An den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Deputier­tenrates des Volkes (DRV) im Rayon Pasvalys

Abschriften an:  1. Volksgericht Rayon Pasvalys

2.     Apost. Administrator der Diözese Panevėžys

3.     Priesterrat der Diözese Panevėžys

4.     Dekan von Pasvalys

Erklärung

des Pfarrers der Kirche von Joniškėlis B. Urbonas

Ich wende mich an Sie als den direkt zuständigen Beamten für Kultusange­gelegenheiten im Rayon.

Nachdem die Vorsitzende des Exekutivkomitees des DRV der Stadt Jo­niškėlis, J. Gasiūnienė, mich angezeigt hat, bekam ich am 20. April 1982 den Bescheid Nr. 59 der Administrativkommission bei dem Exekutivkomitee des DRV Rayon Pasvalys, ausgestellt am 16. April 1982, in dem ich wegen Teilnahme von Schülern am Gottesdienst (Ministrieren) beschuldigt und, ohne Prüfung der Sache und ohne Möglichkeit einer Rechtfertigung, mit einer Strafe von 50 Rubel belegt wurde.

Diese Beschuldigung halte ich für unbegründet und unrechtmäßig aus folgen­den Motiven:

1.     Artikel 50 der Verfassung der LSSR erkennt die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulte allen Bürgern ohne Einschränkung zu. Wenn also eine Verordnung herausgegeben würde, die einigen Bürgern diese Rechte ein­schränkt, so wäre sie ungültig, weil verfassungswidrig. Die Juristen wissen es. Nirgendwo habe ich ein Gesetz gefunden, daß die Religionsfreiheit erst ab 18. Lebensjahr gewährt wird. Getauft werden doch Kinder, nicht Erwach­sene.

2.     Bei uns ist die Kirche vom Staat getrennt und die Schule von der Kirche. Die Priester mischen sich in die Schule nicht ein. Aber zu vollberechtigten Mitgliedern der Kirche wird man durch die Taufe und die Kinder haben die Freiheit zur Ausübung der religiösen Kulte. Nennen Sie mir ein Gesetz, durch das den Gläubigen (d. h. auch Schülern) verboten wird, die Zeremonien der religiösen Kulte auszuüben (zu beichten, die hl. Kommunion zu emp­fangen u. ä.).

3.     Die Einmischung der einzelnen Beamten der Zivilregierung in die inneren Angelegenheiten der Kirche, indem man einer bestimmten Gruppe der Gläubigen (d. h. den Kindern) das Recht, religiöse Kulte auszuüben, ein­schränkt, ist: a) verfassungswidrig (s. Art. 50 der Verfassung der LSSR: »Den Bürgern der LSSR ist die Gewissensfreiheit garantiert, das heißt das Recht irgendeine Religion zu bekennen... die religiösen Kulte auszu­üben.. .«) und b) ist eine Verletzung der Kanones der Kirche, mit denen sie selbst die Art und Form festlegt, wie man Gott in der Kirche anbeten soll; auf keinen Fall ist das Sache von Personen, die nicht zu ihr gehören.

4.     Die Praxis, die Kinder in der Kirche dienen zu lassen, ist nicht von Bi­schöfen und nicht einmal vom Papst eingeführt, sondern von dem Stifter der Kirche Jesus Christus selbst angeordnet: »Laßt die Kinder zu mir kom­men und wehrt es ihnen nicht« (Lk 18,16; vgl. Mk 10.14) und deshalb darf ich das in meiner Kirche auf keinen Fall verbieten. Und die Bestrafung dafür ist eine grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche und in ihr kanonisches Recht, das der Staat bei uns zu respektieren vorgibt. Dazu ist das eine Lähmung ihrer Freiheit und der wesentlichsten Aufgabe der Kirche: das Evangelium allen Menschen zu verkünden (vgl. Mk 16,15).

Gläubige Eltern werden ebenfalls nicht ohne weiteres auf ihr Recht ver­zichten, ihre Kinder zur Kirche zu führen, und da werden sie nach den Be­stimmungen der Kirche handeln.

5.     Zu der Beschuldigung, daß die Kinder »gedient« haben: es wird kein Dienst- oder Verdingungsvertrag mit ihnen abgeschlossen; sie haben als Gläubige freiwillig nach eigenem Wunsch, oder nach dem Wunsch ihrer Eltern und gemäß Anordnung der Kirche an Gottesdiensten teilgenommen. Das habe nicht ich jetzt ausgedacht oder eingeführt, sondern so wurde auch vor meiner Ankunft in Joniškėlis gehandhabt. Sie können die Leute befragen.

6.     Das, was in den anderen Kirchen der Republik (z. B. in Vilnius, Kaunas, Panevėžys, in Rayonzentren und anderswo) getan und erlaubt wird, kann doch nicht nur in Joniškėlis verboten sein und als Vergehen betrachtet werden, denn Joniškėlis ist eine gewöhnliche Stadt der LSSR wie die anderen auch, sie besitzt keinen Sonderstatus.

Ich bitte Sie, Vorsitzender, unter Berücksichtigung der von mir vorgetragenen Argumente veranlassen zu wollen, daß nach der Überprüfung der Klage von J. Gasiūnienė, der genannte Beschluß der Administrativkommission, als verfassungswidrig und die sowjetische Gerichtsbarkeit kompromittierend, für nichtig zu erklären.

Joniškėlis,        K. B. Urbonas

d. 23. April 1982.        Pfarrer der Kirche von Joniškėlis

 

Zivilprozeß Nr. 2-128/1982

Beschluß

Im Namen der sowjetischen sozialistischen Republik Litauen

Pasvalys        d. 12. Mai 1982

Das Volksgericht des Rayon Pasvalys, bestehend aus dem Vorsitzenden Volksrichter L. Trakelis und den Volksräten 1. A. Gritėnienė, 2. S. Nevu-lienė, der Sekretärin D. Svistova, unter Teilnahme des Stellvertreters des Staatsanwaltes V. Grigalavičius behandelte in einer öffentlichen Sitzung den Zivilprozeß auf Grund der Klage des Urbonas, Benediktas, wegen Annullie­rung des Beschlusses, mit dem eine Strafe auferlegt wurde, und stellte fest:

B. M. Urbonas kam zu der Gerichtsverhandlung nicht. Eine Benachrichtigung über Ort und Zeit der Gerichtsverhandlung wurde ihm zugestellt, er verwei­gerte aber die Unterschrift. In seiner Klage weist Urbonas darauf hin, daß die Administrativkommission bei dem Exekutivkomitee des DRV Rayon Pasvalys mit ihrem Beschluß vom 16. April 1982 ihn unbegründet mit einer Strafe von 50 Rubel belegte. Er meint, daß zu seiner Bestrafung kein Grund vorhanden war, denn der Artikel 50 der Verfassung der SSR Litauens ge­währt den Bürgern das Recht, jede Religion zu bekennen. Den Kindern in der Kirche zu dienen verbieten die Gesetze nicht. Den Beschluß, durch den ihm eine Strafe von 50 Rubeln auferlegt wurde, bittet er, zu annulieren. Ein Vertreter der Administrativkommission kam zu der Gerichtsverhandlung nicht.

Der Stellvertreter des Staatsanwaltes bittet die Klage des Urbonas zu ver­werfen, weil er meint, daß die Strafe begründet zugesprochen wurde.

Die Klage ist abzuweisen. In seiner Klage bestreitet Urbonas nicht, daß die Schüler der Mittelschule Joniškėlis am 10. —11. April 1982 während reli­giöser Handlungen ihn bedient haben. Aus dem Protokoll über das admini­strative Vergehen ist zu ersehen, daß eine Gruppe Schüler der Mittelschule Joniškėlis am 10. —11. April d. J. in der Kirche gedient haben. Die Zeu­ginnen Noreikienė und Mikenienė sagten aus, daß ihre Kinder am 10. — 11. April d. J. in der Kirche gedient haben. Nur halten sie daran fest, daß sie das verschuldet haben, und nicht der Priester. Also ist es unbestreitbar fest­gestellt, daß Kinder während religiöser Handlungen in der Kirche gedient haben. Nich die Gläubigen, sondern Urbonas hat gegen den Erlaß des Prä­sidiums des Höchsten Rates der SSRL vom 12. Mai 1966 »über administra­tive Verantwortung wegen Verletzung der Gesetze über die religiösen Kulte« verstoßen. Die Strafe wurde auferlegt unter Einhaltung der Gesetze der UdSSR und der Unionsrepubliken gemäß den Forderungen § 36 über die Gründe der administrativen Rechtsverletzungen. Termine zur Festsetzung der Strafe wurden nicht versäumt. In dem genannten Erlaß ist die Höhe der Strafe bis 50 Rubel vorgesehen. Die Strafe hat ein Organ auferlegt, das ein Recht hat, sie aufzuerlegen (§ 264 ZPO der LSSR).

Der Beschluß der Administrativkommission widerspricht dem Artikel 50 der Verfassung der LSSR und dem genannten Erlaß nicht.

Deshalb hat auf Grund der §§ 15, 58, 222 der ZPO der SSR Litauens das Volksgericht beschlossen, die Klage des Urbonas, Benediktas, Mykolas, Sohn des Domininkas abzuweisen.

Dieser Beschluß ist endgültig.

Die Eltern der Schulkinder der Pfarrei Joniškėlis richteten am 16. Mai 1982 eine Erklärung an den Staatsanwalt der Republik der LSSR, in der gegen die am 16. April 1982 dem Priester Urbonas auferlegte Administrativstrafe wegen des »Dienens der Kinder in der Kirche« protestiert wird. Die Eltern führen eine Reihe von Argumenten an, die die Ungesetzlichkeit dieser Be­strafung beweisen: »Die sowjetische Regierung erlaubt uns, die Kinder zu taufen, d. h. sie zu vollberechtigten Katholiken zu machen. Also müssen sie das Recht haben, auch die religiösen Handlungen des katholischen Glau­bens zu vollziehen. (...) Gibt es überhaupt ein Gesetz, das, indem es ver­fassungswidrig ist, das verbietet und unseren Kindern die Teilnahme an religiösen Kultzeremonien untersagt? (...) Unsere Kinder >dienen< nicht in der Kirche, sondern nehmen an den Zeremonien freiwillig, ohne jeden Dienstvertrag oder Entgelt, auf ihren eigenen und unseren Wunsch und gemäß den Kanones der Kirche teil.«

In ihrer Beantwortung der Elternerklärung der Schüler von Joniškėlis vom 16. Mai »klärte« die Oberstaatsanwältin D. Kazakaitienė am 25. Juni 1982 die Gläubigen so auf: »Auf Ihre und anderer Personen Erklärung teile ich Ihnen mit, daß die Staatsanwaltschaft der Republik keinen Grund gefunden hat, den Beschluß des Volksgerichts des Rayon Pasvalys vom 12. 5. 1982. mit dem die Klage des B. Urbonas wegen der für Nichtigerklärung der Ad-ministrativstrafe abgewiesen wurde, auf dem Aufsichtswege anzufechten.«

An den Vorsitzenden des Volksgerichts Rayon Pasvalys L. Trakelis

Abschriften an: 1. den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees des DRV Rayon Pasvalys 2. den Dekan von Pasvalys

Erklärung

des Priesters Benediktas Urbonas, Pfarrer von Joniškėlis Am 15. Mai 1982 bekam ich durch die Post vom Volksgericht Rayon Pasvalys eine Abschrift des Beschlusses im Zivilprozeß Nr. 2-128/1982. Darin steht geschrieben, das Volksgericht des Rayon Pasvalys (ich zitiere): »behandelte in einer öffentlichen Sitzung den Zivilprozeß auf Grund der Klage des Urbonas, Benediktas, wegen Annullierung des Beschlusses, mit dem die Strafe auferlegt wurde . ..«

Ich habe mich nicht an das Volksgericht des Rayon Pasvalys gewandt und eine solche Klage habe ich nicht geschrieben. Als ich den Beschluß Nr. 59 der Administrativkommission bei dem Exekutivkomitee des DRV Rayon

Pasvalys, ausgestellt am 16. April 1982 erhalten habe, mit dem ich wegen der Teilnahme der Schüler an Gottesdiensten (sogenannten »Dienens«) beschuldigt und mit einer Strafe von 50 Rubel belegt wurde, habe ich eine Klage nicht an das Volksgericht gegen die Administrativstrafe geschrieben, sondern ich habe mich an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutiv­komitees des DRV Rayon Pasvalys (ich zitiere) »als den direkt zuständigen Beamten für Kultusangelegenheiten im Rayon« gewandt.

An demselben Tag, d. h. am 23. April 1982, habe ich auch einige Ab­schriften dieser Erklärung verschickt: an den Bischof von Panevėžys, den Dekan von Pasvalys und an das Volksgericht des Rayon Pasvalys.

Die Abschrift eines Schreibens ist weder eine Klage noch ein Gesuch. Sie verpflichtet niemand, sondern unterrichtet den Empfänger lediglich über die bisher unternommenen Schritte.

Deshalb bin ich auch zu der Sitzung des Volksgerichts nicht erschienen, weil ich das Gericht nicht gebeten hatte, meinen Prozeß zu führen, sondern ich habe eine schriftliche Antwort des Stellvertreters des Vorsitzenden des Exekutivkomitees des DRV Rayon Pasvalys erwartet.

Bei dieser Erklärung möchte ich daran erinnern, daß Teilnehmer an meinem Prozeß am 12. Mai 1982 in Pasvalys erzählt haben, daß dabei die Abschrift meiner an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees des DRV Rayon Pasvalys gerichteten Erklärung nicht einmal ganz vorgelesen, und daß bei der Gerichtsverhandlung keine grundsätzliche Antwort auf einige von mir vorgelegten Rechtfertigungsargumente erteilt wurde.

Hochachtungsvoll Pr. B. Urbonas Pfarrer der Pfarrei Joniškėlis

Joniškėlis, d. 18. Mai 1982

Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten bei dem Mini­sterrat der UdSSR für die SS Republik Litauen, d. 01. 06. 1982   Nr. 193

232600, Vilnius, Totorių/-Str. / 1, Tel. 61-95-29 An Priester Benediktas Urbonas,

Joniškėlis, M. Melnikaitės / Str. / 24/2, Rayon Pasvalys.

Zu Ihrer Erklärung vom 17. Mai 1982, gerichtet an den Staatsanwalt der SSR Litauen, teilen wir Ihnen mit, daß man den Tatbestand, daß jeder Bürger frei zur Kirche gehen kann, nicht mit dem des Religionsunterrichts für Kinder oder des Hinzuziehens zum Bedienen von Kultdienern während des Vollzugs von religiösen Zeremonien gleichstellen darf. Das sind zwei verschiedene und Ihnen gut verständliche Begriffe.

Die Kinder aus der Kirche zu vertreiben, oder aber nicht organisieren, daß sie aktiv an religiösen Handlungen teilnehmen, ministrieren, in Chören, bei Prozessionen, bei Zeremonien mitwirken — das ist nicht ein und dasselbe.

Von den Kanones und Regeln der Kirche dürfen Sie sich insofern leiten lassen, als sie den Gesetzen des Staates nicht widersprechen, andernfalls werden die Regierungsorgane gezwungen sein, wegen Verletzung der sowje­tischen Kultgesetze, gegen Sie dementsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Nach Meinung des Bevollmächtigten des Rates ist die Administrativkom­mission bei dem Exekutivkomitee des DRV Rayon Pasvalys bei Ihrer Be­strafung richtig vorgegangen.

Der Bevollmächtigte des Rates (Unterschrift)

P. Anilionis

An den Staatsanwalt der SSR Litauen

1.     den Bevollmächtigten des RfR beim MR der UdSSR

2.     den Apostolischen Administrator der Diözese Panevėžys

3.     das Kapitel der Diözese Panevėžys

4.     den Dekan von Pasvalys

Erklärung

des Pr. Benediktas Urbonas, Pfarrer der Pfarrei Joniškėlis.

Ich bin in eine Lage geraten, wo sich die Artikel der Verfassung der LSSR und die offiziellen Erklärungen des Bevollmächtigten des Rates für Religions­angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR für SSR Litauen mit der für mich angewandten Praxis kreuzen.

Ich kenne gut die Verfassung der LSSR: Die Artikel 32 und 50 garantieren die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulte für alle Bürger ohne Ein­schränkung.

Ich kenne gut auch meine Aufgaben als Priester. Der Kodex des kanonischen Rechtes der Katholischen Kirche gebietet: »Die Seelenhirten sind strengstens verpflichtet, alle Gläubigen in der christlichen Lehre zu unterrichten, damit auch ihre Kinder« (s. CIC, can. 1329). Die Synode der Diözese Panevėžys verlangt das ebenfalls ausdrücklich ( s. »Pirmasis Panevėžio vyskupijos Sinodas« / Erste Synode der D. P. / , S. 45—47, § 188—197).

Und das verkünden offiziell die Vertreter des Staates:

Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten bei dem MR der UdSSR für SSR Litauen, Petras Anilionis schreibt: »Allen Bürgern wird eine vollständige Freiheit in Religionsfragen gewährt.. . Jeder Bürger kann frei zur Kirche gehen... Die sowjetischen Gesetze schützen die Gläubigen gegen alle Anschläge auf Religionsfreiheit.« (»Valstiečių laikraštis« (»Land­volk-Zeitung) vom 29. III. 1980, Nr. 39, Artikel »Apie sąžinės laisve « (Über Gewissensfreiheit).

Der Bevollmächtigte des RfR beim MR der UdSSR für die LSSR, Justas Rugienis hat geschrieben: »Der sowjetische Staat und seine Regierungsor­gane mischen sich nicht ein in die inneren Angelegenheiten der Kirche, d. h. in ihre kanonische und dogmatische Tätigkeit« (»Tarybu darbas« / Arbeit der Räte) vom September 1972, Nr. 9, Artikel »Tarybos ir religinių kultų įstatymai« (Die Räte und die Gesetze der religiösen Kulte). Deshalb möchte ich fragen, warum wird gesagt, daß alle Bürger frei zur Kirche gehen können, religiöse Kulte ausüben, aber der Priester dafür be­straft wird? Warum wird gesagt, daß der Staat sich in die inneren Ange­legenheiten der Kirche und ihrer Kanones nicht einmischt, aber der Priester wird für deren Einhaltung bestraft? Bin ich schuldig, daß, wenn Kinder zur Kirche kommen, ich sie nicht hinaustreibe?

Ich bitte höflich den Staatsanwalt der LSSR mir kompetent folgende Sach­verhalte zu erklären:

Darf ein Priester der SSR Litauen seine Pflichen als Priester nach den Be­stimmungen des Kirchenrechts ausüben oder nicht? Darf er das, dann bin ich unschuldig. Darf er das nicht, dann widerspricht das dem Art. 32 der Verfassung der LSSR und der Erklärung des Bevollmächtigten J. Rugienis.

Haben alle Bürger der SSR Litauen die Freiheit der Ausübung der religiösen Kulte, oder nur die Erwachsenen? Wenn alle diese Freiheiten haben, dann bin ich unschuldig. Wenn nicht alle, dann widerspricht das dem Art. 50 der Verfassung der LSSR und der hier genannten Erklärung des Bevollmächtig­ten P. Anilionis.

Gibt es irgend ein Gesetz, das die Bürger klassifiziert in vollberechtigte bezüglich der Religion, und solche, denen diese Rechte eingeschränkt oder aberkannt sind; wie lautet es, von wem und wann ist es herausgegeben?

Solange man mich nicht anzeigt, habe ich meine Pflichten als Priester ungestört erfüllt. Ist es also wahr, daß, wenn niemand anzeigt, dann kann ich sie erfüllen, wenn aber jemand anzeigt, dann werde ich bestraft?

Bestimmen die sowjetischen Behörden in den RK Kirchen der SSR Litauens die Art und Form der Zeremonien, die Verhaltensregeln der Gläubigen, oder ist das eine innere Angelegenheit der Kirche? Wenn das eine innere Angelegenheit der Kirche ist, dann bin ich unschuldig. Wenn umgekehrt, dann widerspricht das der oben genannten Erklärung des Bevollmächtigten J. Rugienis.

Joniškėlis,        Hochachtungsvoll       Pr. B. Urbonas

d. 17. Mai 1982        Pfarrer der Pfarrei Joniškėlis

Antwort auf die Erklärung des Pr. Benediktas Urbonas, Pfarrer der Pfarrei Joniškėlis, an den Staatsanwalt SSR Litauens v. 17. Mai 1982:

»Zu Ihrer Beschwerde teile ich mit, daß die Staatsanwaltschaft der Republik keinen Grund gefunden hat, den Beschluß des Volksgerichts des Rayon Pasvalys vom 12. 05. 1982, mit dem Ihre Klage wegen der für Nichtig­erklärung der Administrativstrafe abgewiesen wurde, auf dem Aufsichtswege anzufechten.

Im Einklang mit dem Erlaß des Präsidiums des Höchsten Rates der SSR Li­tauens vom 12. 06. 1966 >Über administrative Verantwortung wegen Ver­letzung der Gesetze über die religiösen Kulte< wurde Ihnen die Administra­tivstrafe gerecht zuerkannt.

Aufsichtsabteilung der Behandlung der Zivilprozesse bei Gerichten, Ober­staatsanwältin Oberjustizrätin D. Kazakaitienė (Unterschrift).

Die im Rayon Pasvalys tätigen Priester der Diözese Panevėžys schickten am 30. VI. 1982 einen Protest an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exku-tivkomitees Rayon Pasvalys wegen der dem Priester B. Urbonas ungerecht auferlegten Geldstrafe. Unter anderem schreiben die Priester: »Wir alle im Rayon Pasvalys ansässigen Priester haben die Ereignisse aufmerksam ver­folgt. Das von dem Bevollmächtigten des RfR erhaltene Schreiben beant­wortet das Wesentliche nicht und stellt uns nicht zufrieden. Die Frage betrifft nicht die Möglichkeit des Kirchgangs (auch Ungläubige gehen hinein), aber sie betrifft Art. 50 der Verfassung der LSSR, der deklariert, daß den Bürgern SSR Litauens die Gewissensfreiheit garantiert wird. (. . .) Denn zur »Aus­übung der religiösen Kulte« gehört auch die Teilnahme an religiösen Zere­monien. Das ist eine und dieselbe Sache. Zu verkünden, daß »die Bürger der LSSR Gewissensfreiheit haben, das Recht, religiöse Kulte zu praktizieren« und durch Gesetz verbieten, daran teilzunehmen, ist ein Widerspruch«.

Unterzeichnet haben:

Gaudentas Ikamas Juozas Dubnikas Antanas Liesis Aleksandras Masys Algirdas Miškinis

Jonas Buliauskas Sigitas Uždavinys Alfonsas Jančys Stasys Zubavičius Petras Tijusas

Albinas Pipiras Antanas Balaišis Jonas Rimša Antanas Valančiūmas Vytautas Jasiūmas