Petras Paulaitis schreibt:

»Mitte Juli legte man mir ein Schriftstück eines konfiszierten Briefes aus Norwe­gen zur Unterschrift vor. Den Nachnamen des Verfassers sagte man mir nicht, und auch den Brief bekam ich nicht zu sehen, man befahl mir, nur auf der Rück­seite des Blattes zu unterschreiben. Den Brief konfiszierte man deswegen, weil die Mitteilungen in ihm nicht der Wahrheit entsprechen würden. Die Nachrichten in diesem Brief sind unwahr. Was für eine aufdringliche und zynische Heuchelei. Denn Moskaus Zensur hat jeden einzelnen Buchstaben dieses Briefes untersucht, und für sie waren die Mitteilungen richtig, man ließ den Brief durch, und ein we­nig weiter von Moskau entfernt, in Javas-Baraschew, entsprechen die Nachrich­ten für die Zensur jenes entlegenen Ortes nicht der Wirklichkeit, sie sind unwahr. Also muß man plötzlich einen Brief, der mir nicht gezeigt wurde, konfiszieren. Was soll man machen, wenn die Russen, besonders die roten, nicht ohne Lügen, Betrügerei, List und Grausamkeit leben wollen. Während der 33 Jahre (am 30. Oktober sind es genau 33 Jahre) in denen ich in ihren Gefängnissen, Lagern einge­sperrt bin, habe ich selber alles schmerzlich durchleben müssen. Dafür, daß ich die unerläßliche Pflicht für mein freies und unabhängiges Heimatland ausführte, und nur für meine persönlich heiligen Überzeugungen, haben uns völlig fremde Russen, Kommunisten, auch mir den schönsten und wichtigsten Teil meines Le­bens genommen. In diesen 33 Jahren mußte ich im >Paradies< der Kommunisten Rußlands sehr viel arbeiten, habe Hunger erdulden müssen und war unmenschli­chem Elend ausgesetzt. Und vorerst ist noch kein Ende der großen Lüge, des Be­trugs, all der großen Grausamkeit und des Zynismusses mit den unschuldigen Menschen abzusehen. Aber nichtsdestotrotz, ist hier auf dieser Welt nichts ewig. Ich bete für die schon gefallenen Brüder und Schwestern, die sich an diesem heili­gen Krieg, der die Wahrheit und die Gerechtigkeit verteidigt, beteiligt hatten, und ich bitte Gott um Licht für mich, damit ich mit allen gerecht bin, damit ich noch mehr mein Heimatland Litauen und ihre Kinder, die ganze junge Generation, lie­ben kann.«

Am 15. Oktober 1980 bekam Fr. Aldona Pumpienė aus dem Gefängnis in Tschi-stopol folgende Benachrichtigung:

»Wir teilen Ihnen mit, daß Ihr Mann, Petras Plumpa, Sohn des Vladas, am 5. Oktober 1980 zur Haftverbüßung hier, im Gefängnis 148/4 der autonomen SSR der Tataren, Tschistopol, Postleitzahl 422950, eingetroffen ist. Er hat das Recht einen Brief pro Monat zu schreiben, und er ist berechtigt im Jahr zwei Banderolen zu erhalten sowie zwei kurzfristige Besuche zu empfangen.« Es bleibt zu bemerken, daß man P. Plumpa seit März d. J. weder ein Wiederse­hen mit seiner Frau bewilligte, noch durfte er einen einzigen Brief schreiben. Die Haft im Gefängnis von Tschistopol ist erheblich härter als die des Lagers in Perm, in dem P. Plumpa bisher festgehalten worden war.

In der Kolonne — Gefängnisregime

Am 21. August 1980, nach einer Gefängnisstrafe von 3 Jahren mit strengem Regi­me, wurde einer der aktivsten Verteidiger der Menschenrechte in Litauen, Vikto-ras Petkus, aus dem Gefängnis in Tschistopol in die Lagerkolonne überführt. Die Fahrt aus dem Gefängnis in das Lager dauerte eine Woche. Obwohl die Adresse des neuen Haftortes schon im Gefängnis von Tschistopol bekannt war, »fand« man diesen neuen Ort nicht sofort. Obgleich ihm nichts zusätzlich angela­stet wurde, mußte er gleich die erste Reisenacht im Gefängniskarzer in Kazan zu­bringen. Die Wachhabenden entschuldigten sich mit der Ausrede, daß sie keinen anderen Platz mehr frei hätten. Dem hungrigen und durstigen Häftling war zum Abendbrot ein Teller mit salzigen Fischen serviert worden. Obwohl sich Viktoras früher gesundheitlich nicht beschwerte, verbrachte er die nächsten Tage im Kran­kenhaus. Endlich war er in irgendein Lager gebracht worden, und hier zeigte sich, daß die Kleidung der örtlichen Häftlinge schwarz war und die von Petkus ge­streift.

Wieder folgte eine ermüdende Reise auf den schlechten Wegen Rußlands in den Bezirk Tschusovsk, im Gebiet Perm.

Die neue Anschrift von Viktoras Petkus: 618263 Permskaja obl. Tschusovskij r-on, poc. Kutschino utschr. VS-389/36

Das Leben in diesem Lager unterscheidet sich fast überhaupt nicht von dem vor­herigen Gefängnis: die Nahrung, wie in allen Haftorten Rußlands, ist sehr dürf­tig. Die Baracken sind Zellen ähnlich, in einer Zelle sind vier Häftlinge unterge­bracht. (Die Bewohner der Zelle von V. Petkus sind Ukrainer.) Wie auch im Ge­fängnis darf man pro Tag eine Stunde an die frische Luft. Zum Arbeiten gelangt man durch einen Korridor in eine für die Arbeit vorgesehene Zelle. Die Tätigkeit ist mit Elektrizität verbunden, meistens werden Einzelteile stromverbindender Vorrichtungen gestanzt.

Viktoras blieb während dieser drei Jahre des strengen Regimes im Gefängnis nicht nur ungebrochen, sondern reifte noch mehr heran und wurde innerlich hart, wie ein richtiger Kämpfer, ein mutiger Menschenrechtsverteidiger, ein Litauer erhabe­nen Geistes.

Seine Briefe, die aus dem Gefängnis kommen, sind nicht nur eine Sammlung ver­einzelter Gedanken, sondern ununterbrochene Vorträge, Studien. Z. B. war im Juni ein Brief mit ca. 70 Seiten zum Thema »Christentum« nach Vilnius geschickt worden, im Juli ca. 60 Seiten zum Thema »Judentum«, im August ca. 68 Seiten zum Thema »der Islam«. Die sowjetische Post garantiert nicht einmal die Aus­händigung der Briefe an ihre Adressanten, die per Einschreiben mit Rückschein versandt werden. Und so verschwanden die Briefe der Monate Juni und Juli. Als man versuchte die Briefe aufzufinden, kam die Antwort: »Bemühen Sie sich nicht die Briefe zu suchen, Sie werden sie doch nicht finden.«

Hier geben wir einige biographischen Fragmente der Häftlinge, die zur Zeit auf die Gerichtsverhandlungen warten:

Anastazas Janulis ist 1917 im Amtsbezirk Šiauliai, im Dorf Žeimiai, in einer Bau­ernfamilie geboren. Mit 14 Jahren trat er dem Jesuitenkloster bei und erlernte hier das Instrument der Orgel. Er spielte Orgel in Paris, Šiauliai, Tytuvėnai und an­derswo. 1949 wurde er zu 10 Jahren Haft verurteilt. Als Stalin starb, amnestierte man ihn (im Gefängnis hatte er zu der Zeit schon 6 Jahre verbracht). Aus dem La­ger zurückgekehrt, wohnte er in Dukštė. Später war er mit dem Priester Šeškeviči­us nach Kirgisien gereist, um dort mit deutschen Katholiken zu arbeiten. In letzter Zeit lebte und arbeitete er als Organist in Kaišiadorys.

Gemma-Jadvyga Stanelytė wurde am 29. Oktober 1931 im Bezirk Šiauliai, im Dorf Pašvenčiai (Pfarrgemeinde Kurtuvėnai) geboren. Sie besuchte das Gymnasi­um in Šiauliai und später versuchte sie in die Staatliche Universität Vilnius, an die historisch-philologische Fakultät,zu gelangen, um dort die litauische Sprache zu studieren, aber man nahm sie nicht auf, weil sie keine Komsomolzin war. Man bot ihr an, die russische Sprache zu studieren, weil es dort an Studenten mangelte. Da es keinen anderen Ausweg gab, begann sie das Studium der russischen Spra­che. Als sie schon im letzten Kurs war, erfuhr die Fakultätsleitung, daß Gemma gläubig ist, und zu der Zeit begann ihr Leben in eine ganz andere Richtung zu lau­fen. Sie durfte nicht länger in der Universität bleiben und ihre Diplomarbeit wei­terführen, obwohl sie sehr begabt war und in den wissenschaftlichen Studenten­vereinigungen als Siegerin wissenschaftlicher Arbeiten hervorgegangen war. Nach der Universität arbeitete G. Stanelytė als Sekretärin über 10 Jahre im Medi­zinischen Institut von Kaunas. Aber weil sie ihre religiöse Überzeugung nicht ver­heimlichte, war sie gezwungen worden, die Arbeit zu verlassen. Deswegen inve­stierte G. J. Stanelytė ihre ganzen Kräfte in die Kirche.