Am 25. März 1981 wurde Mečislovas Jurevičius, Mitglied der Helsinki-Gruppe in Šiauliai, Spindulio Straße 6-10 verhaftet. Die Wohnung wurde in Anwesenheit des Offiziers für Spezialfälle Justizrat Norkūnas, Miliz­leutnant A. Auga, vier Beamten und den Zeugen Vytautas Šlaminas und Kęstutis Snyka durchsucht. Es wurde folgendes beschlagnahmt: 19 Ton­bänder und Kassetten, eine deutsche Briefmarke, 20 Briefmarken, 5 Tele­gramme verschiedenen Inhaltes, ca. 50 Fotografien (von religiösen Prozes­sionen), 1 Notizblatt mit Telefonnummern, ein Buch betitelt »Žvaigždė (Der Stern), 29 Exemplare des Magazins »Savaitė« (Die Woche) der Jahrgänge 1942 bis 1944, Tageszeitungen aus der Vorkriegszeit, 2 Landkarten von Litauen, 4 lose Blätter mit Gebeten, 6 kleine Bücher religiösen Inhaltes.

Die Anklage lautete auf den Artikel 199/3 des Strafgesetzbuches der Li­tauischen SSR und wurde am 1. April 1981 erhoben. Die endgültige An­klage lag am 22. Mai vor.

BRIEF AUS DER ZELLE 163 Gelobt sei Jesus Christus.

Tch habe Gelegenheit gefunden, einen kurzen Brief zu schreiben. Zu aller­erst möchte ich Dank sagen all denen, die zu mir gehalten haben. Besonderen Dank sage ich für die geistige Unterstützung, welche ich als die notwendigste erachte. Ein Dank an die, die meine Familie besuchten. Jeder ist nun wieder mit zusätzlichen Sorgen belastet. Ich möchte so gern wissen, wie es Gemma geht. Es muß schwer für sie sein. Es ist das erste Mal für sie — hinzu kommt, daß sie auch noch mit Kriminellen eingesperrt ist. Wieviele wurden festgenommen — nur wir beide? Ich weiß von Vyturėlis (Ingenieur Vytautas Vaičiūnas — Anmerkung der Redaktion). Er wurde am selben Tag verhaftet.

Auch für ihn ist es schwer, denn auch für ihn war es das erste Mal. Aber Gott sei Dank ist er stark. Ich sah ihn, als wir aus dem KPZ in Vilnius (Untersuchungsgefängnis) abgeführt wurden. Er hat mich nicht gesehen. Sein guter Geist hat mich sehr aufgemuntert. Ich glaube, daß er wirklich eine geistliche Lerche ist (Vyturėlis). Sonst weiß ich nichts von ihm. Doch nun zu meinem Leben hier. Ich danke Gott für alles, was er mir gewährt. In meinem kleinen Opfer erinnere ich mich an jeden — jeden in Freiheit. Ich spüre stark Euer aller Gebet, das ich dringend nötig habe. Mein Herz ist etwas defekt. Aber ich fühle mich wohl, verberge meine Überzeugung nicht. Zu Beginn sperrte man mich in eine Zelle zusammen mit zwei Mördern, Dieben und Rowdies. Ich erzählte ihnen den Grund für die Festnahme, daß ich das Kreuz getragen habe und auch die Geschichte mit der Prozession. Sie waren alle empört, fingen an zu fluchen und meinten, die Kommunisten hätten den Verstand verloren. Es würde von Religionsfreiheit geredet, aber unschuldige Menschen werfe man ins Gefängnis. Wenn alle sich abends beruhigt hatten und schlafen gegangen waren, betete ich kniend auf meiner Pritsche (ich hatte die oberste). Einmal hat die Wache mich überrascht, aber die anderen Gefangenen verteidigten mich und sagten: Stört nicht, ihr seht doch, daß der Mann betet, dann soll er eben beten. Die Wache ging. Später wurde ich in eine andere Zelle verlegt. Ich verbrachte dort einen Monat mit Gewohnheitsdieben. Sie stahlen mir meine warme Unterwäsche. Die einen haben mich bestohlen, die anderen zurückgegeben. Ich mußte dort sehr viel Geduld aufbringen. Einmal wollten sie mich schlagen, aber sie entschuldigten sich später dafür. In jener Zelle erfuhr ich eine große geistige Freude, trotz der schlimmen Redensarten rings um mich herum. Oft mußte ich mir die Ohren mit Watte zustopfen, obwohl es auch nicht viel half. Am 30. April verlegte man mich in die jetzige Zelle. Die Menschen hier sind ruhig, doch ohne Ideen. Dieses Kreuz ist schwerer als das erste. Aber es läßt sich jetzt viel leichter tragen, denn ich bin nicht allein. Wir halten unserem Vaterland nur insofern die Treue, wie wir Christus treu sind. Ich bin einige Male ver­hört worden, aber ich weigerte mich, Aussagen zu machen. Sie fragten mich, wer die Prozessionen organisiert habe. Ich habe ihnen kurz geantwortet: Christus! In diesem Jahr wollen sie diejenigen verhaften, die in den ersten Reihen gehen. Ich weiß nicht, wann die Prozession dieses Jahr stattfindet. Ich würde gern mit meinen Gebeten dabei sein.

Wie ging die Sache mit dem Kreuzberg aus? Am 4. Juni habe ich erfahren, daß mein Fall am 29. Mai dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde. Ich warte nun auf den Prozeß. Ich weiß nicht, wo er stattfinden wird. Ich kann auch nicht den Arzt sprechen, weil er angeblich im Urlaub ist. Ich fragte die Krankenschwester, ob man nicht einen aus dem Ausland kommen lassen könnte... Ihre scharfe Antwort darauf war, ich solle doch selbst dorthingehen.        Bitte grüßt alle ganz herzlich von mir!        Mečislovas

 

Am 25. Juni 1981 verhandelte der Oberste Gerichtshof in Vilnius den Fall Mečislovas Jurevičius. Nur diejenigen durften in den Gerichtssaal, deren Na­men auf einer speziellen Liste standen. Lediglich Jurevičius' engste Verwandte waren zugelassen: seine Ehefrau, sein Bruder sowie seine Tochter mit Ehe­mann. Alle anderen Zuhörer waren Fremde, hauptsächlich Russen. Sie waren vom KGB dazu eingeladen, um die Lücken zu füllen und für den An­geklagten eine deprimierende Atmosphäre zu schaffen. Die Freunde des An­geklagten mußten vor der Tür warten, die von einem Tschekisten bewacht wurde, den sie genau kannten. Dieser Tschekist hat Angst, seinen Namen zu nennen. Man kennt ihn nur unter dem Namen »Beria«. Fairer Weise muß gesagt werden, daß sich alle Tschekisten, mit Ausnahme dieses »Beria«, ruhig verhielten. Dieser wurde jedesmal blaß und die Augen quollen ihm hervor, wenn ihn jemand um Einlaß in den Gerichtssaal ersuchte. Die war­tenden Menschen wurden weder verwarnt noch öffentlich gefilmt, wenn sie dastanden und beteten.

 

Die Verhandlung wurde geleitet unter dem Präsidium von Richter Ignotas. Der öffentliche Ankläger war wie immer Staatsanwalt Bakučionis. Bevor Jurevičius in den Saal gebracht wurde, teilte man 8 Zeugen mit, daß sie zuerst in den Zeugenstand gerufen würden, da sie um 14.00 Uhr in einem anderen Prozeß aussagen müßten (in Širvintai bei dem Prozeß des Ingenieurs Vytautas Vaičiūnas).

Jurevičius wurde von 3 Soldaten in den Saal geführt. Einer stand hinter ihm, um zu verhindern, daß er sich im Saal umschauen konnte.

Auf die Frage des Richters, ob der Angeklagte einen Wunsch hätte, lehnte Jurevičius den Strafverteidiger ab. Dieser hat sich dann entfernt.

Vom Richter über seine Personalien befragt, antwortete Jurevičius, daß er 1927 im freien Litauen in dem Dorf Mimaičiai, Amt Šakyna geboren und litauischer Staatsbürger sei.

 

ANKLAGESCHRIFT

Anklageschrift Nr. 09-2-006-61

Beklagter: Mečys Jurevičius, Sohn des Jurgis

Angeklagt laut Artikel 199/3 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR. In diesem Fall von Gesetzesübertretung wird laut Artikel 199/3 des Straf­gesetzbuches der Litauischen SSR seit dem 22. Januar 1981 durch die Staats­anwaltschaft ermittelt.

Es ergab sich folgender Tatbestand:

Am 22. Juli 1979 organisierte Mečys Jurevičius Gruppenaktionen, die eine offensichtliche Mißachtung der gerechtfertigten Forderungen von Seiten der Regierungsbeauftragten darstellten sowie erhebliche Störungen des Ver­kehrs verursachten. Er war engagiert an diesen Aktionen beteiligt. Dies ge­schah entgegen den gesetzlichen Bestimmungen und ohne behördliche Ge­nehmigung; unter Mißbrauch von religiösen Gefühlen. Er organisierte Märsche der Gläubigen — einschließlich Tragen von Kreuzen von der Stadt Meškuičiai im Rayon Šiauliai zum Burghügel Jurgaičiai (auch Kreuzberg genannt) und unter offensichtlicher Mißachtung der berechtigten Forderungen der Regierungsorgane, die Gruppenaktionen abzubrechen, betätigte er sich dabei aktiv als Organisator, Anordner und ausführende Person. Durch sein Beispiel und konkrete Handlungen animierte er auch andere, ebenfalls die Vorschriften zu mißachten und diese ungesetzliche Handlung zu vollführen mit der Konsequenz einer groben Störung der öffentlichen Ordnung sowie des Personen- und Autoverkehrs und Ärgerniserregung bei den Zuschauern.

Am 26. August 1979 organisierte Jurevičius, trotz Verbotes der Regierungs­organe, Gruppenhandlungen, welche auf das schwerste die öffentliche Ord­nung sowie den Fahrzeugverkehr in Tytuvėnai und auf der Landstraße zwischen Tytuvėnai und Šiluva sowie in der Stadt Šiluva selbst störten. Er war aktiv dabei und übertrat das Gesetz wie folgt: Ohne Genehmigung der zuständigen Regierungsorgane, unter Mißbrauch der religiösen Gefühle, hat er eine Wallfahrt der in der Kirche von Tytuvėnai anwesenden Gläubigen nach Šiluva organisiert und bei offensichtlicher Mißachtung von berechtigten Forderungen der Regierungsorgane, die Gruppenaktionen abzubrechen, nahm er selbst daran teil als Organisator: Er hat den Teilnehmern Anweisungen gegeben, aus der Kolonne zur Mitte der Straße hervorgetreten, hat er den anderen Teilnehmern wiederholt befohlen, sich dementsprechend zu beneh­men, gab verschiedene Befehle, und durch dieses sein Beispiel und konkrete Handlungen animierte er auch andere, die geäußerten Aufforderungen zu mißachten und diese ungesetzlichen Handlungen zu vollführen. Mit der Konsequenz einer groben Störung der öffentlichen Ordnung, Ärgerniserre­gung bei den Zuschauern und Behinderung der Transportarbeit.

Am 24. August 1980 beteiligte er sich aktiv an Gruppenaktionen, die keine behördliche Genehmigung hatten und auf das Schwerste die öffentliche Ordnung sowie den Verkehr in der Stadt Tytuvėnai, auf der Landstraße zwischen Tytuvėnai und Šiluva und in dem Städtchen Šiluva störte: d. h. unter Mißbrauch religiöser Gefühle, bei eindeutiger Mißachtung der Aufforderung der Regierungsvertreter, den Marsch zu unterbrechen, hat er andere zur Teil­nahme an dieser illegalen Prozession ermuntert, verschiedene Anweisungen gegeben. Zur Anklage laut Artikel 199/3 des Strafgesetzbuches der Litau­ischen SSR bekannte sich Jurevičius als nicht schuldig. Er verweigerte jede detaillierte und erschöpfende Aussage in bezug auf die Wallfahrt und be­teuerte, nur als ganz normaler Wallfahrer an der Prozession teilgenommen zu haben.

 

Trotz der Tatsache, daß Jurevičius sich als unschuldig bezeichnete, wurde er der Straftat überführt anhand von Zeugenaussagen und von herangezogenen Sachbeweisen (Filme und Fotos), in denen M. Jurevičius während der Pro­zessionen festgehalten und in denen unzweideutig M. Jurevičius als Organi­sator und Leiter der Märsche zu sehen ist.

I. Mečislovas Jurevičius als Organisator und Leiter der Prozession von Meškuičiai zum »Kreuzberg« am 27. Juli 1979.

Das Exekutivkomitee des Rates der Volksvertreter des Rayon Šiauliai stellte schriftlich fest, daß um keine Erlaubnis zur Prozession eingereicht worden sei und eine solche auch nicht erteilt wurde.

Zeuge E. Žulpa bestätigte, daß am Morgen des 22. Juli 1979 mehrere Autofahrer im Büro der Abteilung für Innere Angelegenheiten sich tele­fonisch darüber beschwert hätten, daß eine Prozession den Verkehr behin­dere. An Ort und Stelle konnte er sich von der Verkehrsbehinderung und Störung der öffentlichen Ordnung überzeugen. Der Vorsitzende des Exekutiv­komitees und er selbst ermahnten die Organisatoren der Prozession. Aber die Gruppenaktionen wurden nicht unterbrochen. Weil die Prozession die Verkehrssicherheit gefährdete, war er gezwungen, den Verkehr auf dem Weg zu stoppen, auf dem der Marsch sich bewegte.

Zeuge V. Plungė sagte aus, daß er Fotos von der Prozession, die von Meškuičiai zum Kreuzberg ging, gemacht habe. Er habe gesehen, daß die Prozession von einem kleinen grauhaarigen Mann mit Brille und schwarzem Anzug angeführt worden sei. Plungės Fotos von 2 Filmen zeigten Jurevičius als den Anführer und Organisator.

Die Zeugin L. Lukoševičiūtė sagte aus, daß sie auf dem Kirchhof von Meškuičiai einen ihr unbekannten Mann gesehen habe — grauhaarig, Bril­lenträger, schwarzer Anzug —, der die Leute in Reihen aufstellte, Anwei­sungen gab, Befehle erteilte, andere belehrte, wie man sich während des Marsches benehmen müsse.

Der Vorsitzende des Rayon-Exekutivkomitees A. Juzikis warnte ihn. An der Prozession hätten zirka 500 Personen teilgenommen. Vorn an der Spitze wurde ein Kreuz getragen.

Aus den Personen, die zur Identifizierung vorgeführt wurden, identifizierte er Jurevičius als den Anführer und Organisator der Prozession.

G. Juodzevičius und V. Gentis sagten in ähnlicher Weise aus. G. Juodzevičius und V. Gentis erkannten in M. Jurevičius den Organisator und Leiter der Prozession.

Zeuge A. Juzikis bezeugte, daß sich auf dem Kirchhof zu Meškuičiai viele Menschen versammelt hatten. Aufgefallen sei ihm ein kleiner grauhaariger Herr im schwarzen Anzug mit Brille, der alles organisierte: er gab ver­schiedene Anweisungen, formte alle zu einer Kolonne. Andere Personen

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hätten seinen Anweisungen Folge geleistet. Da die Prozession nicht ange­meldet war, hätte er den Organisator in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Exekutivkomitees des Rates der Volksvertreter verwarnt. Trotzdem habe alles seinen Gang genommen: es wurde laut gesungen, das Kreuz wurde ge­tragen und die Prozession habe sich auf die Straße von Meškuičiai zum Burghügel von Jurgaičiai hin zubewegt.  .

Die Zeugen J. Tiknius und S. Jokūbaitis bestätigten, daß die Prozession von einem kleinen grauhaarigen Mann mit Brille angeführt worden sei. Seine Aktionen als Organisator und Leiter hätte er auch dann nicht einge­stellt, als er von dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Juzaliūnas, dazu aufgefordert worden sei.

 

II. Wallfahrt von Tytuvėnai nach Šiluva am 26. August 1979 mit ungefähr 1000 Teilnehmern.

Das Exekutivkomitee des Rates der Volksvertreter des Rayon Raseiniai stellte schriftlich fest, daß für die genannte Wallfahrt keine Erlaubnis ein­geholt worden war und auch keine solche erteilt wurde. Zeuge A. Mikalauskas sagte aus, daß am 26. August 1979, obwohl eine Erlaubnis für die Prozession nicht erwirkt worden war, eine Prozession von Gläubigen von der Stadtkirche in Tytuvėnai nach Šiluva stattgefunden habe. Als die Prozession die »Tarybų« Straße erreichte, kam der Verkehr zum Erliegen. Die Wallfahrer hätten laut gesungen. Er als Vorsitzender des Bezirks-Exekutivkomitees von Tytuvėnai hätte mittels Lautsprecher die Pil­ger davon unterrichtet, daß die Prozession verboten sei und sie aufgefordert, nach Hause zu gehen. Er hätte dies insgesamt dreimal getan. Zeuge V. Navickas bestätigte, daß die Prozession in der »Tarybų« Straße den Verkehr vollkommen zum Erliegen gebracht hätte und daß die Leute laut gesungen hätten. Alle Warnungen hätten sie in den Wind geschlagen. Eine ähnliche Zeugenaussage kam von V. Mišeikis.

 

Zeuge A. Vezniakas sagte aus, daß den Marsch organisiert, die Teilnehmer geleitet und ihnen Anweisungen gegeben ein Mann, den er vorher nie ge­sehen, klein von Gestalt, grauhaarig, Brillenträger. Als man Fotos von Männern gleichen Alters mit Brillen vorgelegt hatte, unter denen auch eins von M. Jurevičius, hat A. Vezniakas den M. Jurevičius als Organisator und Leiter wiedererkannt.

Zeuge D. Gaižutis sagte aus, daß den Marsch organisiert und ihn geleitet hat ein Mann, den er früher nie gesehen, Brillenträger. Die Prozession hat den Verkehr behindert, Lärm verursacht. Auf einem Foto hat er den M. Jurevičius als Organisator und Anführer wiedererkannt. Ähnliches sagte auch der Zeuge J. Jonaitis aus. Er identifizierte Jurevičius ebenfalls auf einem Foto als Organisator und Anführer.

 

Zeuge J. Jonikas bestätigte, daß die Prozession den Verkehr unterbrochen hätte. Er hätte dabei beobachtet, daß die Prozession von einem kleinen Mann mit Brille geleitet wurde. Er erkannte M. Jurevičius auf dem Foto als den Organisator und Leiter wieder.

Zeuge A. Rimėlaitis sagte aus, daß die Prozession in der »Tarybų« Straße in Tytuvėnai den Verkehr gestört hätte und er nicht durchfahren konnte. Die Zeuginnen A. Simkevičiūtė und V. Gleveckaitė bezeugten, daß der Verkehr durch die Prozession behindert gewesen sei.

III. Mečislovas Jurevičius' aktive Mitarbeit bei der Prozession von Tytuvėnai nach Šiluva am 24. August 1980.

Das Exekutivkomitee des Rates der Volksvertreter der Rayons Kelmė und Raseiniai hatten keine Erlaubnis zu dieser Prozession erteilt. Protokolle über diese Prozession dokumentieren, daß die Prozession den Verkehr behinderte, die öffentliche Ordnung verletzte, daß die Teilnehmer der Prozession Staatsvertretern den Gehorsam verweigerten bei der Auf­forderung, die Aktion abzubrechen.

Die Zeugen H. Juzeliūnas und S. Stūrys sagten aus, daß sie persönlich die Prozessionsteilnehmer über Lautsprecher aufgefordert hätten, nach Hause zu gehen. Der Marsch hat den Verkehr behindert, die öffentliche Ordnung verletzt.

Zeuge V. Mišeikis sagte aus, daß die Prozession den Verkehr in der »Tarybu« Straße in Tytuvėnai vollständig blockiert hat.

 

Die Zeugen J. Daniliauskas, Nijolė Mikolaitytė-Mackevičienė, Tochter des Juozas, N. A. Laniauskienė und A. Lapienis bestätigten, daß die Prozession den Verkehr behindert hat.

Ähnliches Zeugnis legte der Zeuge P. Prišmontas ab.

 

Die Zeugen E. Urbonas, R. Ilevičius und G. Bružas sagten, daß sie von Jurevičius, den sie auf dem Foto wiedererkannten, aufgefordert wurden, an der Prozession teilzunehmen.

Aus dem Protokoll der Ortsbesichtigung des Geschehens ist zu ersehen, daß in Tytuvėnai in der »Tarybų« Straße am Haus Nr. 6 die Straße eine Breite von 6 Metern für den Kraftfahrzeugverkehr aufweist. Sie verschmälert sich zu einer Breite von 3,5 Metern bei den Häusern Nr. 34 und 25. Das Protokoll der Abteilung für Innere Angelegenheiten von Kelmė führt auf, daß die Landstraße zwischen Tytuvėnai und Šiluva 8 km lang ist. Es ist eine Hauptstraße mit einigen Kreuzungen.

 

Von seiner letzten Arbeitsstelle liegt über Mečislovas Jurevičius folgende Beschreibung vor: Bis Ende 1974 liegen keine administrativen Bestrafungen gegen ihn vor. Am 10. November und 8. Dezember 1974 blieb er dem Ar­beitsplatz mit der Entschuldigung fern, daß er die religiösen Feiertage ein­halten müsse. Für die Abwesenheit wurde ihm ein Verweis erteilt. Am 25. Dezember und 6. Januar war er wieder abwesend. Aufgrund dieser Vor­kommnisse wurde er entlassen.

Die Verantwortlichkeit des M. Jurevičius mildernde Umstände wurden nicht festgestellt. Die Verantwortlichkeit des M. Jurevičius erschwerender Um­stand ist der, daß er schon früher ein Vergehen begangen hat.

Mečys Jurevičius, Sohn des Jurgis, geboren am 29. Oktober 1927 im Rayon Šiauliai, im Dorf Mimaičiai, Litauen, Nichtmitglied in der Kommunistischen Partei, verheiratet, vier Jahre Volksschule, stammt aus einer Kleinbauern­familie, kein Militärdienst, bereits 1950 vom Militärgericht nach Artikel 63/2 des Strafgesetzbuches der Russischen SFSR zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, wohnhaft in Šiauliai, Spindulio 6-10, Küster der Kirchen in Žarėnai-Latveliai, Bürger der USSR, straffällig geworden gemäß Artikel 199/3 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR.

 

Erhebung der Anklage am 25. Mai 1981 in Vilnius.

Die Verhandlung findet statt vor dem Obersten Gericht der Litauischen SSR. (Die Anklageschrift wurde hier verkürzt wiedergegeben — Anm. der Red.).

Klage erhoben wurde durch den Vernehmungsrichter für Spezialfälle A. Jucys von der Staatsanwaltschaft der Litauischen SSR. Die Klage wurde am 27. Mai 1981 durch den Vertreter des Staatsanwalts der Litauischen SSR, A. Nowikow und Staatsanwalt der Litauischen SSR A. Kairelis bestätigt.

Bei der Zeugenvernehmung verwickelten sich die Zeugen in Widersprüche: Manche behaupteten, die Leute hätten sich nicht ordentlich verhalten und die ganze Breite der Straße eingenommen. Andere sagten aus, die Prozession sei ordentlich gewesen, hätte aus Reihen von je 4 — 5 Leuten bestanden und nur die Hälfte der Straße eingenommen, so daß auch Autos vorbeifahren konnten.

Nach der Zeugenvernehmung wurden drei Protokollakten rasch durchge­blättert. Auf diese Art wurden die Mitglieder des Gerichts und die Öffent­lichkeit »eingehend« über den Fall informiert.

Am 26. Juni sprach Staatsanwalt Bakučionis. Er verzichtete nicht darauf, Mečislovas Jurevičius der Beteiligung an einer nationalen Oppositionsbewe­gung gegen die russische Okkupation zu bezichtigen und wiederholte alle Verleumdungen, die die Sowjetpresse über M. Jurevičius in Umlauf gebracht hatte. Zusammenfassend sagte der Staatsanwalt, daß Jurevičius sich nicht schuldig bekannt und gesagt hat, wenn er zurückgekehrt ist, daß er dann wieder an ähnlichen Märschen teilnehmen und den Glauben verbreiten würde, deshalb sei er ein für die Öffentlichkeit besonders gefährlicher Ver­brecher und müsse der Gesellschaft für drei Jahre entzogen werden durch Strafverbüßung in einem Arbeitslager strengen Regimes.

 

Der Angeklagte wandte sich folgendermaßen an die Gerichtsbeamten und Wächter: »Ihr seid grausamer als die zaristischen Beamten. Mein Vater, er hat es selber erzählt, gab einst den Gefangenen einen Laib Brot und die Wachen erlaubten es. Meine Tochter wollte mir gestern etwas zu essen und trinken geben, weil ich hungrig war, aber Ihre Wachen erlaubten es ihr nicht.«

DAS LETZTE WORT 26. Juni 1981

»Ich wurde im Oktober 1927 im Freien Litauen geboren, und zwar im Dorf Mimaičiai, Amt Šakyna in einer Kleinbauernfamilie. Mein Leben war hart, denn ich mußte von klein auf auf den Bauernhöfen arbeiten. Später, als die Russen das Land okkupierten, wurde ich verleumdet und ohne Zeugen ver­urteilt. Ich wurde zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Fall wurde nach 6 Jahren wieder aufgenommen und man rehabilitierte mich. Ich wurde frei, weil festgestellt wurde, daß Stalin einen Fehler gemacht hatte. Hätte ich denn wirklich mit 14 Jahren mit dem Gewehr in der Hand umhergehen und irgend eine Truppe anführen können?

 

Und jetzt, 30 Jahre später, stehe ich wieder vor Gericht, (doch) nicht wegen Rowdytum, Mord oder Diebstahl, sondern wegen meiner Religion. Weil ich euch die Wahrheit ins Gesicht sage, weil ich meine Uberzeugung nicht preis­gebe. Ein berühmter Mann hat einmal gesagt: Für drei Minuten Wahrheit kann man sterben!

 

(E. Jevtushenko: Sprich wenigstens drei Minuten die Wahrheit aus, dann können sie Dich töten. — Anmerkung der Redaktion) Ich habe Euch, beamtete Gottlose, die Wahrheit ins Gesicht gesagt und muß dafür 3 Jahre im Gefängnis büßen, wenn man mich dort nicht umbringt. Ich werde mit Rowdies, Mördern zusammen sein, obwohl politische Ge­fangene gesondert in Gefängnissen untergebracht werden sollten. In der Zelle des Gefängnisses von Lukiškis war ich auch mit Mördern ein­gesperrt, die sich sehr wunderten, als sie erfuhren, wofür ich dort war. Ihre Worte waren: Diese Kommunisten haben völlig den Verstand verloren. Wenn ich betete, stellten sich die Mörder vor die Wachen. Dies zeigt doch, welche Macht die Religion hat. Schade, daß zuwenig Priester vor Gericht gestellt werden. In dieser kriminellen Welt könnten sie die Tugend und das Licht der Religion verbreiten.

 

Zur gleichen Zeit, nur in einer anderen litauischen Stadt, steht ein Freund von mir vor Gericht. Er hat auch an der Prozession teilgenommen. Warum wird gegen uns getrennt verhandelt? Warum nicht auf der gleichen Bank? Das zeigt doch erneut eure Feigheit und verbreitet unwillkürlich die Propa­gierung der Religion, denn hinter den Türen des Gerichtssaales versammeln sich hier wie dort die Gläubigen, meine und seine Freunde. Sie wurden in den Saal nicht hereingelassen, obgleich der Prozeß angeblich öffentlich ist. Meine Familie durfte nur deshalb herein, weil sie auf der Liste stand. Die anderen Zuhörer wurden angeheuert: Sicherheitsbeamte, die meisten davon Russen, damit sie nichts verstehen. Auch unter den Zeugen befand sich kein einziger Katholik. Alle waren Sicherheitsbeamte oder Kommunisten. Ja, ich werde von einer Minderheit verurteilt. Die Marxisten selbst haben doch statistisch errechnet, daß 30 Prozent der Einwohner Litauens Atheisten und 70 Prozent Gläubige sind. Diese atheistische Minderheit sitzt hier über mich zu Gericht, denn man fürchtet die Mehrheit, vor allen Gläubigen fürchtet man sich. Denn ist jemand gläubig, dann ist er auch ein Patriot seines Landes, und es ist um so schwerer, seine nationale Identität zu zerstören. Unsere Pilger marschierten ohne anti-sowjetische Parolen oder verbreche­rische Vorhaben. Sie hatten nur eins im Sinn: die Nüchternheit und Moral der Litauischen Nation. Es gingen viele junge Leute und Kinder mit. Wenn alle jungen Menschen an Gott glauben würden, hätte Litauen weniger Mörder, weniger Probleme mit Unzucht und Trunksucht. Ich freue mich sehr, daß man mich als Organisator ansieht. Es ist eine große Ehre für mich, da ich nur ein einfacher Arbeiter mit 4 Jahren Volksschul­bildung bin. Man muß sich vorstellen: Ist es überhaupt möglich, über tausend Menschen aus allen Teilen Litauens zu einer Prozession zusammenzuholen, wenn keiner gehen will? Die Menschen kamen aus eigenem Antrieb und nahmen dabei das Risiko der Verfolgung auf sich. Schauen Sie sich die Mai-Parade an. Wer ging mit? Eine Handvoll Kommunisten, allen anderen wurde mit administrativen Strafen gedroht, wenn sie nicht an der Demon­stration teilnehmen würden. Sie stellen mich wegen meiner Religion vor Gericht. Ich bin Ihnen dafür dankbar, denn es zeigt mir, daß der Glaube in Litauen wiederauflebt. Und solche Prozessionen zeigen auch, daß die Zahl der Gläubigen wächst. Denn sogar die Zeugen selbst haben bewiesen, daß es so etwas früher nicht gab.

 

Sie fürchten sich sogar vor dem Kreuz. Das zeigt die häufige Zerstörung auf dem Kreuzberg. Auf dem Kreuzberg werden seit 1904 Kreuze aufge­stellt. Weder der Zar noch die Faschisten haben sie zerstört. Vor Urzeiten schon wurden dort heidnische Opfer dargebracht. Doch als die Russen ka­men, haben sie alles zerstört. Nicht nur einmal. Aber der Kreuzberg steht trotzdem und die Zahl der Kreuze nimmt ständig zu. Freiwillig tragen die Leute die Kreuze selbst den Berg hinauf, um sie dort aufzustellen. Die Verwüstung des Kreuzberges hat meinen Glauben nur noch mehr gefestigt. Mein erstes Kreuz trug ich bei Nacht hinauf. Es stand nur 2 Stunden und wurde umgeworfen. Das veranlaßte mich, noch weitere Kreuze hinaufzu­tragen. Später trug ich ein Kreuz bei Tage hinauf — ich fürchtete mich nicht mehr. Sie werden noch viele Kreuze dort oben erstehen sehen. Immer mehr Menschen weiden nach Šiluva gehen, obwohl ich — als ihr Anführer — hin­ter Gittern sitzen werde. Ich sage Ihnen eins: Sollte ich hier lebend heraus­kommen, werde ich wie früher dorthingehen!

 

Sie stellen mich wegen meiner Religion vor Gericht. Ich danke Ihnen dafür! Es zeigt mir, daß sich in Litauen der Glaube erneuert. Es ist für mich eine große Ehre, auf der gleichen Bank zu sitzen wie Stanelytė, Sadūnaitė, Kovalev und Skuodis. Und ich bitte das Gericht, die Strafe nicht zu mildern, sondern mich die drei Jahre Zwangsarbeitslager abbüßen zu lassen, wie sie vom Staatsanwalt gefordert wurden. Ich weiß, daß der Urteilsspruch dem Tod für mich gleichzusetzen ist. Meine Gesundheit ist stark angegriffen, man hat im Gefängnis meinen Wunsch, einen Arzt zu sehen, ignoriert. Aber ich bin trotzdem froh, aufgrund meiner Religion verurteilt zu werden. Ich will keine Rache für mich. Ich will beten, daß eure Kinder den rechten Weg gehen. Ich bin bereit, dafür zu leiden, bis alle anfangen, an Gott zu glauben und daß mein Prozeß so manchem Atheisten die Augen öffnen möge.«

Um 15.00 Uhr wurde das Urteil verlesen: drei Jahre Besserungsarbeit bei Verbüßung der Strafe in einem Lager strengen Regimes. Nachdem er das Urteil gehört hatte, sagte Jurevičius laut: »Vielen Dank! Es ist zur Ehre Gottes und Litauens!«