Kūčios (Das Abendessen am Heiligen Abend)

 

Wie eine Mutter birgst du, liebe Heimat, tröstliche Hoffnung.

Ich höre, wie du an diesem weißen Heiligen Abend

deine Kinder rufst —

und in Gedanken flieg' ich

in deine Arme, liebe Heimat,

und weile in trauter Zwiesprache bei dir.

Aus der Ferne kommen mir schon entgegen

die Stadt des Gediminas,

                          die Kreuze auf den Kirchtürmen,

die Mutter Gottes aus dem Tor ...

                          Tausend Meilen würde ich gehen,

                          könnte ich auf die Knie fallen

und dort das Straßenpflaster küssen,

ja auch nur ein Stäubchen der Heimaterde —

unaufhörlich rufst du mich .. .

                         Mir scheint, ich seh' das Haus, wo ich geboren.

den gedeckten Tisch am Heiligen Abend,

darüber gebreitet das schneeweiße Tischtuch...

die silbergrau glänzenden Haare der Mutter,

ihre tränenfeuchten, so gütigen Augen,

und ihre nach des Tages Mühsal zum Gebet

gefalteten Hände . ..

O Litauen! In weißem Traume seh ich dich!

Und immer hör ich dich rufen:

Komm heim, es ist genug!

Durch den Schnee und Eis versilberten

Stracheldraht Glöckchenklang?

Das Hirtenamt? — Die Schüssel des Wächters!

Und wieder Stille, so lähmende Stille!

O Gefangenenlos, o armseliges Obdach,

o Tage bar jeden Wortes der Güte,

o eisige Kälte im Innern des Herzens...

Heller wird es da drinnen

durch Bethlehems Stern

und sein mildes Licht läßt erstrahlen

die fernen Tage der Freiheit

wie einen Traum . ..        DAGYS

 

Im Herbst 1984 wurde den Gefangenen Priester Alfonsas Svarinskas, Balys Gajauskas und Viktoras Petkus das Wiedersehen mit ihren nächsten Ver­wandten untersagt. V. Petkus wurde es schon fünfmal nacheinander nicht erlaubt, sich mit den Seinen zu treffen. Es sind also schon über zwei Jahre her, daß ihn einer von den Verwandten gesehen hat. Ihm Kleider zu übergeben, wurde nicht gestattet. Schon seit einem Jahr kam kein Brief mehr von V. Petkus nach Litauen. Auf die Briefe seiner Angehörigen kommt keine Ant­wort. In seinen letzten Briefen schrieb V. Petkus 1983, daß es mit seiner Gesundheit schlecht stehe und ihn andauernd Kopfschmerzen .uägen

Die Unterlagen der Postsendungen besagen, daß die Sendungen im Gefängnis ankommen; ob sie aber auch den Gefangenen erreichen, bleibt unklar.

Die Antworten der Gefängnisverwaltung auf Anfragen über den Gefangenen V. Petkus sind nur nichtssagende Formbriefe.

Aus den Briefen des Priesters Sigitas Tamkevičius:

»... Danke für Ihre Grüße, guten Wünsche und Gebete! Ich danke allen, die mir gratulieren und für mich beten. Wie unschätzbar kostbar ist diese unsichtbare, aber sehr wertvolle Unterstützung, für die Entfernungen und Schranken keine Hindernisse sind. Der Monat September bringt mir sehr kostbare Augenblicke in Erinnerung, als wir Maria von Šiluva besuchten. Wie lieblich waren diese Reisen! Wie schön war es, einen halben Tag in Šiluva zu verbringen! Wir kehrten zwar müde zurück, aber reicher im Geiste, denn wir haben jene Atmosphäre eingeatmet, die uns emporhebt und uns zu den Menschen macht, die wir sein sollen, nämlich dem Herzen Jesu ähnlich. Schon das zweite Jahr besuche ich Maria von Šiluva nur in Gedanken und mit dem Herzen. Ich lege ihr dieselben Sorgen und Freuden zu Füßen wie einst. Und genauso wie früher fühle ich ihre segnende Hand.. .

Der Herr Jesus Christus, der mich fortwährend stärkt, möge auch Ihre stärkste Stütze sein. Mit ihm kann man beruhigt durch das Leben gehen und fühlen, daß der sterbliche Mensch in uns von Tag zu Tag abnimmt und daß wir uns dem Ziel unserer Reise, der Ewigkeit, nähern.« Am 25. 9. 1984.

Priester Alfonsas Svarinskas schreibt:

»Ich bin allen sehr dankbar, die sich meiner erinnern. Die Hilfe des Herrn brauche ich sehr nötig, denn die menschlichen Kräfte sind beschränkt.

Der Herbst ist bei uns sehr früh gekommen. Am 7. Oktober ist Schnee ge­fallen und die Kälte setzte ein. Jetzt gibt es sehr viel Schnee und gestern hatte es — 22 Grad Celsius. Heute haben wir zum zweiten Mal Tauwetter ...

Ich arbeite beim Bau unter freiem Himmel. Es ist schwierig! Ich bin doch schon 60 Jahre alt, die Arbeitsbrille + 5,5 und ich habe doch noch nie in meinem Leben ein Beil in der Hand gehabt. Man braucht überall nur Er­fahrung und Übung. Mit Freuden nehme ich dieses neue Kreuz auf mich — es wird ein größeres Opfer für Gott sein. Sonst geht es mit meiner Gesundheit so ungefähr, nur das Herz mag keine schwere Sachen heben. Ermüdet es stark (das geschieht nicht jeden Tag), dann kann ich nachts nicht einschlafen. Das Bein macht keine Schwierigkeiten. Ich gehe viel spazieren und treibe Gymnastik. Mit den Zähnen habe ich kein großes Malheur, zwei davon wurden mir gezogen und dafür andere aus Metall eingesetzt, aber ich habe schon vor zwei Jahren die untere Zahnbrücke zerbrochen und kann sie nicht in Ordnung bringen. Das ist aber alles noch zu ertragen.

Kaufen Sie mir eine Brille und schicken Sie sie mir mit dem Vermerk »Brille«, dann wird es nicht als Päckchen verrechnet, denn mir stehen nur zwei Päck­chen im Jahr zu ...

Sonst ist meine Stimmung gut. Ich lese, lerne Sprachen und glaube fest an die Vorsehung Gottes.

Verzeiht mir, daß in meinen Briefen nur materielle Angelegenheiten und keine geistigen zu finden sind. Im Herzen gibt es viel Geistiges; ich will aber, daß Sie wenigstens ein Brief im Monat erreichen kann.

Siehe, da habe ich doch noch eine Bitte. Am 2. November wurde mir mitge­teilt, daß mir ein kurzes Wiedersehen für Dezember gestrichen worden ist. Ich habe am 1. November an meinen Bruder geschrieben, deswegen kann ich ihm nur durch Sie mitteilen, daß er nicht kommen soll. Ich danke ihm für seine brüderliche Liebe und sein christliches Pflichtbewußtsein. Möge der Herr ihm vergelten. Wir werden uns bestimmt nicht so bald wiedersehen. Leben wir so, daß wir uns in der Ewigkeit begegnen können, denn das ist das Wichtigste!

Brüderliche Grüße an alle Kollegen und Pfarrangehörigen.« Im November 1984.