Im Mai 1982 wurden, wie alljährlich schon seit bald vierzig Jahren, viele junge Söhne Litauens zur sowjetischen Armee rekrutiert. Am 13. Mai wurde auch Robertas Grigas aus dem Rayon Lazdijai, Städtchen Leipalingis, einbe­rufen. Am 25. Mai weigerte sich Robertas in Jany-Kurgan (Kasachische SSR) in Anwesenheit von Mannschaften und Offizieren den Eid zu leisten, weil dieser der religiösen Überzeugung eines Katholiken und patriotischen Über­zeugung eines Litauers widerspreche.

Robertas Grigas schreibt in einem seiner Briefe: »Ich betete bis zum letzten Moment und konnte mich nicht entscheiden, wie ich diese Eidfrage lösen sollte, die mich sehr beunruhigte. Am 25. Mai 1982 mußte unsere Gruppe in Jany-Kurgan das tun. Ich kam als zweiter daran. Ich sah, wie ein Jugend­licher, der vor mir gestanden hat, ein automatisches Gewehr nahm, den >Eid< aus einem Buch las und darunter unterschrieb. Ich wußte immer noch nicht, was ich tun werde, ich litt nur darunter, wie noch nie in meinem Leben und wiederholte immer in meinem Herzen: >Maria, Maria, laß mich so han­deln, wie Gott es will.< Schon bin ich an der Reihe! Ich nahm das automa­tische Gewehr, stellte mich zwischen die Mannschaft in Reih und Glied und den den Eid entgegennehmenden Major, und, versteht mich, bitte, verzeiht mir die Ungewißheit, die Euch nach dem Lesen dieser Zeilen quälen wird, sagte in russischer Sprache: >Ich, Robertas Grigas, Bürger Litauens, erkläre hiermit, daß ich mich weigere, den Eid abzulegen, weil er meiner religiösen und patriotischen Überzeugung widerspricht. <«

Nachdem sie ihn mit häßlichsten Fluchworten ausgeschimpft und ihm physi­sche Vernichtung angedroht, schickten die Offiziere des örtlichen Bataillons den Jungmann noch am selben Tag zum Brigadestab nach Tschimkent. Am nächsten Tag übernahm die Leitung der Brigade die Fortsetzung von Einschüchterungen.

Die Obersten Chutijew und Andrijewskij drohten, ihn dem KGB-Gericht zu übergeben, wenn er sich auch weiterhin weigere, die >heilige Pflicht< zu erfüllen. Als Antwort darauf schrieb Grigas eine Erklärung, die im wesent­lichen folgendes beinhaltet: »Ich, Robertas Grigas, Sohn des Antanas, Bürger Litauens, erkläre hiermit, daß ich mich weigere, für ihre Partei und Regie­rung einen Eid zu schwören, denn das sind irrtumsbefangene Instanzen der sich irrenden Menschen. Ich bin Katholik, und deswegen kann ich nur Gott, der Ewigen Wahrheit, die die Lehre Christi und der katholische Glaube verkörpert, die Treue schwören. Nur Gott allein muß ich in allen Bereichen des menschlichen Lebens treu sein. Die Befehle der Partei, der Regierung und der Armee, die der Wahrheit und meinem christlichen Gewissen wider­sprechen, werde ich nicht ausführen; deshalb will ich meine Seele nicht ver­fälschen, und ich werde keinen Eid ablegen — werde das nicht versprechen, was ich nicht auszuführen vermag. Ich werde in meinem Leben mit allen Kräften nur nach einem streben: Ein reines und ruhiges Gewissen zu be­wahren. Ein solches Gewissen verteidige ich nämlich, indem ich mich nicht einverstanden erkläre, irgendjemanden die Treue zu schwören, als nur Gott. Wegen dieser meiner Uberzeugung und Entscheidung, — gestützt nicht auf eigene Kraft, sondern im Vertrauen auf die Kraft und Hilfe Jesu und seiner hl. Mutter Maria, Patronin meines Vaterlandes Litauen — bin ich zu jeder Qual bereit.«

Danach wurde Robertas zur Hauptwache der Garnison von Tschimkent gebracht, wegen »Verletzung der Tagesordnung«, wie es in dem offiziellen Überweisungsschreiben heißt.

Der Chef der Hauptwache Major Mielnik hat eine persönliche Leibesvisite bei Robertas durchgeführt und ihm dabei den Rosenkranz von der Brust weggerissen, den er auch nicht zurückgegeben hat. Nachdem er einen mit automatischem Gewehr bewaffneten Wachhabenden angewiesen hatte: »Die­ser ist speziell herumzujagen«, schloß der Major den Robertas in einem Raum mit kriminellen Soldaten ein, die auf ihre Gerichtsverhandlung war­teten. Er selbst leitete, diese Verbrecher noch übertrumpfend, auf recht merkwürdige Weise seine »Umerziehung«: Mit vereinten Kräften verhöhnten sie die geistigen Werte, drohten, in die Kammer verdorbene Frauen kom­men zu lassen und ihn mit Gewalt zu einem »normalen Sowjetmenschen« zu machen. In der Nacht versuchten die Kriminellen zu überzeugen, daß dem russischen Vaterlande einen Eid zu leisten eine »heilige Pflicht« ist. Nach 24 Stunden Haft brachte man ihn nach Dschisaka, wo Robertas den Litauern begegnete, die mit ihm einberufen worden waren, von denen er schon im Verteilungspunkt Badam getrennt war. Unter ihnen befand sich ebenfalls ein Eidverweigerer, der Baptist Oskaras Gumanas (ein Deutscher aus Rayon Šiauliai, Gemeinde Kužiai, Dorf Amaliai). Vom ersten Tag an waren sie beide zu öffentlicher und versteckter Verfolgung und zu Terror verdammt. Dann haben sie sich entschlossen, soweit sie eben konnten, einer dem anderen mehr Solidarität und christliche Liebe zu zeigen, füreinander innig zu beten und das erfahrene Leid und die Verachtung füreinander aufzuopfern. Der die hiesige Einheit kommandierende Hauptmann rief sie andauernd einzeln zu sich, versuchte ihnen zu verbieten, miteinander zu sprechen, drohte, sie physisch fertig zu machen und mit Gewalt zu zwingen, den Eid abzulegen. Die schikanierten Soldaten sagten ihm und einer dem anderen, daß sie nicht aus eigener Kraft stark seien, sondern durch die Macht Christi und mit Ihm würden sie alles aushalten können. Jeden Tag wurden sie verhöhnt. Ein Unteroffizier hat sie geschlagen und wollte sie dadurch zum Rauchen und Fluchen zwingen. Vor der Mannschaft in Aufstellung legte er einem von ihnen sein Ohr auf die Brust und befahl allen, still zu sein, denn er wolle den dort anwesenden Christus hören. Als alle sich hingesetzt haben, befahl er ihnen einmal im Speisesaal stehen zu bleiben und sagte: »Diese soll Christus sättigen.« Und trotzdem verblaßten alle Schwierigkeiten dieser ersten Erprobungsperiode gegen das Glück, die Worte tiefer verstehen zu können: »... gelitten unter Pontius Pilatus .. .« Als die Eidablegung repe­tiert wurde, verweigerten Robertas und Oskaras das Auswendiglernen des Textes. Nach vergeblichen Versuchen des Zwanges und der Einschüchterung ließ der Hauptmann Robertas zu sich kommen und befahl ihm, sich auf die Reise vorzubereiten. Als er das fröhliche Gesicht des Jungmannes sah, keuchte er voll bestialischer Wut hervor: »Grinse nicht, dort schlagen sie dich tot!«

So ist Robertas wieder im Brigadestab in Tschimkent gelandet, wo er in einen Hagel von Haß, Spott und Drohungen, ihn fertig zu machen, geraten ist. Oberst Chutijew schrie, der Gläubige habe kein Recht, öffentlich zu bekennen, daß er religiös ist und die religiöse Wahrheit zu beweisen ver­suchen, sondern er dürfe nur still beten in den Kultgebäuden. Andernfalls werde er automatisch zum Feind der Sowjetregierung, zum Faschisten, den man beseitigen muß. Ein anderer Oberst verlangte zähneknirschend, Ro­bertas Grigas sofort dem Gericht zu übergeben, ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus einzusperren, in die Urangruben zu schicken, wo er nach einem halben Jahr verrecken würde. Der Jungmann antwortete, sie seien unfähig, ihm irgend etwas anzutun, was Gott nicht erlauben würde, alles aber, was von Gott in unserem Leben zugelassen, ist das höchste Glück. Deshalb werde er mit Lächeln der Zukunft entgegen gehen, ob das ein Gefängnis oder Uranbergwerk sein werde. Robertas sah die vor Wut bebenden älteren Offi­ziere und begriff so klar wie nie zuvor, wie leer und häßlich ihre Ideologie ist. Sie waren ein lebendiges Abbild jener Faschisten, die sie in ihren Filmen zeigen. Sie waren auch nicht beleidigt, als ihnen das gesagt wurde. »Jawohl, die Faschisten haben ihre Verräter vernichtet, und wir vernichten unsere Verräter. So muß es auch sein!«

Als einmal die Rede auf die Religiosität der Jugend kam, schrie einer der Obersten, von Wut ergriffen: »Wenn ich die jungen Menschen mit Kreuzchen auf dem Hals sehe, möchte ich sie am liebsten herunterreißen und ihnen in den Rachen stopfen!«

Noch am selben Tag wurde Robertas nach Badam gebracht, wo er beinahe drei Monate lang in der 2. Sonderkompanie des technischen Baubataillons 1902 in einer Ziegelei arbeitete. Hier war das Benehmen der Offiziere (so war es wenigstens oberflächlich gesehen) sogar ausgesprochen anständig, wenn auch einer von ihnen prahlte, daß er dem Robertas innerhalb von zwei Monaten das Rauchen, Fluchen, Trinken und lasterhaftes Leben beibringen werde. Irgendwelche konkrete schlechte Handlungen (wenigstens öffentlich) führten sie nicht aus.

Manchmal kam es mit den Offizieren zu folgenden Diskussionen: Die Sol­daten stehen in Reih und Glied, bereit zur Arbeit, da kommt ein Offizier und schimpft alle wegen der Nichterfüllung des Plansolls aus, stellt sich dann vor Robertas hin und beginnt zu schreien: »Ich werde dir zeigen, gegen die Sowjetregierung zu gehen! In zwei Monaten bringe ich dir das Fluchen, Rauchen, Trinken und lasterhaftes Leben bei!« — »Ist das alles denn auch wirklich die Sowjetregierung, Genosse Offizier?« — fragt Robertas. Der Offizier wird verlegen. »Du sollst mir hier keine Demagogie treiben!« — schreit er nach einer Weile.

Die Vereidigung wurde scheinbar von allen vergessen. Haben sie womöglich beschlossen, daß der an Gott glaubende Jungmann mit der Zwangsarbeit genug bestraft ist und geben sie sich damit zufrieden? Für seinen Gewissens­frieden war Robertas bereit, noch mehr zu ertragen und, obwohl das Plansoll unmenschlich hoch und die Arbeitsbedingungen gesundheitsschädlich wa­ren, freute er sich, daß es ruhiger geworden war und flehte Christus um Kraft für die Zukunft an. Aber diese verhältnismäßige Ruhe war nur vorübergehend. Immer öfter überhäuften ihn die Soldaten ohne jeden Anlaß mit Faust- und Schaftstiefelschlägen, wobei sie nur formell dem Anschein nach von den Unteroffizieren und Gefreiten verwarnt wurden. Immer öfter wurden diese Lektionen begleitet von Predigten »politischer Aufklärung« über die »Heilig­keit« und »Notwendigkeit« des Eides. Täglich bekam Robertas durchschnitt­lich bis zu 40 Schläge. Nach kurzer Zeit stellte der Feldscher der Kompanie, an den er sich wegen eines lästig stechenden Schmerzes in der Brust gewandt hatte, fest, daß eine Rippe entweder angebrochen oder gebrochen ist, aber ihn in ein Krankenhaus zu bringen, beeilte sich niemand, er mußte genau so arbeiten wie die Gesunden auch. Der Schmerz hinderte nicht nur bei der Arbeit, sondern auch beim normalen Gehen und sogar beim Atmen. Auf die Klagen des Jungmannes antwortete der Gefreite Safarian, daß um solche Dinge in der Armee sich niemand kümmert: »Wenn du auch sterben solltest, den Plan mußt du erfüllen!« Das entsprach genau der sowjetischen An­schauung vom Menschen, die der Kompanieführer Oberleutnant Satarow den Soldaten-Sklaven ständig einhämmerte: »Du kannst ein goldiger Mensch sein, wenn du aber den Plan nicht erfüllst, bist du nichts!« Bei den Offizieren beklagte sich Robertas nicht, auch wenn er gefragt wurde, denn er war nicht der Meinung, daß dabei etwas Gutes herauskäme.

Später, als Oberleutnant Dschiusupow Robertas in die 4. Kompanie ver­setzte (vorher diente er in der 1. Kompanie, wo er die vielen und ganz gewiß unverdienten Schläge bezog), wurde sein Leben leichter. Jetzt bekam der sowjetische Märtyrer-Sklave am Tag regelmäßig nur 5 bis 10 Schläge. Die Arbeitsbedingungen in der Ziegelformungsabteilung waren ebenfalls norma­ler. Aber die Brustschmerzen waren noch nicht vorbei und schon stellte sich ein allgemeiner Schwächezustand ein. Auf seine Klagen wurde geantwortet, daß es an Leuten fehlt, kein Ersatz da ist, und der Plan erfüllt werden muß. Am 31. Juli 1982 kam der Führer des technischen Sonderbataillons 1902 Oberstleutnant Akmataliejew nach Badam zur Inspektion. Als er Robertas zu sich in die Kanzlei gerufen hatte, wunderte er sich, daß es in der UdSSR noch Gläubige gibt. Dieser hohe Offizier der Armee, der den armen Soldaten mit unzensierten Worten beschimpfte, erinnerte unbeabsichtigt an den Mit­arbeiter der Sonderabteilung Kpt. Siniajew, der bei einem früheren Gespräch sehr höflich erklärte, daß die Obersten von Tschimkent kein Recht hätten, einen Soldaten zu beschimpfen oder die Religion zu verhöhnen. Er ver­sprach, zu beweisen, daß solche Menschen weder das Gesicht der Partei noch das Wesen der Partei sind und daß die Partei überhaupt ein gesunder und der Gesellschaft notwendiger Organismus sei. Robertas antwortete, daß die Partei ihm bis jetzt nur ein solches Gesicht gezeigt hat, wie es ihm eben die genannten Obersten zeigten, und verwarf sofort die Einladung zur Mit­arbeit. Und siehe da, der Vertreter der Partei zeigte ihm wieder das ge­wohnte, von Haß verzerrte Gesicht. Nach der Weigerung, den Eid vorzu­lesen, drohte er, immer noch fluchend, die Eltern von Robertas zu erschie­ßen, den Kriegskommisar vor Gericht zu stellen, weil er nicht rechtzeitig die »Banditen« entlarvt habe, und Robertas persönlich den KGB-Organen zu übergeben.

Außer dem Stechen in der Brust bekam der terrorisierte Junge irgendeine Darmkrankheit, ohne Zweifel als Folge der dort überall herrschenden un­hygienischen Zustände. Am 1. August 1982 wurde er mit dem Auto des Bataillonskommandeurs mit dem ganzen Gefolge, dem Kraftfahrer, dem Stellverteter des Bataillonsführers für politische Angelegenheiten Major Belokonj und dem Komsomolsekretär des Bataillons nach Kyzyl-Orda ge­bracht, wo der Bataillonsstab sich befindet. Den ganzen Weg — 400 km weit — hörten die stumpfsinnigen Verhöhnungen, Drohungen und Vorwürfe nicht auf, daß er sich zutraue, sowjetisches Brot zu verderben u. a. Den Wor­ten des Bataillonskommandeurs nach warte in Kzyl-Orda auf Robertas ein »zuverlässiges sowjetisches Zimmer«. Dort, schon stark an Durchfall er­krankt, schlössen sie ihn in der Hauptwache ein, wo die einzigen »Möbel« — auf Zementboden verstreute Zeitungen waren. Niemand beachtete die Bitten des Kranken, wenigstens einen einfachen WC-Kübel zu geben. Die Krankheit wurde stärker, es erschienen Blutungen. Erscheinungen von Desinterie traten auf, und auf den Hof wurde man nur zweimal am Tag herausgelassen. Aber der an Gott glaubende junge Märtyrer freute sich, daß er in Ruhe meditieren und beten darf, und bezog dabei die Härte seines Lagers und alle mit der Gefangenschaft zusammenhängenden Unannehm­lichkeiten und die qualvolle Krankheit mit ein. Die Freude dauerte nicht lange. Bald bekam er zwei Kollegen, die wegen eigenmächtigen Entfernens von der Einheit für einige Tage bestraft waren. Einer von ihnen hatte vor seinem Wehrdienst ein Jahr gesessen, der zweite war auf Bewährung ver­urteilt. Ihre Reden über Frauen, Schnaps, und — als sie erfahren haben, wofür Robertas sitzt — über die Religion, die Priester, unterschieden sich nicht im geringsten von denen vieler sowjetischer Offiziere, von den Reden des Bataillonskommandeurs. Dieselbe Lasterhaftigkeit, dieselbe Unwissen­heit, dieselbe Böswilligkeit, die die Ohren zu verschließen zwingt, damit das Gewissen nicht erwacht... Die am Anfang noch friedlichen Kollegen in diesem Raum wurden von Tag zu Tag aggressiver. Die gleiche sonderbare Verbindung: einerseits unmoralisch und zügellos, andererseits beide glühende Patrioten der sowjetischen Regierung. Sie fangen an, Robertas mit physi­scher Gewalt zu drohen, wenn er dem »Vaterland« keinen Eid leisten werde. Nach einigen solchen Gefängnistagen führte der Bataillonskommandeur den Robertas der aufgestellten ersten und dritten Kompanie vor und machte den Personalstand mit der Biographie des »Banditen« bekannt. Nachdem er zuerst die Mutter und den Vater, die »so einen« großgezogen haben, mit der ganzen Häßlichkeit der russischen Flüche beworfen hatte, drohte er, mit der ganzen Verwandtschaft fertig zu werden und auf die baltischen Staaten eine 5 Kilotonnen-Atombombe zu werfen. Dann fragte er ihn: »Willst du den Eid ablegen? « — » Nein!« — »Dann verfaule da drin!« Robertas »faulte« in der Hauptwache bis zum 5. August in der Frühe, wo sie ihn dann trotzdem herausließen, damit er seine mit Unrat verklebten Kleider auswaschen und ins Magazin gehen konnte. Am nächsten Tag stellte eine überraschende medizinische Kommission einen Darmtyphus im Bataillon fest. Die Soldaten strömten in die Krankenhäuser der Umgebung. An der Hauptwache gab es einen Streit zwischen den Medizinern und den Vorge­setzten von Robertas. Erstere konnten schließlich doch die Henker über­zeugen, daß »es nicht wichtig ist, ob er ein Katholik oder sonst etwas ist... ausschlaggebend ist, daß er ein hilfsbedürftiger Kranker ist«. Mit der Über­weisung »Desinterie in schlimmer Form« kam Robertas aus dem Zentrum der Epidemie in das Krankenhaus der Stadt Kyzyl-Orda. Für einige Zeit legten sich die Stürme, die das Schifflein des Kriegsgefangenen herumge­worfen hatten. Die Bataillonsführung leidet immer noch unter verschiedenen Kommissionen. Sogar Alma-Ata zeigte ihr Interesse daran. Kaum aber wird je eine Kommission die Zellen der Hauptwache sehen und erfahren, unter welchen »sanitären« Bedingungen Rekruten des 20. Jahrhunderts ge­fangen gehalten werden. Und sollte eine es auch erfahren, wird sie es nie veröffentlichen. Wer wird aber heutzutage alle Hauptwachen in dem riesigen Territorium des sowjetischen Landes zählen?

Wie wird die weitere Zukunft dieses Märtyrers Robertas Grigas aussehen? Wird die Maschinerie des Besetzers seine physische Gesundheit lähmen oder gänzlich vernichten? Die Zukunft wird es zeigen!

Wenn man ihn gefragt hat: »Wie hast du reagiert, wenn sie dich geschlagen haben?«, gab Robertas bescheiden zu, daß er ständig wiederholte: »Herr, gib mir die Kraft, alles, was schwer ist, wie Du am Kreuze zu ertragen, als verdiente Strafe für die Sünden, für die Verschmähung Deiner Liebe ...«

Die Katholiken Litauens besonders die Jugend, bitten Gott zur Zeit um Standhaftigkeit und Ausdauer für Robertas.

Die Jugend Litauens, die ihren Freund Robertas bei seiner zweijährigen oder noch längeren Marter in der sowjetischen Armee begleitet, stellte am 12. Mai 1982 als verdeutlichendes Zeichen dieses Leidens mit dem Leiden Christi auf einer Anhöhe neben einem einsamen Weg, der durch die Wälder von Leipalingis zum Dorf Dulgininkai führt, ein kunstvolles 5 m hohes Kreuz auf, mit der Inschrift: »Mach mit mir, o Herr, was du willst, aber erbarme dich meines Volkes und meiner Lieben.«

Bald begannen die Gläubigen von Leipalingis und den benachbarten Dör­fern, das Kreuz zu besuchen; unbekannte gute Hände schmückten es mit Blumen, säuberten die Umgebung, errichteten eine Treppe in der Erde vom Weg bis zum Kreuz, und es sah so aus, als ob das abseits im Wald stehende Zeichen des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung der Christen niemanden behindern würde. Aber leider — es hinderte doch! Das Problem dieses Kreuzes wurde im Plenum des Parteikomitees Rayon Lazdijai heftig dis­kutiert. Sowohl in diesem Plenum in Abwesenheit als auch in der Mittel­schule von Leipalingis wurde der Vater des Robertas, Antanas Grigas, wo er Lehrer ist, persönlich wegen des Kreuzes und anderer »Sünden« heftig angegriffen; hier drohte man ihm mit der Entlassung. Den Angriff in der Schule führte die Sekretärin der Parteiorganisation der Lehrer, B. Zuze-vičienė, durch. Der Lehrer antwortete auf alle Vorwürfe und Drohungen: »Erstens bitte ich, mein persönliches Gewissen in Ruhe zu lassen und zwei­tens — warum wollen Sie alle guten Taten aller guten Menschen mir allein zuschreiben?«

Nach dieser »ideologisch aufklärenden« Einleitung zögerten die Atheisten nicht, zur Tat zu schreiten. In der Nacht vom 8. zum 9. Juni 1982 gruben irgendwelche Personen, die, wie Spuren verrieten, mit Transportmitteln ausgerüstet waren, das Kreuz heraus und fuhren es weg. Bis jetzt sind weder Namen noch Arbeitsstellen derer bekannt, die diese niederträchtige Tat be­gangen haben. Einige Bernte der Partei und der Regierung behaupten, daß es eine Tat von Halunken gewesen sei, und das ist auch ohne jeden Zweifel wahr, nur ist unbedingt eine kleine Berichtigung notwendig: Es ist unwichtig, ob es die Hände einfältiger Trunkenbolde waren, die das Kreuz heraus­gerissen haben oder ob es die Hände von Halunken der einen oder anderen Behörde waren, wichtig ist nur, daß diese schmutzige Arbeit, wie auch sonst allerorten, beamtete Atheisten geleitet haben.