An die Redaktion der »Tiesa«

Abschriften: an Ihre Exzellenzen, die Bischöfe Litauens und an die Verwalter der Diözesen

Verehrte Redaktion, ich nehme die Rede- und Pressefreiheit in Anspruch, die durch den Artikel 50 der Verfassung der UdSSR garantiert wird und bitte Sie, diese meine öffentliche Erklärung zu publizieren:

Offener Brief an die Korrespondentin Mockuvienė

Verehrte Korrespondentin, als ich Ihren Artikel »In einer Hand den Rosen­kranz, in der anderen einen Prügel«, veröffentlicht in der »Tiesa« (»Die Wahrheit«) am 3. 12. 1983, durchgelesen hatte, wunderte ich mich über seine unverkennbare Absicht. Ziel dieses Artikels kann nur sein, die Öffent­lichkeit falsch zu informieren, indem man einen eifrigen Priester verleumdet und die Vergehen der Atheisten Litauens rechtfertigt.

Man muß zugeben, daß es Ihnen wirklich gelungen ist, für diesen Artikel den richtigen Titel zu finden: »In einer Hand den Rosenkranz, in der an­deren einen Prügel«. Wenn auch mit der Absicht, Priester S. Tamkevičius zu erniedrigen, haben Sie doch ungewollt ganz genau die positiven Eigen­schaften seines Charakters herausgestellt: seine priesterliche Frömmigkeit und seine Unerschrockenheit im Kampf für die Wahrheit.

Der Priester S. Tamkevičius hat wahrhaftig einen Prügel, aber nicht in der Hand, sondern in seinem Herzen; damit hat er auf unsere Atheisten ziemlich eingeschlagen, als er die Rechte der Gläubigen verteidigte. Es ist dies kein materieller Prügel, sondern ein geistiger, der Prügel der Wahrheit, der nicht gegen die Staatsordnung und nicht gegen die gerechten Gesetze gerichtet ist, sondern gegen die Willkür der Atheisten, mit der sie durch die Diskri­minierung der Gläubigen die sowjetischen und internationalen Gesetze ver­letzen.

Unsere Atheisten wenden Gewalt an, weil sie unfähig sind, gegen ihre ideolo­gischen Feinde mit ideologischen Waffen zu kämpfen. Auch gegen Priester S. Tamkevičius gingen sie mit einem durchaus physischen Prügel vor: 6 Jahre Lager und 4 Jahre Verbannung. Derselbe Prügel traf schon etwas früher Priester Alf. Svarinskas. Dies alles aber macht weder dem Gericht, noch den Atheisten Litauens Ehre. Die grausame Verurteilung zweier Priester hat dem Ansehen der UdSSR sowohl im Ausland als auch in Litauen mehr ge­schadet als die Tätigkeit dieser Priester selbst.

Wir wollen jetzt nachschauen, welche sowjetischen Gesetze der Priester S. Tamkevičius verletzt hat:

Uber die Rechte der Bürger wird in der Verfassung der UdSSR folgendes geschrieben:

Artikel 34: »Die Bürger der UdSSR sind unabhängig von der Herkunft, der sozialen Stellung und der Vermögenslage, der rassischen und nationalen Zu­gehörigkeit, dem Geschlecht, der Bildung, der Sprache, dem Verhältnis zur Religion, der Art und dem Charakter der Arbeit, dem Wohnort und an­deren Umständen vor dem Gesetz gleich.«

Artikel 50: »Den Bürgern der UdSSR wird die Redefreiheit, die Presse­freiheit, die Versammlungs- und Kundgebungsfreiheit, die Freiheit der Stra­ßenumzüge und die Demonstrationsfreiheit garantiert.«

Artikel 52: »Den Bürgern der UdSSR wird Gewissensfreiheit garantiert, das heißt das Recht, sich zu einer beliebigen oder keiner Religion zu beken­nen, religiöse Kulthandlungen auszuüben oder atheistische Propaganda zu betreiben. Das Schüren von Feindschaft und Haß im Zusammenhang mit religiösen Bekenntnissen ist verboten.«

»In der UdSSR sind die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt.«

Artikel 173: »Die Verfassung der UdSSR besitzt höchste Rechtskraft. Alle Gesetze und anderen Akte der Staatsorgane werden auf der Grundlage und in Ubereinstimmung mit der Verfassung der UdSSR erlassen.«

Die Regierung der Sowjetunion hat außerdem einige internationale Ab­kommen unterzeichnet, z.B. die Erklärung der Menschenrechte der Ver­einten Nationen, die am 10.12.1948 angenommen wurden. In dieser Er­klärung wird gesagt: Artikel 18 »Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugungen allein oder in der Gemeinschaft mit an­deren, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottes"-dienst und Vollziehungen von Riten zu bekunden.«

Artikel 19 »Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und In­formationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.«

Jetzt erhebt sich die Frage: Welches von diesen schon genannten Gesetzen oder welches andere hat Priester S. Tamkevičius verletzt, daß er dafür so grausam bestraft wurde?

Sie schreiben daß Priester S. Tamkevičius gemäß § 68 Teil I. des StGB der LSSR wegen antifaschistischer Agitation und Propaganda bestraft wurde. Aber welches Vergehen hat er in Wirklichkeit begangen?

Sie schreiben: »Sigitas Tamkevičius verletzte während seiner Tätigkeit als Priester an verschiedenen Orten der Republik die sowjetischen Gesetze. Seit dem Jahr 1971 wurden ihm wegen des Organisierens verschiedener Prozes­sionen, wegen Gruppenunterricht bei Kindern, wegen des Schreibens von Erklärungen verleumderischen Inhalts wie auch wegen des Sammeins der Unterschriften in der Kirche unter dieselben, außerdem wegen Veranstaltun­gen, die nicht in Verbindung mit religiösen Andachten vorbereitet wurden, insgesamt zwölf Ermahnungen erteilt.«

Der Priester S. Tamkevičius hat darüber hinaus, noch ein weiteres, Ihrer Anschauung nach grausames Vergehen begangen: Er veranstaltete auf dem Kirchhof für die Kinder ein Weihnachtsbaumfest!

Wegen solcher Vergehen wurde also der Priester S. Tamkevičius bestraft: wegen seiner unmittelbaren Aufgaben als Priester — wegen Katechismusun­terricht bei Kindern, wegen Beerdigungs- und Allerseelenprozessionen zum Friedhof, wegen des Organisierens einer Weihnachtsbaumfeier, bei der sich der Weihnachtsmann mit den Kindern über Fragen des Glaubens und der christlichen Sittlichkeit unterhalten und kleine Geschenke an sie verteilt hat.

Außerdem wurde Priester S. Tamkevičius bestraft, weil er Erklärungen an die Regierungsbeamten geschrieben und Unterschriften gesammelt hat im Zusammenhang mit der Verteidigung der Rechte der Gläubigen, die seitens der Gottlosen diskriminiert werden; weil er Mitglied des Komitees zur Ver­teidigung der Rechte der Gläubigen war und weil er Nachrichten ins Aus­land übergeben hat. Dies aber sind doch nur Rechte, die die sowjetische Verfassung und die Erklärung der Menschenrechte, deren Artikel ich schon genannt habe, garantieren.

So sieht also bei uns die Gleichheit aller Bürger vor den Gesetzen aus! All diese Rechte haben praktisch nur die Gottlosen. Sie haben die Presse, den Rundfunk, das Fernsehen, die Kundgebungen, die Straßenumzüge zur Ver­fügung. Die Erziehung der Kinder ist, auch gegen den Willen gläubiger Eltern, atheistisch, angefangen vom Kindergarten bis hin zu all den atheisti­schen Kinder- und Jugendorganisationen in den Schulen, in die einzutreten auch die Kinder gläubiger Eltern mit allen Mitteln gezwungen werden. Die Gläubigen haben das alles nicht. Die Diskriminierung der Gläubigen ge­schieht überall. Die gläubigen Kinder werden in der Schule verspottet, die Lehrer aber verteidigen sie nicht nur nicht, sondern setzen ihnen die Note im Betragen wegen der Kirchenbesuche, besonders aber wegen der aktiven Teilnahme an der Liturgie herab. Kein praktizierender Gläubiger darf eine höhere, vor allem keine führende Stelle einnehmen. Versuchen Sie, verehrte Korrespondentin, nur für eine kurze Zeit eine Gläubige vorzuspielen. Sie werden sofort zu spüren bekommen, was die Gleichheit der Bürger vor den Gesetzen bedeutet. Würden Sie eine Lehrerin sein, und würden Sie sich zutrauen, Ihre religiösen Überzeugungen öffentlich zu zeigen, so würden Sie sofort entlassen, genau so, wie die Lehrerinnen Jasiūnaitė Stasė in Ku­lautuva, Brilienė Ona in Vilkaviškis, Kaušienė in Šiauliai aus der Schule entfernt worden sind. Würden Sie die Vorsitzende eines Kolchos sein, wür­den Sie genauso Ihre Stelle verlieren, wie der beispielhafte Leiter Gražulis Antanas, der Vater einer großen Familie ist.

Als einige eifrigere und mutigere Priester das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen gründeten, wurde ihnen dies als Verbrechen angerechnet. Als die Gläubigen aus Mangel an Presse oder ande­ren Kommunikationsmitteln die Untergrundzeitung »Chronik der LKK« herauszugeben anfingen, um ihre Rechte verteidigen zu können, wurde ihnen dies ebenfalls als Verbrechen angerechnet. Als in dieser »Chronik« re­gistrierte Tatsachen der Diskriminierung einiger Gläubigen das Ausland er­reichten, wurde dies als Herabwürdigung der sowjetischen Ordnung, ja, bei­nahe als Staatsverrat betrachtet.

Gäbe es in Litauen keine Diskriminierung der Gläubigen und wären die Bestimmungen der Verfassung der UdSSR und der Erklärung der Menschen­rechte der Vereinigten Nationen nicht nur leere Worte, sondern Wirklichkeit, dann gäbe es weder das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, noch die »Chronik«; dann würden sich auch solche Prozesse, wie die gegen die Priester Alf. Svarinskas oder S. Tamkevičius, oder ihnen ähnliche Prozesse erübrigen.

Eine derartige Erledigung der eifrigen Priester durch das sowjetische Ge­richt macht unserer Regierung keine Ehre. Das ist doch eine direkte Verfol­gung der Priester wegen der Erfüllung ihrer einfachsten Pflichten. Die Kate­chese bei Kindern ist doch die wichtigste Pflicht eines Priesters. Jeder ge­wissenhafte Priester begreift das und geht ihr mit größtem Eifer nach. Wir sehen doch, daß weder die sowjetische Verfassung noch die Erklärung der Menschenrechte es verbieten, in den Religionswahrheiten zu unterrichten. Das verbieten nur die »Religiösen Bestimmungen«, die sowohl der Verfas­sung als auch der Erklärung der Menschenrechte und auch den Kanones der Kirche widersprechen. Mehr als 500 Priester und zwei Bischöfe Litauens haben sich in ihrer Erklärung an die Regierung gegen diese religiösen Be­stimmungen ausgesprochen. Es ist sehr schade, daß die Regierung diese Erklärung der Priester unbeachtet ließ.

Die Anstrengungen der Regierung, das Volk mit allen Mitteln atheistisch zu machen, sind uns unverständlich und machen uns Sorge. Die Vergangen­heit lehrt doch, daß die Sittlichkeit ihre Grundlage verliert, wenn man den Glauben wegwirft. Das sehen wir heute schon: Alkoholismus, Ehescheidun­gen, Jugendkriminalität sogar schon im schulischen Alter verbreiten sich sehr stark. Brüder Atheisten, wohin führt ihr unser Volk. S.O.S.

 

Žagarė, am 30. 1. 1984.        Priester G. Gudanavičius

*

Offener Brief an S. Mockuvienė

Abschriften: an die Redaktionen der »Tiesa« und »Komjaunimo tiesa«

Schrecklich ist der Rosenkranz, die Wahrheit ist aber schrecklicher als ein Prügel

Sie schreiben, daß »S. Tamkevičius wiederholt behauptete: >Mich inter­essieren nur rein kirchliche Sachen, die politischen sind mir fremd.< Wenn es wirklich so gewesen wäre, dann wäre Priester S. Tamkevičius nicht auf der Anklagebank gelandet. (...) Unter der Maske und dem Amt eines Priesters arbeitete er eigens und nachdrücklich gegen die staatliche Ordnung.«

Weiter zeigen Sie konkret, wegen welcher »politischen Vergehen« der Priester verurteilt wurde: wegen des Organisierens der religiösen Prozessio­nen, wegen Katechismusunterricht bei Kindern, wegen Vorbereitung eines Weihnachtsbaumfestes, wegen der Protesterklärungen gegen das Toben der Gottlosen.

Die hier genannten »Vergehen« des Priesters begleiten Sie mit einem Seufzer tiefer Entrüstung: »Viel Geduld und Ausdauer haben die Ortsverwaltungs­organe lange Zeit aufbringen müssen, um die Provokationen dieses frechge­wordenen Geistlichen zu ertragen.«

Sie ahnen nicht einmal, daß Sie selbst über die Moral der zivilisierten Men­schen spotten und sie streng verurteilen, indem Sie diese Entrüstung aus­sprechen. Eine ähnliche Aktivität eines Priesters wird doch in jeder demo­kratischen Gesellschaft nicht nur nicht verurteilt, sondern erntet die Zustim­mung der breiten Gesellschaft. So eine Zustimmung zeigte auch unsere breite Gesellschaft, als sie aus Protest gegen die unberechtigten Anschuldigungen der Priester S. Tamkevičius und Alf. Svarinskas ihre eigene Zukunft aufs Spiel setzte: etwa 123 000 Bürger wagten es zu unterzeichnen. Sie dagegen versuchen mit Ihrem barbarischen Artikel allen die »Gesetze« des Dschungel­lebens aufzuschwatzen. Und so etwas geschieht in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts!

Ganz unnötig entrüsten Sie sich auch deswegen, weil die Gläubigen sich bemühen, das ihrem Priester widerfahrene Unrecht gutzumachen, indem sie innerhalb von drei Tagen die zehnfache Summe der Auslagen zusam­menzubringen, die die Atheisten ihm wegen einer religiösen Prozession entrissen haben. Das sind keine naiven, sondern kluge und anständige Menschen. Sie begreifen, daß es für den Priester zu viel ist, alle von den Gottlosen zugefügten Ungerechtigkeiten allein zu begleichen. Es ist voll­kommen klar, warum sich Menschen gefunden haben, die mit eigenem Blut die Protesterklärungen unterschrieben haben, als der opferbereite Priester verhaftet wurde. Andere haben sogar gebeten, sie ins Gefängnis zu stecken und den Priester freizulassen. Leider aber bemühen wir uns wahrscheinlich vergebens, Ihnen solche Sachen zu erklären.

Sie weisen darauf hin, daß der Priester S. Tamkevičius in seinen Predigten »behauptete, daß die sowjetische Regierung die Gläubigen verfolge und die gläubige Jugend und die Schülerschaft diskriminiere«. Zur jetzigen Zeit kann man nicht überprüfen, ob der Priester wegen dieser Mißstände ein­zelne Regierungsbeamte oder die Regierung selbst beschuldigte, es ist aber eine unwiderlegbare Tatsache, daß diese seine Behauptungen richtig sind. Wenn wir Sie ersuchen würden, uns wenigstens eine Schule in Litauen zu nennen, in der die gläubigen Schüler nicht verschiedenste Erniedrigungen, Diskriminierungen oder anderen atheistischen Druck erfahren haben, Sie würden keine finden, ohne die Wahrheit zu verletzen. Das bezeugen Tau­sende von Menschen in Litauen, die Protestschreiben unterschrieben haben, und damit ihre gesellschaftliche Stellung aufs Spiel setzten.

Es ist schwer zu sagen, was der Priester S. Tamkevičius meinte, wenn er, wie Sie sagen, »die Jahre der hitlerischen Besetzung mit dem Leben unserer Tage vergleicht«? Es genügt, sich daran zu erinnern, daß die Hitlerleute 300 Litauer aus Litauen in KZs weggebracht haben, die Sowjets dagegen haben nicht weniger als 300 000 Litauer nach Sibirien verbannt und in die Zwangsarbeitslager hineingepfercht (.. .), ganz zu schweigen von den Zehn­tausenden von Jugendlichen und anderen Zivilpersonen, die in den Dörfern, auf den Feldern und in den Wäldern ermordet wurden... — weil sie weder für die Interessen Berlins, noch Moskaus kämpfen wollten, sondern einfach der elterlichen Scholle treu geblieben sind. Die unermeßlichen Schäden an unserem Volke, die die sowjetischen Atheisten angerichtet haben und immer noch anrichten, kann man mit nichts mehr vergleichen: die massenhafte Ver­breitung des Alkoholismus, die Diebstähle, das Rowdytum, das Grauen des Kriminalverbrechertums, Morde, Selbstmorde, Ehescheidungen, Abtreibun­gen, die die Zahl der Geburten übersteigen, ehemalige Klostergebäude voll­gestopft mit Syphiliskranken und Kirchen mit Alkoholgetränken (so wird die »dunkle« Vergangenheit in eine »helle« Zukunft umgewandelt) — ist das nicht alles das Ergebnis des aufgezwungenen sowjetischen Atheismus? In den Jahren der deutschen Besatzung ist man doch noch nicht so weit ge­kommen. Es ist schrecklich, die Wirklichkeit öffentlich beim Namen zu nennen, aber die Wahrheit ist immer noch die Wahrheit. Und es ist nicht recht, die Wahrheit zu verleugnen, auch dann nicht, wenn man ihretwegen im GULAG sterben müßte.

Priester S. Tamkevičius hat vollkommen recht, wenn er es wagt, öffentlich darauf hinzuweisen, daß die sowjetische Presse nur Lüge und Betrug ver­breitet. Das braucht man nicht einmal zu beweisen. Versuchen Sie nur einmal die sowjetische Presse der Jahre 1950, 1960 und 1970 durchzublättern — Sie werden sich überzeugen können, daß die Presse, die denselben Namen trägt, »Tiesa« (litauisch), »Prawda« (russisch), (deutsch beide »die Wahr­heit«), wie auch die anderen, das verurteilt und kritisiert, was vor einem Jahrzehnt im Namen der Wahrheit veröffentlicht wurde. Es wurden Helden gerühmt wie Trotzki, Stalin, Berija, Molotow, Chruschtschow, Lyssenko und andere, später aber wurden sie, einer nach dem anderen, auf den Mist­haufen hinausgeworfen; seinerzeit wurden die Wissenschaften der Kyber­netik und der Genetik scharf angegriffen und verspottet, später aber, als die Gefahr einer ökonomischen Katastrophe drohte, wurde das alles still­schweigend rehabilitiert.

Wenn Priester S. Tamkevičius der gläubigen Jugend geraten hat, den Orga­nisationen der Gottlosen nicht beizutreten, dann müßte jeder anständige Mensch diesen seinen Rat nur begrüßen, denn er lehrt ja nur, nicht zu heu­cheln. Könnten Sie vielleicht sagen, daß eine erzwungene, heuchlerische Teilnahme der gläubigen Jugend an der Tätigkeit der atheistischen Orga­nisationen die Erziehung zu einem pflichtbewußten Bürger fördert?

Sie fragen, was S. Tamkevičius im Sinn habe, »wenn er droht, daß im Volke ein Tumult entstehen wird, wenn die Gläubigen sich benachteiligt fühlen werden?« Haben Sie denn so wenig Kenntnisse der Geschichte, daß nichts einen heroischen Widerstand eines Volkes so erweckt, als ein Angriff auf die ewigen und heiligen Werte des Volkes, zu denen auch die Gewissens­freiheit und die Religion gehören?

Glauben Sie das denn wirklich, wenn Sie sagen, daß im Lande der Sowjets »alle — sowohl die Gläubigen, als auch die Atheisten — gleich sind« usw.? Könnten Sie vielleicht sagen, wieviele gläubige Menschen zu dem Apparat der sowjetischen Regierung gehören? Wieviele von ihnen arbeiten beim

Rundfunk, beim Fernsehen oder in Zeitungsredaktionen, oder welche Leh­rer der sowjetischen Schule dürfen öffentlich die Kirche besuchen?! Höchstens jene noch, die zum Netz der Schnüffler des KGB gehören... Oder die an­deren, die dadurch unausweichlich zu Opfern der atheistischen Regierung wurden, weil sie ihre religiösen Überzeugungen praktizieren, wie es mit den Lehrerinnen Brilienė, Kaušienė und anderen geschehen ist.

Ihre Vorhaltung, daß »solche wie Svarinskas und Tamkevičius die Menschen terrorisieren«, deutet auf ein Hirngespinst hin und betrachtet die Leser als Geisteskranke, die nichts mehr denken und verstehen. Sind denn die 123 000 Menschen, die die Erklärungen unterschrieben haben, in denen verlangt wird, die Priester Svarinskas und Tamkevičius freizulassen, in Wirklichkeit auch nur die Opfer des Terrors dieser Priester? Wer terrorisiert hier wen? Welche Namen müßte man denen geben, die beim Volke so beliebte Priester verhaften, sie heimlich verurteilen und heimlich in Arbeitslager wegschaffen — allein deswegen, weil sie sowohl mündlich als auch schriftlich die Rechte der verfolgten und dem Terror ausgesetzten Gläubigen zu verteidigen wagten?

Sonderbar klingt auch Ihr Geständnis, daß Sie nicht verstanden haben, was »atheistisch sich benehmen« bedeutet. Das wäre der Klage eines Fisches vergleichbar, wenn er nicht versteht, was es bedeutet, im Wasser zu schwim­men. Man kann es aber erklären: Sich atheistisch benehmen, das bedeutet, Gott, die Kirche, die Gläubigen und alles, was ihnen kostbar und heilig ist, zu verachten, mit anderen Worten, ein Handeln an den Tag zu legen, wie Sie mit diesem historischen Artikel. Und die noch aktiveren Atheisten — sie beraubten Kirchen und zünden sie an (so ist es in Batakiai, Gaurė, Sangrūda geschehen), sie schänden das Allerheiligste Sakrament, reißen Kreuze um, zerstören Grabdenkmäler auf dem Friedhof.

Vergebens wundern Sie sich, daß der Priester S. Tamkevičius die Adresse der UNESCO nicht kennt, Sie wissen doch sehr gut, daß keine Beschwerde der Bürger des sowjetischen Imperiums, die an die internationalen Organisatio­nen gerichtet werden, die Adressaten jemals erreichen; deswegen gibt es auch keinen Sinn, die direkt an die Adresse zu schicken. Nur dank der Um­wege, dank der Stimmen der Rundfunkanstalten hören die Adressaten un­seren Schrei. Die Antworten der internationalen Organisationen auf ihre Beschwerden erreichen die sowjetischen Bürger ebenfalls nicht.

Eigenartig, direkt unverständlich klingt die Priester S. Tamkevičius vorge­worfene Anschuldigung wegen dem auf dem Kirchhof aufgestellten Weih­nachtsbaum. Möchten Sie nicht die Entstehungsgeschichte wie auch seine Sinnbildlichkeit durchstudieren? Dann werden Sie nämlich erfahren, daß die Sitte, eine Weihnachtsbaumfeier vorzubereiten, gemeinsam mit dem Weihnachtsfest als ein Bestandteil des Festes nach Litauen gekommen ist. Warum haben die Atheisten das Recht, sie vorzubereiten, die Gläubigen aber nicht?! (Und es wird noch betont, daß es keine Diskriminierung der Gläubigen gibt.) Der Weihnachtsbaum ist eine Veranstaltung des christ­lichen Festes, und nicht eine Maßnahme, die atheistische Sowjetregierung zu stürzen, die das größte Arsenal an Panzern, Raketen und Atombomben besitzt. Ist es denn vielleicht möglich, daß der kleine, auf dem Kirchhof von Kybartai aufgestellte Weihnachtsbaum so eine riesige Macht vernichten könnte? Wie ängstlich sind doch die Atheisten! ... Noch ein größeres Ent­setzen verursachte den Atheisten, daß der Weihnachtsbaum in die »Chronik« und sogar in die Hände der »Verleumder« im Ausland gelangt ist. Man kann sich gar nicht vorstellen, was für eine grausame Waffe er in den Händen der Feinde der Sowjetregierung ist!

Und schließlich noch diese »Chronik«, die mit ihrer Wahrheit den Atheisten ein Dorn im Auge ist. Was haben die Regierungsgottlosen nicht schon alles an Anstrengungen unternommen, um die Stimme dieser Veröffentlichung zum Schweigen zu bringen und die von ihr veröffentlichte Wahrheit zu ver­dunkeln! Bis jetzt ist es leider noch niemandem gelungen, dieses mit Tränen und Blut geschriebene Wort zu erdrosseln, um dessentwillen die Gläubigen freiwillig die steinigen Wege der sowjetischen Zwangarbeitslager und Ge­fängnisse gegangen sind und immer noch gehen.

Und wenn man schon über die tobende Vernichtung der Kreuze in Litauen spricht, dann ist es sehr unfein und unehrlich, die ganze Schuld den Flur-bereinigern in die Schuhe zu schieben. Welche Flurbereiniger und welche Verlegung der Wärmeleitungen haben Interesse gehabt, Tausende von Kreu­zen auf dem Burgberg von Meškuičiai wiederholt zu verwüsten? Sind das nicht dieselben »Flurbereiniger« der KGB-Zentrale, die die Kreuze von der Kathedrale in Vilnius, von dem Berg der drei Kreuze in Vilnius, von der Garnisonskirche in Kaunas, von dem Berg der Mädchen heruntergereinigt haben? Haben nicht sie den Betrieben zur Herstellung von Denkmälern ver­boten, kreuzähnliche Grabsteine anzufertigen?

Vergebens versuchen die Atheisten das Volk zu überzeugen (Sie aber ver­teidigen sie noch), daß sie ihre Hände bei den Ermordungen der Priester nicht im Spiel hatten. Die Priester Litauens laufen nicht mit Prügeln herum, und schlagen niemanden ihre Köpfe ein. Im Gegenteil, die Gottlosen schlagen ihnen die Köpfe ein, stoßen sie unter die Räder, stecken sie in Gefängnisse, wenden einen ganzen Komplex traumatischer Maßnahmen gegen sie an — über jene wäre es angebracht, in einem Sonderartikel etwas ausführlicher zu reden. Das aber, daß die Gottlosen, darunter auch Sie, die offene Wahrheit und den Rosenkranz einfach Prügel nennen — das ist gar nicht verwunder­lich. Vor diesen Waffen zittern doch auch die Mächte der Hölle!

Am 25. 1. 1984.        Inultus

*

An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, J. Andropow

Abschrift: an das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen

Erklärung

von Mažeikaitė-Sakalauskienė, Liudvika, K., wohnhaft in LLSR, Kaunas, Taikos pr. 75-47

Die Inhaftierung des Pfarrers von Viduklė, des Priesters Alfonsas Svarinskas, und ebenso der gegen den Pfarrer von Kybartai, Sigitas Tamkevičius, vor­bereitete Gerichtsprozeß haben mich tief erschüttert. Es gibt schon genü­gend Material, daß man daraus die Folgerung ziehen kann: Ihr wollt die Gläubigen und ihre Führer, die Priester, so »erledigen«, wie man es im zaristischen Rußland gemacht hat. In Wirklichkeit haben sie Ihnen überhaupt nichts Böses getan. Die Gesetze der UdSSR verbieten nicht, sich selbst und andere zu verteidigen, wenn man jemanden zu Unrecht angreift oder be­nachteiligt. Diese beiden Priester haben edle Aufgaben ausgeführt: Da sich die sowjetische Regierung in die kirchlichen Angelegenheiten einmischt und sich ständig bemüht, die Kirche zu vernichten, haben diese Priester die per­sönlichen Rechte und Freiheiten (wie auch die allgemeinen Menschenrechte und Freiheiten) der gläubigen Menschen verteidigt. Wenn Sie die Priester verurteilen, dann müßten Sie auch die Atheisten vor Gericht stellen, die durch alle öffentlichen Kanäle die Religion und die Priester angreifen, die für lebensnotwendige Interessen der Gläubigen kämpfen. Die Priester müs­sen sich doch vor den Exzessen und dem Terror der Atheisten schützen. Sie betrachten aber diese Selbstverteidigung als Verbrechen.

Die von Ihnen geführte Sowjetregierung stützt sich auf das Gesetz der Trennung von Kirche und Staat. Sie sehen aber ganz deutlich, daß man die Kirche vom Volke nicht trennen kann: Viele Tausende von Menschen bit­ten, diese zwei Priester freizulassen. Im Gegenteil, es ist an der Zeit, daß sich die Regierungsbeamten Gedanken machen, aus ihren ungerechten Taten Folgerungen zu ziehen und das Volk zu beachten. (Glauben Sie vielleicht, daß so viele Zeugen für die Priester auftreten würden, wenn sie den Men­schen nicht Gutes, sondern Böses angetan hätten!)

Anfang des Jahres 1983 wurde ich, angeblich wegen der Stellenauflösung, aus der Arbeit entlassen. (Ich habe gemäß Punkt 1, Artikel 143 des Arbeits­gesetzbuches in der Vervollständigungsabteilung der öffentlichen Biblio­thek zu Kaunas 11 Jahre und 5 Monate gearbeitet und keine Bestrafungen gehabt. Zu Beginn arbeitete ich als Bibliothekarin, später als Oberbiblio-graphin). Das alles geschah gleich nach der Beurteilung meines Briefes durch meine Arbeitsstelle, den ich an Sie, Genosse J. Andropow, geschrieben habe. Ich habe mich darin beklagt, weil mich der Vorsitzende der Kooperative,

A. Antanavičius, und sein Stellvertreter Lučkaitis aus der Arbeitsstelle und aus der Wohnung verjagen wollten. Der Direktor der öffentlichen Bibliothek zu Kaunas, Pupienis, aber sagte, genau wie die anderen »Freunde«: »Be­klage dich nicht, denn damit wirst du die Angelegenheit nur verschlimmern.« Sie haben ihr Wort schon gehalten, und ich bin nur noch mehr überzeugt worden, daß die Beamten der sowjetischen Regierung sehr ungerecht han­deln können, und sogar grausame Maßnahmen anwenden, wenn man ihnen nicht gehorcht.

Weil ich dazu einen Grund habe, protestiere ich gegen die ungerechte Inhaf­tierung des Priesters Alf. Svarinskas und gegen den vorbereiteten Gerichts­prozeß gegen Priester S. Tamkevičius. Ich erkläre mich hiermit solidarisch mit denen, die einverstanden sind, ins Gefängnis zu gehen, nur um sie frei­zubekommen.

 

Am 16. 10. 1983