Nach würdevoller Verbüßung ihrer Strafe kehrte Genovaitė Navickaitė am 17. April 1982 aus dem Straflager zu Panevėžys zurück. Genovaitė Navic­kaitė wurde am 24./25. Oktober 1980 zu zwei Jahren Freiheitsentzug bei Verbüßung der Strafe in einem Lager verurteilt und in das Frauengefängnis nach Panevėžys gebracht, wo nach kurzer Zeit die »Umerziehung« begonnen hat.

Die Inspektorin der Oberativabteilung hat Ende April 1980 der Navickaitė einige ihrer Briefe zurückgegeben, in denen sie geschrieben hatte, daß nicht alle ihre Briefe die Adressaten erreichen und daß die Lagerleitung ihr keine persönlichen Begegnungen zubillige. Die Inspektorin begann dabei, der Ver­urteilten die ungeschriebenen, für die Gefangenen aber verbindlichen Regeln der Korrespondenz zu erklären — was man schreiben darf und was nicht. Sie hat streng verboten, die Briefe zu numerieren und verwarnte sie; wenn die Gefangene die Regeln mißachten wird, dann wird sie bestraft. Dieselbe In­spektorin ermutigte die Navickaitė, sich mehr mit den kriminellen Verbre­cherinnen zu befreunden. Meiden aber sollte sie die Ona Vitkauskaitė, die wegen der Vervielfältigung der »Chronik der LKK« verurteilt und in dem­selben Lager gewesen ist.

Im Juni 1980 hat die Inspektorin der Operativabteilung die Navickaitė als eine, die die früher genannten Regeln nicht eingehalten hat, wieder vorge­laden. Diesmal aber nur zur Stellungnahme zu einem Satz, weil Navickaitė in einem Brief geschrieben hat: ». .. wir wollen nicht nur jene lieben, die auch uns lieben, sondern auch jene, die sich bemühen, uns zu peinigen.« Als die Verurteilte sich weigerte, eine Stellungnahme zu schreiben, schrie die In­spektorin, die Herrschaft über sich selbst verlierend, und beschuldigte die Genovaitė der Verleumdung der Lagerverwaltung. Nach der Drohung, sie zu bestrafen, jagte sie sie aus ihrem Arbeitszimmer hinaus. Nach einigen Tagen führte die Stellvertreterin der Rottenführerin Nowikowa die Navickaitė zu dem Vorsteher der Kolonie Sireika. Nachdem dieser den genannten Satz aus dem Brief vorgelesen hatte, stimmte er der Anschuldigung der Inspek­torin der Operativabteilung zu, daß Genovaitė in ihrem Brief die Lagerver­waltung verleumdet habe. Nach einer Beratung mit Novikowa nahm er ihr eine persönliche Begegnung, die für 30. Juni 1980 vorgesehen war, zurück. Die Beschuldigte bat um Erlaubnis, mit einem Telegramm ihren Bruder über die nichtstattfindende Begegnung benachrichtigen zu dürfen, Nowikowa er­laubte es aber nicht... Die Reise ihres Bruders war umsonst. Im September 1980 versuchte die Rottenführerin Larjonowa die Navickaitė zu überzeugen, daß es bei uns eine vollkommene Religionsfreiheit gibt. Am 24. Dezember 1981 zeigte die Inspektorin der Operativabteilung der Navic­kaitė die ihr zugeschickten Weihnachtsbriefe und Grüße. Die Inspektorin ärgerte es sehr, daß viele Briefe und Grüße von der Jugend Litauens der Beschuldigten zugeschickt worden sind. Die zugesandten Weihnachtsgrüße übergab sie nicht an Navickaitė, sondern verbot ihr, mit Minderjährigen zu korrespondieren, widrigenfalls — drohte sie an, gegen sie einen Prozeß zu eröffnen. Als Genutė darauf geanwortet hat, daß sie bereit sei, alle emp­fangenen Briefe zu beantworten, blieb die Inspektorin auch weiter dabei, die an sie adressierten Briefe ihr nicht auszuhändigen. Im Januar 1981 stand der Navickaitė eine persönliche Begegnung zu, die die Lagerverwaltung ebenfalls nicht gegeben hat. Als die Verurteilte sich bei der Stellvertreterin des Kolonievorstehers, Japertienė, erkundigte, warum ihr die zustehende Begegnung nicht zugeteilt wird, antwortete diese: »Da einer deiner Brüder ein Priester ist, deswegen erlaubten wir die Begegnung nicht!«

Am 9. Mai 1981 starb in Zarasai die Schwester der Genovaitė, Lionginą Navickaitė. Als Genovaitė um die Erlaubnis gebeten hat, zur Beerdigung der Schwester zu fahren, erwiderte ihr die Stellvertreterin der Rottenführerin Nowikowa scharf: »Wir werden dich nicht hinauslassen, weil du deine Schuld nicht zugibst.« Dasselbe haben auch die anderen Mitarbeiter der La­gerverwaltung wiederholt. Am darauffolgenden Tag teilte der Vorsteher der Kolonie der Verurteilten als endgültigen Beschluß mit, daß der Staatsanwalt der Stadt Panevėžys nicht einverstanden ist, sie zu der Beerdigung heraus­zulassen.

Am letzten Tag der Gefangenschaft im Straflager, am 16. April 1982, hat die Stellvertreterin der Rottenführerin, Nowikowa, verhältnismäßig lange ver­sucht, Navickaitė zu erziehen und hat ihr geraten, ihre Lebensweise zu ändern — weniger für Gott sich zu opfern, mehr über sich selbst nachzu­denken . . . Die Inspektorin der Operativabteilung ermahnte Genovaitė, daß Gemma-Jadvyga Stanelytė und Nijolė Sadūnaitė nicht kommen dür­fen, sie abzuholen. Sie teilte ihr mit, daß die Fahrkarte für den Linienbus bis nach Kapsukas schon gekauft ist. Bis zum Bahnhof würde man sie selber hinbringen. Am nächsten Tag ist die Meisterin der Schneiderei Micke­vičienė um 6 Uhr in der Frühe in die Abteilung gekommen und hat der Navickaitė befohlen, sich schnell umzuziehen und ihre Sachen mitzunehmen. Bald darauf wurde die Gefangene zum Bahnhof gebracht, wo sie ihrem Bru­der, Priester Zenonas Navickas, begegnete, der gekommen war, sie abzuholen. Mickevičienė erlaubte ihr aber nicht, mit ihrem Bruder zu fahren. Erst als sie an der Stadt Panevėžys vorbeigefahren waren, gelang es ihr, den Bus anzuhalten und in das Auto ihres Bruders umzusteigen. Eine stattliche Schar von Gläubigen und von Jugendlichen kam der in die Freiheit entlassenen Navickaitė entgegen. Im Hl. Meßopfer dankten die Ver­sammelten Gott für das Opfer der Genutė und beteten zum Allmächtigen, daß es an Menschen nicht mangeln möge, die bereit sind, sich für die Kirche und die Anliegen des Volkes zu opfern.