Die Mißachtung aktiver Priester

Im letzten Jahrzehnt haben sich im Leben der Litauischen Katholischen Kirche grundsätzliche Veränderungen vollzogen. Wenn früher unter dem Einfluß der Re­pressionen von Stalin und Chruschtschow bei vielen Priestern die Stimmungen der Passivität und der Machtlosigkeit vorherrschten (es wurde gesagt: »Man kann mit dem Kopf nicht durch die Wand«), so schwinden diese in letzter Zeit. Großer Einfluß der russischen Dissidenten, die viel Aufopferung und Entschlossenheit im Kampf für die grundlegenden Menschenrechte, gegen Lüge und Gewalt zeigten, bewirkte eine Umorientierung der Priester in die positive Richtung. Dieses be­wirkten ebenso die Geistlichen Polens mit Kardinal Wyschinsky an ihrer Spitze, die sehr energisch für eine völlige religiöse Freiheit kämpfen. Schon längst haben die Gläubigen und die Priester Litauens das Recht wahrgenommen, das Papst Jo­hannes Paul II. sehr schön zum Ausdruck gebracht hatte, indem er sagte, daß die Gläubigen soviel religiöse Freiheit besitzen werden, wie sie sich erkämpfen. In der Tat blieb der zehnjährige Kampf nicht ohne Resultate: das Aufnahmelimit des Priesterseminars ist um das Vierfache vergrößert worden (von 5 auf 20 Kandida­ten pro Jahr); nach 40 Jahren sowjetischer Regierung bekamen die Katholiken die erste Auflage des Katechismus zu sehen; ungeachtet der Regierungsverbote wer­den die Kinder in fast allen Gemeinden katechesiert, Schüler beteiligen sich an Prozessionen, dienen der Messe usw. In Litauen ist jedem klar, daß die sowjeti­sche Regierung sich nicht aufgrund ihrer Priester-Kollaborateure und deren »di­plomatischen Unterfangens« von einigen Angelegenheiten zurückgezogen hat, sondern deswegen, weil das gläubige Volk und die Priester ständig ihre Rechte fordern. Und mehr als nur einer haben dafür sogar ihre Freiheit geopfert, z. B. Priester A. Šeškevičius (für die Unterrichtung der Kinder in Religion), Petras Plumpa (für religiöse Literatur), Nijolė Sadūnaitė (für die Vervielfältigung der »Chronik der LKK«) und andere.

Ein »Aushandeln« bei der Sowjetregierung gelingt nur dann, wenn sie beginnt, sich vor dem gläubigen Volk zu fürchten — wenn die Gläubigen aber passiv und unsinnig sind, dann entsteht ein gewogener Nährboden für das Gedeihen der Ty­rannei des staatlichen Atheismus. In den Kirchen Lettlands z. B. gibt es fast keine Jugendlichen mehr, und das Priesterseminar in Riga kann seit drei Jahren nur Be­werber mit nichtlettischen Nachnamen bei der Aufnahme verzeichnen. Die religi­öse Wiedergeburt Litauens läßt in der sowjetischen Regierungsspitze schon längst Unruhe aufkommen. In diesem Jahr werden die aktiven Priester besonders inten­siv verhöhnt und mißachtet. Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angele­genheiten (RRT), Petras Anilionis, hatte es sehr schwer mit den Darstellungen durch die Presse, im Fernsehen und in Gesprächen mit den Priestern — Dechan­ten. Er versuchte zu beweisen, daß die aktiven Priester »Extremisten«, »Einig-keitsstörer«, »Politiker«, »Verleumder der Sowjetordnung« seien, und es verdie­nen, bestraft zu werden.

Ein Priester, der Kinder in Religion unterrichtet, ist in den Augen der Sowjetregie­rung ein »Extremist«, — der um Freiheit für die Kirche bittet, ein »Politiker«, — der den Eigenwillen des staatlichen Atheismus kritisiert, ein »Verleumder der Sowjetordnung«, dessen Platz der hinter Gittern ist. Nach Logik der Sowjetpro­pagandisten ist nur der ein »guter Priester«, der sich zitternd und gegen sein Ge­wissen an die Verordnungen der Religionsvereinigungen hält, die sich gegen die Kirche richten, in Berlin das sowjetische Friedensmodell verteidigt, sich an einem Interview über die sogenannte Freiheit der Kirche in Litauen beteiligt oder aber so passiv ist, daß seine ganze seelsorgamtliche Tätigkeit sich nur auf das »Beerdigen Verstorbener« beschränkt. Alle anderen Priester sind für die sowjetischen Bedien­steten unterträgliche »Extremisten«.

 

Die Kompromittierung der »Chronik der LKK«

Die »Chronik der LKK« nimmt in der religiösen Wiedergeburt Litauens einen be­sonderen Platz ein, deswegen ist es nicht verwunderlich, daß sie am meisten ver­folgt und verschmäht wird. Da die Chronik von den Mitarbeitern der Sowjetre­gierung angegriffen wird, gewinnt sie dadurch an Popularität, und somit fällt die­se undankbare Mission den Priester-Kollaborateuren des KGB zu. Diese verbrei­ten, daß die Chronik nicht immer objektiv sei, manchmal würden sie »Rechnun­gen mit den Priestern begleichen«, die Chronik sei schuldig, weil sie öffentlich die Zusammenarbeit einiger Priester mit dem KGB verurteilt hat. Auch sei sie schul­dig, weil sie die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes im Priesterseminar verdeut­lichte, weil sie die Priestereinigkeit zerstört und der Autorität der Geistlichkeit ge­schadet hat. Ein mancher möchte, daß die Chronik die sichtbaren Fakten nicht sähe und stumm bliebe, wenn Verbrechen begangen werden, die die Strafe des Himmels verdienen. Was kann widerlicher sein als ein Priester, der fast öffentlich mit dem schlimmsten Feind der Kirche zusammenarbeitet — dem KGB?! In Wirklichkeit hat die Chronik dem Priesterseminar nicht nur keinen Schaden zuge­fügt, sondern sich auch in mancherlei Hinsicht positiv verdient gemacht. In die­sem Jahr hatte das Seminar mehr Bewerber denn je — weit über vierzig. Außer­dem wissen alle Seminarbewerber, daß sie mit dem KGB zu tun bekommen wer­den, und daß man versuchen wird, sie als Agenten des Staatssicherheitsdienstes anzuwerben usw.

Die Aufrechterhaltung der Autorität der Geistlichkeit kümmert die Chronik we­sentlich mehr als die Kollaborateure des KGB, deswegen schreibt die Chronik auch, damit das KGB in der kirchlichen Hierarchie nicht das zerstören kann, was noch unversehrt geblieben ist, damit sich heute die Fehler nicht wiederholen, die über Jahrzehnte hinweg nach dem Krieg begangen worden sind. Und die Bedien­steten der Sowjetregierung sind manchmal so anmaßend und schicken hohe Geist­liche in den Vatikan mit der Forderung, der Kirche zu schaden und der Sowjetre­gierung zu helfen.

1940 hatten die Bischöfe und Priester Litauens eine übereinkommende Position in Hinsicht auf den staatlichen Atheismus eingenommen. Die Priestereinigkeit wur­de erst dann zerstört, als das KGB einige der Bischöfe und Priester unschuldig in die Gefängnisse steckte und die anderen als Agenten anwarb; mindestens 25 Jahre liegen zwischen der damaligen Zeit und dem Aufkommen der Chronik. Nicht sie ist schuld, wenn heute ein kirchentreuer Priester irgendeinen, vom KGB Zerschla­genen seinesgleichen meidet. Immerhin, 1979 haben sich zwei Bischöfe und 522 Priester Litauens ganz eindeutig gegen die antihumanistischen Verordnungen der Religionsvereinigungen ausgesprochen. Für diese Priestereinigkeit wird die Ge­schichte dankbar sein, in erster Linie der Chronik und denen, die den Geist der Priester und der Gläubigen wachriefen.

»Die Chronik der LKK« möchte niemanden erniedrigen und verurteilen, aber in der Bestrebung, das Netz des KGB zu zerstören, gibt es zur Zeit keinen anderen Weg, nur die Öffentlichkeit! »Wer Arges tut, der haßt das Licht und kommt nicht an das Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden« (Joh 3,20). Wem würde die Chronik dienen, der Kirche oder dem KGB, wenn sie, das Spinnennetz ganz deutlich erkennend, sich nicht bemühen würde, es zu zerstören, in welchem die kommunistische Partei und das KGB die Zerrüttung der internen Kirche und die Erstickung jeglichen religiösen Lebens planen? Was für einen Wert hätte die Chronik, wenn sie nur die Verbrechen der Lehrer und der Bediensteten, die sich gegen das Volk und die Kirche richten, hervorheben würde? Wer ist der größere Verbrecher: der Lehrer, der dreißig Schüler irreführt, oder ein soutanierter Geist­licher, der in Berlin den sowjetischen Frieden — die Lüge — verteidigt und damit die ganze Welt irreführt? Wen trifft die Schuld mehr: einen betrunkenen Arbei­ter, der eine Beschwerde dem KGB hinterbringt, oder einen Priester, der den Na­men Christi des Kriegers trägt und sich ebenso beim KGB beklagt?

 

Frage der Priestereinigkeit

In diesem Jahr erzählte der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenhei­ten, Petras Anilionis, den ins Exekutivkomitee der Stadt Kaunas geladenen Dechanten: »Ich habe mich mit dem Bischof unterhalten, und er sagte, daß der Papst die Priester Litauens dazu ermahne, sich an die Einigkeit zu halten.« P. Anilionis und seinesgleichen wollen überzeugen, daß die größten Zerstörer der Kircheneinigkeit die Priester-»Extremisten« seien. Und die sowjetische Regie­rung, wie auch der Papst, seien für eine Einigkeit der Priester und der Kirche!

In Fragen christlicher Doktrinen könnten viele Priester anderer katholischer Län­der die Priester Litauens um deren Einigkeit beneiden. Ihre Einigkeit demonstrier­ten sie 1979, indem sie einheitlich gegen die Verordnungen der Religionsvereini­gungen protestierten, den Protest unterschrieben 522 Priester und 2 Bischöfe. Nur ein kleiner Teil der Priester unterzeichnete nicht, einige aus Angst, andere wegen der Kollaboration mit dem KGB oder aus anderen Gründen. Natürlich vermißt man die Einigkeit gelegentlich an anderen Stellen.

Das KGB entwirft ständig neue Pläne, um die Einigkeit der Priester Litauens effektiver zerstören zu können. Man versucht, die Kleriker und Priester als KGB-Agenten anzuwerben; die angeworbenen Priester werden dann in die größten Pfarrgemeinden versetzt, erlaubt ihnen ins Ausland zu reisen und ähnliches. Um das Vertrauen der Priester zu schwächen und ihre Sinne zu verwirren (damit die Priester-Kollaborateure unentdeckt bleiben), erlauben die staatlichen Sicherheits­organe dem Bischof gelegentlich, einen fleißigen Priester für eine große Pfarrei zu bestimmen, oder erlauben dem einen oder anderen guten Pfarrer, ins Ausland zu verreisen. In der Bestrebung sehr viel Dunkelheit und Verwirrung zu stiften, läßt das KGB dem Vatikan durch seine Kollaborateure, per Brief oder andere Maß­nahmen, falsche Informationen zukommen. — Wenn also über die Zerstörer der Priestereinigkeit geredet wird, so muß in erster Linie das staatliche Sicherheitsko­mitee (KGB) erwähnt werden, erst danach sind zweitrangige Gründe zu nennen. Während man die Spaltungstätigkeit ausübt, redet das KGB, unterstützt von sei­nen Kollaborateuren (Mitarbeiter, Geistliche und andere Personen), ständig über die Angelegenheit der »Einigkeit«. Es wird eine Einheit angestrebt, die die Priester mit der kommunistischen Partei, Lenin und dem KGB verbinden soll. Das Wort »Einigkeit« und das Wort »Frieden« haben nach Auffassung der Be­diensteten des atheistischen Staates eine spezifische Bedeutung: für die sowjeti­sche Regierung sind nur solch eine »Einigkeit« und solch ein »Frieden« von Nut­zen, die den Zweck, nämlich alles zu erobern, erfüllen, und das, was mißfällt, ein­fach vernichten.

Die Priester kapitulieren ganz oder zum Teil vor dem Staatssicherheitsdienst, in Gesprächen benutzen sie manchmal und wahrscheinlich unbewußt die sowjetische Terminologie, z. B.: »die Chronik zerstört die Priestereinigkeit« oder »das Ka­tholische Komitee zur Verteidigung der Rechte Gläubiger will berühmt werden« usw.

Wie soll man eine wahre Einigkeit der Priester Litauens erzielen? Nur durch eine bedingungslose Treue zu Christus, zur Kirche und zum Papst! Die Einigkeit ver­langt, daß die geistliche Obrigkeit kirchliche Angelegenheiten auch mit den Prie­stern bespricht und nicht nur mit sowjetischen Bediensteten. Sie erfordert ein bes­seres Bescheidwissen der Priester über die inneren Probleme der Kirche und ihre Pläne als der Staatssicherheitsdienst. Sie erfordert, daß alle, nicht nur 70—80% der Priester, für die Glaubensfreiheit, nach Vorbild des polnischen Kardinals, Pri­mas Wyschinsky, kämpfen. Einigkeit verlangt, daß Priester, die den Fehler be­gangen haben und zu Kollaborateuren des KGB wurden, sofort und in aller Öf­fentlichkeit ihr beschämendes Abkommen abbrechen. Wenn sie dieses nicht tun, so sollten sie wissen, daß selbst Christus nicht auf eine Einigkeit der Apostel mit Judas und den Pharisäern bestand.

Eine zu erzielende Einigkeit ist nur zwischen Priestern mit gutem Willen möglich, die sich fürsorglich den Kirchenangelegenheiten widmen, aber nicht immer den Methoden der Durchführung zustimmen müssen. Zweifellos ist es notwendig, de­nen, die anderer Meinung sind, Aufmerksamkeit und Verehrung entgegenzubrin­gen. Trotzdem möchten wir hier unterstreichen, daß die Priester, Kollaborateure des KGB, ebenso von sich behaupten, gutwillig zu sein. Und ihre Zusammenar­beit mit dem KGB sei nur »eine andere Taktik«. Deswegen können sich nur die Leute eine richtige Meinung über die Priester bilden, die ständig ihre Arbeit und ihr Leben sehen. Und sehr leicht können sich die westlichen Menschen irren, die zu dem einen oder anderen Priester einige Wochen Kontakt hatten. Wir sind davon überzeugt, daß der Vatikan verstehen wird, warum es in Litauen keine völlige Priestereinigkeit gibt und warum der Vatikan so viele in sich wider­sprechende Informationen erhält.

 

Kontakte mit der westlichen Welt

Die Kontakte zur westlichen Welt sind, ohne das Wissen des KGB, für die litaui­sche katholische Kirche, die für ihre Freiheit kämpft, lebenswichtig. Wenn es die­se Kontakte nicht gäbe, und wenn eine objektive Information über die Lage der Kirche die freie Welt nicht erreichen würde, wäre der Kampf um die Glaubens­freiheit zehnmal schwieriger. Denn die brutale Nötigung des staatlichen Atheis­mus brauchte dann nicht zu fürchten, daß ihre Arbeit irgendwann an das Ta­geslicht gelangen würde. Bedauerlich, aber in diesem Jahr sind die Kontakte zum Westen schwächer geworden, das KGB hat in Moskau und anderswo viele gute Menschen liquidiert. Und nach Litauen kamen viele ausländische Touristen, aber nur ganz wenige waren darunter, denen es wichtig war, Informationen über die Kirchenlage mit hinauszubringen, als einen Blick auf die Gedeminas-Burg zu werfen.

Am wenigsten werden Auslandsreisen litauischer Priester erwünscht. Warum? Das KGB schickt meistens nur seine Priester-Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in die sogenannten kapitalistischen Länder. Auch wenn das nicht von direktem Nut­zen für das KGB ist, so hofft man doch, gegenseitiges Mißtrauen schüren zu kön­nen, die Autorität des Priesters zu schwächen u. ä. Ganz schädlich für die Kirche ist folgender Kontakt mit dem Westen: die Teilnahme der Priester Litauens an den Friedenskonferenzen in Berlin. Diese Art von Priesterdelegationen werden vom KGB und dem Rat für religiöse Angelegenheiten bestimmt. Die bischöfli­chen Verwaltungsbehörden müssen sich da heraushalten. Da an diesen Friedens­konferenzen zum größten Teil nur Priester-Kollaborateure des KGB teilnehmen, entsteht die Frage, über welche kirchlichen Probleme die Priester der westlichen Welt mit ihnen beraten können?

Am liebsten sind Touristen, Priester und Nichtgeistliche, aus dem Westen er­wünscht. Sie sollten in Litauen keine Informationen über die Kirchenlage aus zu­fälligen Quellen sammeln, sondern sie sollten versuchen, zuverlässige Nachrich­tenquellen zu finden. Priester, die bisher aus dem Ausland eingereist waren (aus Polen, USA und anderswo), gerieten oft an die Angel des KGB. Und Informatio­nen über die litauische katholische Kirche erhielten sie nur von Priester-Mitarbei­tern des KGB, mit denen sie Kontakt aufgenommen hatten.

 

Die Priesterräte

1979 gründete man in Litauen die Priesterräte, die auf Beschluß des Zweiten Vati­kanischen Konzils in jedem Bistum tätig sein dürfen. Mit Freude verfolgten die Priester einige Sendungen des Vatikanischen Rundfunks zum Thema »Priesterrä­te«, die viel Licht in die noch offenen Fragen brachten. Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Anilionis, warnte die obrige Geistlichkeit, sie möge diesen Räten mit Vorsicht begegnen, und später verkündete er, daß die Priesterräte von Priester-»Extremisten« organisiert würden. In diesem Jahr teilte der Bevollmächtigte Anilionis den Dechanten des Bistums Kaunas und des Bis­tums Vilkaviškis mit, daß der Bischof Povilonis ihm gesagt hätte, der Papst sei der Meinung, daß die Priesterräte in Litauen nicht erforderlich seien. Warum will die sowjetische Regierung keine Priesterräte? Die Antwort wird deut­licher, wenn man sich mit den Methoden, mit denen die Regierung die Kirche ver­waltet, näher befaßt. Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten mischt sich in alle inneren Probleme der Kirche ein, er gestattet dem Bischof nicht, eine eigenmächtige Versetzung der Priester durchzuführen, Kleriker in das Seminar aufzunehmen, das Sakrament der Firmung zu erteilen usw. Dieses »Sich­einmischen« wird von der sowjetischen Regierung getarnt, denn es soll so ausse­hen, als ob die geistliche Obrigkeit ihre Bistümer eigenhändig verwaltet. Die Ge­genwart der Priesterräte würde diese Maskierung unmöglich machen. Zur Zeit übt der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten Druck auf die rückhaltslose geistliche Obrigkeit aus. Mit Hilfe der Priesterräte aber würde es dem Bischof oder dem Verwalter des Bistums leichter fallen, gegen den auferleg­ten Zwang anzukämpfen. Er könnte z. B. sagen: Ich muß diesen Priester verset­zen, denn der Priesterrat verlangt es. Oder: Ich muß das Sakrament der Firmung in der Diözese N. erteilen, denn der Priesterrat bestätigt, daß das für die Seelsorge nützlich sei. Oft wäre es dem Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegen­heiten nicht möglich zu widersprechen, andernfalls würden alle ganz öffentlich sehen können, daß er, und nicht der Bischof oder der Verwalter eines Bistums, die Kirche verwaltet. Die Priesterräte sind in ihrer Existenz notwendig, denn alles, was bisher heimlich durchgeführt wurde, müßte nun ans Tageslicht. Ob der Vatikan sich tatsächlich dazu geäußert haben soll, daß angeblich Priester­räte in Litauen nicht erforderlich seien, weiß man momentan noch nicht, denn diese Information bekamen die Priester einzig aus dem Munde des Bevollmäch­tigten des Rates für religiöse Angelegenheiten zu hören. Wenn der Vatikan wirk­lieh dieser Meinung ist, so wäre nur noch zu klären, wer sich dem KGB nützlich erwiesen und den Vatikan davon überzeugen konnte, daß für die Kirche Litauens nur das »am besten« sei, was die Behörden des Staatssicherheitsdienstes für gut befinden.

 

Ist das Politik?

Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, und andere »Lautsprecher« der sowjetischen Propaganda bezichtigen die aktiven Priester der Einmischung in die Politik; wir erinnern, daß sogar der Hl. Vater es den Priestern untersagt hat, sich mit Politik zu befassen. Die Mitarbeiter der Re­gierung halten die Katechese, die Kritik am Atheismus, ein Petitionsschreiben an die Regierung (z. B. die Bitte um Rückgabe einer Kirche) usw. für Politik. Ist das Politik? Ja, das ist Kirchenpolitik. Die Verteidigung der Kirche und der Men­schenrechte ist für den Priester eine heilige Pflicht. Und es ist ein Verbrechen ge­gen das angeborene Recht, dieses zu verbieten. Solch eine »Politik« befolgt und segnet die Kirche. Papst Johannes Paul II. ist das beste Beispiel für die Durchfüh­rung solch einer »Politik«.

Es ist nur zu bedauern, daß einige Priester, Nonnen und weltliche Katholiken sich den Begriff »Politik«, der in jedem Kabinett des KGB vorzufinden ist, angeeignet haben. Z. B. hat eine Nonne Angst, die »Chronik der LKK« in die Hände zu neh­men, das ist Politik! Der Priester fürchtet sich, in seiner Predigt die Eltern daran zu erinnern, ihre Kinder in die Kirche zu bringen — Politik! Im Seminar ist es un­tersagt, den Sendungen des Radio Vatikan zuzuhören — Politik! Der Vikar hat Angst, mit den Kindern den Rosenkranz zu beten — auch das ist Politik! Man muß mehr darauf achten, damit es den Propagandisten des staatlichen Atheismus nicht gelingt, den Gläubigen ihre Terminologie aufzudrängen. Für katholische Priester und Nichtgeistliche schickt es sich nicht, sich in die so­wjetische Politik einzumischen, z. B. zu den Friedenskonferenzen nach Berlin zu fahren, mit den Organen des Staatssicherheitsdienstes zusammenzuarbeiten u. ä. Solch eine Politik billigt die Kirche sicherlich nicht, sondern hält sie für ein Ver­brechen und für eine Verletzung der Kirchenordnung.

 

Soll man die Repressionen fürchten oder nicht?

Die Dissidenten der Sowjetunion werden die Olympiade 1980 nicht vergessen. Sie forderte die sowjetische Regierung dazu auf, zu stalinistischen Repressionen zu greifen. Die nach Moskau herangereisten westlichen Menschen sollten keinen ein­zigen Dissidenten zu sehen und kein Wort, das die Lüge und Gewalt kritisiert, zu hören bekommen. Die Repressionen haben auch Litauen erreicht; es ist zu erwar­ten, daß sie ebenso an die Priester Litauens gelangen werden. Lohnt es sich, diese zu fürchten? Die Priester Litauens haben in den Nachkriegsjahren zwei Repres­sionswellen (1945—1953 und 1957—1958) ertragen müssen, sie werden auch eine dritte überstehen. Man kann doch nicht im Ernst ohne jegliche Opfer Freiheit für die Kirche erkämpfen wollen! Wenn die Priester verhaftet werden, dann wird die Welt diese »völlige religiöse Freiheit« des Kommunismus besser verstehen (der Umgang der Katholiken mit den Kommunisten in einigen Ländern zeigt, daß ih­nen das wahre Gesicht des Kommunismus aus nächster Nähe unbekannt ist), und das Opfer der Leidenden in den Lagern wird die Landsleute nicht nur zum Kampf für die Glaubensfreiheit aufrufen, sondern auch, um das Joch der Tyrannei end­gültig abzuwerfen. Die Geschichte lehrt, daß immer dann, wenn die Gläubigen keine Angst vor dem Erleiden hatten, die Kirche in voller Blüte stand. Und umge­kehrt verhielt es sich genauso — wenn im Volke Gottes der Geist des »Sichop-ferns« erblaßte, durchlebte die Kirche eine Krise. Deswegen sollte man sich in Li­tauen nur vor dieser Situation fürchten, nämlich, daß keiner mehr den Mut auf­bringt, um für Gott und die Kirche zu leiden. Das wäre eine wahre Tragödie. Mit Gottes Hilfe und seinem Segen sind die Priester und die Gläubigen Litauens bereit, voll christlicher Willensstärke jeder Situation entgegenzutreten.