«! Warum entstand die »Chronik der LKK«?

Genau vor 10 Jahren, d. h. am 19. März 1972 erschien die erste Nummer der »Chronik der LKK«. Das war eine sehr bescheidene Veröffentlichung, die sich vornahm, das Vaterland und die Welt über die Diskriminierung der Gläubigen zu informieren, und sich bemühte, wenigstens das Minimum an religiöser Freiheit zu erkämpfen. Warum sie im Jahre 1972 erschien? Die Repressalien Stalins gegen die Katholische Kirche schufen für längere Zeit unter den Priestern eine Atmosphäre der Passivität. Die kirchliche Hierarchie war der Uberzeugung, daß man »gegen Wind nicht blasen könne«, und erfüllte gehorsam alle Forderungen der sowjetischen Regierung; die Führung der Partei aber plante die immer raschere Liquidierung der Kirche. Im siebzigsten Jahrzehnt wurde den Priestern wegen der geringsten »Uber-tretungen« der geheimen Instruktionen der sowjetischen Regierung verbo­ten, ihre Ämter auszuüben: das Priesterseminar war dermaßen eingeschränkt, daß es pro Jahr nur 5 neue Kandidaten aufnehmen durfte. Der Bevollmäch­tigte des Rates für Angelegenheiten der Religionen fühlte sich als »Kaiser und Gott«, der die Priester und die Ordinäre terrorisieren dürfe. Zu derselben Zeit reifte unter den Priestern Litauens immer mehr der Ge­danke, daß man nicht mehr mit den Händen im Schoß dasitzen dürfe, denn sonst werde die sowjetische Regierung alle ersticken. Was soll man tun? Die Antwort lieferten, durch ihr entschlossenes Auftreten mit eigenen Ideen, Erklärungen, Büchern und Veröffentlichungen die Dissidenten Moskaus.

Das war der erste Glockenschlag für die Auferstehung, der viele aus der Schläfrigkeit der Angst aufgeweckt und gerufen hat: Genug der Dunkelheit und des Schlafes! Man muß kämpfen, man muß die Verbrechen der so­wjetischen Regierung an der Kirche und den Gläubigen ins Licht ziehen — die ganze Welt soll diese Tyrannei sehen, vielleicht wird es im Licht un­bequem, Niederträchtigkeiten zu vollbringen.

Schon im Jahre 1968 hatten die Priester begonnen, gegen die Einschrän­kungen des Priesterseminars in Kaunas zu protestieren. Die sowjetische Regierung reagierte auf die Erklärungen der Priester nur mit Repressalien: mit Vernehmungen durch das KGB, Entfernungen aus der priesterlichen Arbeit und sogar mit Prozessen. Wegen der Erfüllung ihrer priesterlichen Pflichten (Katechisierung der Kinder) wurden einer nach dem anderen fol­gende Priester bestraft — Priester Antanas Šeškevičius, Priester Juozas Zdebskis und Priester Prosperas Bubnys. Diese Prozesse waren der letzte und der wichtigste Impuls, so schnell wie nur möglich mit der Herausgabe der Untergrundveröffentlichung zu beginnen.

Der Beginn der »Chronik der LKK«

Im Jahre 1971 wurde mit Überlegungen begonnen, was für eine Veröffentli­chung es sein müßte, wie man sie vorbereiten, wie man sie vervielfältigen solle und so weiter. In der ersten Variante sollte die Ausgabe der später erschie­nenen »Dievas ir tėvynė« (»Gott und Vaterland) ähnlich werden. Sogar der Name war schon da — »Vivos voco!« (»Ich rufe die Lebenden!«). Ihr Ziel sollte sein, das Bewußtsein der Katholiken zu wecken, sie aus dem Schlaf zu rütteln, aufzufordern, für die Rechte Gottes, der Kirche und der Gläu­bigen zu kämpfen. Endlich ist man bei dem Gedanken verblieben, daß die mitteilsamste Sprache die Tatsachensprache ist. Das hat auch die Benennung »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« entschieden. Für die erste Nummer gab es schon Material. Es erhob sich die Frage, wie man weiterhin die Tatsachen der Verfolgungen sammeln solle, damit das KGB die Veröffentlichung nicht gleich am Anfang vernichten könne. Im Anbeginn gab es viele Schwierigkeiten, aber als die »Chronik der LKK« sich in Li­tauen zu verbreiten begann, nachdem die Gläubigen über den Rundfunk davon erfahren hatten, erreichte immer mehr Material die Redaktion. Die »Chronik der LKK« wurde mit der Schreibmaschine umgeschrieben, auf elektrographische Weise vervielfältigt und durch vertrauenswürdigste Per­sonen verbreitet, und durch sie flössen auch immer mehr und mehr Infor­mationen in die Redaktion ein.

Prozeßakte gegen die »Chronik der LKK«

Kaum hatte die »Chronik der LKK« sich in Litauen zu verbreiten begon­nen, fiel sie auch in die Hände des KGB. Am 5. Juli 1972 wurde eine Pro­zeßakte Nr. 345 angelegt, die bis jetzt noch nicht abgeschlossen ist. Von der Prozeßakte Nr. 345 sind zahlreiche Prozesse, die die Vervielfältigung und Verbreitung der »Chronik der LKK« betrafen, abgetrennt worden. Um die »Chronik der LKK« liquidieren zu können, hat das KGB zahlreiche Haus­durchsuchungen durchgeführt. Innerhalb der 10 Jahre sind wegen der Ver­vielfältigung und Verbreitung der »Chronik der LKK« folgende Personen bestraft worden:

1.     Petras Plumpa-Pluiras — 1973 verhaftet und zu 8 Jahren Freiheitsentzug (mit strengem Regime) verurteilt;

2.     Juozas Gražys — verhaftet 1974 und zu 3 Jahren allgemeinen Regime verurteilt;

3.     Virgilijus Jaugelįs — verhaftet 1974 und zu 2 Jahren allgemeinen Regime verurteilt;

4.     Jonas Stašaitis — verhaftet 1973 und zu 1 Jahr allgemeinen Regime ver­urteilt;

5.     Povilas Petronis — verhaftet 1973 und zu 4 Jahren (strengen Regimes) verurteilt;

6.     Nijolė Sadūnaitė — verhaftet 1974 und zu 6 Jahren (3 Jahre strengen Regimes und 3 Jahre Verbannung) verurteilt;

7.     Sergej Kowaliow — verhaftet 1974 und zu 10 Jahren (7 Jahre strengen Regimes und 3 Jahre Verbannung) verurteilt;

8.     Vladas Lapienis — verhaftet 1976 und zu 5 Jahren (3 Jahre strengen Regimes und 2 Jahre Verbannung) verurteilt;

9.     Jonas-Kastytis Matulionis — verhaftet 1976, nach verbrachten 9 Monaten im Isolator des KGB zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt;

10.        Ona Pranskūnaitė — verhaftet 1977 und zu 2 Jahren (allgemeinen Re-
gimes) verurteilt;

11. Ona Vitkauskaitė — verhaftet 1980 und zu 1,5 Jahren (allgemeinen Re­gimes) verurteilt;

12.   Genė Navickaitė — verhaftet 1980 und zu 2 Jahren (allgemeinen Re­gimes) verurteilt;

13.   Povilas Buzas — verhaftet 1980 und zu 1,5 Jahren (allgemeinen Re­gimes) verurteilt;

14.   Anastazas Janulis — verhaftet 1980 und zu 3 Jahren (strengen Regimes) verurteilt.

Die Mitarbeiter der Veröffentlichung

Obwohl die »Chronik der LKK vor 10 Jahren nur einige Mitarbeiter gehabt hat, so gibt es heute sehr viele, sowohl in der Heimat, als auch außerhalb ihrer Grenzen. Die einen von ihnen sammeln die Tatsachen, schreiben Ar­tikel, die anderen schicken sie auf bekanntem Wege der Redaktion der »Chronik« zu. Die vorbereitete Ausgabe wird umgeschrieben, vervielfältigt und verbreitet.

Sehr viele tüchtige Mitarbeiter hat die »Chronik der LKK« im Ausland. Die einen von ihnen übersetzen die Ausgabe in die englische, französische, ita­lienische und andere Sprachen, die anderen — drucken das Material in ver­schiedenen Zeitungen und Journalen ab, die dritten — schicken sie an ver­schiedene Behörden und Organisationen weiter. Die Namen der meisten Mitarbeiter kennt die »Chronik der LKK« nicht, aber sie spürt ihre mora­lische Nähe. Wenn es nicht diese Hunderte von Idealisten in der Heimat und im Westen gäbe, dann würde es die »Chronik der LKK« entweder überhaupt nicht mehr geben, oder sie würde schwach und ohne Einfluß sein. Deswegen sagt die Redaktion der »Chronik der LKK« im Namen aller bedrängten Katholiken Litauens allen, allen — so hier, wie auch drüben — ein herz­liches Dankeschön! Dankeschön auch denen, die die »Chronik« unentwegt mit ihren Gebeten begleiten.

Wer sind unsere Feinde?

Der Hauptfeind der »Chronik der LKK« ist das System, das sogar den Geist der Menschen versklaven will. Die Häupter dieses Systems planen einen geistigen Genozid der Gläubigen, und seine erstklassigen Vollstrecker — sind die Mitarbeiter des KGB. Das Wort »Chronik« ist auf ihren Lippen schon beinahe ein Fluch wort geworden.

Unter den weiteren Unfreunden der »Chronik der LKK« werden wir alle vom KGB angeworbenen Kollaborateure finden, sogar Priester nicht aus­genommen, denn sie mußten sich früher nur vor dem KGB fürchten, jetzt aber auch noch vor dem öffentlichen Gerichtsurteil der Welt. Zu Feinden der »Chronik der LKK« sind alle Lehrer, Vorsitzende und ihre Stellvertreter geworden, die für einen Teller Linsenbrei ihr Erstgeborenen­recht — ihre Heimat, die Kirche und das Gewissen verkauft haben. Sie möchten eine manipulierte Ruhe haben, daß die »Chronik der LKK« ihr Gewissen nicht trüben möge und daß ihre finstren Taten in der Dunkelheit der Geschichte bleiben möchten.

Das, was uns wundert

Die Existenz der »Chronik der LKK« ein Jahrzehnt hindurch unter einem System, wo überall Spione lauern, die mit den besten technischen Verfol­gungsmitteln ausgerüstet sind, voller Verräter und Schmeichler, ist beinahe ein Wunder. Am Anfang plante die Redaktion, wenn es gelingen würde, im besten Falle vielleicht zehn Nummern herauszugeben und dann ins Ge­fängnis zu gehen. Als eine Antwort darauf möchte man gerne die Worte des Paters Karolis Garuckas, SJ, zitieren, adressiert zu einem sehr schweren

Zeitpunkt an die Redaktion der »Chronik der LKK«: »Gott hat den Anfang gesegnet, er wird auch das Ende segnen.«

Die »Chronik der LKK« verblüfft durch ihre Genauigkeit. Durch 10 Jahre brachte sie viel Information zusammen. Es wäre selbstverständlich, wenn sich in die Veröffentlichung zahlreiche Fehler hineingeschlichen hätten, und die Redaktion war zu jeder Zeit bereit, sie zu widerrufen. Es ist aber wirklich erstaunlich, daß sogar das KGB, das fähig ist, alles herauszuschnüffeln, nicht imstande war, die Veröffentlichung mit Tatsachen zu kompromittieren, sondern sich vor Gericht mit Fälschungen und demagogischen Behauptungen begnügen mußte, daß die »Chronik« »Verleumdungen und Hirngespinste« verbreite. Die Genauigkeit der »Chronik der LKK« basiert auf dem tiefen Glauben ihrer Mitarbeiter, der Gewissenhaftigkeit und der Erkenntnis, daß man gegen die Lüge und Tyrannei nur mit den Waffen der Wahrheit kämp­fen kann.

Vorwürfe

Die »Chronik der LKK« hat in den 10 Jahren nicht wenig Vorwürfe gehört. Es gab Menschen, die wollten die »Chronik der LKK« für ihre Zwecke ausnützen und sie von ihrer Grundaufgabe — die Ehre Gottes, die Rechte der Kirche und die Gewissensfreiheit zu verteidigen — ablenken. Es gab auch solche, meistens aus den Reihen der Priester, die wünschten, daß die »Chronik der LKK« nur über die fanatischen Aktionen der kämpferischen Gottlosen — der Lehrer, der Parteigenossen und ihnen ähnlichen Personen — gegen die Gläubigen schreiben soll, und daß sie verschweige, daß einige Geistliche nicht weniger sondern vielleicht sogar noch mehr Schaden durch ihre Kollaboration mit dem KGB, der Kirche wie auch den Gläubigen anrichten. Die »Chronik der LKK« berührte in ihren Seiten nur jene Priester-Kolla­borateure, deren anstößiges Verhalten schon lange der breiten Masse der Gläubigen bekannt war, die die Jugend und die Gläubigen terrorisierten oder die versuchten, um diesen Preis auf die Spitzen der kirchlichen Hierarchie hinaufzuklettern.

Konnte die »Chronik der LKK« vielleicht in einem Auge den Splitter sehen, im anderen aber den Balken nicht?

»Der >Chronik der LKK< mangelt es an Liebe!, die >Chronik< zerstört die Einigkeit der Priester!« — so schrien und so schreien auch jetzt noch die vom KGB angeworbenen Kollaborateure. Kann vielleicht die »Chronik der LKK« im Namen der unechten Liebe zu dem einen oder zum anderen Kollabora­teur des KGB auf die Liebe zur Kirche und die Millionen von Gläubigen, die benachteiligt und verfolgt wurden und werden, verzichten?

Schwierigkeiten bei der Herausgabe

An denen mangelt es nicht. Viele, sogar gute Gläubige, fürchten sich, über ihre Verfolgungen Mitteilung zu machen, weil das KGB jeden, über den die

»Chronik« schreibt, beschuldigt, ihr Mitarbeiter zu sein. Unbewußt sind die Gläubigen geneigt, lieber zu schweigen, und vergessen dabei, daß das Schwei­gen eine indirekte Mitarbeit mit dem KGB ist, die der Niedertracht zu wuchern verhilft. Wäre nicht diese Angst der Gläubigen, dann könnte die »Chronik der LKK« die jetzige Lage der Gläubigen Litauens wesentlich besser erhellen. Es ist erfreulich, daß diese Angst im Laufe der 10 Jahre bei vielen verschwand.

Welche Vorurteile brachte die »Chronik der LKK«?

Wenn die Gläubigen die positive Wirkung der »Chronik der LKK« im jetzi­gen Leben der Gläubigen Litauens nicht gespürt hätten, wäre sie nicht so populär und einflußreich geworden. Es stimmt, sie hat keine Wunder voll­bracht, aber der Zwang ist vielerorts vorsichtiger geworden und zog viele sogar einen Schritt zurück. Deswegen kann man ohne Übertreibung behaup­ten, daß die »Chronik der LKK«, gemeinsam mit anderen Faktoren, dazu beigetragen hat, daß die Gläubigen Litauens zu dieser Zeit bewußter, die guten Priester einiger geworden sind, die Kollaborateure aber — gehen nicht erhobenen Hauptes, wie sie es in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegsjahre getan haben.

 

Welche Pläne bestehen für die Zukunft?

Mit Gottes Segen und mit der Unterstützung der verantwortungsbewußten Katholiken und Priester wird die »Chronik der LKK« auch weiter erscheinen. In ihrem Wesen bleibt sie aber so, wie sie im ersten Jahrzehnt gewesen ist. Sich bei allen bedankend, bittet die »Chronik der LKK« in erster Linie um Fürbitte, Mut und christliches Bewußtsein.