In Nr. 55 der »Chronik der LKK« wurde geschrieben, daß bei Jonas Sadūnas eine Hausdurchsuchung gemacht wurde und daß mit der Verneh­mung begonnen wurde, als er im Krankenhaus war. Die weiteren Ereignisse wickelten sich wie folgt ab:

Seit 11. 11. 1982 wurde J. Sadūnas für eine Mandeloperation vorbereitet. Während seines Krankenhausaufenthaltes schrieb er an den Vorsitzenden des Staatssicherheitskomitees der Litauischen SSR eine Erklärung folgenden Inhalts:

»Im Zusammenhang mit dem Prozeß Nr. 57-2-031-81 wurde am 11. Okt. 1982 in meiner Wohnung Architektu g 27-2 eine Hausdurchsuchung gemacht, wobei nach Beispielen meiner Handschrift gesucht wurde. In Wirklichkeit interessierte die Durchsucher nicht meine Handschrift, sondern Briefe, Adressen, Belege von Postsendungen und ähnliches. Die Stellvertreterin des Staatsanwaltes, R. Juciūtė, wurde von jemandem gedrängt, sich zu beeilen und verhörte mich sogar noch im Krankenhaus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß jemand mit mir fertig werden will. Manche Argumente zwingen zu der Annahme, daß dies eine Tat des KGB ist.

1.     Den Mitarbeitern des KGB mißfiel meine Korrespondenz mit den Ge­wissensgefangenen und mit vielen Menschen der westlichen Welt.

2.     Am 22. Oktober 1974, als zweitägige Verhöre zu Ende gingen, zwang mich der Mitarbeiter des KGB Vincas Platinskas, nach Simnas zu dem Priester S. Tamkevičius zu fahren und auf einem Magnetophonband das Gespräch mit dem Priester aufzunehmen. Zwei Beamte des Sicherheits­dienstes fuhren mich nach Alytus und schickten mich, nachdem sie mir ein Mini-Aufnahmegerät gegeben hatten, zu Priester S. Tamkevičius. Da ich aber das Gespräch nicht aufgenommen habe, wurde Vincas Platinskas sehr böse auf mich.

Ende Juni 1975 hat mich Vincas Platinskas in die Amtsstelle des KGB vorgeladen und mich in eine konspirative Wohnung in der Cvirkos gt. Nr. 17 mitgenommen, wo sie mich mit verschiedenen Drohnungen zwangen, ein Mitarbeiter des KGB zu werden. Sehr schade, daß ich zu dieser Zeit nicht die Kraft hatte, mich dieser Nötigung zu widersetzen und formell zugesagt habe, dem Vincas Platinskas zu helfen.

Da ich niemals und über niemanden an die Mitarbeiter des KGB Mitteilun­gen gemacht habe, ist es verständlich, weshalb ich jetzt verfolgt werde. Ihnen, Vorsitzender des KGB, erkläre ich:

1.     Ich weigere mich strikt, jemals mit dem KGB zusammenzuarbeiten.

2.     Ich protestiere dagegen, daß ich unschuldig verfolgt werde.

3.     Ich bin bereit, verurteilt zu werden, in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht oder überhaupt vernichtet zu werden, aber ich werde niemals ge­gen mein christliches Gewissen handeln.«

Am nächsten Tag nach der Absendung der Erklärung sagte die Ärztin J. Blažienė um 9 Uhr in der Früh zu J. Sadūnas, daß er noch einmal in das Röntgenkabinett gehen müsse, weil ihn noch ein Husten und 37,7 °C Fieber quälten. 15 Minuten später wurde J. Sadūnas von einer Krankenschwester eingeladen, im Arbeitszimmer der Ärztin J. Blažienė vorbeizukommen, wo sie ihm mitteilte, daß er aus dem Krankenhaus abgemeldet und in das V. Poliklinikum zu Vilnius überwiesen werde, um sich auszukurieren. Um 12 Uhr gab sie ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und eine Krank­heitsbeschreibung des II. Krankenhauses zu Vilnius mit. J. Sadūnas hatte sich von den im Zimmer liegenden Kranken verabschiedet und war schon bereit zu gehen, als eine Krankenschwester hereinkam und ihn bat, noch zu warten, weil die Ärztin J. Blažienė noch eine ergänzende Krankheitsbe­schreibung geben werde: An Stelle der Beschreibung kam nach fünf Minuten der Milizsergeant Dwilow in das Zimmer und verhaftete J. Sadūnas ohne Beschluß des Staatsanwaltes. Er wurde abgeführt und in ein Auto gesetzt, in dem sich außer drei Milizmännern auch ein Mann in Zivilkleidung be­fanden. Dort zeigten sie ihm ein Blatt Papier mit irgendeinem Text vor, erlaubten ihm aber nur die Unterschrift von Frau Juciūtė zu lesen und brachten ihn, nachdem sie ihn gefragt hatten, ob er sie kenne, in das psychiatrische Krankenhaus nach Naujoji Vilnia in die VI. Psychoexpertise-abteilung für Männer. In der Abteilung befanden sich 34 Männer, die Be­dingungen waren schlecht. Die Ärztin Regina Ražinskienė lud J. Sadūnas zu sich. Sie fragte ihn, ob er nicht schon früher in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt wurde, ob seine Eltern keine psychischen Krankhei­ten gehabt hätten, ob er am Kopf nicht verletzt gewesen sei. J. Sadūnas ant wortete, daß nichts dergleichen der Fall sei. Die Ärztin R. Ražinskienė lobte die sowjetische Regierung, wie menschlich sie sei — denn wenn J. Sadūnas als psychisch ungesund anerkannt werde, würde das gegen ihn eingeleitete

Verfahren abgebrochen. . . Nach einem Monat oder etwas später werde sie ihm sagen, ob eine »Behandlung« notwendig sei, und wenn ja, dann werde Sie J. Sadūnas in eine andere Abteilung zur »Behandlung« überweisen, und nach 2 bis 3 Jahren werde man ihn möglicherweise entlassen. Am 18. November 1982 schrieben die Frau von J. Sadūnas Marytė Sadūnienė und seine Schwester Nijolė Sadūnaitė Protesterklärungen an den Staatsan­walt der LSSR und Abschriften an das Komitee der Katholiken zur Vertei­digung der Rechte der Gläubigen. Nijolė Sadūnaitė schreibt in ihrer Er­klärung an den Staatsanwalt:

»Während des Verhörs im Quartier des KGB wegen des Prozesses gegen Priester Antanas Šeškevičius Ende des Jahres 1970 drohte der Mitarbeiter des KGB, der mich mit verschiedenen Strafen einschüchtern und ängstigen wollte, unter anderem damit: >Deinem Bruder wird es schlecht ergehen! <

Nach meiner Verhaftung im Jahre 1974 wurde mein Bruder Jonas Sadūnas verschiedenartig von den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes erpreßt.

Am 11. Oktober 1982 wurde unter der Leitung eines Mannes in Zivil­kleidung, der weder seinen Namen sagte noch das Protokoll unterschrieb, eine Durchsuchung nicht nur im Zimmer meines Bruders, sondern auch in meinem Zimmer gemacht, obwohl dazu kein Beschluß vorhanden war. Man wollte meinen Bruder einer Verleumdung beschuldigen.

Als sie aber schließlich die Absurdität der Anschuldigung einsahen, holten sie am 18. dieses Monats meinen Bruder mit der Miliz aus dem Kranken­haus, wo er für eine Mandeloperation vorbereitet wurde und brachten ihn in das psychiatrische Krankenhaus in Naujoji Vilnia.

Mein Bruder ist vollkommen gesund. Das können alle bezeugen, die ihn gekannt haben, unter ihnen auch unser Onkel, Arzt Kazimieras Rimkus, Bürger der Vereinigten Staaten, der in diesem Sommer mit seiner Frau bei uns zu Gast gewesen ist.

Ich protestiere gegen diese grausame Willkür und verlange, so schnell wie möglich meinen Bruder Jonas Sadūnas aus dem psychiatrischen Krankenhaus zu entlassen.«

Am 22. November 1982 kam um 11.30 Uhr seine Schwester Nijolė Sadūnaitė zu J. Sadünas in das psychiatrische Krankenhaus, um ihn zu besuchen. Kaum hatten sie begonnen, sich miteinander zu unterhalten, rannte aus ihrem Arbeitszimmer die Ärztin R. Ražinskienė zu ihnen heraus und begann zu schreien: »Wer bist denn du? Warum unterhältst du dich mit den Kranken? Was suchst du hier?« N. Sadūnaitė stellte klar, daß sie die Schwester von J. Sadūnas sei und daß sie das Recht habe, ihren Bruder zu besuchen. Die Ärztin R. Ražinskienė bekam einen Anfall der Hysterie — begann Fratzen zu machen, Grimassen zu schneiden, die Zähne zu blecken und fing nachher an zu schreien: »Geh sofort hinaus, sonst rufe ich die Miliz, daß sie dich hinauswirft!« N. Sadūnaite ging fort. Noch am selben Tag schrieb sie eine Erklärung an den Staatsanwalt der LSSR, in der sie nach der Schilderung, wie sie von der Ärztin R. Ražinskienė ohne jeglichen Anlaß aus dem Kran­kenhaus hinausgejagt wurde, die Frage stellt: »Wer hat der Ärztin R. Ražinskienė das Recht gegeben, mir zu verbieten, meinen Bruder zu be­suchen und mich in Anwesenheit von anderen anzuschreien? Ich bitte, die Brecher der sowjetischen Rechtsordnung zu bestrafen und meinen Bruder Jonas Sadūnas so bald wie nur möglich aus dem psychiatrischen Kranken­haus zu entlassen.«

Auf die Erklärung von N. Sadūnaite vom 22. November 1982 anwortete der Staatsanwalt der Abteilung, der staatliche Justizrat der III. Klasse der Staatsanwaltschaft der SSR Litauen Kirijenka: »Ol. 12. 1982 Nr. 13/119-80

In Beantwortung Ihrer Erklärung vom 22. 11. 1982 teile ich Ihnen mit, daß über Ihren Bruder Jonas Sadūnas, der als Angeklagter gemäß § 132 Teil 2 des Strafgesetzbuches der SSR Litauen in einem Strafprozeß belangt wird, durch einen Beschluß der Staatsanwaltschaft des Rayons Vilnius ein stationäres psychiatrisches Gerichtsgutachten angefordert wurde, das im psychiatrischen Krankenhaus zu Naujoji Vilnia erstellt wird.« Die Ärztin Ražinskiene erklärte ihrem Bruder Jonas Sadūnas, nachdem sie Nijolė Sadūnaitė aus dem Krankenhaus hinausgejagt hatte, daß ein Sicher­heitsbeamter und zwei Milizmänner ihr geholfen hätten, eine Akte anzu­legen, wonach N. Sadūnaitė sie beleidigt haben solle. Deswegen werde sie jetzt mindestens ein Jahr Lager dafür bekommen.

Dreimal suchten Milizmänner und einmal ein Sicherheitsbeamter nach dem 22. November bei Bronė Kibickaitė (Vilnius, Tiesos g. Nr. 11-38) nach N. Sadūnaite, fanden sie aber nicht.

In der Erklärung vom 23. November 1982 an den Minister für Gesundheits­wesen schreibt N. Sadūnaitė unter anderem: »Wenn nicht der weiße Mantel gewesen wäre, mit dem die Ärztin Ražinskienė bekleidet war, hätte ich wirklich gedacht, daß es sich hier um eine aggressive psychisch Kranke han­delt. Als ich schon weggegangen war, begann die Ärztin Ražinskienė meinen Bruder zu verhören: »Bist du katholisch? Warum hast du Grüße an den Bischof geschrieben?« Seit wann wird in der Sowjetunion der Glaube und die Gratulation für einen Geistlichen aus Anlaß eines Feiertages als Ver­brechen betrachtet?«

Am 2. Dezember 1982 wurde Jonas Sadūnas aus dem Krankenhaus entlassen und als gesund anerkannt. Die Untersuchungsbeamtin der Staatsanwaltschaft Juciūtė schickte immer noch Vorladungen zu Vernehmungen in die Staats­anwaltschaft, ungeachtet dessen, daß Jonas Sadūnas eine Arbeitsunfähig­keitsbescheinigung besaß und sich noch kurierte. Die Ermittlungen laufen weiter.