Am 3. Mai 1983 begann vor dem Obersten Gericht der LSSR der Prozeß gegen den Pfarrer von Viduklė, Mitglied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, den Priester Alfonsas Svarinskas. Die Nachricht über den Prozeß verbreitete sich nur sehr leise in Litauen. Viele zweifelten daran, weil nicht einmal seine Verwandten etwas von die­sem »öffentlichen« Prozeß wußten. Als sie aber am 3. Mai nach Vilnius kamen, zerstreuten sich alle Zweifel. Das Stadtviertel um den Leninprospekt war umzingelt von Polizisten und Soldaten, die in Polizei-Uniform steckten. Der Durchgang zum Obersten Gericht bei der Staatsbibliothek war über­haupt unmöglich — Beamte in Uniform und Zivilkleidung ließen nur die­jenigen zum Gericht gehen, die Sondereinladungen vorweisen konnten. Freunde und Bekannte des Priesters Alf. Svarinskas jedoch, die aus allen Teilen Litauens gekommen waren, wurden von den Polizisten auf dem Leninprospekt bis zur Bushaltestelle Staatsbibliothek grob verjagt. Sogar für die Verwandten war es schwierig, zu dem Prozeß zu gelangen: der Schwester des Priesters Alf. Svarinskas, Janina Pupkieneė die um 9 Uhr zum Gericht gekommen war, wollten die Sicherheitsbeamten beweisen, daß es für sie überhaupt nicht nötig sei, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Als diese nicht nachgab, sagte man ihr, sie solle um 10 Uhr kommen; als sie aber zur angegebenen Zeit wieder erschien, erklärte man ihr, daß es schon zu spät sei; so ließ man sie erst nach der Mittagspause in den Saal; um 9.30 Uhr kam der Bruder des angeklagten Priesters, Vytautas Svarinskas, zum Ge­richtspalast; auch einige Priester begleiteten ihn — nur mit Mühe und Not erlangten sie durch Bitten aller, daß der Bruder in den Saal hineingelassen wurde. Vytautas Svarinskas sagte, daß er sich in seinem Alter allein in der Stadt verirre. Deswegen hätte er gerne, daß auch seine Tochter zusammen mit ihm in den Gerichtssaal hineingelassen würde, aber diese seine Bitte wurde entschieden abgelehnt. Den Priestern gelang es nicht, in den Saal hineinzukommen. Die Beamten erklärten, daß es an Plätzen mangele, obwohl der Saal halb leer war. Nur etwa 60 Personen befanden sich darin, und zwei Reihen von Bänken waren zusammengeschoben. Dem Priester Sigitas Tam-kevicius erklärten die Sicherheitsbeamten: »Sie werden als Zeuge vorge­laden, holen Sie sich in Kybartai die Einladung; morgen dürfen Sie daran teilnehmen.« So wurde außer dem Bruder und der Schwester kein einziger Priester und auch kein einziger Gläubiger in den Gerichtssaal hineingelassen. Auf der Straße, die zum Gerichtspalast führt, fing man noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung an, die Menschen zu verjagen. Die Beamten ver­suchten, die Haushälterin des Priesters Alf. Svarinskas, Monika Gavėnaite, in ein Milizauto hineinzustoßen, weil sie ihren Wunsch geäußert hatte, daß sie in den Gerichtssaal wolle. Die Einwohnerin von Kelmė, Regina Tere-siūtė, die die Haushälterin verteidigt hatte, schoben vier Milizmänner mit Gewalt in ein Auto hinein und erklärten, daß sie schon lange auf sie ge­wartet hätten Sie brachten sie in die Milizabteilung des Leninrayons, wo sie des Rowdytums beschuldigt und dafür mit 10 Tagen Arrest bestraft wurde. Die angehaltenen Priester, den Pfarrer von Žalpiai, Priester Juozapas Razmantas, den Vikar von Kybartai, Priester Jonas Matulionis und den Pfarrer von Pilviškiai, Priester Gvidonas Dovydaitis, verhörten die Sicher­heitsbeamten in separaten Autos und entließen sie mit dem Befehl, nach Hause zu fahren. Manche von ihnen brachten sie sogar bis zum Autobus­bahnhof.

Um etwa 12 Uhr begab sich eine kleine Gruppe Gläubiger und Priester mit Blumen in den Händen in die Nähe des Gerichtspalastes, ohne daß sie jemand besonders gestört hätte. Plötzlich umzingelte sie eine nicht geringe Schar von Milizmännern, die sie zwang, in einen in der Nähe stehenden Autobus einzusteigen. Von den Fenstern der Staatsbibliothek aus schauten die Leute mit Verwunderung zu. (Später wurde angeordnet, die Leser nicht an die Fenster zu lassen). Der Einwohner von Klaipėda, Alvydas Vainoras, entschlüpfte den Händen der Milizmänner und lief davon, später wurde er aber wieder gefangen und mit 10 Tagen Arrest bestraft. Die Festgenomme­nen wurden in Milizautos verteilt, ihre Dokumente wurden sorgfältig ge­prüft; jene, die keine Ausweise bei sich hatten, brachten die Milizmänner in die Milizabteilung des Leninrayons, um ihre Personalien festzustellen, wo außer den Milizmännern auch die Mitarbeiter des KGB ihre Personalien »klärten« und sie verhörten. Aus einem der Autos wurde die Einwohnerin von Kaunas, Bernadeta Mališkaitė, geladen und in die Milizabteilung des Leninrayons gebracht, wo sie des Rowdytums beschuldigt wurde. Vom Si­cherheitsdienst ausgesuchte Zeugen behaupteten lügenhaft, daß sie in den Saal einzudringen versucht habe; sie hätte den Milizmännern nicht gehorcht, unzensiert geredet, usw. Man gab ihr 10 Tage Arrest. Die restlichen, etwa 20 Personen, setzten die Milizmänner nach der Klärung der Personalien in einen Autobus, fuhren sie in die Wälder von Pirčiupys hinaus (etwa 50 km Entfernung) und ließen sie frei. Im Autobus befanden sich auch die Priester Jonas Matulionis, Jonas Kauneckas und Rokas Puzonas. Die Festgenomme­nen beteten den ganzen Weg laut den Rosenkranz, den sie im Wald kniend beendeten. Kaum hatten sie die Straße erreicht, hielten sie gleich einen nach Vilnius fahrenden Autobus an und kamen wieder zum Gerichtspalast. Manche von den Beamten lachten darüber, weil die Gläubigen beinahe früher nach Vilnius zurückgekommen waren als sie selber. Am Abend, als sich die Leute entfernt hatten, wurden von der Haltestelle für Oberleitungsbusse »Staatsbibliothek« die Bänke wegtransportiert, damit die zur Gerichtsver­handlung Gekommenen keine Gelegenheit hätten, sich hinzusetzen.

Am 4. Mai wurde weiter nach den Leuten gejagt, die zum Prozeß gegen Priester Alf. Svarinskas gekommen waren. Eine Gruppe von Gläubigen wurde von der Polizei in die Wälder hinter Nemenčine gebracht, um sie dort einzeln (sogar die Mädchen) in einer Entfernung von einigen Kilome­tern nacheinander aussteigen zu lassen; die anderen fuhren sie in die Wälder von Šalčininkai und Rūdininkai, wo man sie auf ähnliche Weise verteilte. Nach dem Verlassen des Gerichts am Abend erzählte die Schwester des Priesters Alf. Svarinskas den Versammelten über den Verlauf der Gerichts­verhandlung, was den Beamten nicht gefiel. Sie fingen deswegen wieder an, die versammelten Menschen zu fangen und auseinanderzujagen. In drei Autobussen brachte man sie alle in die Milizabteilung, wo man sie bis 23 Uhr nachts festhielt.

Zusammen mit den Gläubigen hatten die Beamten auch nicht dazugehörende Menschen, Einwohner von Vilnius, die von dem Prozeß überhaupt nichts wußten und nur zufällig vorbeigegangen waren, in ihre Autos hineingestopft.

Am 5. Mai wurde in Vilnius schon sehr viel über den Prozeß gegen Priester Alf. Svarinskas gesprochen, sogar in Oberleitungsbussen konnte man reden hören: »Was für ein mächtiger Priester! — Die stärksten Kräfte sind gegen ihn zusammengezogen worden! In Vilnius herrscht genau wie in Polen Kriegszustand! Sie haben gegen den Priester keinerlei Beweise, deswegen lassen sie auch die Leute nicht in den Gerichtssaal hinein.« An diesem Tag liefen schon in aller Frühe Haufen von Milizmännern und Sicherheitsbeam­ten auf dem Leninprospekt herum. Um 10 Uhr umzingelte ein Trupp von Milizmännern die Haltestelle »Staatsbibliothek«, und die Oberleitungsbusse begannen durchzufahren, ohne an der Haltestelle anzuhalten. Die Beamten hielten alle an der Haltestelle wartenden Menschen fest und — nachdem man sie ein paar Stunden in den Bussen hatte warten lassen — fuhr man sie in die Nähe von Dubingiai (etwa 50 km weit). Um etwa 11 Uhr begann die Jagd sogar auf dem Leninprospekt: alle Menschen wurden »eingesammelt« und in Autos gesetzt, gleichgültig, ob sie gerade an einem Automaten für Brausegetränk, an einem Eisstand oder Zeitungskiosk usw. gestanden hatten. Ein altes Mütterchen, das man zu einem Milizauto führte, jammerte: »12 Jahre lang bin ich nicht mehr in Vilnius gewesen, heute bin ich wieder ge­kommen, und sie haben mich verhaftet. Ist es schon verboten, nach Vilnius zu fahren?« Die anderen machten Spaß: »Es ist verboten, Mütterchen!« Ein Mitarbeiter eines Ministeriums sagte, daß er um 12 Uhr im Ministerium sein müsse, die Beamten aber lachten darüber und reagierten nicht auf seine Bitten, ihn freizulassen. Zusammen mit den anderen wurde auch der Neffe des Priesters Alf. Svarinskas festgenommen, der auf dem Leninprospekt auf seine aus dem Gerichtssaal kommende Mutter gewartet hatte. Die Festge­nommenen wurden in die benachbarten Höfe geführt und dort von den Sicherheitsbeamten und Milizmännern aussortiert. Alle, die zum ersten Mal hineingeraten waren, wurden bis nach Dubingiai gefahren und dort freige­lassen. Unter ihnen war auch der Neffe des Priesters Alf. Svarinskas. (Die Mutter suchte bis spät am Abend nach ihm alle Milizabteilungen von Vil­nius ab. In der Milizabteilung im Leninrayon ging sie in das Arbeitszimmer eines Beamten, der für die Strafen und Arresttage zuständig ist, wo sie aber mit Gewalt hinausgejagt wurde). Leute, die man zum zweiten oder dritten Mal erwischt hatte, wurden in die Milizabteilung des Leninrayons gebracht. Dort wurden sie verhört und später mit Geldstrafen oder Arresttagen be­straft. Mit je 50 Rubel wurden bestraft: der Priester Antanas Lukošaitis, der Einwohner von Garliava, Saulius Kelpša, die Einwohnerin von Kaunas, Kleopą Būdvytytė, und noch andere. Den Einwohner von Garliava, Arūnas Rekašius, bestrafte man mit 10 Tagen Arrest.

Die Priester Rokas Puzonas, Algimantas Keina, Edmundas Paulionis, Ka­zimieras Žemėnas, Kęstutis Daknevičius und andere wurden von den Be­amten in die Milizabteilung des Leninrayons gebracht, wo sie von den Tschekisten verhört, belehrt und bis 15 Uhr festgehalten wurden, dann ent­ließ man sie. Kaum hatte die Miliz einige der Priester freigelassen, kehrten diese wieder zu den Leuten zurück, die die ganze Zeit auf der Straße standen, obwohl sie sich dort nicht einmal anlehnen konnten. So wurden der Priester Jonas Matulionis und der Priester Juozas Razmantas sogar fünfmal ange­halten.

Am 6. Mai wiederholte sich alles wieder. Gläubige, die sich auf dem Lenin­prospekt befanden, sogar jene, die nur auf den Bänken saßen, wurden laut lügenhaft des Schwarzhandels beschuldigt; die Beamten der Miliz und die Tschekisten steckten sie in ihre Autos und fuhren sie in die Milizabteilungen. Mit je 5 Tagen Arrest wurden in der Milizabteilung bestraft: die Einwoh­nerin von Kapsukas Janina Judikevičiūtė, die Einwohnerin von Kaunas Teresė Mačiokaitė und die Einwohnerin von Vilnius Roma Tamašauskaitė.

Vom 3. bis 6. Mai trafen nicht wenige Priester aus verschiedenen Ecken Litauens beim Gerichtspalast ein und baten um Einlaß in den Saal. Außer den oben schon genannten waren noch folgende Priester gekommen: Leonas Kalinauskas, Juozas Zdebskis, Kazimieras Žilys, Jonas Zubrius, Jonas Lau-riūnas, Valentinas Šikšnys und andere.

Die veranwortlichen Mitarbeiter des Rayons telefonierten andauernd mit den Priestern Kęstutis Daknevičius, Algirdas Pakamanis, Julijonas Miškinis und anderen und verlangten von ihnen, an den Tagen vom 3. bis 5. Mai zu Hause zu bleiben, weil eine Kommission an diesen Tagen zu ihnen kom­men würde. Andere ebenso aktive Gläubige wurden mit ebenso fadenschei­nigen Argumenten an der Arbeit festgehalten, nur damit sie nicht zu der Gerichtsverhandlung hingehen konnten.

Die Gerichtsverhandlung führte der Stellvertreter des Vorsitzenden des Obersten Gerichts der LSSR Ignotas; der Staatsanwalt war Bakučionis, die Sekretärin Čaikauskaitė. Der Priester Alf. Svarinskas wurde wegen Predigten antisowjetischen Charakters, wegen der Organisation des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen wie auch wegen des Schreibens, des Vertreibens und der Übergabe seiner Dokumente an das Ausland beschuldigt. Während des Prozesses wurde gesprochen, daß es etwa 200 seiner Predigten geben soll, die aufgenommen wurden und von denen 18 Stück antisowjetischen Charakters seien. Als antisowjetisch wurden alle jene Predigten betrachtet, in denen Priester Alf. Svarinskas über die Be­raubung der Kirchen, die Ermordung von Priestern und die Schändung des Allerheiligsten Altarsakramentes in Pagramantis, Veiviržėnai und Viduklė gesprochen hatte; als antisowjetisch wurden auch die Aufforderungen des Priesters Alf. Svarinskas betrachtet, den Sonntag zu heiligen und am Sonntag nicht zu arbeiten, ferner die Einladung, für die Glaubensfreiheit zu beten und das Organisieren gewisser Gebetsaktionen in Žemaičių Kalvarija und Šiluva. (Es scheint, daß dem Sicherheitsdienst die Menschenmengen, die mit einem Priester voran auf Knien um die Kirche gingen, sehr mißfallen hatten).

Nur ein einziger Gläubiger wurde als Zeuge vorgeladen, über die Predigten des Priesters Alf. Svarinskas auszusagen. Alle anderen Personen, die über den antisowjetischen Charakter der Predigten des angeklagten Priesters aus­sagten, waren Mitarbeiter des KGB oder der anderen Behörden. Sie wollten die Predigten des Priesters Alf. Svarinskas nur durch Zufall gehört haben, hatten aber alle ein Magnetophongerät dabei gehabt und die Predigt gleich aufgenommen. Sie hatten sich also darauf vorbereitet; das heißt doch, daß sie dem Priester Alf. Svarinskas von vornherein feindlich gesinnt waren. Nach allen Rechtsnormen aber dürfen voreingenommene Personen wegen Befangenheit nicht als Zeugen auftreten. Dies hat das Oberste Gericht völlig außer Acht gelassen. Im Saal waren ständig dieselben lügnerischen Aussagen der Zeugen zu hören: »Als wir ganz zufällig auf dem Kirchhof so viele Leute sahen, gingen wir hin, um zu schauen, was dort los sei: Wir sahen einen Priester, der predigte. Später erfuhren wir, daß es sich um den Priester Alf. Svarinskas handelte. Wir haben seine Predigt auf Magnetophonband auf­genommen und sie zu Hause noch einmal angehört. Danach schickten wir sie an die entsprechenden Behörden mit der Bitte, den Priester zur Ordnung zu bringen.«

Da alle Zeugen sehr leise redeten, konnten die im Saal Anwesenden nur wenig verstehen.

Das Gericht stellte fest, daß der Priester Alf. Svarinskas die Gläubigen gegen die sowjetische Regierung aufgehetzt und sie aufgefordert habe, die so­wjetischen Gesetze nicht einzuhalten; er habe sie sogar direkt zum offenen Kampf gegen die Regierung aufgerufen. Dabei waren aber weder die Zeugen noch der Staatsanwalt während der Verhandlung in der Lage, auch nur ein einziges antisowjetisches Zitat aus den Predigten des Priesters Alf. Svarins­kas vorzubringen. Nur einige Formulierungen wurden als antisowjetisch an­gesehen, z. B. »Wir wollen alle für die geistige Wiedergeburt Litauens kämpfen«, »In Litauen sind der Kirche Hände und Füße gefesselt« (Hier spricht Priester Alf. Svarinskas darüber, daß der Religionsunterricht ver­boten ist).

Als einziger Zeuge, der dem Priester Alf. Svarinskas zugetan war, wurde nur der Priester Sigitas Tamkevičius vorgeladen.

»Ich dürfte im Grunde gar keinen Zeugen machen; es ist nämlich eine Ver­spottung meiner selbst, wenn ich als Priester als Zeuge gegen einen Priester auftrete. Ich kann nur als Angeklagter neben dem Priester Alf. Svarinskas sitzen. Das wäre eine Ehre für mich. Aber ungeachtet aller Bedenken bin ich gerne bereit, dem Gericht wertvolle Informationen über die Person und die Tätigkeit des Priesters Alf. Svarinskas zu liefern«, sagte Priester Sigitas Tamkevičius. »Über die Tätigkeit des Priesters Alf. Svarinskas kann ich aussagen, daß er öffentlich gearbeitet hat; die Tätigkeit des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen stand in vollem Einklang mit der Verfassung der UdSSR, mit den Beschlüssen von Helsinki und mit der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte. Sie war außer­dem nützlich nicht nur für die Gläubigen, sondern auch für die sowjetische Regierung und zwar in dem Sinne, daß sie dadurch viele Informationen bekam über Benachteiligungen der Gläubigen und Gesetzesverletzungen.«

»Wer hat Ihnen das moralische Recht gegeben zu beurteilen, wo eine Ver­letzung der Gesetze vorliegt?«, fragte der Richter den Zeugen. Darauf er­klärte der Priester S. Tamkevičius, daß jeder Mensch einen Verstand und ein Gewissen habe, die es ihm ermöglichen, die Gerechtigkeit von der Unge­rechtigkeit zu unterscheiden. »Außerdem«, fuhr Priester .S. Tamkevičius fort, »stimmt das ganze gläubige Volk der Tätigkeit des Komitees zu, und beinahe alle Priester Litauens wie auch Bischof Vincentas Sladkevičius gaben ihre Unterschrift für Priester Alf. Svarinskas; damit charakterisieren sie ihn positiv und forderten seine Freisprechung. Tausende von Gläubigen (etwa 55 000 — Red.) haben sich an die sowjetische Regierung gewandt und sie gebeten, den Prozeß gegen Priester Alf. Svarinskas abzubrechen. Das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen wurde offiziell von der sowjetischen Regierung nicht gemeldet.«

Hier mischte sich der Staatsanwalt Bakučionis dazwischen: »Sowohl Sie, wie auch Alf. Svarinskas sind von der Staatsanwaltschaft der LSSR offiziell verwarnt worden«, — »Ich bin nicht der Meinung, daß das eine offizielle Verwarnung gewesen ist, weil ich sie nicht schriftlich bekommen habe«, — erwiderte Priester S. Tamkevičius.

»Man darf Priester Alf. Svarinskas nicht der Verbreitung von Verleumdun­gen und Erdichtungen beschuldigen, weil er die Wahrheit und nur die Wahr­heit überall sagte; wenn diese Wahrheit aber jemandem in die Augen sticht, dann ist nicht der Priester Alf. Svarinskas daran schuld. Eine so edle Per­sönlichkeit macht sich keines Vergehens schuldig; die Rechte der Gläubigen zu verteidigen ist kein Verbrechen.« Seine Aussagen zu unterschreiben, wei­gerte sich Priester S. Tamkevičius, weil die Freunde des Priesters Alf. Sva­rinskas, die Priester und die Gläubigen zu der öffentlichen Gerichtsverhand­lung nicht zugelassen wurden, sondern in einer Entfernung von 200 m vor dem Gerichtssaal auf der Straße frieren mußten, und weil außerdem etwa 20 von ihnen von den Milizmännern auf der Straße angehalten und in die Wälder von Pirčiupis hinausgefahren wurden... »Ein anständiger Mensch tut so etwas nicht einmal mit einer nichtsnutzigen Katze«, sprach der Priester S. Tamkevičius (die Zeugenaussage ist nacherzählt).

Nach der Befragung der Zeugen wurden die schriftlich eingereichten Aus­sagen jener Zeugen bearbeitet, die nicht zur Verhandlung gekommen waren, wie auch die Dokumente des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen. Als besonders gefährlich und verleumderisch be­trachtete das Gericht die Erklärung des Komitees der Katholiken zur Ver­teidigung der Rechte der Gläubigen an die internationale Konferenz der UNESCO über die Lage der gläubigen Kinder in Litauen und das Dokument Nr. 5, das 522 Priester unterzeichnet haben. »Der Priester Alf. Svarinskas und seine Verbündeten haben die Priester aufgewiegelt, die sowjetischen Gesetze zu mißachten«, hieß es vor Gericht. Diese Dokumente wurden als Hauptverbrechen des Priesters Alf. Svarinskas betrachtet.

Das Anklagematerial gegen Priester Alf. Svarinskas umfaßte 17 Bände. Einer der Tschekisten verplapperte sich gegenüber dem Priester S. Tam­kevičius, daß seine Akten 25 Bände umfassen würden.

Während der Gerichtsverhandlurng wurde erst klar, daß fast kein Dokument des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen die Adressaten erreicht hatte, sondern im Safe des KGB gelandet war und nun den Gerichtsakten beigefügt wurde. Das Gericht fälschte bei der Be­arbeitung der Dokumente die jeweilige Situation und die Tatsachen. Ein Beispiel: Der Priester Alf. Svarinskas soll an dem Prozeß gegen die Mörder des Priesters Leonas Šapoka teilgenommen haben; in den Dokumenten habe er aber geschrieben, daß die sowjetischen Beamten sich nicht bemühten, die Verbrecher zu finden. Letzteres schrieb aber das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen (nicht der Priester Alf. Sva­rinskas allein), noch bevor die Verbrecher gefunden wurden. Die Erklärun­gen der Priester veranlaßten nämlich die Beamten zur fleißigeren Suchaktion. Die »Beweise« über die Verbindungen des Priesters Alf. Svarinskas zum Ausland sind einfach lächerlich. Das Gericht brachte keinen einzigen Beleg dafür, daß der Priester Alf. Svarinskas die Dokumente ins Ausland über­geben hatte. Als Beweis führten sie an, daß im Gepäck des Priesters Valde­maras Cukuras aus den USA im Zollamt einige der Dokumente gefunden worden waren. Der Priester Cukuras hat damals aber nicht angegeben, von wem er die Dokumente bekommen hatte. Das konnte auch die Schwester des Priesters V. Cukuras nicht bestätigen, die als Zeugin vorgeladen war. Also wurde ein Unbekannter, A. Znamenskis, als Zeuge vorgeladen, der bezeugte, gesehen zu haben, wie der Priester Alf. Svarinskas die Dokumente übergeben hätte. Das genügt dem Gericht als Beweis für die Anschuldigung gegen Priester Alf. Svarinskas. Auf die Bitte des Priesters Alf. Svarinskas um eine Gegenüberstellung mit dem Priester V. Cukuras ging niemand ernst­lich ein.

Im Verlauf einer Durchsuchung vor einigen Jahren wurden bei Priester Alf. Svarinskas Fotokopien des Bulletin von Welikanowa und »Kontinent« ge­funden. Genau dieselben Fotokopien wurden auch beim Priester Gustavas Gudanavičius gefunden, — und das war für das Gericht schon ein Beweis, daß der Priester Alf. Svarinskas antisowjetische Veröffentlichungen verbreitet hat.

Während des Ermittlungsverhörs wurde festgestellt, daß der Priester Alf. Svarinskas eine Erklärung geschrieben habe, um die ihn die Jugend ge­beten und für die sie Tatsachen geliefert hatte. Das Gericht zog daraus den Schluß: »Alf. Svarinskas schuf die Dokumente meistens selbst und adres­sierte sie an sich selber.«

Das Ermittlungsverfahren gab dem Gericht im allgemeinen gewisse Rätsel auf: Der Priester Alf. Svarinskas antwortete auf manche Fragen vor dem Gericht anders als während des Ermittlungsverfahrens. Als der Richter ihn fragte, warum seine Antworten von damals und jetzt nicht einheitlich seien, erklärte Priester Alf. Svarinskas, daß er manchmal wegen der unmensch­lichen Hitze in der Zelle die Lage der Dinge nicht mehr begriffen habe und selber nicht wußte, was er redete.

Der Staatsanwalt Bakučionis unterstützte in seiner Rede die Anklage des Gerichts und verlangte für Priester Alf. Svarinskas gemäß § 68 Teil I. des StGB der LSSR sieben Jahre Lager mit strengem Regime und fünf Jahre Verbannung. Der Priester Alf. Svarinskas betrat jedesmal mit einem Lächeln, aufrecht und tapfer, den Saal.

In seiner Verteidigungsrede sagte der Priester Alf. Svarinskas: »Am Sonntag wird die Ablaßfeier der Auffindung des heiligen Kreuzes gefeiert und ich werde auf meinem Weg nach Golgotha dabei sein.«

Er erklärte dem Gericht, daß er während seiner ganzen Tätigkeit nur für die Einhaltung der Gesetze gekämpft habe. Er nannte eine ganze Reihe von Tatsachen, aus denen man ganz klar ersehen konnte, daß die Kirche in Litauen gefesselt ist und daß mit groben Gewaltmaßnahmen gegen sie ge­kämpft wird. »Die Gläubigen, und besonders oft die Eltern der Schüler, wenden sich an die Priester mit der Bitte, sie vor Verfolgungen zu schützen«, sagte Priester Alf. Svarinskas. »Es würde kein Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen geben, wenn die Gläubigen nicht diskriminiert würden. Sowohl in den Zeitungen, als auch in Rundfunk und Fernsehen, in den Schulen und anderswo werden die Gläubigen ständig angegriffen und verspottet. Warum müssen wir dann schweigen?« fragte der Priester Alf. Svarinskas das Gericht. Priester Alf. Svarinskas bedauerte in seiner Rede, daß die Dokumente des Komitees der Katholiken zur Vertei­digung der Rechte der Gläubigen, die an verschiedene Behörden geschrieben waren, die Adressaten nicht erreichten oder nicht bearbeitet wurden, sondern gleich dem KGB als Anklagematerial übergeben wurden. Der Angeklagte sprach nicht wenig über die schwere Lage des einzigen Priesterseminars in Litauen zu Kaunas und über den Priestermangel. Auf die vom Staatsanwalt oder vom Richter gestellten Fragen antwortete Priester Alf. Svarinskas um­fassend, ausführlich und zielsicher und widerlegte ihre ungerechten An­schuldigungen. Bei der Beantwortung der Frage des Staatsanwaltes, warum der Angeklagte den Bischof Julijonas Steponavičius verteidigt habe, sprach der Priester Alf. Svarinskas viel und sehr schön über den in der Verbannung lebenden Bischof und erinnerte daran, daß der genannte Bischof ohne jede Schuld verbannt sei und man nicht wüßte, ob er sein Bischofsamt jemals wieder werde ausüben dürfen.

In der Rede über die Einschränkung der religiösen Presse führte er dem Gericht vor, wieviele Gebetbücher oder Katechismen herausgegeben wurden und wieviele jede einzelne Pfarrei nur bekommen habe. Er betonte dabei, daß nur ein kleiner Teil der Gläubigen damit versorgt wurde; alle anderen herausgegebenen Bücher seien aber nur für die Priester bestimmt gewesen. Ausführlich sprach der Priester Alf. Svarinskas in seiner Rede über die moralische Fäulnis, die sich immer weiter in unserem Volke ausbreitet: den Alkoholismus, die Tötung der ungeborenen Kinder usw.

Drei Mal versuchte der Richter die Verteidigungsrede des Angeklagten zu unterbrechen, aber der Priester Alf. Svarinskas bat ihn, er möge ihn wenig­stens vor seinem Tod ohne Unterbrechung ausreden lassen: »Es wird nicht mehr nötig sein, mich noch einmal zu verurteilen. Ich werde Ihnen ohnehin noch einiges schuldig bleiben, denn ich glaube nicht, daß ich die ganze Straf­zeit noch abbüßen kann. Ihr fürchtet Euch vor mir?! Ist es denn möglich, daß ich mit leeren Händen (Sie haben mir sogar meinen Rosenkranz weg­genommen) Eueren mächtigen Panzer vernichten könnte? Seit dem 26. Ja­nuar bin ich eingesperrt, und die Menschen, die die Wahrheit auf meiner Seite sehen, versammeln sich auf der Straße, wo man ihnen nachstellt und sie in die Wälder hinaustransportiert. Ich sehe keinen Freund oder Be­kannten im Saal«, sagte Priester Alf. Svarinskas. Die Verteidigungsrede dauerte 1,5 Stunden. (Die Rede ist nacherzählt — Red.)

Die Schwester des Priesters Alf. Svarinskas notierte sich die Namen der »Zeugen« auf, aber als sie den Saal verließ, führten sie die Sicherheitsbeam­ten in ein Arbeitszimmer des Gerichts und nahmen ihr die Notizen weg.

Ergänzungsfragen stellte das Gericht dem Angeklagten keine mehr. Auf das letzte Wort verzichtete Priester Alf. Svarinskas mit der Begründung, daß er in der Verteidigungsrede alles gesagt habe.

Am 6. Mai um 15 Uhr wurde das Urteil verlesen; das anzuhören wurden die Priester S. Tamkevičius und Jonas Kauneckas in den Saal geladen. Das Gericht verkündete, daß der Priester Alf. Svarinskas zu 7 Jahren Lager mit strengem Regime und 3 Jahren Verbannung verurteilt sei und übergab gleichzeitig den Priester Sigitas Tamkevičius der Staatsanwaltschaft.

Zu einem Wiedersehen mit seiner Schwester nach der Gerichtsverhandlung kam Priester Alf. Svarinskas mit einem Lächeln, er bat sie, allen zu danken, die für ihn gebetet hatten, besonders dankbar sei er S. Eminenz dem Kardi­nal Josyf Slipyi für seine herzlichen Worte des Mitgefühls.

*

An den Obersten Staatsanwalt der LSSR

 

Am 3. Mai des Jahres begann die Gerichtsverhandlung gegen den Pfarrer von Viduklė, Priester Alfonsas Svarinskas. Den Priestern und den Gläubi­gen, die zu der Gerichtsverhandlung gekommen waren, zog eine Menge Milizmänner entgegen. Sie ließen die Leute nicht nur nicht in den Gerichts­saal hinein, sondern erlaubten ihnen nicht einmal, auch nur in die Nähe des Gerichtspalastes zu kommen. Mit Drohungen und mit Gewalt drängte die Miliz die Leute sogar bis zum Leninprospekt zurück. Jene aber, die versuchten, sich zu nähern, nahmen sie fest und schoben sie grob in ein Auto hinein. Sie nahmen den Priester J. Razmantas, den Priester J. Matulionis, den Priester V. Stakėnas, den Priester J. Kauneckas und andere fest, obwohl diese ganz ruhig dagestanden hatten.

Eine Gruppe der festgenommenen Gläubigen, etwa 20 Personen, setzten sie in ein Auto, fuhren los und ließen sie erst wieder in einem Wald frei, der in Richtung Varėna 41 km entfernt ist...

Wir protestieren gegen eine solche Erniedrigung der Menschen. Das ist ein­mal mehr eine klar demonstrierte Diskriminierung der Gläubigen.

Am 4. 5. 1983.

Kavaliauskaitė        Vazgelevičiūtė

Mačiokaitė        Meškauskaitė

Vitkauskaitė        Priester S. Tamkevičius

Navickaitė        Saukienė

Valaitytė        Ragaišienė

Banevičiūtė        Kuodytė

Gajauskaitė        Kelpšas S.

Lapienienė        Gavėnaitė

Šakalienė        Dubauskaitė

Lapienis        Cidzikas

Judikevičiūtė        Priester J. Razmantas

Buliauskaitė        Šupenytė

Petkevičienė        Vinclovas

Vitkauskaitė B.        Sakavičius

Kryževičienė        Raižytė

Mištautas        Truskauskaitė

Priester J. Kauneckas        Priester Daknavičius

Šarakauskaitė        Priester Bulota

Stanelytė        Šupenienė

Umrasaitė        Grabliauskaitė

(Andere Unterschriften sind unleserlich) Insgesamt unterzeichneten einundsiebzig Personen.