Der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, erlaubte nicht, dieses Gedicht im Kalender der Katholiken für das Jahr 1984 zu drucken, weil es von dem im Untergrundpriesterseminar ausgebildeten Priester Jonas Matulionis ge­schrieben wurde (Freie Übersetzung):

Heiliger Casimir,

Zu Deinem heiigen Sarg erhebe ich die Hände.

Sanft ruht er dort in der Stille von Antakalnis,

Wo die ungetrübte Schönheit so vollendet

Und wo alles, alles in himmlischem Gebet versinkt.

 

Mit Lebenswärme, mit erquickungsvollem Wort,

Auf edlen Wegen der Gedanken führst Du mich ...

Auf heilbringenden Wegen Deiner Jugend immer fort —

Und ich finde die heilige Güte der Wahrheit.

 

Von unserem Vilnius aus, der Stadt mit dem Tor der Morgenröte,

Bewegtest Du Dich in der Gebetesstille zum Himmel empor,

Die Blüte Deiner Jugend brachtest Du dem Allmächtigen dar

Und die Ehrenkrone des Himmels fandest Du droben vor.

 

Blumen aus Gebeten legen wir Dir zu Füßen

Und verehren Dich in der Heiligen Schar...

Zu Deinem heiigen Sarg erhebe ich die Hände,

Vollgefüllt mit Bitten in der Stille des Gebets.

*

Nach den Jubiläumsfeierlichkeiten des hl. Casimir am 3. März 1984, die der Sicherheitsdienst auf jede Art und Weise herabzuwürdigen oder deren feierliche Stimmung er wenigstens zu verderben versucht hatte, waren die Gläubigen nicht mehr in größerer Zahl vor dem Sarg des hl. Casimir ver­sammelt. Niemand hat sich in den Großstädten bemüht, offiziell Pilger­fahrten zur St. Peter und Paul-Kirche, in der die Reliquien des hl. Casimir ruhen, zu organisieren. Nur in kleinen Gruppen kamen die Gläubigen orga­nisiert oder von eifrigen Pfarrern ermutigt nach Vilnius. Die ganze Zeit hielt eine Atmosphäre der Unsicherheit an, eine Angst, irgendetwas Grö­ßeres zu organisieren, damit niemand deswegen zu leiden habe. Erst zum Fest der heiligen Peter und Paul versammelten sich etwas mehr Wallfahrer, leider aber sprach der Pfarrer von Turgeliai, Dekan Kazimieras Vaicionis, während der Predigt, zum Staunen aller Versammelten, sehr böse über jene, die nach Religionsfreiheit verlangen. »Rechte wollen sie haben! Proteste schreiben sie! ! ! Sie sollen mehr beten! Beten muß man, aber nicht Unter­schriften unter verschiedene Protestschreiben sammeln...«, sprach der De­kan Priester K. Vaicionis zu den Versammelten.

Genau dieselben Stimmungen waren auch während der Jubiläumsabschluß­feierlichkeiten des hl. Casimir zu spüren. Die Prediger waren sorgfältig ausgewählt worden, damit nur ja keiner ein etwas mutigeres Wort sagt, das die augenblicklichen Schwierigkeiten der Kirche Litauens betrifft. Während der ganzen Oktav wurden die meisten hl. Messen, das Hochamt ausgenom­men, von den örtlichen Priestern zelebriert. Die Beichtgelegenheiten waren ein Problem für sich: nur einige Priester saßen in den Beichtstühlen, manch­mal nur zwei oder gar nur ein einziger. Die Gläubigen mit schlechterer Ge­sundheit brauchten es erst gar nicht zu versuchen, sich in der Reihe anzu­stellen.

Allen ist bekannt, daß der Pfarrer in seiner Kirche der Hausherr ist und daß ohne seine Zustimmung niemand das Recht hat, eine eigene Ordnung ein­zuführen. Wenn aber besondere Umstände es erfordern, sprechen die eifri­geren Priester Litauens von der Kanzel, absichtlich ohne die Zustimmung des Pfarres eingeholt zu haben, damit sie niemandem Unannehmlichkeiten bereiten oder dem Pfarrer Schaden zufügen. Wenn man den Pfarrer um seine Zustimmung bitten würde, wäre es peinlich für ihn, sie nicht zu geben; gibt der Pfarrer aber seine Zustimmung, dann wird ein großer Teil der Veranwortung für die gehaltene Predigt auf seinen Schultern lasten. Ein guter Priester wird lieber selbst ein Risiko eingehen und nicht wollen, daß ein anderer seinetwegen später zu leiden hat. Man muß aber reden! Die mei­sten Gläubigen finden sich wegen Mangels an Information in den einfach­sten Fragen nicht mehr zurecht. Die gebildeten Leute aber und die Schul­jugend, die eine Ausbildung abschließen will, gehen das Risiko ein, ihren Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz zu verlieren oder die Ungnade der Regie­rung auf sich zu ziehen, wenn sie öffentlich in die Kirche gehen, besonders aber, wenn sie an Prozessionen teilnehmen bzw. im Gottesdienst ministrie-ren. Fast alle Schüler, die in der Kirche ministrieren, werden ständig ver­folgt, in der Schule gedemütigt und geängstigt. Gerade sie haben ein ermu­tigendes Wort und ein Beispiel nötig, und das erwarten sie in erster Linie von einem Priester.

Während der Abschlußfeierlichkeiten des Casimir-Jubiläums stieg nach der Abendmesse am 23. August der Pfarrer von Pociūnėliai, Priester Antanas Jokubauskas, zur Kanzel hinauf. Kaum hatte der Prediger zu reden begon­nen, als sogleich der Pfarrer der Kirche, der Dozent des Priesterseminars zu Kaunas, Pranciškus Vaičekonis, aus der Sakristei herauskam, zu schreien anfing und mit den Händen deutete, daß die Orgel spielen und die Leute nach Hause gehen sollten. Die Leute bewegten sich aber nicht und die Orgel blieb still. Der Prediger sprach ruhig weiter. Der Pfarrer, der die Beherr­schung verloren hatte, griff nach dem Mikrofon, das im Presbyterium stand, aber ein Mann aus der Menge hielt ihn zurück und bat ihn taktvoll, die Pre­digt nicht zu stören. Als der Pfarrer sah, daß die Leute nicht weggingen und daß der Priester weiterredete, begann Dr. P. Vaičekonis den Priester A. Jokubauskas zu beschimpfen: »Gläubige, hört nicht auf ihn! Er ist ein Rowdy, er ist kein richtiger Priester! Ich kenne ihn nicht. Die Kirche ist kein Platz für eine öffentliche Versammlung!...« Plötzlich ging ein Licht nach dem anderen aus. In der Kirche entstand Dämmerung. Als der Priester A. Jokubauskas über die eingekerkerten Priester zu reden begann, schickte der Pfarrer zwei Männer in Chorröcken, um den Prediger von der Kanzel her­unterzuholen. Als sie gerade auf die Kanzel steigen wollten, sprang jemand aus der Menge schnell hinzu und hielt einen der Diener an, der erste war aber schon oben beim Prediger und faßte ihn an der Schulter. Der Priester A. Jokubauskas bekreuzigte sich und drehte sich um, um hinunterzusteigen. In diesem Moment sprang der Pfarrer in die Menge und wollte bis zur Kanzel vordringen. Die Gläubigen wichen am Anfang zur Seite und machten Platz, nachher aber drang die ganze Menge vor und schob den in Erregung geratenen Pfarrer bis in den Altarraum zurück. Als der Priester A. Jobu-bauskas die Kanzel verließ, begann die ganze Kirche zu applaudieren. Es ist in Litauen nicht Sitte, in der Kirche zu applaudieren, in diesem Falle aber, da es keine andere Möglichkeit gab, dem Prediger Zustimmung zu bezeugen, klatschten die Gläubigen ungeachtet aller Traditionen so stürmisch in die Hände, daß man nicht einmal mehr den laut über Prediger und Menge schimpfenden Pfarrer hören konnte. Kaum hatte sich das Klatschen etwas beruhigt, beschimpfte der Pfarrer die Gläubigen und den Prediger noch lauter. Um den Pfarrer zum Schweigen zu bringen, fingen die Leute wieder zu klatschen an. Und so ging es wechselweise weiter. Als die Menschen einsehen mußten, daß der Pfarrer nicht zu schimpfen aufhörte, fingen sie an gemeinsam »Maria, Maria« zu singen. Es war ein trauriger und schauriger Anblick. Es wäre viel leichter zu ertragen, wenn ein Milizbeamter oder ein Regierungsbeamter einen Priester herumziehen oder schlagen würde, als dieses hier... Am Abend des nächsten Tages erinnerte sich Pfarrer, Priester P. Vaičekonis, während der Bekanntmachungen vor der hl. Messe an den gestrigen Vorfall, und wieder sprach er, daß die Kirche kein Platz für Politik und öffentliche Versammlungen sei, obwohl sich der Priester A. Jokubauskas in seiner Predigt mit keiner Politik befaßt hatte. Er sprach über die Aktu­alitäten der Kirche unserer Tage in unserem Lande. Während der hl. Messe hielt der Pfarrer von Turgeliai, Dekan K. Vaičionis, die Predigt. Nachdem er zu Beginn schon über den hl. Casimir gesprochen hatte, befaßte er sich anschließend mit Aktualitäten unserer Tage. Zum größten Erstaunen der Gläubigen sprach der Prediger mit Vergnügen darüber, daß wir »in die große Sowjetunion eingegliedert sind«, daß wir un? »mit unseren russischen Brüdern vertragen« sollen, daß »eine Hoffnung besteht, daß in einer der Kirchen von Vilnius die Gottesdienste in russischer Sprache eingeführt wer­den« und daß »das markanteste Regierungsmerkmal des hl. Casimir in Litauen — große Sorge um die Katechisierung der Russen« gewesen sei. Es entstand der Eindruck, als sei der Hauptzweck der Predigt, zu beweisen, daß das litauische Volk und die »russischen Brüder« schon immer und ewig die besten Freunde waren. Die Stimmung der Gläubigen war wie während einer öffentlichen Versammlung: die einen lächeln, die anderen zucken mit den Schultern, die dritten wissen nicht, was sie denken sollen.

Am letzten Tag der Feierlichkeiten gab es wieder eine Überraschung. Vor dem Hochamt bat der Pfarrer P. Vaičekonis die Gläubigen, sich auf den Kirchhof zu begeben, um dort die ankommenden Bischöfe zu empfangen. Die Leute stellten sich auf dem Kirchhof bis zum großen Eingangstor und sogar noch weiter bis auf die Straße in Reih und Glied auf und warteten auf die Gäste. Nach längerem Warten hörten die Wallfahrer plötzlich, daß in der Kirche der Gottesdienst beginnt. Es stellte sich heraus, daß die Bi­schöfe durch das Seitentor gekommen und durch die Sakristei in die Kirche gegangen waren. Diejenigen, die am Haupttor gewartet hatten, fühlten sich hintergangen. Die Anweisung, daß die Bischöfe vor dem Gottesdienst in litauischer Sprache durch das Seitentor in die Kirche gelangen sollten, ist, soweit bekannt, von den den Gottesdienst beobachtenden Sicherheitsbeam­ten gegeben worden. Sie hatten nämlich befürchtet, daß die versammelten Leute den Apostolischen Administrator der Erzdiözese Vilnius, Bischof Julijonas Steponavičius begrüßen könnten. Während des Gottesdienstes in polnischer Sprache dagegen wurde den Bischöfen erlaubt, durch den Haupt­eingang die Kirche zu betreten. Als der Pfarrer der Kirche, Priester P. Vaiče-konis, zu Beginn des Gottesdienstes die angekommenen Bischöfe, die Ver­walter der Diözesen und die Mitglieder der Jubiläumskommission des hl. Casimir vorstellte, nannte er dem Wunsch der Sicherheitsbeamten entspre­chend nach allen anderen an letzter Stelle Bischof J. Steponavičius, ohne je­doch zu erwähnen, daß er der Apostolische Administrator der Erzdiözese Vilnius sei und obwohl die Amtsbezeichnungen der anderen Bischöfe feier­lich verkündet wurden. Während die Gläubigen draußen vor der Kirche auf die Bischöfe gewartet hatten, versammelten sich in der Kirche noch mehr Menschen, so daß jene, die vor dem Eingang der Kirche standen, keinen Platz mehr in der Kirche fanden. Als die Predigt begann, die S. Exzellenz Bischof A. Vaičius hielt, ging der Lautsprecher vor dem Haupteingang, wo sich viele Gläubige befanden, andauernd kaputt. Die Gläubigen fragten ein ander: »Soll man das endlose Kaputtgehen der Lautsprecher während der Feierlichkeiten auch weiter als reinen Zufall betrachten?!«

Am Sonnabend, dem 25. August, versuchte eine Jugendgruppe, die aus Marijampolė angereist war, am Sarg des hl. Casimir gemeinsam zu beten. Die Sicherheitsbeamten »saßen ihnen auf den Fersen« und genierten sich nicht, sie bis in die Sakristei zu verfolgen. So war es unmöglich, in der Kirche wenigstens einige Minuten für ein gemeinsames Gebet der Jugend zu finden. Vor dem Abendgottesdienst wurden junge Ehepaare hinterein­ander getraut, und als die Jugendlichen nach der Abendmesse kaum zu singen begonnen hatten, hörte man schon von der Orgelempore her den Chor, der »Tu es sacerdos« einübte, obwohl die Leute noch in der Kirche beteten und das zum Empfang der Bischöfe einstudierte Lied sich erübrigte, weil die Bischöfe inoffiziell durch den Seiteneingang kamen.

*

An den Apostolischen Administrator der Erzdiözese Vilnius S. Exzellenz Bischof J. Steponavičius

den Apostolischen Administrator der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis S. Exzellenz Bischof L. Povilonis

den Apostolischen Administrator der Diözese Kaišiadorys S. Exzellenz Bischof V. Sladkevičius

den Apostolischen Administrator der Diözese Telšiai S. Exzellenz Bischof A. Vaičius

den Apostolischen Administrator der Diözese Panevėžys Prälat K. Dulksnys

den Pfarrer der St. Peter und Paul-Kirche zu Vilnius Priester Dr. P. Vaičekonis

 

Eine Beschreibung des skandalösen Vorfalls während der Jubiläumsfeier­lichkeiten des hl. Casimir.

»Die Heiligkeit des hl. Casimir verstummt nicht...«, wie oft wurde dieser Gedanke in den Predigten der Jubiläumsfeierlichkeiten des Schutzheiligen unseres Volkes, des hl. Casimir wiederholt, der immer wieder in uns die Liebe zu Gott weckte: den Eifer in der Bezeugung der Wahrheit Christi, die Verehrung und die Dankbarkeit der Güte Gottes für den heiligen Königs­sohn — die Quelle unserer geistigen Kraft, von der Litauen den Lebenssaft zu schöpfen nicht aufhört, solange auch nur ein einziger Litauer am Leben bleibt, der danach dürstet, dem Willen des Schöpfers treu zu bleiben.

Begeisterung stieg aus der Seele der Einwohner von Vilnius wie auch der Gäste. Das bezeugt die zahlreiche Teilnahme der Gläubigen an der hl. Messe sowohl während des Hochamtes, als auch die ganze Woche über während des Abendgottesdienstes und ihre zahlreiche Vereinigung mit Christus in der Eucharistie.

Das ist ein so schönes Zeugnis gelebten Glaubens, daß sogar ein Gottloser zugeben mußte: »Der Glaube in unserem Lande ist trotz allem noch sehr lebendig.«

Ja, das Feuer der göttlichen Ideale lodert immer noch in der Brust des gläubigen Volkes, obwohl man es ganz gezielt zu löschen versucht. Die Vorkommnisse am Donnerstag, dem 23. August nach der Abendmesse (Beginn um 20 Uhr) haben nicht wenig seelischen Schmerz und die Bitterkeit des Zweifels hineingegossen. Wenn zum Kampf gegen Gott und die Religion gerüstet wird, dann hängt es entscheidend von der Einigkeit ab, ob man gläubig bleiben kann. In der Einheit liegt die Stärke! Das ist eine alte, von der Geschichte bestätigte Wahrheit. Der Geist der Einheit wurde auch wäh­rend dieser Feierlichkeiten immer wieder beschworen; um ihn bittet man während der hl. Messe im gemeinsamen Gebet. Und siehe da! An jenem genannten Tage wurde offenbar, daß uns diese lebensnotwendige Einheit fehlt. Als die hl. Messe zu Ende war, sahen die Leute einen Priester auf der Kanzel. Wird es womöglich noch eine Predigt geben? Ja. Der Priester bekreuzigt sich und beginnt zu reden. Was soll denn das wieder?! Mit dem ersten Wort wird der Lautsprecher abgeschaltet. Vom Altar aus hört man eine Stimme: »Ein Rowdy! Ein Verrufener! Schweig still! Wer hat dich darum gebeten?!«

Doktor P. Vaicekonis sprang zu der Menschenmenge: »Geht auseinander! Warum horcht ihr da? Geht nach Hause! Ich kenne ihn nicht!« Ein Priester treibt die Menschen aus der Kirche hinaus... Das Benehmen des Doktors überschritt in den Augen der meisten alle Anstandsregeln. Er sagt, er kenne den Priester nicht. Ist das nicht sonderbar?! In der Menge war ein Raunen zu hören: »Das ist doch Priester A. Jokubauskas.« Die Menge erkannte den Priester, der Priester aber, Professor des Priesterseminars, erkannte ihn nicht. Er mußte ihn aber erkennen, weil Priester A. Jokubauskas (nach dem »Kalender der Katholiken« 1982) im Jahre 1954 die Priesterweihe bekam, und Priester P. Vaičekonis im Jahre 1952. Es verbinden sie also mindestens zwei Jahre, die sie beide im Priesterseminar verbracht haben.

Der Prediger fuhr fort. Der Pfarrer kehrte wieder in die Sakristei zurück. Die Menschenmenge verharrte in einer Stille der Begeisterung, die von zwei hinter­einander folgenden Glockenschlägen zerrissen wurde — ein Zeichen für den Organisten. Vielleicht wünscht man, daß er die Orgel spielt? Die Glöck-chen neben dem Altar werden geläutet. Im Presbyterium rannten Männer in weißen Chorröcken herum. Es ist irgendwie eine Panik entstanden... Die Predigt wird fortgesetzt. Langsam werden die Lichter nacheinander ausgeschaltet, bis es schließlich in der Kirche ganz finster wird, und die Menschenmenge ruft: »uuuch!«, um ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen. Die Finsternis verhinderte aber nicht die Fortsetzung der Predigt. Die Men­schenmenge lauschte mit noch größerer Aufmerksamkeit: Niemand schickte sich an, die Kirche zu verlassen, jene ausgenommen, die vom Pfarrer hinaus­getrieben, schon am Anfang der Predigt hinausgegangen waren. Solche gab es nur einige, aber die beinahe ganz volle Kirche lauschte weiter ...

Die Dunkelheit ermöglichte es einem der Kirchendiener, auf die Kanzel hinaufzusteigen. In der Dunkelheit konnte man sehen, wie dieser Mann seine Hand auf die Schulter des Priesters A. Jokubauskas legte. Als der Priester sein »Amen« gesagt hatte, bekreuzigte er sich und wurde von der Kanzel heruntergeführt. Die Menschenmenge begann feurig zu applaudieren. Plötzlich leuchteten die Kronleuchter wieder auf. Wieder sprang der Priester P. Vaicekonis aus der Sakristei zu der Menschenmenge hinaus und versuchte, die in die Hände Klatschenden zur Ruhe zu bringen. Aber die ersten Reihen der Menschenmenge stießen den Pfarrer derart zurück, daß er beinahe in der Mitte des Presbyteriums landete. Zum Glück gelang es einem der Kirchendiener, das Türchen der Kommunionsbank zuzumachen. Wer weiß, ob die erhitzte Menschenmenge nicht noch weiter vorgedrungen wäre. Der Pfarrer sprang sofort zum Mikrofon (das wieder in Ordnung war !! !): »Veranstaltet hier keine öffentlichen Versammlungen! Geht auf die Straßen, auf die Plätze, um dort öffentliche Versammlungen zu veranstalten! Hier ist eine Kirche! Das Allerheiligste! Stört die Leute nicht beim Beten!« (...) Als der Pfarrer aufgehört hatte, beruhigte sich die Menschenmenge etwas.

Aber Priester P. Vaičeekonis nützte diese Ruhe aus und versuchte mit den­selben oder ähnlichen Worten wieder, die Menschenmenge wegen des spon­tanen Applaudierens und der Beifallrufe, wie »Hurra!«, »Gott!« und an­dere zu beschimpfen. Die Menschenmenge ließ sich aber nicht beschimpfen. Im Gegenteil: Mit immer wieder wiederholtem Klatschen und mit Beifalls­rufen zwang sie den Pfarrer zum Schweigen, der im Namen der »Einheit« den Prediger zum Schweigen bringen wollte. Nach dem Mißerfolg ging der Pfarrer in die Sakristei zurück. Die Menschenmenge beruhigte sich langsam und nur ein Raunen des Mißfallens war noch zu hören. Mit lauter Stimme wurde angestimmt: »Maria, Maria, . . . erleichtere die Knechtschaft! . . .« Wahrhaftig schmerzvoll klang die Melodie und stieg empor zum Barockge­wölbe der Kirche. Als der Priester A. Jokubauskas die Kirche verließ, gratu­lierten ihm viele aus der Menge und drückten ihm zum Zeichen der Herz­lichkeit und Solidarität die Hand: »Nur Kraft, Pfarrer!«. Tränen schimmer­ten in den Augen der Gläubigen... Gleichgültige und jene, die es nicht verstanden haben, gab es nur wenige ...

Warum war es nötig, den Priester A. Jokubauskas zum Schweigen zu brin­gen? Hat er vielleicht eine Unwahrheit verkündet? Keinesfalls! Nur ein mutiges Wort der Wahrheit hätte die Menschenmenge so heiß und herzlich begrüßen können! Und es lautete so: (Wir geben nur eine Zusammenfassung):

Die Heiligkeit der Persönlichkeit des hl. Casimir ist in den fünf Jahrhunder­ten kein bißchen blasser geworden. Das bezeugt auch die Herzlichkeit Eurer Zusammenkunft, obwohl die Gottlosigkeit mit den größten, am besten organisierten Maßnahmen die Kirche in Litauen zerstören und vernichten will. Wir beten für die priesterlichen Berufe, weil schon 130 Pfarreien ohne Priester sind! Fehlt es vielleicht an Berufenen? Nein, das ist nicht wahr — Berufungen gibt es immer noch! Aber die Gottlosen erlauben nicht allen Jugendlichen, in das Priesterseminar einzutreten, die es gerne möchten! (Bei diesen Worten wurde die große Beleuchtung abgeschaltet!) Weiter forderte der Priester auf, die Sünde und das Böse in unserem Leben zu hassen. Er sprach Mut zu und sagte, daß Gott, selbst wenn die größte Finsternis der Sünde herrschen würde, immer der Sieger sei und wir mit Ihm siegen würden. Er beschwor die Gläubigen, sich vor keinem Opfer zu fürchten, nicht ein­mal vor dem Tod, wenn die Treue zur Kirche und zu Gott dies erfordern. Und in der Tat! Welchen Wert hat eine Idee, wenn man nicht bereit ist, sich für sie zu opfern oder sogar zu sterben? Jetzt nannte er jene, die sich auf dem Weg der Aufopferung befinden: die verhafteten Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevicius. (Jetzt wurden auch die restlichen Lich­ter abgeschaltet, und der Prediger wurde abgeführt).

Können wir vielleicht diesen Worten Politik vorwerfen? Jawohl, das ist eine Politik, das ist aber eine Politik der Kirche, eine Politik Gottes und nur Seine Politik ist es!!! Die Vorbereitung der Priester gehört nur der Verwaltung der Kirche, aber nicht der Zivilregierung! Die Gottlosen zer­stören öffentlich auf hinterlistigste Weise und durch Lüge die Kirche in unserem Herzen — nur die Angsthasen und die Naiven bemerken das nicht! Die Taten des Teufels, die Sünde zu hassen, das gehört doch zum Christsein überhaupt! Das war doch auch die Lebensparole des heiligen Königssohnes Casimir! Die Einheit mit den Leidenden (nicht anders tat auch der Heilige Vater, als er in diesen Tagen so mitfühlend an Litauen dachte), das ist doch die Pflicht der Nächstenliebe. Einen Gefangenen zu besuchen, ist doch eine gute Tat. Wir besuchen unsere Gefangenen durch unser Gebet und dadurch, daß wir uns öfters an ihre ehrenvolle Aufopferung erinnern. Andere Mög­lichkeiten haben wir nicht...

Aber siehe da, der Priester K. Vaičionis, der während des Abendgottes­dienstes am 24. August gesprochen hat, behauptete, daß es ein Segen Gottes sei, daß Litauen in die Sowjetunion aufgenommen worden ist. Ist dies viel­leicht keine Politik?

Wir befinden uns also in einer jammervollen Lage. Wir werden aufgefordert, für die Einheit zu beten; unter welchem Banner aber sollen wir uns ver­einen: unter dem Banner der Wahrheit Christi oder unter dem der Politik der Gottlosen? Wir wollen alles tun, und wir riskieren manchmal dabei sehr viel, damit unser Leben nur unter dem Banner Christi bleibt!

P.S. Am 29 Juni d. J., während der Ablaßfeier in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul, führte der Priester K. Vaičionis in seiner Predigt Beweise vor, daß die Erklärungen und das Sammeln der Unterschriften unter Erklärungen unnötig seien und daß sie nur der Katholischen Kirche schaden. Wir wollen also diesmal nur die oben genannte schmerzliche Tat­sache feststellen (denn schweigen dürfen wir nicht, wir fühlen die Stimme unseres Gewissens, und wir begreifen, daß wir durch das Schweigen schuldig würden), ohne Unterschriften zu sammeln, wenn wir das auch machen könnten. Erlauben Sie uns, einige Anliegen vorzutragen. Wir möchten gerne während solcher Ablaßfeiertage mehrere Priester in den Beichtstühlen ha­ben, besonders aber während der Abendgottesdienste und vorher. Sonst entstehen große Schlangen vor den Beichtstühlen, was die Gläubigen stört, von denen die meisten sowieso den Sakramentenempfang gerne bis auf weiteres verschieben. Wozu sind dann die Ablaßfeiertage, wenn die Men­schen die Gnaden Gottes nicht voll ausschöpfen dürfen? Bis jetzt sind die Priester 10 —15 Minuten vor der hl. Messe in die Beichtstühle gekommen, meistens aber wenn die hl. Messe schon begonnen hat. Verzeihen Sie uns, aber es ist doch sonderbar und macht uns stutzig; ausgerechnet während der Feierlichkeiten (z. B. am 3. März) versagen die Lautsprecher, oder sie wer­den überhaupt — besonders in der Nähe der Türen (wie am 26. August) — nicht eingeschaltet. In diesem Falle konnten die auf dem Kirchhof versam­melten Gläubigen die Predigt nicht hören. Man darf das nicht vergessen, daß ein großer Teil der Teilnehmer der Ablaßfeier auf dem Kirchhof oder sogar auf der Straße gewesen ist.

Die Gläubigen von Vilnius, die am Abendgottesdienst der Jubiläumsfeier­lichkeiten des hl. Casimir am 23. August teilgenommen haben.

Am 27. August 1984.

Zum Andenken an das 500jährige Jubiläum des Todes des hl. Casimir wurde in Litauen die Monografie von Bischof K. Paltarokas »Der hl. Kö­nigssohn Casimir« in Esperanto, und das Werk des Historikers Simas Su­žiedėlis »Der Königssohn Casimir« in die estnische Sprache übersetzt.

Beide Übersetzungen sind mit der Schreibmaschine geschrieben.