenskaitė. Als Briliūtė auf die Fragen des Untersuchungsrichters mit »kenne ich nicht«, »ich erinnere mich nicht« oder »ich weiß es nicht« antwortete, drohte der Untersu­chungsrichter Gavėnas, er werde im Protokoll vermerken, daß die Befragte nicht gewillt war, Hinweise zu geben (für die Verweigerung, Hinweise zu geben, kann der Zeuge zur Verantwortung gezogen und bestraft werden). Der Untersuchungs­richter beleidigte Briliūtė, indem er sie als aufdringlich und unverschämt bezeich­nete. Der KGB-Bedienstete wagte sogar zu behaupten, Briliūtė sei die Freundin von Priester Tamkevičius.— Der Untersuchungsrichter machte keinen Halt vor einer schamlosen Verleumdung, er behauptete, Priester Tamkevičius selber habe während eines Verhörs gesagt, daß er Briliūtė, solange sie noch jung sei, ausnüt­zen und später wie Müll auf die Straße werfen werde. Der Untersuchungsrichter rühmte sich, die arretierte Navickaitė verhören zu dürfen. Mit Ironie nannte er sich ein wildes Tier und schlug Briliūtė vor, allen darüber zu berichten. Tatsäch­lich steckten in seiner Haltung, seinen Worten und im Ton seiner Rede sehr viel Grobheit, Brutalität und Zynismus.

Am Ende der Befragung wollte Gavėnas die Fahrtunkosten ersetzen. Briliūtė ver­zichtete darauf und begründete das damit, daß sie eine Unterstützung von solch einer Regierung, die unschuldige Menschen in Gefängnissen gefangen hält, nicht annehme.

Am 26. Juni 1980 war die Küsterin aus Kybartai, Ona Kavaliauskaitė, in den Staatssicherheitsdienst nach Vilnius zu dem Untersuchungsrichter Gavėnas gebe­ten worden. Gleich zu Anfang bot der Untersuchungsrichter an, die Fahrtkosten zu ersetzen, aber Kavaliauskaitė wies sein Angebot ab. Die Gerichts- und Unter­suchungsunkosten werden später den Verurteilten abverlangt. Erregt riefen der Untersuchungsrichter und die Sekretärin: »Nicht noch einmal werden wir diesen Betschwestern Geld anbieten!« Als Kavaliauskaitė fragte, warum sie denn so schreien würden, drohte ihr der Untersuchungsrichter mit einigen Tagen Haft. Man erinnerte Kavaliauskaitė an die Vorladung als Zeugin im Prozeß gegen die Verhafteten Buzas, Janulis, Navickaitė und Vitkauskaitė. Als Kavaliauskaitė das Schreiben nicht unterzeichnen wollte, aus dem hervorgeht, daß sie sich mit den Rechten eines Zeugen vertraut gemacht habe, ängstigte sie der Untersuchungs­richter abermals mit einem Strafprozeß. Der KGB-Bedienstete behauptete, Kava­liauskaitė habe nach der Haussuchung das Protestschreiben an den Staatsanwalt nicht selber verfaßt, sondern Priester Tamkevičius sei es gewesen. Nach Auffas­sung des Untersuchungsrichters würden die Sachen, die man während der Haus­suchung bei Kavaliauskaitė konfisziert hatte, nicht ihr gehören, sondern dem Priester Tamkevičius, und deswegen würde sie die Sachen ganz unbegründet ihr eigen nennen. Kavaliauskaitė bekräftigte, daß alle im Protestschreiben aufge­führten Sachen: Lietuvos archyvas (Das Archiv Litauens), Aušra (Die Morgen­röte), die Schreibmaschine und anderes mehr, ihr Eigentum seien. Besonders interessierte den Untersuchungsrichter, woher Kavaliauskaitė denn die Schreib­maschine bekommen habe, und zu welchem Zweck sie hätte diese verwenden wollen.

Während des Verhörs war der KGB-Mitarbeiter Daugalas hinzugekommen und zeigte Kavaliauskaitė irgendwelche Fotos, die man angeblich der Organistin der Kirche zu Kybartai, Mačenskaitė, weggenommen hatte. Daugalas fragte, wie Ka­valiauskaitė in die Gerichtsverhandlung von Fräulein Ramanauskaitė in Astrav geraten sei? Und ob sie Buzas, Janulis, Navickaitė und Vitkauskaitė kennen wür­de?

Während der Untersuchung wurde Kavaliauskaitė beleidigt. Der KGB-Bedien­stete forderte sie auf, sich schneller zu verheiraten, denn, laut Untersuchungsrich­ter, habe Gott die Menschen geschaffen, damit sie sich vermehren, und nicht, um die »Chroniken« zu vervielfältigen.

Die Untersuchung dauerte sieben Stunden. Das Untersuchungsprotokoll wurde von Kavaliauskaitė nicht unterschrieben.

Am 15. April 1980 war Petras Lukoševičius verhaftet und auf Befehl des KGB in dem psychoneurologischen Krankenhaus untergebracht worden.

Petras Lukoševičius, 1915 im Bezirk Marijampolė geboren, wuchs in einer tief re­ligiösen Familie von sieben Kindern auf. 1944 wurde er nach Artikel 58, Absatz lb, zu 25 Jahren Haft verurteilt. Er durchwanderte den ganzen Gulag, die Lager von Minsk, Gorki, Taischent, Omsk u. a. 1956 wurde er nach einer Haftzeit von 11 Jahren amnestiert. Zurückgekehrt, schreibt er seine Erinnerungen des Gulag, aber 1973 konfisziert das KGB seine Aufzeichnungen. 1977 durchsucht man seine Wohnung (Panevėžys, Tulpenstr.) und konfisziert viele Nummern von Aušra (Die Morgenröte), Dievas ir tėvynė (Gott und Vaterland) und die »Chronik der LKK«. —Oberstleutnant Urbonas, der die Haussuchung durchführte, äußerte ihm gegenüber: »Wenn du keine Ruhe gibst, werden wir dich in einer psychiatri­schen Anstalt unterbringen!«

Am 1. Februar 1980 wurde Voldemaras Karaliūnas aus dem psychiatrischen Ge­fängniskrankenhaus in Tschernachovsk in das psychiatrische Krankenhaus nach Kaunas überführt. Der Arzt Belokopytov »heilt« ihn mit Aminasin gegen natio­nale und religiöse Überzeugungen. Der gegenwärtige Zustand des unschuldig Lei­denden ist sehr schwer — er ist schläfrig, seine Bewegungen sind eingeschränkt, er spricht nur langsam, aber bisher denkt und redet Karaliūnas noch logisch. Zweimal wurde Voldemaras Karaliūnas für die Grenzüberschreitung nach Polen verurteilt. 1977 brachte man ihn im psychiatrischen Gefängniskrankenhaus in Tschernachovsk unter. Seine »Erkrankungssymptome«: in einem Betrieb in Kau­nas organisierte er einen Streik zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, er ent­sagte sich der sowjetischen Staatsangehörigkeit und er richtete sich an die UNO mit der Bitte, über die Frage der Unterjochung baltischer Völker zu beraten.

Am 23. Juni 1980 wurde im Staatssicherheitsdienst in Vilnius Danutė Keršiūtė (wohnhaft in Vilnius, F. Žemaičio 1—100) verhört. Der KGB-Oberstleutnant Marcinkevičius wollte wissen, auf welche Weise die Information über die Verhaf­tung ihres Verlobten, Povilas Pečeliūnas, in den Westen gelangt sei. Der Untersu­chungsrichter wollte Fingerabdrücke der Befragten machen, aber dazu erklärte sie sich nicht bereit und verlangte, man möge sie nicht als Zeugin, sondern als Ange­klagte behandeln. Andernfalls müßte er sein Vorhaben aufgeben. Zwei herbeige­rufene Frauen, KGB-Mitarbeiterinnen, wollten die Fingerabdrücke von Danutė mit Gewalt erzwingen, dieses gelang ihnen nicht. Daraufhin rief man die Miliz herbei und fingierte an Ort und Stelle einen Prozeß wegen »Aufsässigkeit«. Von der Miliz getreten, wurde sie dann in einer von Läusen verseuchten Kammer un­tergebracht und mußte zusammen mit sehr primitiven Personen die Toiletten rei­nigen und die Straße fegen. Danutė Keršiūtė wird auch weiterhin vom KGB terro­risiert.

Anmerkung: Erinnern wir uns an die sowjetischen »Tränen« wegen der SS und ihres Verhaltens, als sie in den Lagern Häftlinge verprügelte! Wo ist da der Unter­schied zwischen ihr und der roten »SS«?

Am 30. Juni 1980 drangen der Major der Miliz, Leščenko V. S., und irgendein Zi­vilist in die Wohnung (Vilnius, Užupio 19—33) der Genovaitė Šakalienė ein. Oh­ne eine Sanktion des Staatsanwaltes schauten die ungebetenen Gäste unter die Betten, in die Schränke und überprüften sogar die Wohnung des Nachbarn. Leščenko äußerte dazu, daß der Grund für diese Haussuchung eine Suchaktion des verschwundenen »politischen Kriminellen«, der Mann von Danutė, Vladas Šakalys, sei. Šakalienė protestierte gegen das ungerechtfertigte Vorgehen, worauf der Major erwiderte: »Wir werden uns auch weiterhin so benehmen, denn das ist unsere Pflicht!«

Vladas Šakalys ist nicht verhaftet, sondern hält sich versteckt.

Am 23. Mai 1980 wurde V. Abrutis (wohnhaft in Vilnius, Talat-Kelpšos Str.) in Moskau verhaftet. Am 9. April 1980 konfiszierte man während einer Haussu­chung in der Wohnung von Abrutis viele Untergrundveröffentlichungen und eine Schreibmaschine. Derzeit befindet sich Abrutis im Lukiškis-Gefängnis. Seiner Frau Edita teilte man mit, daß gegen Abrutis ein Strafprozeß nach Artikel 199, Abs. 1, des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR, eingeleitet worden ist. Familie Abrutis hatte einen Antrag auf Ausreise ins Ausland gestellt.

Am 4. März 1980 wurde der Lituanist Gintautas Jašmantas, wohnhaft in Vilnius, Švyturio 36—8, verhaftet. G. Jašmantas, 1930 in Kudirkos Naumiestis geboren, absolvierte das Pädagogische Institut in Vilnius. Längere Zeit arbeitete er in der Redaktion der Zeitung »Komjaunimo Tiesa« (Wahrheit der Komsomolzen). 1970 trat er aus der kommunistischen Partei aus. Der Verhaftungsgrund von Jašman­tas — seine Mitwirkung in der Untergrundpresse.

Im Juli 1980 benachrichtigten die KGB-Mitarbeiter die Verwandten, daß der Pro­zeß gegen Antanas Terleckas und Julius Sasnauskas abgeschlossen sei. Terleckas durfte sich schon mit dem Prozeßmaterial bekannt machen. Den Verwandten von J. Sasnauskas gaben die KGB-Bediensteten die ganze reli­giöse Literatur und Briefe von Freunden zurück, in denen das Thema der nationa­len Frage nur gering behandelt wird.

An den Generalstaatsanwalt der UdSSR Erklärung

des Jurevičius Mečislovas, Sohn des Jurgis, Mitglied der Helsinkigruppe in Litau­en, wohnhaft in Litauen, Stadt Šiauliai, Spindulio Str. Nr. 6—10

Am 6. Februar 1980 wurde ich im Autobusbahnhof von einer Gruppe von KGB-Mitarbeitern überfallen und verhaftet. Man schleppte mich in ihre Abteilung und nahm eine persönliche Durchsuchung vor. Danach brachten sie mich in meine

Wohnung — hier fand eine sorgfältige Haussuchung statt. Es wurden verschie-dentliche Drucksachen und religiöse Literatur konfisziert. Folgenden Tages be­orderte man mich zur Staatsanwaltschaft der Stadt. Der aus Vilnius angereiste Untersuchungsrichter, A. Jucys, klagte mich des »Organisierens« religiöser Pro­zessionen im Sommer 1979 bei Šiauliai und Šiluva an. — In den darauffolgenden Tagen wurde ich wieder in die Staatsanwaltschaft gerufen. In einer Gegenüber­stellung mit ausreichend vorbereiteten »Zeugen«, erkannten diese mich als den Organisator der schon erwähnten Prozessionen. Auf diese Weise wurde die An­klage gegen mich, aufgrund des Strafgesetzbuches, Artikel 199 - 3, offiziell er­hoben. Ebenso wurden Zeugen herbeigerufen, die mich durch ihre fingierten Aus­sagen der »Tagesdieberei« bezichtigten. Wegen meiner religiösen Überzeugung wurde ich im Januar 1975 aus der Arbeit entlassen (ich verlangte das Recht, an re­ligiösen Feiertagen nicht arbeiten zu müssen). Seit August 1977 bin ich als Küster in der Kirche zu Žarėnai-Latveliai tätig. Der Arbeitsvertrag wurde mir vom Untersuchungsrichter A. Jucys weggenommen.

Im Zusammenhang damit erkläre ich: diese, vom KGB inszenierte Aktion, die das Ziel hat, mich in die Rolle des »Organisators« religiöser Prozessionen zu drängen, um die »öffentliche Ordnung zu verletzen«, ist nichts anderes als eine grobe Pro­vokation, die nicht nur allein gegen mich gerichtet ist.

Die atheistische Propaganda hat in Litauen ihre eigentlichen Ziele nicht erreicht. Mindestens zwei Drittel der Litauer sind bis heute immer noch gläubige Christen. Abgesehen von dem schon jahrzehntelang an allen Fronten andauernden athei­stischen Angriff, sind die Litauer in der Mehrheit den Traditionen ihrer Väter und Urväter und ihrem Glauben treu geblieben. All das mußte die Wut der Staats­atheisten hervorrufen. Vielleicht haben sie deswegen in letzterer Zeit beschlossen, daß Repressalien die mehr vertrauensvollere Waffe in diesem unehrenhaften Kampf gegen den Glauben sind. Allerdings ist dies der falsche Weg. Das bezeugen die Seiten der Geschichte unseres Volkes.

Ich habe an diesen religiösen Prozessionen der Wallfahrer zum Kreuzberg und in Šiluva teilgenommen, wie viele andere Gläubige auch. Ich nahm daran teil, weil ich Katholik bin. Aber ich bin nicht ihr Organisator gewesen. Es gab auch keine »Verletzungen der öffentlichen Ordnung«. In Litauen versammeln sich die Katholiken nach alten Traditionen und Sitten ganz spontan zu den Wallfahrten, und dazu sind keine Organisatoren notwendig. Sie sind nicht mit den Umzügen zum 1. Mai oder im Oktober zu vergleichen. Die Wallfahrten sind ein nicht zu trennender Teil unseres religiösen Lebens. Unsere katholischen Traditionen sind vor Jahrhunderten entstanden. Sie sind der Ausdruck des religiösen Geistes eines jeden katholischen Litauers. Niemandem und niemals haben sie Schaden ge­bracht. Dieses weiß jeder sehr gut, der sich nur ein wenig mit der Realität des Le­bens in Litauen befaßt hat.

Am 18. Dezember 1975 brachte die Zeitung »Prawda«, Nr. 352, einen Bericht mit der Überschrift »Der Angriff gegen die Muttergottes«. In ihm wurde darüber be­richtet, wie die Henker-Junta in Chile, angeführt von Pinocheto, der weder an Gott noch an den Teufel glaubt, mit einer friedlichen Prozession katholischer Pil­ger, die ihn erschreckt haben soll, fertig geworden ist. Der Artikel endete mit dem Satz: »Der General Pinocheto sucht mit einer unerschöpflichen Findigkeit nach Methoden, um den Gläubigen und den Nichtgläubigen die Mäuler zu stop­fen . . .«

Es stellt sich die Frage: Warum bedienen sich die sowjetischen Gottlosen dersel­ben Methoden wie ihre fast ähnliche Junta? Vielleicht haben sie die gleichen Ziele. Ich wende mich mit der Bitte an Sie, der Willkür der Gottlosen und der Gewalt, die unter dem Verdeck sowjetischer Gesetze durchgeführt wird, ein Ende zu set­zen.

Wir leben doch im 20. Jahrhundert, und, wie die Propagandisten erklären, »in ei­nem demokratischen Land«, in einem Staat, der sich in erster Linie verpflichtet hat, die Allgemeinen Menschenrechte der humanen und internationalen Verträge zu ehren.

Šiauliai, 23. Februar 1980        M. Jurevičius

Am 24. März 1980 wurde der Priester Petras Našlėnas-Kerbelis in das KGB in Vil­nius zum Verhör gebeten. Der Vorladungsgrund: der Priester hatte einige Petitio­nen wegen der schuldlos Gefangenen Petkus, Terleckas und Sasnauskas unter­schrieben, in denen die Freilassung der Inhaftierten verlangt wurde. Der Untersu­chungsrichter wollte von ihm wissen, wer die Petition redigiert, wer sie ihm zur Unterschrift vorgelegt und wo dies stattgefunden hat. Der Untersuchungsrichter war verärgert über die Forderung, solche »Verbrecher«, die sich mit dem Gedan­ken über den Austritt Litauens aus der Sowjetunion beschäftigen, in die Freiheit zu entlassen.

Während des Verhörs wurde der Priester Petras Našlėnas sehr klug sondiert, ob er denn nicht wüßte, aus welchen Personen sich die Redaktion der »Chronik der LKK« zusammensetze, auf welche Weise er an die Untergrundliteratur gelangen würde usw.

Unverrichteter Dinge mußte der Major Pilelis den Priester gehen lassen.

Anmerkung: Der Priester P. Našlėnas-Kerbelis hat das Priesterseminar in Kaunas absolviert. Allerdings verweigerte ihm das KGB eine offizielle Priesterweihe, des­halb empfing er die Priesterweihe ohne die Zustimmung der Regierung.

Am 3. Juni 1980 wurde die Künstlerin des Rundfunk- und Fernsehchors von Vil­nius, Janina Bagdonienė, zum Verhör in das KGB gebeten. Der Untersuchungs­richter Pilelis warf Bagdonienė vor, sie habe ein Schreiben unterzeichnet, das die Freilassung von Terleckas fordere. Die Untersuchungsrichter äußerten sich abfäl­lig über alle, die diese Forderung unterschrieben hatten, benannten sie psychisch nicht normal, und die Priester Gegner der Regierung. A. Terleckas sei ein Natio­nalist, der verschiedentliche Veröffentlichungen redigiert habe, schon zum wie­derholten Male werde er für seine zerstörerische Aktion gegen die sowjetische Ordnung verurteilt. Aber umsonst bemühte sich der KGBist, die Befragte zum Rückzug ihrer Unterschrift zu bewegen. Pilelis bekräftigte, daß sich auch Nonnen schuldig machen würden, die Kinder in religiöse Handlungen miteinbeziehen wür­den.

Nach einigen Stunden des Verhörs kam ein zweiter KGB-Bediensteter hinzu, der seinen Nachnamen nicht nannte. Dieser KGB-ist erklärte, daß es bei uns eine Par­tei gäbe, und wenn unerwünschte Quellen die Ruhe stören würden, müßten sie isoliert werden.

Den weiteren Verlauf der Untersuchung übernahm Česnavičius. Bagdonienė wur­de wieder über ihre »verdächtigten« Bekanntschaften mit Lagerinsassen und Prie­stern befragt. Česnavičius bekräftigte ebenso, daß alle Personen, die solch anti­sowjetische Schreiben unterzeichnen würden, psychisch krank wären und daß ihr Kampf sinnlos sei, denn alle würden gefaßt werden. Bagdonienė erinnerte ihn an einige kriminelle Handlungen, deren Opfer ihr sehr nahestehende Personen und sogar sie selber war. Und als die Regierungsorgane daraufhin überhaupt nicht reagierten, wäre sie sehr erstaunt gewesen. Jetzt, wo sie dieses Schreiben un­terzeichnet habe, das die Freiheit für einen Menschen fordert, sei sie sofort im Ge­bäude des KGB gelandet. Die Untersuchung dauerte fünf Stunden.

Am 3. Juni 1980 wurde der in Šiauliai wohnende Juozas Šileikis zum Verhör in das KGB in Šiauliai befohlen. Der Nachname des Untersuchungsrichters blieb un­bekannt. Dieser las ihm eine kurze Nachricht aus der »Chronik der LKK« (Nr. 42) vor, in der es heißt, daß Šileikis sich am 24. Februar nicht an den Wahlen in den Höchsten Rat und in die Ortsräte beteiligt habe. Šileikis bestätigte diese Tat­sache und behauptete, daß er an diesen Wahlen nicht teilnehmen könne, denn man würde ja keine Kandidaten aus der Mitte der gläubigen Bevölkerung für die Wahl aufstellen, und Atheisten würden sich für die Angelegenheiten der Gläubi­gen nicht einsetzen.

Der KGB-Bedienstete versuchte, Šileikis vier Stunden lang zu erziehen, indem er ihm erklärte, daß es unruhige Menschen gäbe, die dem Staatssicherheitsdienst ei­ne schwere Arbeit aufbürden würden. Nach Meinung des Sicherheitsbediensteten ist die ganze »Chronik der LKK« eine ununterbrochene Lüge.

Am 5. Juni 1980 bekam der Pfarrer von Žemaičiu Kalvarija, Priester Alfonsas Lukoševičius, Besuch von dem KGB-Mitarbeiter Grigaliūnas (aus dem Staats­sicherheitsdienst in Vilnius). Dieser erkundigte sich über das bevorstehende Kirch­weihfest der hl. Jungfrau Maria, Anfang Juli. Am meisten interessierte den Sicherheitsbediensteten, ob an diesem Kirchweihfest, ähnlich wie letztes Jahr, Mitglieder des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte Gläubiger wie­der teilnehmen würden. Nach Auffassung des KGB-isten wäre das im letzten Jahr sehr schlecht gewesen, denn die Mitglieder des Katholischen Komitees hätten viele schlechte Dinge umhererzählt.

Der Priester Lukoševičius erklärte, daß jeder Priester, der zum Kirchweihfest kommen würde, das Recht habe, eine Messe zu halten, und die Predigt sei ein nicht zu trennender Teil der Messe.

Am 14. Mai 1980 wurde Nijolė Galminaitė aus Tauragė in den Sicherheitsdienst gerufen. Der KGB-Mitarbeiter Antanas Laurinavičius beschuldigte sie des Unter-schriftensammelns einer Erklärung an die Redaktion der Sendung »Argumente« im Fernsehen. Der Untersuchungsrichter verlangte Angaben über die Sammler der Unterschriften, über die Organisatoren usw. Außerdem bot er ihr einen Platz im Medizinischen Institut an und wollte sie als Sicherheitsagentin für sich gewin­nen. Der hinzugekommene Vorgesetzte des Sicherheitsdienstes, Vitkevičius, droh­te ihr: »Wenn wir uns nicht einig werden, fällt die nächste Unterhaltung trauriger aus.«

Am 17. Juni 1980 kam der Sicherheitsbedienstete Malinauskas in die Wohnung der Aldona Kezytė, Vilnius, Sudervės Str. 20—130, und nahm sie zu einer »kur­zen Unterredung« in den Sicherheitsdienst mit. Die »kurze Unterredung« dauer­te drei halbe Tage — vom 17. bis zum 20. Juni.

Aldona Kezytė hatte ihrer Schwester, die aus Amerika zu Besuch bei ihr gewesen war, einige Briefe an ihren Bruder, Priester Algimantas Kezys, mitgegeben. Die Zollbeamten in Moskau hatten diese Briefe konfisziert und sie dem Sicherheits­dienst in Litauen übergeben. In den Briefen hatte Kezytė ihre Eindrücke des Som­mers 1979 in Grusinien geschildert.

Der KGB-Mitarbeiter und der Untersuchungsrichter, dessen Name unbekannt blieb, drohten ihr. Er sagte, daß A. Kezytė für die Übermittlung verleumderischer Literatur ins Ausland sieben Jahre Lagerhaft bekommen könnte. Die Verfasserin der Briefe erklärte, daß sie nichts verleumdet, sondern nur ihre erlebten Ein­drücke wiedergegeben hätte, als sie 1979 im KGB in Grusinien verhört worden sei. Eines jeden Menschen Recht sei es, seine Gedanken mit ihm nahestehenden Per­sonen auszutauschen.

A. Kezytė wurde für ihre missionsartigen Tätigkeiten in Grusinien entschieden verwarnt. Man drohte ihr, daß die folgende Zusammenkunft strenger verlaufen würde. Damit A. Kezytė keine Gelegenheit bekam, ihre Ideen anderen aufzu­schwatzen, bot ihr der Sicherheitsbedienstete an, ihre Arbeit wieder aufzuneh­men. (Die Lehrerin A. Kezytė wurde aufgrund der Initiative des Direktors der B. Dvarionis Kindermusikschule in Vilnius, Vytautas Kabelis, unterstützt von dem Parteisekretär Jonas Urbas, gezwungen, die Schule zu verlassen.) Nach Meinung des Untersuchungsrichters hatte A. Kezytė Konflikte mit dem Lehrerkollegium gehabt, und deswegen habe sie die Arbeit aufgeben müssen. In Wirklichkeit hatte sie sich während der 25 Arbeitsjahre als Pädagogin nicht einen einzigen Feind ge­schaffen und bekam für ihr vorbildliche Arbeit viele verschiedentliche Geschenke und nicht einen einzigen Tadel. Der Untersuchungsrichter äußerte sich sogar so: »Jeder Mensch hat das Recht, sich öffentlich zu seinem Glauben zu bekennen, und wenn man ihn dafür diskriminiert, so möge er sich direkt beim KGB be­schweren!« Sicherlich könnte sich niemand auf seine Worte berufen, denn wahr­scheinlich deswegen hatte der Sicherheitsbedienstete seinen Nachnamen nicht ge­nannt. Es interessierte den Untersuchungsrichter, welcher nonnenhaften Kongre­gation A. Kezyte denn angehöre. Ebenso fragte er, wen sie von den Mitgliedern des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte Gläubiger kennen würde.