Žagarė (Rayon Joniškis)

Am 24. August 1984 kam der Bevollmächtigte des Rates für Religionsan­gelegenheiten, Petras Anilionis, nach Žagarė zu S. Exz. Bischof Julijonas Steponavičius und stellte sich vor: »Ich bin als Vertreter der Regierung ge­kommen, um Sie zu ermahnen.«

Folgende Anschuldigungen legte der Bevollmächtigte dem Bischof Julijonas Steponavičius vor:

1.     Der Bischof habe gemeinsam mit 500 Priestern eine Erklärung gegen das Statut der religiösen Gemeinschaften unterzeichnet.

2.     Er habe eine Erklärung der Priester der Erzdiözese Kaunas wegen der Verhaftung der Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius mit­unterzeichnet.

3.     Der Bischof fahre zu Ablaßfeierlichkeiten, Jubiläen und Beerdigungen.

4.     Er habe für die Staatsverbrecher gebetet; vor kurzer Zeit habe er bei­spielsweise in Utena aus Anlaß des 10. Todestages für den Verbrecher Kanoniker Petras Rauda gebetet. Der Kanoniker P. Rauda sei nicht reha­bilitiert! Während der Predigt habe der Bischof gesagt: »Die im Lager ver­brachten Jahre sind vom Opfer und der Liebe zur Kirche gekennzeichnet.« Er habe in der Predigt auch daran erinnert, daß ein Drittel der getrauten Ehepaare sich heute in unserem Volke scheiden lasse. Das sei eine antiso­wjetische Äußerung.

5.     Vor einigen Jahren habe er in Telšiai für den Bischof P. Ramanauskas und andere verstorbene Bischöfe dieser Diözese gebetet.

6.     In seinen Gesprächen mit den Priestern habe er die Priester aufgefordert: »Man muß die Kinder katechisieren«, das heißt, er habe die Priester auf­gefordert, die sowjetischen Gesetze nicht einzuhalten.

7.     Er habe sich in die Angelegenheiten der Erzdiözese Vilnius eingemischt. Er habe an die Kurien der Diözesen ein Schreiben wegen der Bildung des Priesterrates und des Konsultorenkollegiums der Erzdiözese Vilnius ver­schickt. Er habe kein Recht, sich in die Angelegenheiten der Erzdiözese einzumischen. Der Staat erkenne seine Tätigkeit nicht an.

Er habe den Verwalter der Diözese Panevėžys, Prälat K. Dulksnys, aufge­wiegelt, selbständig den Priesterrat und das Konsultorenkollegium zu bilden. Hier erinnerte der Bischof J. Steponavičius den Bevollmächtigten, P. Ani­lionis, daran: »Sie mischen sich in die Angelegenheiten der Kirche. Sie verlangen beispielsweise, in die Priesterräte und in die Konsultorenkolle­giums nur die Priester zu ernennen, die Sie vorschlagen; in der Presse, im Fernsehen und im Radio erzählen Sie aber, daß Sie sich nicht in die kano­nische und liturgische Tätigkeit der Kirche einmischen.« Nach diesen Worten schaute der Bevollmächtigte den Bischof böse an und schwieg.

Nachdem er sich Mut gemacht hatte, riet der Bevollmächtigte dem Bischof, nicht zu dem Abschlußgottesdienst der St. Casimir-Feierlichkeiten am 26. August nach Vilnius zu fahren. S. Exzellenz antwortete darauf: »Ich bin mir nicht bewußt, ein Vergehen gegen die Zivilregierung begangen zu ha­ben. Zu den Feierlichkeiten des hl. Casimir werde ich hinfahren, denn das ist, wie ich meine, auch für Sie besser. Was würde denn sonst das Ausland über Sie sagen, wenn es erfährt, daß Sie mir dies verbieten?« P. Anilionis wurde durch den Gedanken beunruhigt, daß der Bischof den Inhalt dieses Gesprächs der »Chronik« übergeben könnte. S. Exz. Bischof J. Stepona­vičius antwortete darauf nur: »Ich werde allen erzählen, daß Sie bei mir gewesen sind und weswegen Sie mich ermahnt haben.«

Panevėžys

Der Bevollmächtigte der Behörde für religiöse Kulte, Petras Anilionis, hat am 1. Juni 1984 alle Dekane der Diözese Panevėžys in die Kurie der Diözese eingeladen. Die in der Kurie versammelten Dekane fanden eine Bekannt­machung des Verwalters der Diözese, Prälat Kazimieras Dulksnys, über die Zusammensetzung des Priesterrates und des Konsultorenkollegiums ausge­hängt vor. Als der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, ankam, war er sehr verärgert über die Bekanntmachung. Er erklärte: »Ich mische mich nicht in das hinein, was die Priester gewählt haben (6 Priester), ich werde aber niemals damit einverstanden sein, daß ohne meine Zustimmung diejenigen 6 Mitglieder des Priesterrates ernannt werden, die frei zu ernennen sind.« P. Anilionis erklärte kategorisch, daß ohne seine Billigung auch das Kon­sultorenkollegium ungültig sei. Einen besonderen Anstoß erregten in der ausgehängten Liste der Mitglieder des Konsultorenkollegiums die Namen des Kanonikers Bronius Antanaitis, des Priesters Petras Baltuška und des Priesters Jonas Balčiūnas. Ungeachtet dessen, daß die Zusammensetzung des Konsultorenkollegiums von Prälat K. Dulksnys schon durch seine Be­kanntmachung veröffentlicht gewesen war, verlangte der Bevollmächtigte die genannten drei Mitglieder, die ihm nicht paßten, durch andere zu ersetzen. Von P. Anilionis eingeschüchtert, gab Prälat Dulksnys nach. Am 6. August 1984 aber setzte Prälat K. Dulksnys ein Schreiben an den Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis auf, in dem er ihn darauf hinwies, daß er die Ände­rungen im Priesterrat und Konsultorenkollegium vorgenommen habe, ohne sich in das kanonische Recht vertieft zu haben, und nur auf ein aufdring­liches Verlangen des Bevollmächtigten hin. Er nehme das zurück und gebe in dem Schreiben die unveränderte, rechtmäßig gewählte Zusammensetzung der Priesterrates und des Konsultorenkollegiums an. Am 14. August wurde Prälat K. Dulksnys nach Vilnius zu P. Anilionis vorgeladen. Dieser ver­langte daß Prälat K. Dulksnys sein Schreiben vom 6. August zurücknehme; der Bevollmächtigte will nämlich die ersten Ernennungen des Priesterrates und des Konsultorenkollegiums nicht anerkennen.

Am 11. September 1984 war der Priesterrat der Diözese Panevėžys in der Diözesankurie versammelt. Prälat K. Dulksnys machte die Versammelten mit seinem Schreiben vom 6. August bekannt, in dem darauf hingewiesen wird, daß folgende Priester den Priesterrat bilden: Petras Adomaitis, Juozas Janulis, Antanas Balaišis, Kanoniker Petras Ziukelis, Kanzler Jonas Juodelis, Dekan Jonas Pranevičius, Dekan Klemensas Gutauskas, Jonas Balčiūnas, Petras Budriūnas. Das Konsultorenkollegium bilden: Kanoniker Bronius Antanaitis, Kanoniker Petras Žiukelis, Petras Adomaitis, Jonas Balčiūnas, Petras Baltuška, Kanzler Jonas Juodelis, Petras Kuzmickas.

Schon am 1. Juni hatte P. Anilionis zornig zu den Dekanen gesprochen; ihn regte besonders auf, daß die Dekane und sogar der Verwalter der Diö­zese, Prälat K. Dulksnys, ein' Schreiben der Priester der Diözese Panevėžys an die sowjetische Regierung unterzeichnet hatten, in dem gegen die Ver­haftung der Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius protestiert wurde. Er drohte damit, daß in der Zukunft jeder Priester, der seinen Namen unter ein Schreiben mit Unterschriften setze, seine eigene Unterschrift bei der Behörde des Sicherheitsdienstes schriftlich bestätigen müsse. P. Anilionis bemühte sich, die eingeladenen Dekane zu überzeugen, daß die Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius rechtmäßig verurteilt worden sind. Nach der Uberzeugung des Bevollmächtigten haben sich die verurteilten Priester nur unnötig über die Schlechtigkeiten unserer Tage geärgert und sie hervorge­hoben. Seinen Worten nach sei es auch früher nicht besser gewesen. In seiner Rede stützte P. Anilionis sich auf alte noch aus Vorkriegszeiten stammende Journale und las daraus verschiedene Berichte über Diebstähle und Morde vor.

Als Beispiel antisowjetischer Agitation des Priesters A. Svarinskas gab der Bevollmächtigte eine Predigt an, die der Priester mit einer Aufforderung ab­geschlossen hatte: »Wir gehen daran, meine Brüder und Schwestern, ein neues Litauen zu schaffen...«. »Ein neues, dann selbstverständlich kein sowjetisches« — fügte P. Anilionis sarkastisch hinzu.

Šakiai

Am 26. Juni 1984 waren alle Priester des Rayons in das Rayonexekutiv­komitee von Šakiai eingeladen. Nach einigen propagandistischen Mitteilun­gen der Regierungsvertreter las die Stellvertreterin des Vorsitzenden, Kaspa­ravičienė, einen Auszug aus einem Schreiben des Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis, vor, in dem das Sammeln der Unterschriften unter Protest­schreiben gegen das Gefangenhalten der Priester A. Svarinskas und S. Tam-kevičius verurteilt wird. Der Priester R. Vaičiulaitis wies während der Ver­sammlung die Anschuldigung zurück, daß die inhaftierten Priester Verbre­cher seien. Priester R. Vaičiulaitis behauptete, daß Priester S. Tamkevičius sein Studienfreund im selben Kursus gewesen sei. Er kenne ihn deswegen sehr gut als sehr vorbildlichen, ernsten, nach dem Geiste Christi arbeitenden Priester. Die Regierungsvertreter ließen sich auf keine weiteren Diskussionen mehr ein und entließen die Priester unter dem Vorwand, daß es schon Mit­tagszeit sei.

Die Stellvertreterin des Vorsitzenden, Kasparavičienė, hielt den Dekan Priester Juozas Žemaitis bei sich zurück und beschimpfte ihn, weil der Ju­gendchor bei Beerdigungen singe (die Jugendlichen haben bei der Beerdi­gung eines guten Christen gesungen), weil er die Kinder in Katechismus un­terrichte und die Pfarrkinder besuche. Sie beanstandete ferner, daß viele Kinder und Jugendliche ministrieren.

Šiauliai

Der Stellvertreter des Vorsitzenden, A. Caparas, lud am 30. Juli 1984 alle Priester der Stadt und des Rayons für 11 Uhr in das Rayonexekutivkomitee von Šiauliai zu einer »Beratung« ein. Der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Juozėnas, der zu der »Beratung« gekommen war, wollte den Prie­stern glaubhaft machen, daß sie keine Protesterklärungen unterschreiben dürften, in denen die Freilassung der Priester A. Svarinskas und S. Tamke­vičius verlangt wird. Er lieferte »Beweise«, wonach die verurteilten Priester Verbrecher, also gerecht verurteilt seien und deswegen nicht freigelassen würden.

Širvintai

Alle im Rayon tätigen Priester waren am 7. September 1984 im Rayon­exekutivkomitee zusammengerufen. Die Rayonverwaltung verbot streng, für die Staatsverbrecher Priester A. Svarinskas und Priester S. Tamkevičius zu beten. Kinderkatechese sei nicht erlaubt.

Der Kanoniker Jonas Pilka, der Priester Petras Krikščiukaitis und der Prie­ster Rokas Puzonas widersetzten sich scharf und wiesen darauf hin, daß die Kanones der Kirche den Priestern befehlen, die Kinder zu katechisieren, und daß die Priester die Kanones einhalten würden. Darauf erwiderte der

Stellvertreter des Vorsitzenden: »Weder Sie werden uns umerziehen können noch wir Sie! Es besteht kein Grund zum Streit!«

Er fügte noch hinzu, daß es noch mehr Verletzungen der Bestimmungen gebe, aber Ermahnungen werde es keine mehr geben — es würden jetzt strengere Maßnahmen angewendet.

Jurbarkas

Anfang September 1984 waren alle Priester des Rayons in die Rayonver­waltung nach Jurbarkas vorgeladen und alle wurden ermahnt, für die ein­gekerkerten Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius nicht zu beten. Be­sonders angegriffen wurde der Pfarrer der Pfarrei Vadžgirys, Priester Al­fonsas Bulota, wegen seiner Predigt, die er am 2. August, als die Leute aus Anlaß des Geburtstages in der Kirche für den Priester A. Svarinskas bete­ten, in Vidukle gehalten hatte, und wegen der hl. Messe, die er für die Ju­gend zu Beginn des Schuljahres feierte.

Kaunas

Am 3. April 1984 um 17 Uhr kam der Vorsitzende des Obersten Gerichts in Litauen, Misiūnas, in das Priesterseminar zu Kaunas, um dort eine Rede zu halten. Gemeinsam mit ihm kam auch ein Vertreter der Behörde von Petras Anilionis, der das Priesterseminar mit den als Gäste kommenden Lektoren andauernd besucht.

Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Misiūnas, erklärte den Seminaristen die Zusammensetzung des Gerichts, seine Arbeit, die Gleichberechtigung al­ler Bürger und anderes, Misiūnas gab zu, daß das Gericht in der Vergangen­heit Fehler gemacht habe, jetzt aber seien seiner Meinung nach die Fehler beseitigt, und das Gericht arbeite nach den höchsten Prinzipien der Gerech­tigkeit. Die Rede dauerte etwa 40 Minuten lang. Danach ergossen sich, wie gewöhnlich, die Fragen: »Sie reden über Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Freiheit. Es gibt aber in der Verfassung keinen Artikel, der die Freiheit der religiösen Organisationen, Versammlungen, des religiösen Wortes oder der religiösen Presse verteidigen würde; wie kann man dann von der Gleich­berechtigung reden und wie soll man dann die Gleichberechtigung verste­hen?« Zur Beantwortung der Frage erklärte Misiūnas, daß es zwar keinen Artikel in der Verfassung über die in der Frage erhobenen Rechte gebe, doch würden diese indirekt in anderen Artikeln der Verfassung verteidigt.

Nach Misiūnas befinden sich auch in anderen Dokumenten solche Gesetze. Der Gerichtsvorsitzende konnte jedoch keinen Hinweis geben, in welchen

Dokumenten die von ihm genannten Artikel, die die Freiheit der religiösen Organisationen, der Versammlungen, der religiösen Presse verteidigen, ganz konkret zu finden sein sollen. Auf die Frage, warum die Geistlichen und die Diener der Kirche zwei- bis dreimal oder sogar noch mehr Steuern zahlen müßten als alle anderen Einrichtungen, gab Misiūnas keine Antwort. Er verteidigte sich aber damit, daß ihm solche Sachen unbekannt seien. Auf die Frage, warum nicht erlaubt werde, religiöse Literatur herauszugeben, stellte Misiūnas klar, daß die Frage unberechtigt sei; religiöse Literatur, so Misiūnas, werde sehr viel gedruckt. Als Beispiel dafür gab er den »Kalender der Katholiken« an. Da allen gut bekannt ist, daß die Auflage des Kalenders minimal und der Kalender selbst nur für die Priester vorgesehen ist, und daß die von den Gläubigen benötigten Bücher überhaupt nicht herausgege­ben werden, ertönte nach einer solchen Antwort von Misiūnas ein Gelächter der Mißstimmung. Während der Rede wurde gefragt, warum nicht erlaubt werde, neue Kirchen zu bauen und Kreuze zu errichten. Die alten und die neuen Kreuze würden umgerissen, ein nicht geringer Teil der Kirchen sei zugemacht, in Lager umfunktioniert und total vernachlässigt; die Dächer seien undicht und niemand dürfe sie reparieren. Darauf erklärte Misiūnas, daß diese Frage der Vertreter der Behörde des RfR beantworten könne, der mit ihm gekommen sei. Aber auch dieser gab keine konkrete Erklärung. Es wurde gebeten, den Prozeß gegen Priester A. Svarinskas etwas eingehen­der zu erläutern. Um einer direkten Antwort auszuweichen, brachte Mi­siūnas nur seine eigene Meinung vor, daß er, wenn es nach ihm gegangen wäre, den Priester A. Svarinskas schon viel früher festgenommen hätte. Dann hätte dieser seinen Worten nach weniger strafbare Handlungen begehen können und hätte auch weniger Lager bekommen.

Als Misiūnas erklärt hatte, daß jeder zu dem Prozeß gehen konnte, wer nur Lust dazu hatte, erschallte im Auditorium ein stürmisches Gelächter der Mißbilligung, so daß auch der Gerichtsvorsitzende Misiūnas selbst und auch der Vertreter der Behörde des RfR das Lachen nicht verwinden konn­ten.

Misiūnas war während der ganzen Frage- und Antwortzeit nervös, miß­mutig, schlug nicht selten seinem Begleiter vor, die Fragen zu beantworten, aber auch der war nicht in der Lage, konkrete Antworten zu geben.

Varduva (Rayon Plungė)

Zwischen 2. und 9. Juli 1984 fanden in Žemaičių Kalvarija die Ablaßfeier­lichkeiten zum Fest MariaHeimsuchung statt. Zum Andenken an das Lei­den Christi wurden an diesen Ablaßtagen auch die hier eingerichteten Stätten des Leidenswegs Christi, im Volksmund Berge genannt, besucht. Wenn man die Stätte des Leidenswegs Christi besuchen will, muß man eine etwa sieben Kilometer lange Strecke zurücklegen; unterwegs werden religiöse Lieder ge­sungen. Das sind die einzigen Kalvarienberge, die die Gläubigen der Heimat vor der Vernichtung durch die Gottlosen schützen konnten. Jedes Jahr kom­men sehr viele Gläubige zu den Ablaßfeierlichkeiten nach Žemaičių Kal­varija, nicht nur allein aus Litauen, sondern auch aus anderen Republiken.

Vor dem Beginn der Ablaßfeierlichkeiten in Žemaičių Kalvarija greifen die Regierungsgottlosen gewöhnlich am meisten den Bischof der Diözese Telšiai, den Dekan von Plungė und den Pfarrer der Pfarrei Žemaičių Kalvarija an. Sie verlangen, daß von der Kanzel aus den gläubigen Landarbeitern ver­kündet werden solle, man dürfe während der Ablaßtage die Arbeit nicht vernachlässigen. Sie ärgern sich besonders darüber, weil ein Tag während der Ablaßfeiertage als Tag der Priester verkündet wird. Heuer wurde vom Bischof Antanas Vaičius verlangt, daß er nicht mit den Gläubigen zusam­men den Kreuzweg gehen und auch den Priestern mitzugehen verbieten solle; denn ein solches Geschehen des Kreuzweges sei nach Meinung des Bevoll­mächtigten P. Anilionis schon eine Verletzung des Status der religiösen Ge­meinschaften. Der Bevollmächtigte P. Anilionis verlangte durch die Rayon­verwaltung, daß für die Predigten nur die Priester der Diözese Telšiai zuge­lassen werden dürften und daß die Namen der Prediger der Rayonverwaltung im voraus mitgeteilt werden sollten; es wurde nicht erlaubt, auf den Kirch­höfen Lautsprecheranlagen einzurichten, damit die Gläubigen, die in den überfüllten Kirchen keinen Platz mehr finden, die Predigten nicht hören. In der Rayonzentrale wurde eine Kommandostelle eingerichtet, die ein hoher Sicherheitsbeamter aus Moskau leitete. In Žemaičių Kalvarija selbst trieb sich eine große Zahl von Sicherheitsbeamten und Verkehrspolizisten herum, die die Nummern der Autos all derer aufschrieben, die zu der Ablaßfeier gekommen waren. Auch viele Mitarbeiter der Behörde des RfR waren dabei, eine ganze Brigade von Agenten, die verpflichtet waren, jede Predigt aufzuschreiben. Jede Predigt mußte sogar von mehreren Agenten aufgeschrie­ben werden, damit keine Möglichkeit bestand, irgendetwas zu verschweigen. Die Zahl der Gläubigen wird aber ungeachtet aller Schwierigkeiten bei den Ablaßfeierlichkeiten jedes Jahr größer. Am Tag der Priester nahmen dieses Jahr in Žemaičių Kalvarija der Bischof von Telšiai, Antanas Vaičius, viele Priester und eine unzählige Menge von Gläubigen teil. Während der kon­zelebrierten hl. Messe beteten der Bischof A. Vaičius, die Priester und die Gläubigen gemeinsam für die Abstinenz und für die Jugend Litauens. Nach der hl. Messe gingen Bischof A. Vaičius, die Priester und die Gläubigen gemeinsam den Kreuzweg. Während der Ablaßfeiertage wurden über 20 000 hl. Kommunionen ausgeteilt.

Šiluva

Am 26. August 1984, dem letzten Sonntag des Monats, befürchteten die Regierungsbeamten eine mögliche Prozession der Jugend von Tytuvėnai nach Šiluva. Der Pfarrer von Tytuvėnai, Priester Liudvikas Semaška, wurde in das Rayonexekutivkomitee vorgeladen und wegen der Prozession gewarnt. Am genannten Tag wurde Tytuvėnai von vielen Milizmännern bewacht: Sie patrouillierten auch in Kelmė, Šiluva und auch am Berg der Kreuze. Neben der Straße zum Berg der Kreuze waren Durchfahrtverbotsschilder aufgestellt. Auf den Straßen kontrollierte die Verkehrspolizei alle durchreisenden Au­tos und bestrafte die Autofahrer wegen jeder Kleinigkeit mit Geldstrafen oder drohte, die Fahrerlaubnis einzuziehen.

Während der großen Ablaßfeier von Šiluva Anfang September wurden einige Omnibusse aus dem Fahrplan herausgenommen, damit die Gläubigen Šiluva schwieriger erreichen konnten. In vielen der noch gebliebenen Busse wurden in Kaunas und Raseiniai nur so viele Fahrgäste mitgenommen, als Sitzplätze im Omnibus frei waren. Taxis weigerten sich grundsätzlich, die Gäste in Richtung Šiluva zu fahren. Die Verkehrspolizei kontrollierte sorg­fältig alle Privatautos und beschuldigte jene, die öfter zum Gottesdienst fahren wollten, gleich dunkler Geschäfte.

Am 9. September fand nach dem Hochamt die traditionelle Bußprozession auf den Knien um die Basilika von Šiluva statt, die ein Priester leitete.

Am Mittwoch, dem 12. September, dem sogenannten Priestertag, konzele­brierten etwa 40 Priester die hl. Messe.

Am 13. September feierten S. Exzellenz Bischof Julijonas Steponavičius und 46 Priester eine konzelebrierte hl. Messe. In seiner Predigt hob Bischof J. Steponavičius die Schwierigkeiten der Kinder und der Jugendlichen her­vor, die sie wegen ihres Glaubens in der Schule und auf dem Arbeitsplatz erdulden müßten, und nannte das Beispiel eines Jugendlichen in einem Be­trieb: Als man ihn verspotten wollte, weil er selber nicht wisse, an was er glaube, sammelte er sich und sprach das »Credo«, und so wurden alle ge­zwungen, zu schweigen. Der Bischof sprach auch darüber, daß es den Prie­stern verboten ist, die Kinder im Glauben zu unterrichten; er wandte sich dabei an die Familien, unterstrich ihre große Verantwortung bei der Er­ziehung der Kinder, besonders aber bei der Unterrichtung der Glaubens­wahrheiten.

Bevor die Leitung des Priesterseminars die Seminaristen zu den Ablaßfeier­lichkeiten nach Šiluva fahren ließ, ermahnte sie diese, sich nicht mit den eifrigeren Priestern anzufreunden, damit sie nicht vom Extremismus ange­steckt würden. Es ist wirklich schade, daß die Leitung des Priesterseminars die Seminaristen nicht davor warnt, sich mit Gottlosen anzufreunden, die die

Kirche zerstören wollen, oder mit Sicherheitsbeamten, die dauernd bestrebt sind, die Jugend und die Seminaristen Litauens als ihre Mitarbeiter anzu­werben.

Am 12. September 1984 hielten Reisende aus Lettland, die mit einem ge­mieteten Omnibus durch die Städte Litauens fuhren, in Šiluva an. Hier hielten die Regierungsbeamten ihren Omnibus fest und führten den Omni­busfahrer ab. Als die Leute nicht länger auf den Busfahrer warten konnten, gingen sie in die Miliz und verlangten, ihn freizulassen. »Uns hat niemand informiert, daß man vom 8. bis 16. September nicht nach Šiluva kommen darf«, sagten die Leute in der Miliz. Nach zwei Stunden wurde der Omni­busfahrer freigelassen.

Krekenava (Rayon Panevėžys)

Am 31. August 1984 wurde der Pfarrer der Pfarrei Krekenava, Priester Petras Buriūnas, wegen einer Kinderkatechese in der Staatsanwaltschaft von Panevėžys verwarnt.

Skaudvilė (Rayon Tauragė)

Am 8. Juni 1984 hielt der Pfarrer von Skaudvilė, Priester Jonas Kauneckas, nach dem Gottesdienst in der Kirche eine katechetische Predigt über die Beichte. Während der Predigt ging er zum Beichtstuhl hin und zeigte den Kindern, wie man beichten solle. Das wurde als Vergehen betrachtet.

Angeblich um die Angelegenheit der Kirchenheizung zu regeln, kamen nach der Predigt die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomi­tees von Tauragė, Ulbienė, die Sekretärin des Exekutivkomitees, Karosienė, und die Stellvertreterin des Direktors der Mittelschule, Jancevičienė, in die Sakristei und luden den Priester J. Kauneckas ein, in das Exekutivkomitee zu kommen. Hier wurde über ihn eine Akte angelegt, in der festgehalten wurde, daß Priester J. Kauneckas die Kinder in Religion unterrichte und extra für die Kinder einen Gottesdienst organisiert habe; denn in der Kirche seien 60 Kinder und 7 Frauen gezählt worden. In Wirklichkeit waren wäh­rend des Gottesdienstes mehr Erwachsene in der Kirche; die Prüferinnen hatten nicht bemerkt, daß mehr als 20 Männer und Frauen noch oben auf der Orgelempore waren. Die Stellvertreterin Ulbienė erklärte, daß diese Akte an die Staatsanwaltschaft übergeben und zu den Akten des Priesters J. Kauneckas gelegt werde, weil, wie die Stellvertreterin wörtlich sagte, »auch die Priester A. Svarinskas und Sigitas Tamkevičius mit solchen Ver­brechen ihre Tätigkeit begonnen haben«.

Vilkaviškis

Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Vilka­viškis, Juozas Urbonas, kam am 6. Juni 1984 in ein Haus, das beim Kirchhof der Kirche von Vilkaviškis steht. Als er dort die zum Katechismusunterricht versammelten Kinder sah, bat J. Urbonas Genovaitė Paliauskaitė auf den Kirchhof hinaus und befahl ihr, unverzüglich nach Hause zu fahren (G. Pa­liauskaitė wohnt in Kapsukas) und sich hier nicht mehr blicken zu lassen. Der Stellverrtreter drohte dem Mädchen, daß es wegen des Katechismus­unterrichts mit den Kindern zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werde. J. Urbonas ging dann ins Pfarrhaus und verlangte, die gruppenmäßige Vorbereitung der Kinder zur Erstkommunion einzustellen. Der Pfarrer Juozas Preikšas und der Vikar Vytautas Gustaitis erklärten, daß es aus Zeit­mangel unmöglich sei, die Kinder einzeln zu überprüfen. Sie würden es nicht als Vergehen betrachten, wenn die Kinder in Gruppen zu vierzig oder mehr zusammenkämen, und daß gleichzeitig bei der Prüfung auch die anderen Kenntnisse der Kinder überprüft würden. Auf die Behauptung von J. Ur­bonas, daß G. Paliaukaitė nicht berechtigt sei, den Kindern Glaubensunter­richt zu erteilen und deswegen zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden könne, antwortete Vikar V. Gustaitis, daß er in diesem Falle selbst die Kinder katechisieren werde; der Unterricht werde aber nicht eingestellt.

Nach dem Besuch des Stellvertreters J. Urbonas versuchten Lehrerkommis­sionen einige Tage lang, morgens in den Kirchhof zu gelangen. Als dies aber nicht gelang, gingen die Lehrer den in die Kirche kommenden Kindern noch vor dem Tor des Kirchhofes entgegen, zählten sie, notierten ihre Namen und drohten ihnen.

*

An den Ministerrat der SSR Litauen,

an das Rayonexekutivkomitee von Klaipėda, LSSR

Protest

der Eltern und Gläubigen der Pfarrei Gargždai, im Rayon Klaipėda

Vor dem Abendgottesdienst am 5. Juni dieses Jahres fragte der Pfarrer die von uns in die Kirche mitgebrachten Kinder nach Gebeten, damit man sie zur ersten Beichte und zur Erstkommunion zulassen könne. Da kamen drei Frauen in die Kirche, die dem Priester sagten, das Exekutivkomitee habe sie hergeschickt. Sie würden eine Akte anlegen, weil er in der Kirche eine Schule aufgemacht habe. Sie fingen gleich in der Kirche an, geschäftig zu sein: Alle drei sprangen zu den Kindern, schauten neugierig, wer sie seien, fragten sie aus und zählten zusammen, wieviele es waren. Die Kinder waren erschrocken und manche versuchten, sich zu verstecken, weil sie ihre Lehrerin sahen. Mit den Kindern erschraken auch die Mütter und die Großmütter und sie verloren die Fassung. Die Prüferinnen warfen mit aufdringlichen Bemerkungen um sich und setzten gleichzeitig die Akte auf. Man hörte Stimmen der Mütter: »Wir haben unsere Kinder immer hergebracht und wir werden sie auch weiter herbringen. Stören Sie die Katechismusprüfung nicht.« Die neuen Herrinnen der Kirche griffen sie jedoch noch mehr an und ver­ursachten einen Tumult, so daß die Kirche an das Massaker in der Kirche von Kražiai erinnerte, in der die mächtigen Kosaken des Zaren wehrlose Frauen angegriffen haben. Man hörte Stimmen der sich wehrenden Mütter: »Geht hinaus von hier!« Die erschrockenen Kinder aber verfolgten auf­merksam, wie die ganze Sache ausgehe... Schließlich kamen die drei Frauen zum Priester und stellten sich vor: Jadvyga Siurplienė, Sekretärin des Exe­kutivkomitees, Rūta Raudienė und Jūratė Dapkevičienė, beide Lehrerinnen. Dann gingen sie mit ihrer Akte fort.

Wir protestieren ganz entschieden gegen ihr derartiges Benehmen in der Kirche: Sie haben sich in der Kirche wichtig gemacht, die Kinder und uns terrorisiert, einen großen Tumult verursacht und die Befragung der Kinder behindert.

Sie hätten doch ohne weiteres auch ohne unüberlegte Ausschreitungen aus­kommen können: Es wäre möglich gewesen, sich ruhig hinzustellen und die Akte aufzusetzen.

Indem sie sich aber so in der Kirche aufführten und randalierten, haben sie Artikel 50 der Verfassung der LSSR überschritten: »Die Kirche ist vom Staate getrennt.«

Sie haben ohne jeglichen Grund die »Schule« vorgeworfen: Das Wissen der Kinder kann man nur durch Befragen überprüfen, und das ist eine Pflicht des Priesters, sonst hat er kein Recht, die Kinder zu den Sakramenten zu­zulassen. Er hat das vollkommene Recht, eine katechetische Predigt zu hal­ten, in der die Glaubenswahrheiten erklärt werden. Die Eltern aber haben das vollkommene Recht, ihre Kinder in die Kirche zu führen, was die Mütter auch tun.

Daß verhältnismäßig viele Kinder auf einmal zusammenkommen, bedeutet noch nicht, daß es sich um eine Schule handelt: Die Priester haben nicht so viel Zeit, daß sie sich den ganzen Tag nur mit den Kindern beschäftigen können, denn sie haben auch noch andere Aufgaben; deswegen setzen sie für die Kinder eine Zeit zum Uberprüfen ihres Wissens fest. Und wenn ver­hältnismäßig viele Kinder auf einmal in die Kirche kommen, soll sie der Priester dann womöglich aus der Kirche hinausjagen und dann einzeln zur Uberprüfung hereinlassen? Das wäre doch absurd. Alle auf einmal zu über­prüfen ist leichter und geht schneller. Sie alle aber in der Kirche auszubilden, ist vollkommen unmöglich. Deswegen kann man in der Kirche keine Schule gründen, selbst wenn man dies möchte. Aus diesem Grunde werden in Polen, Ungarn, in der Deutschen Demokratischen Republik die Kinder das ganze Jahr durchgehend in Pfarrsälen in religiösen Dingen unterwiesen. Obwohl dort auch derselbe Kommunismus ist, wird dort die Bestimmung Lenins richtig angewendet: Religion wird in den Schulen nicht unterrichtet (was bedeutet: Die Kirche ist von der Schule getrennt). So versteht es auch die ganze Welt. Wir hätten also nach dem Grundsatz Lenins ebenfalls das Recht, das ganze Jahr hindurch den Kindern in der Kirche Religionsunterricht zu erteilen. Das Exekutivkomitee von Gargždai verfolgt uns aber schon wegen der Überprüfung der Kenntnisse! Ist das nicht ein blinder atheistischer Fanatismus, der die Religion gerne mit Gewalt ersticken möchte? Wo steht das Gesetz, daß man das Wissen der Kinder nur überprüfen darf, daß man sich aber ängstlich hüten solle, ein belehrendes Wort dabei zu sagen, denn das sei schon eine »Schule«? Ist denn das nicht absurd?

Neun Jahre lang wurden auf diese Art unsere Kinder in der Kirche über­prüft, und keiner hat ein Sterbenswörtchen dagegen gesagt. Das Exekutiv­komitee der Stadt Gargždai hat aber wahrscheinlich ein neues Gesetz her­ausgegeben, dem es blind Folge leistet. Das jedoch verärgert nur das gläubige Volk und stimmt es gegen die Regierung. Ist das denn vernünftig?

Das aber, was das Exekutivkomitee der Stadt Gargždai unbedingt sehen müßte, sieht es nicht: Wir bemühen uns seit einigen Jahren, unsere Kirche, eine Baracke, etwas höher zu machen, damit wir darin genügend Luft und Licht bekommen können. Das Exekutivkomitee achtet aber überhaupt nicht darauf, wenn sich die Einwohner der Stadt wegen Mangels an Luft, beson­ders im Sommer, abplagen müssen.

Wir bitten Sie sehr, uns, unsere Kinder und unsere Kirche vor ähnlichen terroristischen Ausschreitungen in Zukunft zu beschützen, damit wir die Religionsfreiheit, die die sowjetische Verfassung garantiert, für uns in An­spruch nehmen können.

Am 8. Juni hat sich dieser Terror wiederholt: Als die Mütter vor dem Gottes­dienst ihre Kinder brachten, damit der Priester ihre Kenntnisse überprüfe und die Kinder Kärtchen für die erste Beichte bekämen, kamen dieselben drei Frauen und dazu noch drei Männer eilig in die Kirche. Ohne ein Wort zu sagen, fingen sie gleich an, die Kinder, den Priester und die Mütter zu fotografieren ... Das Blitzlicht funkelte wie beim Unwetter. Alle, besonders aber die Kinder erschraken und gerieten in Verwirrung. Unter den Männern waren der Ortsvorsitzende, der Leiter der Bildungskader und ein Fotograf. Die Mütter schickten sich an, ihre Kinder zu verteidigen, die »Hausherren« aber machten, was sie wollten. Es entstand ein Tumult, eine Auseinander-

Setzung; die erschrockenen Kinder fingen an zu schreien: »Geht hinaus!« Schließlich gingen sie fort.

Rettet uns und unsere Kinder vor dem Terror, verteidigt unsere Gewissens­freiheit und die Gewissensfreiheit unserer Kinder! Die Kirche ist vom Staat getrennt, aber die Regierungsvertreter in Gargždai schalten und walten in der Kirche nach eigenem Gutdünken und terrorisieren die Gläubigen. Helft uns schnell!

Es unterschrieben 413 Gläubige der Pfarrei Gargždai.   Gargždai, am 8. 6. 1984.

Gargždai (Rayon Klaipėda)

Als der Priester der Pfarrei Gargždai am 30. Juli 1984 vor dem Gottesdienst die Katechismus-Kenntnisse der Kinder überprüfte, kamen zum dritten Mal Kontrolleure in die Kirche, diesmal der Sekretär der Kommunistischen Ju­gend und seine zwei Stellvertreterinnen. Zu der Zeit befragte der Priester ein dreißigjähriges Fräulein, ob es alles wisse, was man zur ersten Beichte wissen müsse. Der Sekretär der Kommunistischen Jugend behauptete, daß es sich bei einer solchen Befragung schon um Unterricht handle. Die in der Kirche anwesenden Mütter der Kinder widersprachen und sagten: »Wir unterrichten die Kinder selber und bringen sie nur zur Überprüfung.« Sie forderten die ungebetenen Gäste auf, die Kirche zu verlassen. Nachdem diese eine Akte angelegt hatten, wonach der Priester 75 Kinder in den Glaubens­wahrheiten unterrichtet habe, verließen sie die Kinder.

Um das Protestschreiben der Gläubigen der Pfarrei Gargždai vom 8. Juni 1984 beantworten zu können, lud der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Klaipėda, A. Leita, zwei Monate später, am 14. August, den Organisten der Pfarrei zu sich (seine Adresse war als Ab­sender angegeben, um eine Antwort zu bekommen).

In Anwesenheit eines uniformierten Milizbeamten erklärte er ihm: »Wenn Sie wieder die Regierung verleumdende Schreiben senden und Unterschriften darunter sammeln, werden Maßnahmen ergriffen.« Der Organist versuchte noch zu erklären: »Wenn die Regierungsvertreter sich in der Kirche nicht benehmen würden wie Rowdys, würde niemand ähnliche Schreiben abfassen und auch keine Unterschriften darunter sammeln...« Der Stellvertreter A. Leita unterbrach den Organisten und sagte: »Wir haben Sie nicht vorgeladen, um mit Ihnen zu diskutieren, sondern um Ihnen eine Antwort auf die Er­klärung zu geben. Eine andere Antwort werden Sie nicht bekommen.«

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An das Innenministerium der SSR Litauen Erklärung

des Priesters Šeškevičius, Antanas, Sohn des Kazys, Pfarrer von Mikoliškiai, wohnhaft in Gargždai, Tilto 1-2.

Da es nötig war, ein verfaultes Kreuz auf dem Kirchhof von Mikoliškiai durch ein neues zu ersetzen, bat ich als Pfarrer den Kolchosbauer Griušis aus dem Dorf Šiupariai, ein neues Kreuz anzufertigen. Er sagte zu und fer­tigte es aus dem ihm als Brennholz zugeteilten Material an. Obwohl ich ihm dafür Geld angeboten habe, nahm er keines an und gab es der Kirche als Geschenk.

Als wir das Kreuz am 25. November 1983 nach Mikoliškiai bringen wollten, verlangte die Verkehrspolizei des Rayons Klaipėda ein Dokument für das Holz. Da ich keines hatte, nahmen sie mir das Kreuz weg und brachten es in die Milizabteilung nach Gargždai. Die Miliz und die Vertreterin der Fi­nanzabteilung suchten bei Griušis nach einer Werkstatt, fanden aber keine. Griušis zeigte ihnen ein Beil und einen Hobel, mit denen er das Kreuz an­gefertigt hatte. Trotzdem bestraften sie ihn mit 10 Rubel Strafe. Der alte Mann hat die Strafe bezahlt.

Da der Inspektor Grimalis derjenige war, der das Kreuz konfisziert hatte, habe ich ihn gebeten, es zurückzugeben, nachdem ich ihm vorher die Her­kunft des Kreuzes schriftlich erklärt hatte. Er verlangte aber immer noch nach der Unterlage für das Holz. Ich wandte mich an den alten Pensionisten Griušis, er möge doch die Herkunft der Holzes schriftlich erklären. An je­mand anderen in dieser Angelegenheit mich wenden, konnte ich nicht. Er erklärte schriftlich, daß ihm der Waldhüter Martinaitis aus dem Sanato­riumswald Brennholz zugeteilt habe, und so habe er aus einer trockenen Eiche das Kreuz angefertigt.

Als ich dieses Papier dem Milizvorsteher zugestellt hatte, verlangte er noch ein Schreiben von dem Waldhüter Martinaitis. Dieser erklärte ebenfalls, daß er im Oktober für Griušis, genau wie auch für die anderen Kolchos­bauern, Brennmaterial aus dem Sanatoriumswald zum Heizen zugeteilt habe. Als ich dem Milizvorsteher auch dieses Schreiben zustellte, begnügte er sich mit diesen »Spickzetteln« nicht und wollte bei der Leitung des Kol­chos Erkundigungen einziehen. Soweit mir bekannt ist, tat er das auch; der Waldhüter gab dieselbe Erklärung ab. Inspektor Grimalis erklärte aber, daß er das Kreuz nicht mehr zurückgeben werde, weil es schon als Einnahme gebucht sei.

Ich wandte mich in dieser Angelegenheit an das Rayonexekutivkomitee von Klaipėda. Dort wurde mir erklärt, daß die Miliz durch die Wegnahme des

Kreuzes und die Bestrafung des Kolchosbauern Griušis widerrechtlich ge­handelt habe: Aus dem eigenen Material durfte er das Kreuz anfertigen und es der Kirche schenken. Als der Inspektor Grimalis nach einer Erlaub­nis zur Aufstellung des Kreuzes verlangte, erkundigte man sich bei dem Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten, P. Anilionis. Er stellte klar, daß keine neue Genehmigung erforderlich sei, um ein neues Kreuz an der Stelle eines verfaulten aufzustellen. Die Kreuze solle aber das Amt für öffentliche Versorgung herstellen, so hatte der Bevollmächtigte während seines Besuchs in Gargždai den Gläubigen erklärt. Da aber das Amt für öffentliche Versorgung keine Kreuze macht, war ich gezwungen, es privat zu bestellen: Auf andere Weise ist es doch unmöglich, sich ein Kreuz zu besorgen, wenn es schon erlaubt ist, es aufzustellen.

Deswegen bitte ich Sie sehr, bei der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Klaipėda darauf hinzuwirken, daß das der Kirche von Miko­liškiai weggenommene Kreuz zurückgegeben wird und daß die Finanzabtei­lung die dem Kolchosbauern Griušis zu Unrecht auferlegte Strafe zurück­erstattet.

Priester A. Šeškevičius

Gargždai, am 1. 2. 1984.

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An das Innenministerium der SSR Litauen Erklärung

des Priesters Šeškevičius Antanas, Pfarrer zu Mikoliškiai, wohnhaft in Gargždai, Tilto 1-2

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Einwilligung wegen der Rückgabe des von der Miliz weggenommenen Kreuzes. Nach dem Eintreffen Ihres Schreibens teilten mir der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Klaipėda, A. Leita, und der Vorsteher der Abteilung für innere Ange­legenheiten, Amamjew, mit, daß sie das Kreuz nicht zurückgeben würden, nur das Material werde vergütet, was der Kommunalabteilung schon über­tragen worden sei. »Ich brauche das Kreuz, nicht das Geld«, habe ich ge­antwortet.

Der Vorsteher der Kommunalabteilung erklärte mir, daß das Kreuz schon zersägt sei, er werde es aber mit 4 Rubel und 70 Kopeken vergüten. Ich bat ihn, mir wenigstens das zersägte Kreuz zurückzugeben, wir wollten ver­suchen, es wieder zusammenzusetzen. Seine Erklärung war: Dazu braucht man eine Genehmigung der Miliz, das Geld aber könne er gleich auszah­len. Ich war nicht einverstanden.

Ein Gericht verurteilte dazu, den angerichteten Schaden vollkommen zu er­setzen; man hat mich aber nur verspottet: Obwohl man zugab, daß man unrechtmäßig gehandelt hatte, wollte man den Schaden nicht gutmachen. Um so ein Kreuz herstellen zu lassen, benötigt man mindestens 150 Rubel. (...) Zudem bestrafte die Administrativkommission und die Finanzabtei­lung den pensionierten Kolchosbauern nur deswegen mit 10 Rubel, weil er aus seinem eigenen Material unentgeltlich ein einziges Kreuz für die Kirche angefertigt hatte. Sie haben doch dabei selber ein Unrecht getan; als die Milizbeamten heftig wurden, warfen sie dem alten Mann das Betreiben eines Gewerbes vor. Dann müßte man doch gleich jede Hilfeleistung für einen anderen bestrafen. Ist das nicht absurd? Wenn das Amt für öffentliche Ver­sorgung keine Kreuze anfertigt, dann muß sie doch jemand anders anferti­gen. Wo steht das Gesetz, daß zur Herstellung eines Kreuzes ein Sonder­genehmigung erforderlich ist? Das Kreuz ist das Banner der Christen. Ein Kreuz zersägen, das bedeutet die Christen beleidigen, von denen es auf der Welt über eine Milliarde gibt. Was würde geschehen, wenn irgendeine Person die sowjetische Fahne zerschneiden würde? Dann würden sich alle Kom­munisten beleidigt fühlen, und das würde man in der ganzen Welt hören können. Möglicherweise wird auch diese grausame Ausschreitung in der ganzen Welt zu hören sein, weil es im Jahre der Erlösung geschah, wo die Christen das Kreuz besonders verehren. Dienen denn solche Ausschreitungen dem Kommunismus? Litauen ist als Land der Kreuze bekannt. Werden die Christen nicht Anstoß an dieser Vernichtung der Kreuze nehmen? Das ganze Volk wird angegriffen und geschändet, wenn man seine hundertjährigen Traditionen verletzt.

Sie könnten diese Ausschreitung im wesentlichen bereinigen, wenn Sie bei der Miliz und beim Exekutivkomitee darauf hinwirken könnten, daß diese den angerichteten Schaden vollständig gutmachen: Anstelle des in sechs Teile zersägten Kreuzes müßte ein gleiches neu angefertigt werden. Außerdem soll die Administrativkommission und die Finanzabteilung die ungerechte Bestrafung des Pensionisten Griušis aufheben und ihm die 10 Rubel zurück­erstatten. Es wurde ungerecht und unklug gehandelt, als man sich beeilte, das Kreuz zu zersägen, denn ich habe die ganze Zeit über die Frage der Rückgabe erhoben.

Wenn Sie die Angelegenheit nicht bereinigen, werde ich gezwungen sein, mich an höhere Instanzen zu wenden, sogar bis nach Moskau. Ich hoffe, daß dies nicht nötig sein wird.

Gargždai, am 22. 2. 1984        Priester A. Šeškevičius

Bemerkung: J. Griušis, wohnhaft im Rayon Klaipėda, Dorf Šiupariai, wandte sich am 26. April 1984 mit einer Erklärung an das Rayonexekutiv­komitee von Klaipėda und forderte es auf, das ihm zu Unrecht von der Ad­ministrativkommission und der Finanzabteilung auferlegte und schon be­zahlte Bußgeld von 10 Rubel zurückzuerstatten. In seiner Erklärung unter­strich J. Griušis: »Daß mir ein Unrecht getan wurde, das hat auch das Innen­ministerium bestätigt, indem es aufgefordert hat, das zugefügte Unrecht wiedergutzumachen ...«

J. Griušis bekam auf seine Erklärung keine Antwort, und das Bußgeld wurde auch nicht zurückerstattet.

Klaipėda

Während 1984 Unterschriften unter der Erklärung gesammelt wurden (siehe »Chronik der LKK« Nr. 63), in der die Rückgabe der Kirche der Königin des Friedens zu Klaipėda gefordert wird, fingen die Miliz und die Sicher­heitsbeamten an, auf verschiedene Weisen die Unterschriftensammler zu terrorisieren: Sie nahmen ihnen die Texte weg, hinderten sie mit Gewalt am Sammeln und drohten ihnen. Die Gläubigen sind verärgert über ein der­artiges Benehmen der Beamten: » ... wir wenden uns doch an unsere eigene Regierung und nicht an eine fremde. Ist es vielleicht sogar schon verboten, darum zu bitten, daß ein zugefügtes Unrecht wieder gutgemacht wird?«

Kürzlich kam eine Antwort aus Moskau, wonach den Gläubigen erlaubt werde, anstelle der weggenommenen Kirche die jetzige Kirche zu vergrö­ßern. Die Gläubigen sind mit diesem Vorschlag nicht einverstanden: Die Vergrößerung der Kirche ist unmöglich, denn es fehlen die nötigen Funda­mente. Die Gläubigen müßten während der Umbauzeit aus der Kirche aus­ziehen. Es verbreiten sich Gerüchte, daß man vorschlagen will, die Kirche der Pfarrei Plikiai, 13 km von Klaipėda entfernt, zu benützen. Ein solches Angebot beunruhigt die Gläubigen von Klaipėda: »Eine mit dem Geld und der Arbeit der Gläubigen errichtete Kirche haben sie weggenommen. Was kann man von dem neuen Angebot erwarten? Haben wir vielleicht am Ende gar keine Kirche mehr?«

Jeden Abend beten die Gläubigen der Kirche von Klaipėda das Rosen­kranzgebet und bitten Maria um Ihre Fürsprache und Hilfe, um die Kirche wieder zurückzubekommen.

Žarėnai-Latveliai (Rayon Šiauliai)

In der Nacht vom 22. zum 23. Juni 1984 wurde in der Pfarrei Žarėnai-Latveliai ein historischer Friedhof, auf dem nach der Überlieferung früher die zu Tode gepeinigten Leibeigenen bestattet wurden und der vom Volk auch Agailiai, Kerbedžiai oder Meilačiai genannt wird, total verwüstet. Das erste Mal wurde dieser Friedhof, der sich mitten im Wald von Agailiai be­findet, am 8. September 1975 verwüstet und dem Erdboden gleichgemacht. Hier waren Kreuze errichtet worden, um Gott um Seine Gnaden zu bitten oder um für die erhaltenen Gnaden zu danken. Mitten unter den Kreuzen stand eine Kapelle, die etwa 100 Menschen aufnehmen konnte. Darin waren ein Altar und Beichtstühle und an den Wänden waren Kreuzwegstationen und Bilder angebracht. Diese Kapelle war niemals verschlossen gewesen. Einmal im Jahr, an Christi Himmelfahrt, fand hier ein Gottesdienst statt.

An dem genannten Tag bewachte die Miliz die Wege zum Friedhof, und andere Milizbeamte zerstörten alles; mit Bulldozern vernichteten sie die Kapelle, die großen Wandstücke aus Beton warfen sie in Mulden hinein und begruben sie. Es blieb nur eine öde, kahle Stelle übrig. Als dieser Van-dalismus vorbei war, fingen die Menschen an, dort wieder Kreuze zu errich­ten. Es wurde eine schöne Marienstatue aufgestellt mit der Inschrift: »Lieb­lichste Mutter, wir beten zu Dir für unsere Mütter, damit Du ihnen hilfst, ihre Kinder zu Gott zu führen und ihre Familien in Einheit zu erhalten. Gütigste Mutter, erflehe uns eine glückselige Sterbestunde, bitte für die sterbenden Sünder.« Die Leute errichteten ein kleines Kapellchen, in dem sie in einer Nische Bilder Jesu und Mariens anbrachten. Es waren schon über 100 Kreuze aufgestellt und um die Kreuze herum waren auf eisernen Stangen die Kreuzwegstationen angebracht. Heuer haben sich am Tag Christi Himmelfahrt hier besonders viele Menschen versammelt, auch zwei Priester — der Pfarrer von Kruopiai, Priester Romualdas Žulpa und der Pfarrer von Žarėnai-Latveliai, Priester Algirdas Pakamanis — waren anwesend.

Während der zweiten Verwüstung des Friedhofs setzten die Gottlosen Kräne ein, warfen alle Kreuze um, zerstörten das Kapellchen, die Statuen, und als sie alles zerbrochen und zerschlagen hatten, warfen sie alles auf ein Last­auto und fuhren bei Morgengrauen alles 33 km weit weg, in die Nähe von Tryškiai im Rayon Telšiai. Die Kreuze aus Eisen und das, was unbrennbar war, warfen sie in ein Moor im Wald von Lilėnai. Die hölzernen Kreuze, den Beichtstuhl, die Statuen aus Holz, die Kreuzwegstationen und das Bau­material der Kapelle warfen sie auf einen Haufen, bedeckten alles mit Ästen und verbrannten es. Um ihre barbarische Tat zu verbergen, brachten sie noch einige Lastautos voll Sand und ebneten mit Bulldozern die im Moor siegenden Kreuze damit ein. Heuer haben die Gottlosen nicht nur alles vernichtet, sondern sogar die Bäume um die Stätte des Friedhofs ge­fällt und den Brunnen zugeschüttet (bei der zweiten Verwüstung verschonten die Gottlosen nicht einmal den Brunnen, den sie das erste Mal stehen ge­lassen haben). Sie ebneten alles ein, damit von dem ehemaligen Friedhof kein Zeichen übrig blieb. Auf den Wegen, die zu dem Friedhof führten, stellten sie Durchfahrtverbotschilder auf, neben denen noch lange Zeit Re­gierungsbeamte wachten und alle terrorisierten, die den geschändeten Fried­hof besuchen wollten. Die Leute sagen mit schmerzendem Herzen: »Schon die Väter unserer Väter verehrten und schätzten den Friedhof von Meilaičiai, stellten hier Kreuze auf, nicht einmal dem grausamen Zaren stand er im Wege — die sowjetischen Terroristen aber stellen mit ihren Taten alles in den Schatten.«

Nach der Schändung des Friedhofs wurde in der Kirche der Pfarrei Žarėnai-Latveliai ein Trauergottesdienst abgehalten: Der Pfarrer, Priester A. Paka-manis, und die Gläubigen rutschten in einer Prozession auf den Knien um die Kirche, trugen Kreuzchen mit schwarzen Schleifchen in den Händen, sangen heilige Lieder und flehten Gott an um Seine Barmherzigkeit für alle, die in unserem Volke keine Kreuze leiden können, sie zerstören und ver­nichten.

Der Bevollmächtigte des RfR, Petras Anilionis, verwarnte über den Stell­vertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Šiauliai den Priester A. Pakamanis schriftlich und beschuldigte ihn der Aufwiegelung der Gläubigen gegen die Atheisten. Priester A. Pakamanis unterschrieb die Verwarnung nicht.

Utena

Am 20. August 1984 wurde in Utena des 10. Jahrestages seit dem Tode des Priesters Petras Rauda, den ehemaligen Vizerektor des Priesterseminars zu Kaunas, Gymnasialdirektor und Pfarrer von Utena gedacht. Priester P. Rauda starb im Alter von 80 Jahren, von denen er 18 Jahre unter schwe­ren Bedingungen der Unfreiheit verbrachte; im Alter verlor er auch das Au­genlicht. Um 13 Uhr konzelebrierten in der mit Menschen vollgefüllten Kirche in Anwesenheit von über 40 Priestern der Apostolische Administra­tor der Erzdiözese Vilnius, Bischof Julijonas Steponavičius, der Verwalter der Diözese Panevėžys, Prälat Kazimieras Dulksnys, und eine Gruppe Priester, Freunde des Verstorbenen, die hl. Messe. Eine Predigt zum Ge­denken an das leuchtende Andenken des Priesters P. Rauda und sein Op­timismus unter den schweren Bedingungen der Unfreiheit, hielt in der Kirche Priester J. Balčiūnas, ein Leidensgefährte des Verstorbenen. Bischof J. Ste­ponavičius sprach in Erinnerung an das schwere, aber sinnvolle Leben des Priesters P. Rauda an dessen Grabe: »(...) Die einen zittern in Schwierig­keiten wie die Blätter einer Espe, die anderen biegen sich wie ein im Winde schaukelndes Schilfrohr, die dritten aber stehen fest und unerschütterlich wie die Eichen ...« Zu den letzteren zählte der Bischof auch den Priester P. Rauda. Bischof J. Steponavičius hob den priesterlichen Fleiß, die Cha­rakterfestigkeit und den Mut von P. Rauda hervor.

Ukmergė

Am 2. Juli 1984 starb im Krankenhaus der Benefiziant der Pfarrei Uk­mergė, Priester Pranciškus Bastys. Priester P. Bastys stammte aus dem Rayon Jurbarkas, Pfarrei Skirsnemunė, wo seine Verwandten ihn neben seinen Eltern beisetzen wollten. Der verstorbene Priester P. Bastys war bei den Pfarrkindern beliebt, deswegen wollten viele von ihnen an der Beisetzung des Priesters teilnehmen. Das Beerdigungsbüro versprach, im Geschäft für Autotransporte zwei Busse zu bestellen. Am nächsten Tag wurde das Geld zurückerstattet, denn angeblich habe das Sicherheitsbüro verboten, die Gläu­bigen zu bedienen. Die Leiterin des Büros wurde gewarnt, sich nicht mit dem Sicherheitsdienst einzulassen. Dann eilten die Gläubigen in das Amt für öffentliche Versorgung von Ukmergė. Die Leiter dieses Amtes versprachen ihnen, sie mit Transportmitteln zu versorgen und stellten ihnen sogar eine Bestätigung aus, nur baten sie aus irgendeinem Grund, sich persönlich mit dem Busfahrer zu einigen. Am nächsten Tag zerriß die Sachbearbeiterin die Bestätigung und erwiderte scharf: »Wir bedienen keine Kirchler.« Warum? Es stellte sich heraus, daß am 4. Juli eine Gruppe von Gläubigen einen Autobus über das Amt für öffentliche Versorgung für eine Fahrt in Richtung Žemaičių Kalvarija bestellt hatte. Die Miliz, die auf den Straßen stand, hielt die Einwohner von Ukmergė an und befahl dem Autobusfahrer, mit den Reisenden zurückzufahren. Kaum waren aber die Türen des Autobusses geöffnet, sprangen die Wallfahrer schon hinaus und liefen davon. Der Busfahrer, der in seinem Fahrtenblatt stehen hatte, daß er die Leute hin­zufahren und wieder zurückzubringen habe, entschloß sich, anstatt der Miliz zu gehorchen, auf die Reisenden zu warten. Dadurch hat er die Milizmänner und die Sicherheitsbeamten erzürnt.

Die Nachricht über diesen Vorfall erreichte selbstverständlich auch die Miliz­abteilung von Ukmergė und den Direktor des Amtes für öffentliche Ver­sorgung. Deswegen wurden die Autobusse für die Beerdigung des Priesters P. Bastys abgesagt. Die Gläubigen wandten sich noch an das Werk für Eisenbeton von Ukmergė. Dort bekamen sie als Antwort: »Autobusse haben wir schon; wir haben aber Angst vor den Sicherheitsorganen!« Die Leute versuchten noch bei dem Instandsetzungsbetrieb »Paliepė« ihr Glück. Diese antworteten: »Sehr gerne, wenn das kein Priester wäre!«

Die Pfarrkinder begleiteten den verstorbenen Priester P. Bastys mit ihren eigenen Autos. Während der Beerdigung ist eine Frau in der Kirche ohn­mächtig geworden. Die Leute riefen ein Sanitätsauto, aber die wachhabende Krankenschwester antwortete spöttisch: »In eine Kirche fährt das Sanitäts­auto nicht.«

Kybartai (Rayon Vilkaviškis)

Am 29. April 1984 wurde in der Kirche von Kybartai des dritten Jahres­tages des Todes von Priester Virgilijus Jaugelis gedacht. Dieser Tag ist schon zu einer Tradition geworden. Während der hl. Messe wird nicht nur für den in Ehren unvergeßlich gebliebenen Priester V. Jaugelis gebetet und nicht nur seiner gedacht, sondern aller Märtyrerpriester, die für Gott und die Heimat ihr Leben geopfert haben. Obwohl der 29. April ein Arbeitstag war, versammelten sich trotzdem die gläubige Jugend und die Erwachsenen aus den verschiedensten Ecken Litauens und nahmen an dem feierlichen Gottesdienst aktiv teil. Die Priester Ričardas Repšys und Jonas Boruta hielten Predigten, in denen sie die Gläubigen aufforderten, in dieser schwe­ren Zeit für die Kirche in unserem Volke die Fassung nicht zu verlieren und sich in der Güte zu üben. Nach der hl. Messe versammelten sich die Priester und alle Gläubigen am Grabe des Priesters V. Jaugelis. Nach einem Gebet für den Verstorbenen und nach dem gesungenen Lied »Engel des Herrn« stieg das von den Gläubigen geliebte Lied »Maria, Maria...« zum Himmel empor. Am Ende der Zeremonie erklang das Lied »Teures Litauen, meine Heimat, das Land, wo in den Gräbern die Helden ruhen ...«

Kybartai

Am 7. Mai 1984 wurde in der Kirche von Kybartai für den vor einem Jahr verhafteten Pfarrer von Kybartai, den Priester Sigitas Tamkevičius, gebetet. Elf Priester konzelebrierten die hl. Messe. Die Predigten hielten der Pfarrer der Pfarrei Linkmėnai, Priester Jonas Lauriūnas, und der Pfarrer der Pfarrei Pociūnėliai, Priester Antanas Jokubauskas. In den Predigten wurde der Sinn des Opfers und Leidens von Priester S. Tamkevičius hervorgehoben. Nach der hl. Messe wurden die Kreuzwegstationen gegangen, die der Priester Jonas Kauneckas leitete.

Ryliškės (Rayon Alytus)

1953 wurde die Kirche von Ryliškės niedergebrannt. Die Regierung erlaubte nicht, sie wieder aufzubauen.

Als der Priester Petras Krikščiukaitis am 17. Juni 1984 nach Ryliškės fuhr, um dort am Friedhof die hl. Messe zu feiern, hielt ihn ein angetrunkener Milizmann an. Neben ihm standen zwei »Wolga« (Autos russischen Fa­brikats), in denen Beamte des KGB saßen. Priester P. Krikščiukaitis hielt nicht an, sondern fuhr weiter. Als er zum Friedhof kam, holte ihn derselbe Milizmann ein, und die Vertreter des KGB verlangten seine Papiere von ihm, der Priester weigerte sich aber, diese zu zeigen. Die Beamten wollten das Nummernschild vom Auto des Priesters herunternehmen, aber die Men­sehen stellten sich um das Auto herum und ließen es nicht zu. An den darauf­folgenden Sonntagen warteten die Milizmänner wieder auf den Priester. Als sie vergeblich gewartet hatten, fuhren sie wieder weg. Am 1. Juli fuhr der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Alytus, Makštutis, selbst in der Nähe des Friedhofs des Dorfes Ryliškės herum, wo die hl. Messe gefeiert wurde, und wartete auf den Priester. An diesem Tag kam der Priester etwas später zum Friedhof.

Kaišiadorys

Am 28. Juni 1984 haben unbekannte Täter während des Gottesdienstes in der Kirche von Kaišiadorys, als gerade die Kräuter und die Familien mit Kindern gesegnet wurden, ein über dem Anschlagbrett hängendes Kreuz geschändet. Sie nahmen es von der Wand herunter und warfen es in einen Spülwassereimer.

Čiobiškis (Rayon Širvintai)

In der Nacht vom 14. zum 15. Juli 1984 wurde die Kirche von Čiobiškis ausgeraubt. Mit einem Bohrer brachen die Diebe die Türen zur Kirche und zur Sakristei auf und nahmen vom Tabernakel am Hauptaltar ein Kreuz, aus dem Schrank in der Sakristei alle Kelche und eine Patene mit. Das Aller-heiligste Altarsakrament berührten sie nicht, obwohl es vor der Ablaßfeier in der Monstanz im Tabernakel des Hauptaltars untergebracht und nur um­gedreht war. Viele sind der Meinung, daß es sich hier nicht um einen zufäl­ligen Diebstahl handelt, sondern daß die Diebe daran interessiert waren, daß nach diesem »Unternehmen« keine Fürbittgottesdienste stattfinden, was die Bindung der Gläubigen an die Kirche nur noch verstärkt; durch solche Raubzüge werden die Priester-Extremisten, wie die Regierung sie nennt, aufgefordert, das, »was die Gläubigen von der Regierung gemietet haben«, d. h. das Inventar der Kirche, inventarisieren zu lassen.

Šakiai

Der Pfarrer und Dekan von Šakiai, Priester Juozas Žemaitis, brachte am 13. Februar 1984 die Marienstatue von Šiluva nach Šakiai, die er selbst aus Irland mitgebracht hatte und die den verfolgten Gläubigen Litauens von den Katholiken Irlands geschenkt worden war. Er stellte sie vorübergehend in der Kirche seiner Pfarrei auf, wo alle, besonders aber die Jugend, sie herzlich verehrten. Der Pfarrer erklärte den Leuten die ganze Geschichte dieser Statue. Am 23. Februar brachte Priester J. Žemaitis die Marienstatue nach Vilnius zu Priester Lydis, damit sich dieser um eine Restaurierung der Statue kümmere. Mit diesem Fall begann sich dann der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, zu befassen. Noch am selben Tag schimpfte er tele­fonisch den Pfarrer von Šiluva, Priester V. Grauslys aus, warum dieser erlaubt habe, die Marienstatuette aus der Kirche von Šiluva wegzubringen. Sehr böse sprach P. Anilionis auch mit Bischof Liudvikas Povilionis, und dem Priester Lydys erklärte er, dieser solle nur nicht wagen, die Marien­statuette zu vervielfältigen. Am 10. März wurde die restaurierte Marien­statuette nach Šakiai und am 13. März wieder nach Šiluva gebracht.

Šakiai

Der Pfarrer der Pfarrei Šakiai, Dekan J. Žemaitis, und der Vikar Vytautas Insoda wurden am 1. Februar 1984 in das Rayonexekutivkomitee von Šakiai vorgeladen. Hingegangen ist nur der Pfarrer J. Žemaitis. Die Stellvertre­terin des Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Kasparavičienė, tadelte Pfarrer J. Žemaitis mit der Begründung, daß die Kirche nicht nur für Kultzwecke benützt worden sei: nach dem Gottesdienst sei ein Videofilm über das Leben Christi gezeigt worden. Der Pfarrer stellte klar, daß an dem Tag an­statt der Abendandacht den Gläubigen in der Kirche ein religiöser Film gezeigt wurde, deswegen habe weder er noch der Vikar ein Vergehen be­gangen. Die Stellvertreterin Kasparavičienė interessierte sich dafür, wo der Film her sei, und warnte den Pfarrer, daß ähnliche Dinge in Zukunft nicht mehr vorkommen sollten. Kasparavičienė tadelte den Pfarrer auch wegen des Kinder- und Jugendkirchenchors und wegen der Ministranten und der Teilnehmer bei Anbetungen. Sie behauptete, daß das alles verboten sei. Priester J. Žemaitis legte ihr klar, daß es das Wort »unerlaubt« jetzt nicht mehr gebe, denn vor seiner Auslandsreise nach Deutschland und England sei ihm erklärt worden, daß er das Wort »unerlaubt« nicht gebrauchen dürfe, wenn sich jemand im Ausland über die Religion, über die Lage der Gläu­bigen in der Sowjetunion erkundigen sollte, zum Beispiel über die Mög­lichkeiten, die Kinder in den Glaubenswahrheiten zu unterrichten, der Jugend am Altar zu ministrieren, sich an Anbetungen zu beteiligen oder im Kir­chenchor zu singen. Als er im Ausland nach ähnlichen Sachen gefragt worden sei, habe er geantwortet, daß in der Sowjetunion die Kinder während der hl. Messe ministrieren und im Kirchenchor singen. Als die Leiter der Delegation das alles hörten, sei er dafür gelobt worden: »Gut spricht er!« Auf diese Erklärungen des Priesters J. Žemaitis antwortete die Stellvertreterin Kaspara­vičienė nichts, sie wiederholte nur noch einmal, daß auch Vikar Vytautas Insoda in das Exekutivkomitee kommen solle.

Telšiai

Zwischen dem 5. und 15. Mai 1984 verhörten die Sicherheitsbeamten die Frauen Mockuvienė, Maria Mėlynauskaitė, Stasė Činskytė und andere, die in der Kirche beschäftigt sind oder öfters in die Kirche gehen. Sinn dieser Verhöre war es, die Johannisfeier zu unterbinden; es sollte verboten werden, den Johannistag mit Johannisfeuer, Liedern und Bewirtung zu feiern. Die Frauen fragten mit Verwunderung: »Warum wird denn das verboten, wenn sogar die Rayonzeitung zu dieser Tradition aufforert:. Voriges Jahr stand ein langer Artikel darin, in dem alle aufgefordert werden, ein Johannisfeuer anzuzünden und auch andere mit dem Johannistag verbundene Traditionen wieder ins Leben zu rufen...«

Am 18. Juni 1984 rief der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, die Bi­schöfe A. Vaičius und L. Povilonis telefonisch an und wies sie darauf hin: »In der Nähe von Telšiai und Kaunas bereitet sich die Jugend darauf vor, den Johannistag zu feiern. Ermahnt die Priester, damit sie daran nicht teil­nehmen; mit der Jugend wird der Sicherheitsdienst schon fertig.« Am 20. Juni 1984 wurde in die Unterabteilung des KGB zu Telšiai der Pfarrer der Pfarrei Eigirdžiai, Priester Ferdinandas Žilys, vorgeladen und beschuldigt, daß in seiner Pfarrei eine Johannisfeier vorbereitet werde. Dem Priester wurde befohlen, in den Kirchen seiner Pfarrei am Vorabend des Johannis­tages keine Gottesdienste abzuhalten. Am 2. Juni wurde im KGB von Telšiai der Sakristan der Kirche von Viešvėniai, Bronius Savickas, vernom­men. »Welche Gottesdienste finden am 23. Juni in der Kirche von Vieš­vėnai statt?«, interessierten sich die Tschekisten. »Um elf Uhr ist ein Jahres­gedächtnis für einen Verstorbenen, und abends versammeln sich im Juni die Gläubigen immer, um alleine zu beten. Ist das vielleicht nicht erlaubt?«, antwortete und fragte gleichzeitig der Sakristan B. Savickas. Die Sicherheits­beamten wollten wissen, ob auch der Priester Jonas Kauneckas zu dem Gottesdienst kommen werde, ob er öfter nach Viešvėnai komme und warum die Kirche mit Blumengirlanden geschmückt sei. Der Sakristan erklärte, daß am vergangenen Sonntag in der Kirche eine Primizfeier stattgefunden habe. Deswegen sei sie geschmückt.

Am 23. Juni 1984 wunderten sich nicht nur die Einwohner der Stadt, sondern auch alle, die nach Telšiai fuhren: auf allen Wegen Verkehrskontrolle; alle fünf Minuten fahren Milizautos; auf dem Omnibusbalmhof von Telšiai wachen Milizmänner; alle Hügelchen der Umgebung sind von Milizbeamten umzingelt, und auf jedem Feldweg steht eine Patrouille der Miliz und der Verkehrspolizei. Die Jugendlichen Faustas Meiženis und Gintautas Petryla wurden vor einem Berg im Dorfe Sakalai angehalten. Die Milizmänner be­fahlen ihnen, sofort zu verschwinden, denn sonst könnte es etwas Schlimmes geben. In einem Wäldchen nicht weit von Viešvėnai verjagten die Miliz­männer sogar kleine Kinder aus einem Gehölz, wo diese Blumenkränze gemacht hatten. Auch um den Berg der Mädchen wurden an diesen Tagen die Wachen verstärkt, und im Wäldchen von Rainiai ließ sich Militär nieder.

Am Abend waren mehr Sicherheitsbeamte in der Kirche von Viešvėnai als

Gläubige. Die Tschekisten fragten die Frauen unterwegs in die Kirche, ob der Priester J. Kauneckas oft zu ihnen komme. In der Kathedrale von Telšiai beobachteten die Sicherheitsbeamten den Abendgottesdienst und die Gratu­lation des Kanonikers Jonas Beinorius ebenfalls. Als die Prozession an ihnen vorbeiging, ging einer der Kirchendiener zu ihnen und sagte: »Wir möchten Sie bitten hinzuknien, denn wenn die Nationalhymne gesungen wird, stehen wir doch auch auf.« »Laß uns in Ruhe«, erwiderte zornig der Sicherheitsbeamte.

Bei dem Einwohner von Viešvėnai, Kalakauskas, wurde Kindstaufe gefeiert. Als es dunkel wurde, zündeten die fröhlich gestimmten Gäste ein Johannis­feuer an. Kaum war das Feuer entzündet, da kam sofort auch die Mifiz daher. Bei Regenwetter wachten die Milizmänner die ganze Nacht hindurch auf den Hügeln, und als die Frauen morgens (um 5 Uhr) auf die Felder gingen, um ihre Kühe zu melken, sprachen sie sie voll Mitleid an. Die Be­amten aus Kelmė, Šiauliai und Vilnius waren der Verkehrspolizei und der Miliz von Telšiai zu Hilfe gekommen, und trotzdem leuchteten auf den Hü­geln der Umgebung von Telšiai und Viešvėnai die Johannisfeuer.

Kaunas

Die Heimatkundler von Kaunas wollten den Johannistag besonders feier­lich begehen. Am Programm allein sollten schon über 400 aktiv mitwirkende Personen beteiligt werden. Das Journal der Republik »Jaunimo gretos« (»Rotten der Jugend«) widmete der poetischen Beschreibung der Feststim­mung sogar zwei Seiten, und am Abend des 22. Juni erinnerte das Fern­sehen der Republik die Zuschauer an die schönen Traditionen des Johannis­tages, auf die die Litauer angeblich stolz sein können. Die Propaganda sah aber ganz anders aus als die Wirklichkeit: Die Johannisfeier bei Kaunas wurde unterdrückt, die traditionsreiche Johannisfeier auf dem Berg Rambynas wurde ebenfalls nicht gefeiert. Untertags wurde droben der Tag der sowje­tischen Jugend veranstaltet, und abends mußten die Teilnehmer ohne das traditionelle Johannisfeuer auseinandergehen.

Leipalingis (Rayon Lazdijai)

An die Redaktion der Tageszeitung des Militärdistrikts Mittelasien »Kovos vėliava« (»Banner des Kampfes«)

Erklä rung

des Robertas Grigas, Sohn des Antanas, wohnhaft in Litauen, Rayon Lazdijai, Leipalingis, Naujoji 13.

Ich habe in den Jahren 1982 bis 1984 einen »Tribut« — zwei Jahre meines Lebens in einem Arbeitsbataillon in Kasachstan im Standort Badam — gezahlt. Da ich ein Christ bin und da ich die Treue zu meinem eigenen Gewissen und die Treue zum sowjetischen Staat für unvereinbar halte, weigerte ich mich, den Militäreid abzulegen. Ich danke Gott, daß ich unge­achtet des physischen und moralischen Terrors diesem Prinzip bis zu Ende treugeblieben bin und daß dies in meinem Soldbuch eingetragen ist. Meine »Erzieher« haben aber ihre Hände nicht in den Schoß gelegt, sondern sich entschlossen, mich wenigstens zu verleumden. In der Nr. 53 dieses Jahres erschien in Ihrer Tageszeitung der Artikel »In einer einheitlichen Familie«, in dem eine zynische Lüge verbreitet wird. Es wird geschrieben, daß mir, der ich bis zur Einberufung gläubig gewesen sei und den nationalistischen Aberglauben und die Erdichtungen der Geistlichkeit über die Einschrän­kungen der durch die Verfassung garantierten Freiheiten unterstützt hätte, im Kollektiv der Armee die Augen aufgegangen seien. Das ist eine grobe, falsche Behauptung! Ich bin ein Christ und Litauer bis zu meiner Einberu­fung gewesen, ich bin es während der zwei Pflichtjahre gewesen und bin es auch jetzt nach meiner Rückkehr in meine Heimat Litauen. Die Tatsachen, mit denen ich ständig in der Armee konfrontiert worden bin, haben meine Anschauungen sehr stark gefestigt. Hier nur einige solche Tatsachen aus meiner eigenen Erfahrung. Die Sowjetunion hat die Deklaration der Men­schenrechte unterzeichnet, in der der Artikel 19 verkündet: »Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.« Als ich allein deswegen, weil ich aus meiner religiösen und nationalen Überzeugung den Eid der Kommu­nistischen Partei verweigert habe, auf der Pritsche in Tschimkent oder auf dem Betonboten in der Hauptwache von Kzyl-Orda geschlafen habe, erfuhr ich, wie es um dieses Recht in Wirklichkeit bestellt ist. Ohne den Artikel 52 der Verfassung zu beachten, der die Gewissensfreiheit garantiert, drohten mir die Funktionäre der politischen Abteilung zum Schluß meiner Dienst­jahre mit 5 Jahren Gefängnis, wenn ich meine Anschauung dem Eid gegen­über nicht ändern werde. Sowohl die Verfassung als auch die Schlußakte von Helsinki verlangen, die Würde des Menschen zu achten, und verbieten jede Verspottung um der Uberzeugung willen. Als die kommunistischen Offiziere mit unflätigen Worten fluchten, die Religion und das Litauertum verspot­teten, mußte ich erkennen, daß das Verlangen nach Menschlichkeit hier nur »terra incognita« ist. Als sie befahlen, jene, die ihr Arbeitspensum wegen der Erschöpfung nicht erfüllen konnten, mit den Gasmasken so lang herum-zujagen, bis sie bewußtlos zusammenbrächen, begriff ich, wie wahr es ist: »Wenn Gott verloren wird, geht auch der Mensch verloren.« Mit tiefer Dankbarkeit denke ich an alle anständigen Menschen, die mir geholfen haben, die Wahrheit Christi kennenzulernen. Ich bin stolz auf die heroischen Priester unseres Volkes, Sigitas Tamkevičius und Alfonsas Svarinskas, die zur ZelT in den Lagern von Perm allein deswegen leiden, weil sie die Gläu­bigen Litauens gelehrt haben, gewissenhaft zu leben. Ich danke der Vor­sehung dafür, daß sie mir erlaubt hat, ein Zeitgenosse dieser großen Män­ner zu sein.

In dem in Ihrer Zeitschrift veröffentlichten Artikel wird mit Unverfrorenheit gelogen, wenn man behauptet, daß ich vor Soldaten die Errungenschaften Litauens unter der sowjetischen Regierung und vor den »Kriegshetzern« die Bedeutung der Freundschaft mit dem russischen Volk gelobt hätte. Das ist eine Erdichtung. Die angeblichen Errungenschaften habe ich niemals gelobt. Welche Bedeutung haben sie, wenn man sie mit den Verlusten auf moralischen, kulturellen und menschenrechtlichen Gebieten vergleicht? Ich habe niemals über eine Freundschaft mit unseren östlichen Nachbarn ge­sprochen, denn ich habe sie weder in der Geschichte noch in der Gegenwart jemals bemerkt. Im Gegenteil, ich habe in meinen Äußerungen über die Rolle des »großen russischen Volkes« in der Geschichte Litauens immer den demoralisierenden Faktor der Russifizierung unterstrichen und habe immer den Akzent auf die Bedeutung des geistigen, buchträgerartigen Wider­standes im Kampf der Litauer für ihre Freiheit gelegt. In den zwei Jahren, die ich in Kasachstan verbracht habe, habe ich nicht einmal die Ausdrücke benützt, die mir der genannte Artikel zuschreibt. Wenn sie ihre eigene Weltanschauung achten, dann sind sie verpflichtet, diese Verleumdung zu widerrufen.

Am 8. 9. 1984        Robertas Grigas