Priester Alfonsas Svarinskas schreibt:

»Ich grüßee Sie herzlichst und in Ihrer Person auch alle teuren Pfarrange­hörigen, Freunde, Bekannte. .. Wünsche Gottes Segen, Frieden des Her­zens und seelische Freude aus Anlaß des ehrwürdigen Jubiläums unseres Volkes. Gott behüte Euch alle! Ihr seid meine Freude und mein Stolz in Christus!

Vergangenen Sonntag habe ich an Sie einen Brief geschrieben. Heute werde ich wieder einen schreiben, ihn küssen, bekreuzigen und absenden. Er soll fliegen in unsere liebe, unvergeßliche Heimat, in das Bernsteinland. (...) Ich danke allen herzlichst für ihre Briefe. Es ist Euch schwer vorstellbar, wieviel Freude und Hoffnung die kurzen Nachrichten mitbringen. Wie gut ist es, wenn man weiß, daß es Menschen in der Welt gibt, die einen lieben und nicht vergessen. (...) Die im April an Sie adressierten Briefe sind zu­rückgekommen mit einem Vermerk der Post vom 25. Mai: »Nach Ablauf der Lagerungszeit an Absender zurück.« Fragen Sie bei der Post, warum das vorgekommen ist (...), denn sonst leiden wir alle darunter — Sie bekommen keinen Brief, und ich verschwende die begrenzte Stückzahl der Briefe. Man darf ja schon sowieso nur zwei Briefe im Monat schreiben! Ich konnte selbstverständlich nichts Besonderes hineinschreiben: Ich wollte nur wünschen, gut die Exerzitien zu verbringen, mich bei Ihnen für das schöne Singen bedanken und Ihnen den Segen des auferstandenen Christus wünschen (...) Wie schnell vergeht die Zeit! Seit dem 11. Juni bin ich schon das zweite Jahr hier. Im Jahre 1979 (...) habe ich mein silbernes Jubiläum gefeiert und heuer werden es am 3. Oktober schon 30 Jahre. Leider aber bin ich von der Heimat, der Kirche und von der eigenen Pfarrei weggerissen — ohne Bußsakrament, ohne Kommunion und ohne hl. Messe! Mit dem Glauben des gerechten Ijob wiederhole ich alle Tage: »Dein heiliger Wille geschehe! Amen!« (...) Freie Zeit habe ich wenig, ich arbeite 9 Stunden. Nachher kommen alle lebensnotwendigen Dinge. In der übrigen Zeit lese ich und lerne Sprachen. Ich habe ein französisch-russisches Wörterbuch und Journale bekommen. Ich vertiefe die italienische und lerne die spanische Sprache. Vielleicht werde ich dies brauchen können!... (...) Gesund und voll Lebenskraft erfülle ich seinen Willen, deswegen gibt es keine Hoff­nungslosigkeit und keine Trauer im Herzen. Und wenn Gott mir eine Mär­tyrerkrone auflegen wird, so werde ich sie mit Freuden annehmen. (...).«

Am 20. 6. 1984. Vilnius

Zwischen dem 5. und dem 22. Juli 1984 ist Gintautas Iešmantas in den Sicherheitsdienst von Vilnius geraten. Auch seine Frau und sein Sohn wur­den vernommen. Man gewinnt den Eindruck, daß man ihn für psychisch krank erklären will, um auf diese Weise seinen Geist zu brechen. Es gibt eine ganze Kette psychologischen Terrors, dessen Höhepunkt zwischen dem 14. und 31. Dezember 1982 erreicht worden war. Um dem Tag der politi­sehen Gefangenen Ausdruck zu verleihen, haben damals die Gefangenen, wie jedes Jahr, einen Hungerstreik für den ganzen Tag ausgerufen. Iešmantas kündigte persönlich einen Hungerstreik an, aus Protest dagegen, daß ihm nicht erlaubt wurde, sich schöpferisch zu betätigen, und weil seine Erklärung, die er an den Generalstaatsanwalt der UdSSR adressiert hatte, aufgehalten wurde, in der er verlangt hatte, seine Prozeßakten durchzuschauen, mit der Begründung, daß er zu Unrecht verurteilt sei.

Die Lagerverwaltung ließ ihn 10 Tage lang hungern. Dann wurde er zwangs­weise ernährt. Obwohl er total erschöpft war, befahlen sie ihm, bei einer Kälte von minus 50 Grad, den Schnee vom Dach wegzuräumen...

*

Povilas Pečeliūnas wurde wegen der Teilnahme am Hungerstreik am Tag des politischen Gefangenen und wegen der Forderung der Überstunden­vergütung im Karzer eingesperrt, wo er 10 Tage verbracht hat. Es war ein kaltes Wetter, hat stark gezogen und er bekam nichts zu essen... Er ver­brachte im Karzer das Weihnachtsfest und Neujahr und wurde vom Karzer aus gleich in die Verbannung gebracht. Unterwegs verbrachte er auf der Etappe eineinhalb Monate.

Vor dem Karzer lag P. Pečeliūnas im Krankenhaus — er war stark an Radikulitis erkrankt. Auf Anordnung des Leutnants Wolkow hat der Arzt Pomariow Pačeliūnas bestätigt, daß er ausgeheilt und tauglich sei, die Reise in die Verbannung per Etappe anzutreten.

Zur Zeit befindet sich die Gesundheit von P. Pečeliūnas in der Verbannung in großer Gefahr: Es fehlt ihm an Sauerstoff (es fehlen 35 Prozent) und seine Gesundheit ist sehr schlecht.

Mogadan

In die verschiedenen Behörden von Magadan strömen aus dem Ausland Erklärungen, die Mitglieder der Volksvertretungen und andere berühmte Leute unterschreiben und die Verbannungsbedingungen für Antanas Ter­leckas zu erleichtern verlangen.

In der letzten Zeit hat A. Terleckas im Gemeinschaftshaus ein separates Zimmerchen bekommen und arbeitet als Schlosser. Seine Stimmung ist, un­geachtet der geschwächten Gesundheit, gut und heiter. Als aus Magadan angereiste Beamte des KGB gekommen waren und bei A. Terleckas aufge­hängte religiöse Bilder sahen, fragten sie ihn, ob er gläubig sei. »Ich glaube«, antwortete A. Terleckas, »wenn ich nicht glauben würde, hätte für mich das Leben keinen Sinn.«

Die Tschekisten benahmen sich anständig, beleidigten ihn nicht und ver­spotteten ihn nicht.

A. Terleckas Adresse in der Verbannung:

686420 Magadanskaja obl. Omsukcanskij r-on P. Industrielnij dovostiabovnija Terleckas Antanas, Prano

Mordwinien

 

Nach den vorliegenden Nachrichten hat der im Lager Mordwinien gefangen­gehaltene Dozent Vytautas Skuodis sich mit einer Erklärung an die sowje­tische Regierung gewandt, in der er darauf hingewiesen hat, daß er aus Protest gegen die ungleichberechtigte Lage der Kirche und die Gefangen­haltung der Priester ständig einen Tag in der Woche hungern werde.

Šiauliai

Ende August 1984 kam ein Bevollmächtigter der Rayonmiliz zu Mečislovas Jurevičius, wohnhaft in Šiauliai, Spindulio 6-10. Auf seinen Vorwurf, warum M. Jurevičius nirgends arbeite, stellte der ehemalige Gefangene klar, daß dies ganz sicher ein Mißverständnis sei, denn er sei in der Verwaltung des Ministeriums der LSSR für Melioration und Entwässerung von Šiauliai be­schäftigt. Der Inspektor zeigte Unterlagen, auf denen stand, daß der Bürger M. Jurevičius nirgends arbeite, und befahl ihm, eine Stellungnahme zu schreiben. M. Jurevičius weigerte sich, eine Stellungnahme zu schreiben und schlug dem Inspektor vor, zuerst seine Arbeitsstelle anzurufen und sich zu vergewissern, ob er arbeite oder nicht. Auf die Frage des Inspektors, wes­wegen er verurteilt worden war, antwortete M. Jurevičius, der Grund sei, daß er Gott und die Heimat geliebt habe.