In den Tagen des 15. bis 19. September 1980 befaßte sich das Höchste Gericht der Litauischen SSR in Vilnius mit der Prozeßakte von Antanas Terleckas und Julius Sasnauskas. Der Richter Ignotas, Beisitzer Fr. Burokevičienė und Vinča, Staats­anwalt Bakučionis, der Verteidiger von A. Terleckas, Kudaba, und von J. Sas­nauskas, Aperaitis.

Zu den einzelnen Sitzungen der Gerichtsverhandlung waren keine Freunde der Angeklagten zugelassen, statt dessen war der Saal nur mit KGB-Anhängern und speziell dazu geladenen Personen besetzt, wie z. B. der Sekretär der Komsomol­zen, zuständig für die Universität Vilnius, Bagdonas, u. a.

Am 15. September war das Endurteil der Anklage verlesen worden, in dem A. Terleckas und J. Sasnaukas der Vervielfältigung und Verbreitung nicht legaler Li­teratur und anderer ähnlicher Verbrechen beschuldigt werden. Beiden wird der Artikel 68, Absatz 1 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR zugrunde gelegt.

A. Terleckas erklärte sich für unschuldig. Er wies alle ihm zugesprochenen Ver­brechen zurück und behauptete, daß er bis zum Verhör nicht einmal das Doku­ment des Molotow-Ribbentrop-Paktes (das Memorandum der 45 Balten — An­merkung der Redaktion) zu sehen bekommen hätte.

J. Sasnauskas gab zu, viele Erklärungen mitunterzeichnet zu haben, auch das Do­kument des Molotow-Ribbentrop-Paktes. Er gab zu, die Ausgabe von »Vytis« (Der Reiter — lit. Wappensymbol) redigiert zu haben u. a.

Am 16. September waren die Zeugen befragt worden:

Frau D. Sasnauskienė beschrieb ihren Sohn als sittsamen und guten Jungen, der wegen seiner religiösen Überzeugung in der Schule viel leiden mußte. Frau E. Terleckienė sagte, sie wisse nichts über das 1977 während einer Haussu­chung konfiszierte Material.

Der ehemalige Lehrer J. Šerkšnas behauptete, daß er sich daran nicht erinnern könne, daß ihm jemand die Ausgabe von »Vytis« gegeben hätte, und das Doku­ment des Molotow-Ribbentrop-Paktes hätte er in seiner Anzugsjacke vorgefun­den.

Frau S. Petruškevičienė zeigte an, sie habe seinerzeit den Artikel über die Lage li­tauischer Katholiken in Seiny/Polen an A. Terleckas ausgeliehen (dieser Artikel war in der Ausgabe »Vytis« untergebracht worden). Dieser Hinweis wurde von A. Terleckas abgewiesen.

R. Mažukna bekräftigte, daß er das Dokument des Molotow-Ribbentrop-Paktes nicht unterzeichnet hätte.

V. Bastys erklärte, er habe mit jemanden über den Molotow-Ribbentrop-Pakt ge­sprochen, und der Gesprächspartner muß wohl verstanden haben, daß Bastys das Memorandum der Balten unterschreiben wollte.

Der Richter verlas das Vernehmungsprotokoll, in dem Bastys bezeugt, daß A. Terleckas in einer Pressekonferenz mit Journalisten aus dem Ausland über die Okkupation Litauens gesprochen habe und J. Sasnauskas über die Lage der Gläubigen in Litauen.

 

Pečiulis bezeugte, A. Terleckas hätte ihm angeboten, sich die Sendungen des Ra­dio Vatikan anzuhören, und außerdem wäre er gegen die Sowjetregierung gewe­sen.

 

Žiedūnas sagte aus, daß Terleckas ihm angeboten habe, seinen Lebenslauf zu be­schreiben (Žiedūnas war Repressionen ausgesetzt und wurde später rehabilitiert). Der Arzt V. Abraitis aus Jurbarkas bezeugte, A. Terleckas wäre bei ihm gewesen und hätte ihn gebeten, Frau Paškauskienė in Ruhe zu lassen und die psychiatri­schen Untersuchungen an ihr zu unterlassen.

 

Der Priester B. Laurinavičius versuchte zu beweisen, daß beide Angeklagten völ­lig unschuldig seien.

Frau A. Ragaišienė übergab A. Terleckas Blumen. Die Zeugin erklärte, daß sie über eine Pressekonferenz bei ihr zu Hause nichts sagen könnte, denn zu der Zeit wäre sie mit Hausarbeiten beschäftigt gewesen und habe nicht hören können, was die Gäste besprochen hätten.

A. Tučkus (Student der staatlichen Universität Vilnius) kam in den Saal, begrüßte A. Terleckas und J. Sasnauskas und erklärte, daß er über die Aktivitäten der An­geklagten nichts wisse.

Der Richter verlas das Vernehmungsprotokoll der Zeugin Frau Ona Poškienė, die in der Gerichtsverhandlung nicht zugegen war. Daraus war zu entnehmen, daß J. Sasnauskas ihr die Helsinki-Dokumente gegeben hatte. Ebenso wurde das Protokoll des Priesters Norkūnas verlesen, in dem es heißt, daß Terleckas ihm ein Dokument zur Unterzeichnung vorgelegt habe, er jedoch nicht unterschrieben hätte.

Am 17. September erfolgte die Fortsetzung der Zeugenvernehmungen:

Žukovsky (aus Riga) erklärte, er habe das Dokument des Molotow-Ribbentrop-Paktes unterschrieben.

Weiterhin untersuchte man die Unterlagen, die während der Haussuchungen kon­fisziert worden waren, und die Ausführungen der Gutachten. Der Richter be­merkte, daß Terleckas sich nicht an sein Versprechen von 1977, nämlich nicht mehr gegen das Sowjetsystem zu agieren, gehalten hätte.

18.        September:

A. Terleckas bekannte sich nur zum Teil schuldig. J. Sasnauskas bekannte sich wegen der Veröffentlichungen der Ausgabe Vytis schuldig und bewertete seine öf­fentlichen Briefe sehr kritisch.

Der Staatsanwalt Bakučionis wiederholte die Endausführung der Anklage und verlangte für A. Terleckas 6 Jahre Lagerhaft mit strengem Regime sowie 5 Jahre Verbannung, und für J. Sasnauskas 4 Jahre Lagerhaft und 3 Jahre Verbannung. Der Rechtsanwalt Kudaba sagte, er hoffe, daß Terleckas seine Schuld voll einse­hen würde und bat wegen der Familie um Strafminderung. Der Rechtsanwalt Aperaitis sprach über reaktionäre Geistliche und darüber, daß J. Sasnauskas noch sehr jung wäre und somit Zeit hätte, sich zu bessern. Er bat das Gericht, ihm aus Gesundheitsgründen die Strafe zu vermindern. (Während des ganzen Gerichtsprozesses war der Rechtsanwalt Aperaitis sehr taktlos. Unter anderem nehmen an politischen Gerichtsprozessen nur Rechtsanwälte-Mitarbeiter des KGB teil.)

19.        September:

In seinem Schlußwort bekannte sich A. Terleckas schuldig, weil er sich nicht an sein Versprechen von 1977 gehalten habe. Er versprach, nach der Strafverbüßung sich aus allen Aktivitäten herauszuhalten.

J. Sasnauskas sprach, daß er sein ganzes Leben hindurch nach Gerechtigkeit ge­strebt hätte, daß er stets bedacht war, den Menschen zu helfen, obwohl er selbst nicht immer gerecht gewesen sei. Für alles sei nur er allein verantwortlich. J. Sas­nauskas bat das Gericht, ihm die Möglichkeit einer Weiterbildung einzuräu­men.

Urteilsspruch

Die Angeklagten haben antisowjetische Propaganda und Agitation betrieben, mit dem Ziel, die Sowjetregierung in Litauen zu schwächen. Sie produzierten, verviel­fältigten, sammelten und verbreiteten Drucksachen, Briefe und Erklärungen mit antisowjetischem Inhalt, die von reaktionären Organisationen im Ausland für ihre verleumderischen Ziele verwendet worden sind.

Obwohl die Angeklagten ihre Schuld nur zum Teil eingesehen haben, ist bewiesen worden:

1.     Im November 1975 schrieb Terleckas einen Brief an das Höchste Sicherheits­komitee der UdSSR wegen seiner angeblichen Verfolgung. Im Brief wird behaup­tet, daß die Bürger der UdSSR wegen ihrer politischen Überzeugungen verfolgt und in psychiatrische Krankenhäuser gesperrt werden würden. Diesen Brief ver­breitete er.

2.     1979 übergab er einen Brief von Fr. Paškauskienė an den Minister für Gesund­heit, in dem behauptet wird, daß Menschen für ihre Überzeugungen in psychiatri­sche Krankenhäuser gesperrt und verfolgt werden. Dieses würden die Hinweise des Krankenhausarztes und die des Herrn Bastys beweisen.

3.     1979 bereitete er eine Erklärung vor, vervielfältigte, verbreitete sie und sam­melte Unterschriften. Diese Erklärung war an Organisationen in der UdSSR und in der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, in der er behauptet, daß der Eintritt Litauens in den Verband der UdSSR Okkupation sei. Sasnauskas vervielfältigte und verbreitete dieses Dokument in litauischer Sprache, und Terleckas bereitete dieses Dokument in russischer Sprache vor. Das beweisen die Schreibmaschine und das Kohlepapier, die bei Terleckas gefunden wurden. Dies wird auch von Šerkšnas und Norkūnas bezeugt.

4.     Sasnauskas und Terleckas haben den Stoff für die Ausgabe »Vytis« (Der Rei­ter — lit. Wappensymbol) vorbereitet. Sasnauskas vervielfältigte und verbreitete die Nummern 2 und 3 von »Vytis«. Es bleibt unbewiesen, daß sich Terleckas an der Herausgabe der Nummern 2 und 3 beteiligt hat. In der Ausgabe »Vytis« sind folgende Artikel ausgedruckt: »Die Freiheit muß man sich erkämpfen«, »In Laz­dijai wird das Andenken des Priesters Gudaitis diskriminiert« u. a. In den Arti­keln wird die Sowjetregierung verleumdet. Das beweisen das Bekenntnis von Sas­nauskas, die sachlichen Beweise und die Bezeugungen von Šeršnas und Fr. Pe­truškevičienė.

5.     Im Februar 1979 nahm Terleckas an einer Konferenz in der Wohnung von Fr. Ragaišienė teil, in der er den verleumderischen Stoff über die sogenannte Okku­pation Litauens und über die Verfolgungen unterbreitete. Sasnauskas bereitete das Material über diese Konferenz vor und verbreitete es. Das beweisen die Hin­weise der Zeugen Čerepanov und Bastys sowie eine Beschreibung, die man wäh­rend einer Haussuchung bei Sasnauskas fand.

6.     Die Angeklagten haben die Beschreibung der Gerichtsverhandlung im Falle Ragaišis vorbereitet und verteilt. Das beweisen Manuskripte und Drucksachen, die bei beiden Angeklagten während einer Haussuchung gefunden wurden.

7.     Terleckas gab den Informationsstoff und Sasnauskas faßte diesen zu einem Artikel zusammen, der den Zustand des Vytautas-Denkmals in Jurbarkas be­inhaltete. Das beweist ein Manuskript sowie Drucktexte, die bei Sasnauskas ge­funden worden sind.

8.     Sasnauskas hat die Protestschreiben wegen der Verhaftungen von Petkus und Terleckas konzipiert und verbreitet. Das beweisen die Folgerungen der Experten und die Dokumente, die man während der Haussuchung fand.

9.     Sasnauskas hat einen Brief an das Zentralkomitee der Litauischen Kommuni­stischen Partei verfaßt, in dem er sich auf die Dienstleistungen in der Armee und auf die Totenehrung bezieht. In ihm wird über die Sowjetregierung in Litauen ge­sprochen, er sagt aus, daß man nur die ehren muß, die mit der Waffe in der Hand gegen die Sowjetregierung gekämpft haben.

10.        Im Besitz von Terleckas befand sich am 23. 8. 1977 verschiedentliche antisowjetische Literatur. Diese verbreitete er. Ebenso verfügte er über die von ihm vorbereiteten, vereinzelten Ausgaben von Laisvės šauklys (Der Rufer der Freiheit, die Chronik der LKK, einige Exemplare von Aušra, Die Morgenröte, die Artikel »Wisch mir die Tränen fort« u. a.). Die Behauptung, daß dieses Schriftmaterial nicht ihm, sondern Jokubynas gehöre, ist unbegründet, denn an verschiedentlichen Stellen dieser Artikel wurden handgeschriebene Texte von Terleckas gefunden.

Die Schuld des Antanas Terleckas und Julius Sasnauskas ist voll erwiesen. Sie ha­ben sich zum Teil schuldig bekannt. Sie versprechen, künftig keine antisowjeti­schen Aktivitäten mehr zu betreiben. Sasnauskas ist noch jung, er will sich weiter­bilden und sich mit Taten beschäftigen, die für die Gesellschaft von Nutzen sind. Seine Gesundheit ist schwach.

Folgende Strafen sind zu verteilen:

—         für Terleckas 3 Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und 5 Jahre Verban­nung

—         für Sasnauskas 1 Vi Jahre Lagerhaft mit strengem Regime und 5 Jahre Ver­bannung.

Gesonderter Beschluß: Benachrichtigung an den Rektor der Universität Vilnius wegen des unpassenden Benehmens des Studenten A. Tučkus (1. Kurs) im Ge­richtssaal.