Žemaičių Kalvarija

9. Juli 1980. Ungeachtet des schlechten Wetters versammelten sich in Žemaičiu Kalvarija eine Unzahl von Menschen. Die Heiligenstätte konnte nicht alle Ange­reisten bergen, deswegen betete ein Teil von ihnen sogar im Regen im Kirchvor­hof. 95 Priester konzelebrierten die hl. Messe, die Mehrzahl von ihnen kam aus dem Bistum Telšiai und einige aus anderen Diözesen. Hier hatten sie sich versam­melt, um das Enthaltsamkeitsversprechen abzulegen. Die Predigt über die Wich­tigkeit der Enthaltsamkeit und über die verderblichen Folgen des Alkohols hielt der Verwalter der Diözese Telšiai, der Priester Antanas Vaičius. Der Verwalter rief alle dazu auf, zu versuchen ohne Alkohol auszukommen oder zumindest Maß zu halten.

Nach der Predigt verlasen die Priester das Abstinenzversprechen. Allen Gläubi­gen, die das Abstinenzversprechen abgelegt hatten, gab man ein Bild zur Erinne­rung. 4100 wurden von ihnen verteilt. Zur hl. Kommunion gingen 3700 Men­schen.

Nach der hl. Messe hielt der Dekan von Mažeikiai, Kanoniker Kazimieras Gasčiū-nas, eine kurze und feurige Predigt. Beeinflußt durch die vielen Worte des Red­ners, entschlossen sich die Gläubigen, Litauen aus dem Meer des Alkohols zu ret­ten, aus der verderblichen gottlosen Leere der Seele, denn diese Leere wird mei­stens mit Alkohol übergössen. Der Enthusiasmus der Leute war so groß, daß nach der Predigt, ungeachtet des Gedränges und der großen Schwüle, fast alle Be­teiligten noch zur Messe der langen Bergwege Christi dablieben (wegen des schlechten Wetters war es nicht möglich den Leidensweg Christi und die einzelnen Stationen auf dem Berg nachzugehen).

Über die ganzen Tage der Wallfahrt (vom 2. bis 9. Juli) in Žemaičiu Kalvarija wa­ren viele Beter zugegen. Am großen Tag von Kalvarija, am Sonntag, dem 6. Juli, registrierte die Autoinspektion 2865 Personenkraftwagen. Mit ihnen waren um die 1500 Pilger angereist. Da ein Teil der Pilger mit Autobussen und anderen Transportmitteln angereist war, und ein anderer Teil der Pilger sich schon vor Ta­gen in Žemaičiu Kalvarija eingefunden hatte, rechnet man, daß sich an diesen Ta­gen rund 30000 Menschen in Žemaičių Kalvarija aufgehalten haben. Die hl. Kommunion wurde von 6700 Beteiligten entgegengenommen. Über den ganzen Zeitraum der Wallfahrt hindurch wurden 20500 Hostien ausgeteilt. An den Kirchweihfesten in Žemaičių Kalvarija werden jährlich immer mehr Ju­gendliche beobachtet. Besonders junge Gesichter waren am Samstag, dem 5. Juli, zu sehen. Der Samstag vor dem großen Tag in Kalvarija ist schon zum traditionel­len Tag der Jugend geworden. Eine Anzahl von einigen tausend Jugendlichen gin­gen den Kreuzweg auf dem Berg entlang. An den einzelnen Stationen hielten die Priester Stanislovas Krumpliauskas (Vikar in Kupiškis) und Jonas Kauneckas (Vi­kar der Kathedrale zu Telšiai) eine Predigt. Sie forderten die Jugend auf, sich mu­tig zum Glauben zu bekennen und niemals auf das Symbol der Litauer — das Kreuz — zu verzichten. Bevor man sich auf den Berg begab, hatte der Pfarrer von Šiluva, Kanoniker Bronius Antanaitis, eine Predigt gehalten. Mit überzeugenden Argumenten bewies er der Jugend die Absurdität und die Verlogenheit des Atheismus.

Dieses Kirchweihfest der ersten Juliwoche in Žemaičių Kalvarija wurde zum Triumph- und Glaubensfest ganz Litauens.

Šiluva

Am 23. August 1980 sammelten sich viele Jugendliche in Tytuvėnai, um an der Kirchweihprozession teilzunehmen. Nachdem sie sich die Kirche angesehen und gebetet hatten, gingen viele zum nahe gelegenen See. Jemand erkundigte sich tele­fonisch bei dem Wachhabenden: »Was unternimmt die Jugend?« Es zeigte sich, daß das »wachsame Auge« schon seit dem frühen Morgen die Anreisenden beob­achtete. Die Einwohner von Tytuvėnai hießen die Wallfahrer herzlich willkom­men und versprachen ihnen Unterkünfte für die Nacht. Als die Gäste zur Abend­messe gegangen waren, nutzten die Bediensteten diese Gelegenheit, um die Ein­wohner zu verhören. Die Miliz fragte die Bewohner, wer bei den einzelnen zu Gast da sei, woher sie kämen, zu welchem Zweck sie da seien usw. Die Bedienste­ten kündigten an, daß sie in der Nacht kommen und die Dokumente überprüfen würden.

In der Kleinstadt fuhren Milizautos hin und her und beobachteten sehr aufmerk­sam die Heranreisenden. Einige Jugendliche aus Anykščiai wurden festgehalten. Am Abend kamen eine ganze Menge KGB-Bedienstete, die sich als Gläubige aus­gaben, indem sie sich bekreuzigten, niederknieten und ähnliches. In der Nacht be­tete die Jugend in der Kirche und andere warteten in der Sakristei auf den Mor­gen. Um Mitternacht klingelte im Pfarrhaus das Telefon, die Bediensteten schimpften den Priester aus, warum er denn in der Kirche ein Hotel eingerichtet hätte.

Am 24. August, nach der Morgenmesse, stellten sich die Mitglieder in eine Reihe für die Prozession auf. Zuerst gingen die Jungen, die die Kreuze und Fahnen tru­gen, anschließend die Mädchen in litauischen Trachten, ihnen folgten zwei Prie­ster in liturgischen Gewändern und dann eine kilometerlange Schlange von Gläu­bigen, die das Kirchenlied »Maria, Maria« singend, durch die Straßen der Klein­stadt zogen. Die Prozession wurde von KGB-Bediensteten und der Miliz auf der Hauptstraße aufgehalten. Einer von ihnen forderte per Lautsprecher auf: »Orga­nisatoren, wir bitten euch, die Prozession aufzulösen. Sie ist vom Exekutivkomi­tee nicht genehmigt gewesen!« Aber niemand brachte dieser Aufforderung Auf­merksamkeit entgegen. Vor der Stadt, in einem getarnten Wagen, saßen Milizbe­amte und KGB-Mitarbeiter mit Fotoapparaten und Filmkameras, um die Vorbei­gehenden zu fotografieren und zu filmen. Gleich unmittelbar daneben stand noch ein Wagen mit schwarzen Vorhängen aus dem ebenso gefilmt wurde. Ein Feuer­wehrwagen fuhr mit lauter Sirene an der Prozession vorbei. Das Fotografieren und Filmen wurde den ganzen Weg hindurch fortgesetzt. Den ganzen Weg bis zur Kapelle von Šiluva wurden der Rosenkranz gebetet und Kirchenlieder gesungen. Die Jugend schmückte die am Wege stehenden Kreuze, und das rief die Wut der KGB-Bediensteten hervor. Es war ergreifend zu sehen, wie die Leute, die die Prozession sahen, in die Knie gingen, die Männer ihre Hüte von den Köpfen nahmen und einige sogar weinten. Am meisten rührte alle, daß an der Prozession vorwiegend Jugendliche und Kinder teilnahmen.

In der Kapelle von Šiluva beteten die Wallfahrer den Rosenkranz. Die Predigt hielt der Priester K. Daknevičius. Von der Kapelle gingen alle organisiert zur Kir­che. Hier wurde die hl. Messe für die Abstinenz in Litauen gehalten, und zu dieser Gelegenheit hielt der Priester J. Zdebskis eine Predigt.

Erst später konnte man in Erfahrung bringen, daß kurz nachdem die Prozession die Kirche von Tytuvėnai verlassen hatte, man den Ingenieur V. Vaičiūnas festge­nommen und ihn in die Milizabteilung gebracht hatte. Er hatte in der Kirche von Tytuvėnai eine kurze Ansprache gehalten, in der er die Intention und die Legalität der Prozession zum Ausdruck brachte. Die KGB-Bediensteten nahmen ihm die Konstitution der Sowjetunion fort, auf die er sich berufen hatte, als er den Gläu­bigen erklärte, daß sie sich mit der Prozession niemandem gegenüber schuldig machen würden. Auch konfiszierten sie ihm »den Verbrechensbeweis«: die Fah­ne, mit der er den Verkehr geregelt hatte. Danach entließen sie ihn nach Hause.

 

Kaunas

5698 Gläubige aus Kaunas richteten sich im Oktober d. J. an den Sekretär des Zentralkomitees der Litautischen Kommunistischen Partei, Petras Griškevičius, und forderten die Rückgabe des Bildes der Wundersamen Maria von Pažailis, das am 29. August 1979 aus der Kathedrale entwendet worden war. Der Täter, Igor Cistiakov, ist verurteilt worden, aber die Rückgabe des Bildes wird hinaus­gezögert. Die Einwohner von Kaunas schreiben:

»Diese Hinauszögerung der Rückgabe dieser Kostbarkeit, des schon erwähnten Bildes, an die Basilika und Kathedrale zu Kaunas hat in uns eine Unruhe hervor­gerufen, die von neuen Gerüchten begleitet wird. Einige sagen, daß dieses Bild überhaupt nicht zurückerstattet wird, und andere sind der Meinung, daß dieses Verbrechen absichtlich inszeniert worden war, um an das Bild zu gelangen. Die Leute überlegen sich ständig verschiedentliche Vermutungen bezüglich der Regie­rung.«

 

Vilnius

Nijolė Sadūnaitė ist in Freiheit, aber ihre Verfolgung wird fortgesetzt. Als sie in der Verbannung war, erhielt sie nicht viele Briefe aus dem Ausland, aber diese ha­ben sie erreicht. In die Freiheit zurückgekehrt,hat sie ihren Freunden im Ausland Briefe geschrieben. Es vergingen vier Monate und sie bekam immer noch keine einzige Antwort — die sowjetischen Zensoren konfiszierten alle Briefe! Ebenso werden alle Geschenke, die an Nijolė geschickt werden, konfisziert, z. B. Frau Hieronymus aus Israel hatte an Sadūnaitė drei Pakete entsendet, aber nachdem schon 8 Monate vergangen waren, hatte sie noch keines der Pakete erhalten.

Grinkiškis, Kreis Radviliškis

Am 20. August 1980 schrieb der Priester Juozas Vaicekauskas an den Apostoli­schen Administrator der Erzdiözese Kaunas und des Bistums Vilkaviškis, Bischof L. Povilonis, eine Erklärung. In ihr schreibt er: »Am 20. August 1980 um 11.00 Uhr bin ich mit dem Dienstwagen des Exekutivkomitees von Radviliškis in das Exekutivkomitee des Bezirkes Grinkiškis gebracht worden. Im Arbeitszimmer der Orts Vorsitzenden Norvaišienė warteten bereits der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, Petras Anilionis, und der Stellvertreter des Vorsitzen­den des Exekutivkomitees im Kreis Radviliškis, Alfredas Krikštanas. P. Anilionis fiel mit Worten über mich her, ich würde die sowjetischen Gesetze verletzen, und außerdem untersagte er ganz entschieden:

1.        Die Unterrichtung, gleich welcher Art, der Kinder in der Religionslehre. Auch der Katechismus während der Predigt in der Kindermesse wurde untersagt. — Er hat mir verboten die Kinder zu fragen und gleichzeitig den Katechismus zu erklären. Er zitierte einen neuen Kommentar bezüglich dieser Frage aus dem Strafgesetzbuch und drohte mit Strafen.

2.        Er behauptete, daß Kinder gelegentlich zu mir nach Hause kämen. Er wollte wissen, was ich mit den Kindern besprechen würde, das wüßte Anilionis leider nicht, aber er ermahnte mich dafür zu sorgen, daß künftig keine Kinder mehr zu mir nach Hause kommen.

3.        Er verlangte, daß keine Kinder mehr meßdienern sollten und auch an keinen Prozessionen mehr teilnehmen.

4.        Anilionis fiel grob über mich her, weil ich angeblich am Jahresende keine Nachrichten darüber geben würde, wie viele Kinder getauft und wie viele Trau­ungen vollzogen worden sind usw. Außerdem würde ich auch die anderen Priester dazu auffordern, keine Informationen zu geben.

5.        Er untersagte mir das Mitgehen oder Mitfahren in einer Beerdigungsprozes­sion zum Friedhof. Ich wäre verpflichtet, mich frühzeitig auf dem Friedhof einzufinden.

P. Anilionis äußerte, daß in Litauen von 700 Priestern nur einige die sowjetischen Gesetze verletzen würden. Er meinte, daß ich in der Pfarrgemeinde Grinkiškis we­niger die sowjetischen Gesetze mißachten würde, als wie in Zeiten, in denen ich in anderen Gemeinden gearbeitet hätte. Er hat mir empfohlen, meiner Reputation nicht zu schaden und die Gesetze nicht zu verletzen. Als ich ihn darum bat, mir die Priester zu nennen, die ich dazu auffordern würde keine statistischen Angaben weiterzureichen, antwortete mir A. Krikštanas, daß er sehr gut Bescheid wüßte, aber die Nachnamen würde er mir nicht nennen. P. Anilionis ließ mich fast gar nicht zu Wort kommen, und als er mir sagte, ich solle mich im >Ton< ein wenig zurückhalten, bin ich aufgestanden und wollte gehen. Da schrie P. Anilionis plötzlich: >Warten Sie, das ist noch nicht alles!< Als ich zur Tür hinausging, droh­te er mir, man würde mich mit der Miliz wieder zurückbringen. Als er dann nach Grinkiškis kam, brachte P. Anilionis der Ortsvorsitzenden Nor­vaišienė ein Geschenk mit — einen neuerschienenen Katechismus. Eine eigenarti­ge Logik: einer Ungläubigen schenkt er den Katechismus, und den Priester würgt er moralisch.«

Anmerkung der Redaktion: Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angele­genheiten besuchte in diesem Sommer viele aktive Priester. Z. B. war er bei dem Pfarrer von Josvainiai, dem Priester L. Kalinauskas, dem Pfarrer von Valkinin­kai, Priester Algimantas Keinas, bei dem Pfarrer von Šeduva, Kanoniker Bronius Antanaitis u. a. Er ermahnte sie wegen des religiösen Kultes und verlangte, sich an diese zu halten.

 

Telšiai

Am 1. September 1980 reichte der Vikar der Kathedrale zu Telšiai, Priester Jonas Kauneckas, dem Staatsanwalt der Litauischen SSR eine Beschwerde ein, in der er die groben Verletzungen sowjetischer Gesetze, die von der Miliz in Joniškiai und den KGB-Mitarbeitern begangen werden, schildert. Der Priester schreibt:

»Am 21. August 1980, gegen 20.00 Uhr, haben mich die erwähnten Bediensteten grundlos festgehalten. Bevor man mich aufhielt, hatten sie Petras Gražulis, der mich gefahren hatte, wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bestraft (damit die Sichtfenster des PKWs nicht verunreinigt werden, hatte er sich von einem anderen Fahrzeug des Types >Moskwitsch< nicht überholen lassen; die Bediensteten fuh­ren in diesem >Moskwitsch< ohne jegliche Erkennungsmerkmale und gaben an­fangs auch keine Zeichen, um anzuhalten). Ohne eine Beschuldigung mußte ich aus dem PKW aussteigen und nachdem man mich in einen Beaufsichtigungsraum der Miliz in Joniškis gebracht hatte, wurde ich in Anwesenheit von etwa 20 Perso­nen durchsucht — ein Teil von ihnen war zivil gekleidet (die Milizbeamten sag­ten später, daß das KGB-Mitarbeiter gewesen seien), und die anderen trugen die Milizuniform — einer von ihnen war sogar Major. Ich erwähnte, daß sie nicht das Recht hätten ohne staatsanwaltliche Order eine Durchsuchung vorzunehmen. Daraufhin schlug mir ein Milizvorgesetzter mit der Faust ins Gesicht und meinte: >Hier hast du deine Order!< Danach packte mich ein Beaufsichtigter der Miliz am Kragen und versuchte mir ein angestecktes Kreuzchen zu entreißen. Ich zeigte ihm, daß ich am Hals noch ein anderes religiöses Medaillon trug und erklärte, daß die sowjetischen Gesetze es nicht verbieten würden, solche Kettchen zu tragen. Außerdem konfiszierte man von Gražulis sogar den Schlüssel für den Koffer­raum, um ihn zu durchsuchen. Da sich im Wagen meine persönlichen Sachen be­fanden, wollte ich die Durchsuchung wenigstens durch das Fenster der Milizabtei­lung mitbeobachten, aber man untersagte mir das.

 

Nachdem man meine Tasche und die von Grazulis durchsucht hatte, lasen die Be­diensteten laut aus unseren Notizbüchern und anderen Dokumenten vor; sie frag­ten wofür das sei usw. Meine Befragung wurde im II. Stock der KGB-Abteilung fortgeführt. Hier wurden wir fast anderthalb Stunden festgehalten. Ich wurde nicht beschuldigt, es wurde kein Untersuchungsprotokoll geschrieben, nicht ein einziger der Bediensteten hatte seinen Ausweis vorgelegt (sogar dann nicht, als sie den Führerschein verlangten), und keiner von ihnen hatte seinen Nachnamen ge­nannt.«

 

Tryškiai, Kreis Telšiai

In der Nacht des 13. Mai 1980 war in die Kirche eingebrochen und der letzte Kom­munionkelch, vier Kerzenleuchter und ein Reliquienbehälter entwendet worden. Den Tabernakel hatte man aufgebrochen. Das heiligste Sakrament lag im Taber­nakel verstreut.

 

Ukmergė

Am 17. September 1980 war der Vikar von Ukmergė, Priester Virgilijus Lenktai-tis, zu einer Tadelung in das Exekutivkomitee der Stadt Ukmerge gerufen wor­den. An diesem Gespräch waren der Kreisvorsitzende A. Bernotas, sein Stellver­treter A. Perednis und wahrscheinlich ein KGB-Bediensteter, der seinen Namen nicht nannte, beteiligt. Die Bediensteten waren über die Predigten des Priesters Lenktaitis erzürnt — sie drohten,ihn in eine andere Pfarrgemeinde zu versetzen. Laut ihrer Meinung würden die Kinder von niemandem per Zwang in die Listen der Pioniere oder der Komsomolzen eingetragen, sie würden freiwillig diesen Organisationen beitreten. Der Vikar wurde gezwungen eine schriftliche Erklärung abzugeben, aber er weigerte sich. Der Stellvertreter Perednis behauptete, daß die­ses Gespräch im Einvernehmen mit dem Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten stattfände. Ebenso ermahnte er, der Priester solle sich nicht etwa einfallen lassen, den Kindern die Religionslehre beizubringen.

 

 

Josvainiai, Kreis Kėdainiai

Am 10. April 1980 brachte die Zeitung des Bezirkes Kėdainiai, Tarybinis kelias (Der sowjetische Weg), den verleumderischen Artikel »Der schiefe Blick« über den Pfarrer der Gemeinde Josvainiai, Priester Leonas Kalinauskas. Dieser Artikel rief bei den Gläubigen große Empörung hervor. Das Kirchenkomi­tee der Pfarrgemeinde Josvainiai (Vorsitzender V. Urbonas) richtete ein Antwort­schreiben an die Redaktion der Bezirkszeitung bezüglich »der Suche nach dem ge­raden Blick«. In ihm verteidigt das Komitee den Pfarrer und bekräftigt, daß er das Recht hätte, die Kinder in Religion zu unterrichten, die Einwohner seiner Pfarrei zu besuchen und zu entscheiden, wer mit kirchlichen Zeremonien beerdigt werden kann und wer nicht.

 

Die Gläubigen sind erzürnt darüber, daß sich die Atheisten während einer Beerdi­gung in der Kirche unpassend benehmen, sie verbieten den Kindern am Sarg des Leichnams zu stehen, zwingen die Kinder dazu sich atheistischen Gruppierungen anzuschließen und für ihren Religionsglauben werden die Noten im Benehmen herabgesetzt usw.

 

Truskava, Kreis Kėdainiai

Am 27. Mai 1980 war der Pfarrer der Gemeinde Truskava, Priester Petras Nykš­tas, in das Bezirksexekutivkomitee von Truskava gebeten worden. Hier wurde der Priester vom stellvertretenden Ortsvorsitzenden Juškevičius ganz ernsthaft er­mahnt, weil er zu Pfingsten mit einer Menge von ca. 1000 Personen draußen an der baufälligen Kirche gebetet habe. Der Bedienstete wies darauf hin, daß für sol­che Art von Gottesdiensten der Priester bestraft werden kann (die jetzige kleine Kirche von Truskava faßt kaum 150 Personen).

 

Nemakščiai, Kreis Raseiniai

Alfonsas Bumbulis, wohnhaft in Nemakščiai, schrieb eine Erklärung an den Staatsanwalt der Litauischen SSR, in der er gegen die grobe Willkür der KGB-Mitarbeiter hinsichtlich von Nijolė Sadūnaitė und seiner Person protestierte. In der Erklärung vom 17. Juli schreibt er, daß er 1948 in das Gebiet von Krasno-jarsk verbannt worden sei und 11 Jahre lang in Bogutschany gelebt habe. Deswe­gen habe er beschlossen, nachdem er erfahren hatte, daß die Verbannungszeit von Nijolė Sadūnaitė zu Ende ging, die ihm schon bekannten Orte zu besuchen und ihr bei der Rückkehr nach Litauen behilflich zu sein.

 

Während seiner Fahrt dort hin, verspürte A. Bumbulis den fürsorglichen Schutz des KGB: als man sein Gepäck entgegennahm, »wurde die Bedienstete aufmerk­sam, sie betrachtete meinen Paß sehr lange und erkundigte sich, wo ich gemeldet wäre. Und als man dann das Flugzeug besteigen durfte, erwarteten mich im Un­tersuchungsabteil wieder unerwartete Schwierigkeiten — hier im gesonderten Ab­teil wurde ich von zwei uniformierten Bediensteten befragt woher ich sei und wo­hin ich reisen würde. Alles wurde eifrig in ein Journal eingetragen und man kon­trollierte meine Aktentasche.«

 

Die Zurückkehrenden nach Litauen wurden auf dem Flughafen von Jūrmala (Lettische SSR) von drei Uniformierten und einigen Zivilisten in Empfang ge­nommen. Zur Verwunderung der Passagiere wurden beim Verlassen des Flugzeu­ges die Pässe und die Flugtickets kontrolliert. A. Bumbulis schreibt, daß die Überprüfung nur so lange angedauert hätte bis sie an der Reihe gewesen waren. Nach der Überprüfung ihrer Dokumente wurden sie in einen Wagen verfrachtet, in dem einige aus Vilnius herangereiste KGB-Bedienstete saßen. In solch einer »netten« Gesellschaft mußten sie bis nach Hause mitfahren. A. Bumbulis fragt: »N. Sadūnaitė und ich waren doch freie sowjetische Bürger, was sollte das alles? Hätten sich die KG B-Mitarbeiter nicht vorstellen und uns erklären müssen, war­um man so mit uns umging? Es scheint einfach zu sein, zu sagen: das KGB erträgt es nicht, daß Landsleute den zurückkehrenden Häftling mit Rosen begrüßen. Oder: wir wollen aus Anlaß des 40. Jahrestages den Litauern Angst machen.« A. Bumbulis beendet seine Erklärung mit folgenden Worten: »Die anonymen KGB-Mitarbeiter haben mit ihrer schon weitverbreiteten Opera­tion nicht nur sich selber kompromittiert, sondern auch das ganze sowjetische Sy­stem.«

 

Šiauliai

Am 23. März 1980 befahl der Direktor der Firma »Nuklon«, Baranauskas, dem langjährigen guten Arbeiter, Jonas Tamutis, »auf eigenen Wunsch« die Arbeit zu verlassen — denn das würde das KGB von Šiauliai verlangen. Tamutis widersetzte sich dem. Daraufhin drohte ihm der Direktor die Arbeits­bedingungen zu erschweren und ihn um eine Kategorie zurückzuversetzen. Der Grund für die Einmischung des KGB: Tamutis hatte sich 1979 an religiösen Wallfahrten nach Šiluva und zum Kreuzberg beteiligt!

 

 

Girdžiai, Kreis Jurbarkas

Am 27. August d. J. schrieb das Exekutivkomitee des Umkreises Girdžiai ein Schreiben an den Pfarrer der Gemeinde Girdžiai, Priester V. Šauklys: »Es ist bekannt, daß minderjährige Kinder bei Ihnen in der Messe meßdienern, im Chor singen und an Prozessionen teilnehmen. Es wurden sogar Exkursionen durchgeführt, in denen sie ebenfalls an religiösen Gebräuchen teilnahmen. Wei­terhin wurde in Religion unterrichtet. Wir möchten Sie hiermit ermahnen, daß sich künftig solche Sachen nicht wiederholen. Das widerspricht dem Erlaß Nr. IX-748 vom 28. Juli 1976 des Präsidiums des Höchsten Rates der Litauischen SSR, die im Rahmen der Religionsvereinigungen verabschiedet worden sind.« Es unterschrieb die Vorsitzende des Komitees, D. Bosienė.

 

Šiauliai

Am 10. September 1980 haben zwei KGB-Bedienstete, die ihren Namen nicht nennen wollten, während eines »Gespräches« auf der Entbindungsstation in Šiau­liai, die Bedienstete Dalia Tamutytė anderthalb Stunden »zu erziehen« versucht und wollten sie als Mitarbeiterin für sich gewinnen.

Die KGBisten interessierten sich für die eucharistischen Aktionen ihrer Freunde und erkundigten sich, ob sie nicht evtl. die Einwohner von Šiauliai — M. Jureviči­us, J. Petkevičienė — kennen würde und wie sie sie charakterisieren würde. Die KGB-Bediensteten legten ihr nahe, ernstlich über ihr Leben nachzudenken und die nötige Schlußfolgerung daraus zu ziehen. Nach ihrer Auffassung würde Dalia Tamutytė mit sehr schlechten Menschen verkehren. Die KGB-Bediensteten erklärten, daß man alle Menschen kennen muß, die ihnen in Zukunft in den Rücken schießen könnten. Außerdem drohten sie, man würde sie nicht ins Aus­land zu ihren Verwandten reisen lassen, und in ihrer Arbeitsstätte würden sie für Schwierigkeiten sorgen. Auch erinnerten sie daran, daß es unklug sei und sie es nicht wagen sollte über dieses »Gespräch« zu berichten, damit dies das Radio Va­tikan nicht erfahre . . .

Ähnliche Gespräche hatte in den nächsten Tagen die ehemalige Arbeitskollegin von Dalia, N. Radavičiūtė.