Vilnius

Wenn man einen Einflick in den »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen« für das Jahr 1985 bekommt, dann fallen einige Fehler und Abweichungen mit dem »Kalender der Katholiken — gesammelte Informa­tionen« des vergangenen Jahres ins Auge. In der gemeinsamen Liste der Bischöfe Litauens zum Beispiel wird die Amtsbezeichnung (z. B. Administra­tor) nicht wie früher angegeben. Dies wird nur am Anfang der Liste der Geistlichen einzelner Diözesen vermerkt. Bischof Julijonas Steponavičius wird nur bei der Aufzählung der in Žagarė lebenden Geistlichen genannt, unter seiner Amtsbezeichnung als Apostolischer Administrator der Erzdiö­zese Vilnius wird er jedoch nicht erwähnt, obwohl er im vergangenen Jahr in der gemeinsamen Liste der Bischöfe von Vilnius in Kurzform erwähnt wurde. So ging man auf Anweisung des Bevollmächtigten des RfR Petras Anilionis vor.

In der Liste der Diözesanrichter der Erzdiözese Vilnius müßte der Name des Priesters Donatas Valiukonis zu finden sein — denn tatsächlich übt er sein Amt aus, aber in der im Kalender zusammengestellten Liste ist er nicht aufgeführt. P. Anilionis kann ihn mit Sicherheit deswegen nicht leiden, weil dieser verhindert hatte, die unkanonischen Wahlen in den Priesterrat der Erzdiözese Vilnius durchzuführen.

In dem 1984 herausgegebenen »Liturginis moldynas« (»Liturgisches Gebet­buch«) ist der verstorbene Priester Pranciškus Masilionis als Verfasser des

Liedes »Radau bičiulį« (»Ich habe einen Freund gefunden«) nicht angegeben. Der Priester P. Masilionis war bei den Gottlosen ebenfalls niemals beliebt.

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Am 28. Juni 1985 hat der Bevollmächtigte des RfR, Petras Anilionis, die Bischöfe und die Verwalter der Diözesen nach Vilnius eingeladen. Der Be­vollmächtigte sprach selbst zu ihnen und zwar böse und aggressiv. Die erste Frage, mit der er sich befaßte, war die Auswahl der Kandidaten für das Priesterseminar. »Der Staat hat das Recht, sich in diese Angelegenheiten einzumischen, weil die Kirche innerhalb des Staates arbeitet«, unterstrich P. Anilionis, als er seine Rede begann. »Eine ganze Reihe der vorgestellten Kandidaten sind ungeeignet. Bei der Vorstellung der Kandidaten muß man beachten, wie sie politisch eingestellt sind und wie sich ihre Eltern zur Zeit der deutschen Besetzung und in den Nachkriegsjahren gezeigt haben (die Eltern der Kandidaten, die jetzt in das Priesterseminar eintreten, waren zu der Zeit meistens selber noch nicht volljährig oder sogar noch Kinder — Bern. d. Red.), damit sie keine Extremisten werden. Sehen Sie«, setzte P. Anilionis fort, »in Saločai soll einer der Gratulanten bei der Primizfeier des Priesters A. Balaišis gesagt haben: »Ein Priester darf nicht nur beten, sondern muß auch ein Kämpfer für Gott und die Heimat sein.« Was wollt ihr haben«, fragte er spöttisch, »Bischöfe, Priester oder Kämpfer?« (Diese Stelle er­innert an die Ermahnung Christi über das Beten: »Nicht jeder, der sagt: Herr, Herr, wird in das Himmelreich hineinkommen.. .« Bern, der Red.). P. Anilionis nannte eine ganze Reihe von Kandidaten, die seiner Meinung nach für das Priesterseminar ungeeignet sind. Julius Sasnauskas z. B. habe in der Gruppe von A. Terleckas und Priester P. Masilionis gearbeitet und wurde 1980 verurteilt (leider hatte er nicht einmal Gelegenheit, eine Eintrittser­klärung an das Priesterseminar einzureichen — Bern der Red.), Saulius Kelpša sei Organisator antistaatlicher Aktionen gewesen (voriges Jahr ver­suchten einige Dozenten des Priesterseminars ihn der Aktionen gegen die geistliche Obrigkeit zu beschuldigen — Bern, der Red.), Adolfas Teresius sei ein emissarius des Priesters A. Svarinskas; ebenso seien auch Kazimieras Stulgys, Vidmantas Striokas, Lionginas Virbalis, Jonas Vailionis und noch andere ungeeignet wegen der Bekanntschaften mit eifrigen Priestern, die P. Anilionis extremistische Priester nennt. Die Bischöfe sollten sich nicht mit solchen abgeben und sie nicht zu Priestern weihen. Dies war eine persönliche Bemerkung an Bischof V. Sladkevičius, der vielen solcher Kandidaten die Priesterweihe erteilt hatte. »In Zukunft wird so etwas nicht mehr toleriert. Mit jedem illegal geweihten Priester wird die Zahl der Seminaristen im be­treffenden Jahr im Priesterseminar verringert. Die Bischöfe müßten ver­sichern, daß die zukünftigen Priester keine Extremisten werden. Jene Prie­ster, die extremistisch gesinnte Kandidaten für das Priesteramt empfehlen, sollen bestraft werden. Zur Zeit ist eine Begrenzung bis zur Aufnahme von 30 Kandidaten im Jahr festgelegt. Glaubt nur nicht dem Bischof Julijonas Steponavičius, der behauptet, daß nur dank der Schreiben, die er unterzeich­net habe, diese Einschränkung erweitert wurde. Sollten sich im Priesterse­minar ein größerer Teil der extremistisch gesinnten Seminaristen sammeln, wird man die Schließung des Priesterseminars erwägen«, drohte P. Anilionis. »Schauen Sie, die Seminaristen V. Liuima und A. Luote haben antisowjeti­sche Literatur in das Priesterseminar geschafft (d. h. die Bücher » Žmogus be Dievo« (»Mensch ohne Gott«) und »Idealas ir laikas« (»Das Ideal und die Zeit«) von J. Grinius), ihnen drohten 7 Jahre Gefängnis, wir begnügten uns aber mit der Entfernung aus dem Priesterseminar.« (Im Priesterseminar ist befohlen worden, den Seminaristen zu verbieten, mit der Schreibmaschine geschriebene Literatur zu haben; als geistige Literatur darf man lediglich Zusammenfassungen der speziellen Disziplinen oder die schöne Literatur besitzen, die in den Jahren der sowjetischen Regierung herausgegeben wurde. Bern. der. Red.).

P. Anilionis war verärgert darüber, daß ungeeignete Kandidaten als Dozenten für das Priesterseminar vorgeschlagen würden, die »Geeigneten« aber (wie Priester Br. Bulika) lasse der Bischof V. Sladkevičius nicht durch. Die von den Bischöfen vorgeschlagenen Kandidaten, die Priester M. Petkevičius, Mintaučkis, J. Tunaitis, B. Strazdas, seien angeblich entweder alt oder krank oder ohne Ausbildung. Hier mische sich Bischof V. Sladkevičius ein, wofür er von P. Anilionis grob zusammengeschimpft wurde. Es wurde der Priester V. Aliulis vorgeschlagen, der weder krank noch alt noch ohne Ausbildung ist. Darauf erwiderte P. Anilionis: »Ihr kennt V. Aliulis nicht, er kann mit den Seminaristen nicht umgehen. Er wird niemals in das Priesterseminar hineingelassen. Außerdem hat er sich geweigert, nach Spanien zu fahren, als er von der Regierung dorthin geschickt wurde; er wird jetzt schon so­wieso genug haben.«

P. Anilionis verlangte, daß sich die Bischöfe nicht in die Angelegenheiten des Priesterseminars, in die Erziehung der Seminaristen wie auch in die Entscheidung über die Eignung der Seminaristen für das Priestertum und die Auswahl der Dozenten einmischen sollten, denn das sei die Aufgabe des Rektors des Priesterseminars. Das Priesterseminar sei eines selbständige Anstalt (damit verlangt P. Anilionis, daß die Bischöfe die Canones 253, 259 und 263 Codex des kanonischen Rechts nicht einhalten sollen — Bern, der Red.).

Der Bevollmächtigte war verärgert darüber, daß die Bischöfe die Extremisten im kirchlichen Leben nicht zur Vernunft bringen. Bischof V. Sladkevičius zum Beispiel habe den Priester Rokas Puzonas und Bischof A. Vaičius die Priester V. Skiparis und A. Beniušis nicht zur Vernunft gebracht. In der Kirche von Žagarė wurde ein Spektakel zum Jubiläum des hl. Casimir auf­geführt, in Girdžiai wurden Unterschriften gesammelt, und in Viduklė habe sich bei der Kirche ein antisowjetisches Nest gebildet, dem eine Frau vor­steht. Wenn es so bleibt, wird es notwendig sein, allmählich die Kirche zu schließen.

Die Priester Jonas-Kąstytis Matulionis wurde wieder festgenommen, weil er über seine Erlebnisse im Gefängnis während der Predigt erzählt hat. Soweit dem Bevollmächtigten bekannt ist, sollen die Priester A. Keina und D. Va-liukonis den Priester Jonas-Kąstytis Matulionis nach Kybartai gebracht ha­ben. (Das stimmt aber nicht, das ist von P. Anilionis ausgedacht, um die Bischöfe gegen diese Priester umzustimmen. Und leider, es gelang ihm auch; einer der Kirchenfürsten meldete sich sofort: »Ach, diese Aktivisten!«)

Er machte Vorwürfe, daß die offiziell herausgegebenen Gebetbücher zu teuer verkauft werden, z. B. in Joniškis, in der Kirche des Stadtteils Žvėrynas in Vilnius, aber für den Friedensfond wolle niemand etwas geben. In seiner Rede über den Friedensfond beklagte sich der Bevollmächtigte, daß die Lage nur in der Erzdiözese Vilnius noch erträglich sei, dort träfen auf jede Pfarrei 93,1 Rubel, schlecht dagegen sei es damit in der Erzdiözese Kaunas und in der Diözese Vilkaviškis bestellt, wo auf jede Pfarrei nur 46,2 Rubel entfallen, Panevėžys bezahlt 41,6 Rubel, Telšiai 40 Rubel, Kaišiadorys 35,3 Rubel. Nach Meinung des Bevollmächtigten sollten alle Pfarreien dem Friedensfond 100 Rubel zuführen.

P. Anilionis tadelte die Bischöfe, weil diese am 17. bis 19. April nicht an der Gedenkfeier des 40. Jahrestages des Sieges von Moskau teilgenommen hatten, die von Patriarch Pimen organisiert worden war. Darauf sagte der Bischof A. Vaičius: »Erzbischof L. Povilonis war als unser Vertreter dabei.« Der Erzbischof aber sagte, er habe nur sich selbst vertreten.

Außerdem rügte P. Anilionis die Bischöfe und war unzufrieden, weil Bischof V. Sladkevičius nicht immer mitteile, wann er in welche Pfarrei fahre. Er machte den Bischöfen Vorwürfe, daß diese ihm ihre Hirtenbriefe zu spät zur Überprüfung d. h. zur Zensur zustellen. Die nichtüberprüften Briefe werden nicht an den Vatikan durchgelassen. Wenn der Vatikan über die verstorbenen Priester reaktionäre Kommentare geben werde, dann lasse man auch die Telegramme über den Tod der Priester nicht mehr durch.

Nach der Konferenz dankte der Erzbischof dem Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis, für diese »Gehirnwäsche«.

Kaišiadorys

Am 28. Mai 1985 kam der Bevollmächtigte P. Anilionis in die Kurie der Diözese Kaišiadorys, wo er den eingeladenen Dekanen der Diözese eine

»Konferenz« gab. P. Anilionis war mit dem Verhalten des Pfarrers von Giedraičiai, Priester V. Cukaras, unzufrieden, der, wie der Bevollmächtigte wörtlich sagte, am 5. Mai eine Gedenkfeier zum 500jährigen Jubiläum des seligen Mykolas Giedraitis vorbereitet hatte. »Noch schlimmer«, entrüstete sich der Bevollmächtigte, »er hat die extremistischen Priester Rokas Puzonas und Kastytis Krikščiukaitis eingeladen, die die Leute nur am Beten hinder­ten...« Es sei das Nationallied Litauens »Litauen, unser Vaterland« ge­sungen worden (das Nationallied wurde nicht gesungen), ebenso das Lied von Maironis »Lietuva brangi, mano tėvyne« (»Litauen teures, mein Vater­land«). Was denn das solle! Der Priester K. Krikščiukaitis habe in Vepriai an Pfingsten eine unangebrachte Predigt gehalten. Er habe den Leuten erzählt, daß seine Eltern nach Sibirien gebracht worden seien; er selber habe Hunger leiden müssen, sei in einem Kinderheim aufgewachsen und ein Krüppel ge­blieben .. . »Während der Predigt hat man über Gott zu reden«, stellte P. Anilionis vor den Dekanen klar. Bei den Priestern der Diözesen Panevėžys und Vilnius beanstandete der Bevollmächtigte, daß diese bei den Wahlen für den Priesterrat uneinig seien. »Es ist nicht richtig, wenn die Leute nicht nur in der Kirche beten, sondern auch im Wald«, sagte P. Anilionis. »Wozu war es notwendig, an Pfingsten die Kreuzwege der Kalvarienberge von Vil­nius zu geben? Die Kapellen des Kalvarienberges sind doch schon längst ge­sprengt und abgerissen worden, warum macht man noch einen Spaziergang durch den Wald?« Während seiner Rede rühmte sich der Bevollmächtigte auch vor den Dekanen, daß er wisse, wer das Untergrundpriesterseminar leite.

Kaunas

Am 31. Mai 1985 wurden die Dekane der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis zu einem Treffen mit dem Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis zusammengerufen. P. Anilionis erklärte, er werde einen Bericht über die Erscheinung des Extremismus unter den katholischen Priestern im vergangenen Jahr vorlesen. Als größte Extremisten betrachtet P. Anilionis die Priester Rokas Puzonas und Antanas Jokubauskas. Diese Priester betteln durch ihre Predigten selber darum, ins Gefängnis zu kommen. Der eine tue dies durch seine Erzählungen, wie ihn der Sicherheitsdienst angeworben habe, und der andere habe ungebeten in den Kirchen der hl. Theresa und Peter und Paul während der Abschlußfeierlichkeiten die verurteilten Priester ge­lobt. Der Bevollmächtigte versprach, daß ihnen eine Gelegenheit ins Ge­fängnis zu kommen mit der Zeit gegeben werde. »Denkt nur«, sagte P. Ani­lionis, »der Priester R. Puzonas hat den Leuten, die sich an Pfingsten in Vepriai versammelt hatten, um die Gaben des hl. Geistes zu erflehen, die Predigten aber nicht über den hl. Geist, sondern über sich selbst gehalten.«

Nach Meinung von P. Anilionis ist das Jubiläum des hl. Casimir gar nicht schlecht verlaufen. Große Unruhen habe es nicht gegeben, ausgenommen den Skandal, den der Extremist A. Jokubauskas und seine Anhänger in der St. Peter und Paul-Kirche verursacht hätten. »Während des Zwischenfalls wurde ein Chorrock zerrissen; das ist doch das Eigentum des Staates«, be­hauptete P. Anilionis. Der Bevollmächtigte befaßte sich in seiner Rede auch mit den Priesterräten der Diözesen, mit denen seiner Meinung nach in den Diözesen, wo eine feste Hand herrsche, alles in Ordnung sei. Nur wegen der schwachen Führung seien in der Diözese Panevėžys zwei und in der Erz­diözese Vilnius sogar drei Priesterräte entstanden. In seiner Rede über den Priester Jonas-Kąstytis Matulionis behauptete P. Anilionis, er habe selbst durch sein Betragen um das Lager gebeten. (Sonderbar, daß dies nach seiner Festnahme auch einige Priester mit denselben Worten gesagt haben!)

Der Bevollmächtigte beschuldigte den Priester Juozas Gražulis, daß dieser öffentlich die Gläubigen aufgefordert habe, ein Schreiben zu unterzeichnen, in dem der verhaftete Priester verteidigt wird. Der Bevollmächtigte würdigte das Untergrundpriesterseminar herab: »Was ist das für ein Priesterseminar, ist nicht der Priester Antanas Šeškevičius allein sein ganzes Lehrpersonal?«, sagte er. Die Dekane haben meistens geschwiegen. Nach dem Vortrag fand ein gemeinsames Essen statt.

Kretinga

Im Frühjahr 1985 hat die Behörde von P. Anilionis einen Vertreter nach Kretinga geschickt, um einen Vortrag vor den Mitgliedern des Kirchenkomi­tees zu halten. Der Redner spottete über die älteren Menschen, daß diese die »nur ihnen allein zustehenden Plätze« den Kindern und Jugendlichen überlassen: die Plätze der Meßdiener am Altar. Es sei sogar schon peinlich anzuschauen, daß die alten Leute nach dem Klingeln der Kinder auf die Knie fallen. Der Meinung des Redners nach sollten während der hl. Messe alte Leute ministrieren, aber nicht solche »Bengel«.

Telšiai

Auf Anweisung des Bevollmächtigten des RfR, Petras Anilionis, wurden am 4. Juni 1985 die Dekane und Vizedekane der Diözese in die Diözesankurie nach Telšiai eingeladen. In seiner Rede über die Priesterräte der Diözesen Vilnius und Panevėžys behauptete P. Anilionis, daß die Priester selber unter sich uneinig seien. Sie hätten mehrmals die Priesterräte gewählt, und deswegen sei eine unnormale Lage entstanden; in der einen Diözese gäbe es zwei, in der anderen sogar drei Priesterräte. Der Bevollmächtigte behauptete den Dekanen gegenüber, daß der Pfarrer von Šeduva (in der Diözese Pa­nevėžys), Kanoniker Bronius Antaunaitis, während der Wahlen des Priester­rates gegen die Canones gehandelt habe und auch die anderen aufgefordert habe, es zu tun. Soweit der Bevollmächtigte wisse, soll der Kanoniker B. Antanaitis den Extremisten-Priestern A. Jokubauksas in das Tor der Mor­genröte in Vilnius begleitet haben, wo dieser ungebeten während der Ab­laßfeier von der Kanzel gesprochen habe. In der Diözese Telšiai gibt es im Vergleich zu den anderen Diözesen die meisten Pfarreien ohne Priester. P. Anilionis wagte den Dekanen zu erklären, daß die Bischöfe Litauens im voraus unter sich ausgemacht hätten, eine der Diözesen ohne Priester zu lassen, damit sie dem Ausland mitteilen könnten, daß die Regierung schuld daran sei, daß in der Diözese die Priester fehlen. Auf die Frage des Priesters Palšis, warum die unschuldig festgenommenen Priester bis jetzt noch nicht freigelassen worden sind, erwiderte der Bevollmächtigte abweisend, daß diese es so gewollt hätten und deswegen auch nicht freigelassen werden.

Biržai

Im Frühjahr 1985 wurden alle Zwanzigerräte der Kirchen des ganzen Rayons zu einem Gespräch im Rayonexekutivkomitee von Biržai zusam­mengerufen. Zu ihnen sprach ein von der Behörde des Bevollmächtigten des RfR geschickter Redner. Der Redner behauptete öffentlich unter Nennung des Namens, daß ein im Rayon tätiger Priester eine Geliebte und ein Kind habe. Er behauptete dies alles, ohne zu beachten, daß die sowjetischen Ge­richtsinstanzen und sogar das Oberste Gericht der LSSR aus Mangel an Zeugen die genannten Anschuldigungen nicht bestätigt hatten. Eine sonder­bare Logik . . . Jene, die an der Begründung der Verurteilung der verurteil­ten Priester zweifeln, werden des Antisowjetismus und der Mißachtung der Gesetze beschuldigt. (Vor ein paar Jahren hat ähnlich auch der Vertreter des Obersten Gerichts, Ignotas, im Fernsehen über jene gesprochen, die selber für die verurteilten Priester öffentlich beten und die anderen für sie zu beten auffordern.) Ein Redner aber, der einen Beschluß desselben Ober­sten Gerichts, der für die atheistische Propaganda untauglich ist, nicht re­spektiert, wird in verschiedene Rayons hinausgeschickt, um dort offizielle Vorträge zu halten.

Šakiai

Am 2. April 1985 wurden die Zwanzigerräte der Kirchen des Rayons Šakiai in das Rayonexekutivkomitee von Šakiai eingeladen. Die Versammlung leitete der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Olšauskas. Gleich zu Beginn sagte der Redner, er sei zehn Jahre lang als Richter tätig gewesen und habe in seiner Praxis einige Prozesse gehabt, bei denen man wegen Nichteinhaltung der Gesetze über religiöse Kulte bestrafen mußte. Deswegen — und das sei das Ziel dieser Versammlung — wies er auf die Notwendig­keit hin, »alle Unklarheiten zu klären, damit keine Unannehmlichkeiten vor Gericht entstehen«.

Beunruhigt war der Stellvertreter Olšauskas über die Priester, die das Untergrundpriesterseminar abgeschlossen haben; er nannte sie Angeber, die kein Priesterseminar abgeschlossen und keine Priesterweihe bekommen hät­ten. Das seien Rechtsbrecher in mancherlei Hinsicht, die nicht selten wegen Nichteinhaltung der sowjetischen Gesetze im Gefängnis gesessen sind, oder auch jetzt noch dort ihre Strafe verbüßen. »Und Sie gehen zu ihnen zur Beichte!«, sagte mit Verwunderung der Redner. Als Beispiel wies er auf den wegen der Allerseelenprozession verurteilten Priester Jonas-Kąstytis Ma­tulionis hin. Er erinnerte daran, daß es Fälle gebe, daß die Pfarrer solche Priester als Sakristane oder Organisten einstellen, diese aber verrichten in der Kirche die Arbeit eines Priesters. »Wegen solcher Einstellungen werden nicht nur die Pfarrer, sondern auch die Mitglieder des Kirchenkomitees bestraft«, drohte der Stellvertreter Olšauskas. Er wies darauf hin, daß die Mitglieder des Kirchenkomitees für den Fall, daß sie einen fremden Priester in der Kirche sehen, verpflichtet sind, zu überprüfen, ob er eine Anmeldungs­bescheinigung besitze und ihn aus der Kirche zu entfernen, wenn er keine hat. »Die Kirche ist ein Bethaus, und ihr seid verpflichtet, darauf zu achten, daß der Priester sie nicht dazu benützt, antisowjetische Propaganda zu ver­breiten, was oft vorkommt«, fuhr der Redner fort und las eine Reihe aus dem Gesamttext herausgenommene Auszüge von Predigten, in denen etwas gegen die Willkür der Atheisten (Beamten und Lehrer) ausgesagt wird. Dies nannte Olšauskas grobe Exzesse gegen die gesamte sowjetische Regierung. Zu solchen Priestern zählte der Redner auch den Dekan von Ukmerge, Prie­ster Antanas Danyla, wie auch den Pfarrer von Josvainiai, Priester Leonas Kalinauskas. Dabei behauptete er, daß sogar die Pfarrangehörigen mit ihnen unzufrieden seien und mit Erklärungen sich an den Bischof und den Bevoll­mächtigten des RfR wenden, damit diese sie abberufen. Olšauskas war erbost über den Priester L. Kalinauskas, weil dieser dem nach langen Jahren der Gefangenschaft nach Litauen heimgekehrten Petras Paulaitis gestattet hatte, in der Kirche zu reden. Der Stellvertreter charakterisierte P. Paulaitis als verhärteten Feind der sowjetischen Regierung. »Sehen Sie, was die Prie­ster aus Ihren Bethäusern machen und wozu sie sie benützen? Um antisowje­tische Agitation zu verbreiten; oder sie verwandeln die Kirchen in Kinosäle; erst vor kurzem wurde auch in der Kirche von Šakiai ein Film vorgeführt. Gibt es in Šakiai keinen Kinosaal, oder fehlt es vielleicht an Filmen?!«, er­regte sich der Stellvertreter Olšauskas. Der Redner behauptete, daß die Priester religiöse Handlungen nur in der Kirche und auf dem Friedhof aus­üben dürfen, und die Kranken in den Krankenhäusern nur in dem Falle besuchen dürfen, wenn ihre Räume von denen anderer Patienten abgetrennt sind. Die Priester werden seinen Worten nach auch wegen Kinderkatechese und wegen des Besuchs Gläubiger streng bestraft. Schließlich nahm der Stellvertreter des Bevollmächtigten den Katechismus und die hl. Schrift zu Hilfe und versuchte die Mitglieder der Pfarrkomitees zu überzeugen, daß jede Regierung von Gott sei, deswegen sei es unumgänglich, sie zu ehren und ihre Gesetze einzuhalten. Nach solchen und ähnlichen Anordnungen und Forderungen konnten Fragen gestellt werden. Die Mitglieder der Komitees waren nicht damit einverstanden, daß den Priestern verboten sein soll, die Kinder in den Glaubenswahrheiten zu unterweisen, denn der Priester habe ja eigens dafür studiert, damit er uns, die Gläubigen belehren könne. Die Eltern hätten nicht die nötige Zeit und die erforderlichen Kenntnisse, vieles hätten sie schon vergessen .. . »Warum darf nur der den Glauben verkünden, der nicht ausreichend dafür ausgebildet ist? Wie würde es aussehen, wenn jemand ein Gesetz erließe, das den Ärzten verbieten würde, die Menschen zu heilen, und das die Heilung der Menschen Personen überlassen würde, die nichts davon verstehen??!«, fragten die Versammlungsteilnehmer den Redner. Auf solche Fragen erwiderte der Stellvertreter nervös: »Ob Euch das als paradox erscheint oder nicht, das ist Euere Sache, aber es besteht ein Ge­setz, und das muß man streng einhalten. Und wenn solche Priester, wie zum Beispiel Alf. Svarinskas, S. Tamkevičius oder J. Matulionis und ähnliche an­fangen würden, die Kinder zu unterrichten, was glauben Sie, was sie die Kin­der lehren würden! Du hast doch selbst die Mittelschule abgeschlossen und kannst deine Kinder ausgezeichnet in den Glaubenwahrheiten unterrichten (als ob an den Schulen nicht gegen den Glauben, sondern über den Glauben gesprochen würde!), und wenn ihnen das noch nicht reicht, dann gibt es noch das Priesterseminar, sie werden dort weiter lernen können«, antwortete Olšauskas dem Mitglied, der die Frage gestellt hatte. Die versammelten Gläubigen fragten den Stellvertreter, ob die Großmutter ihre Enkel nicht un­terrichten könnte, darauf erwiderte der Stellvertreter schroff, daß es nicht möglich sei, denn das Recht, im Glauben zu unterrichten, stehe nur dem Vater und der Mutter zu. Aus dem Saal wurde gefragt: »Wer weiß, ob es wahr ist, daß die Priester während der Predigt verletzend gegen die Regie­rung gesprochen haben, wie Sie das am Anfang sagten. Mir ist es noch nicht passiert, daß ich so etwas gehört hätte. Vielleicht ist es nur von den Atheisten erfunden?« — »Du fährst doch selbst nach Šiluva und auch nach Žemaičiu Kalvarija! Dann hörst Du doch, was für antisowjetische Propaganda dort betrieben wird! Und wer hat Dir erlaubt, ernste Tatsachen als Hirngesprinst der Atheisten zu bezeichnen? Denke daran, daß das Gesetz die Rechte und die Ehre der Atheisten genauso verteidigt wie die der Gläubigen, und des­wegen kannst Du wegen solcher Verleumdung bestraft werden«, griff der Stellvertreter Olšauskas den Fragesteller scharf an. Entsetzt über eine der­artige Grobheit widersprachen die Versammlungsteilnehmer von ihren Plät­zen aus. Eine Frau stand auf und erklärte: »Wenn Ihr, die Atheisten, Euch so schnell beleidigt fühlt, warum beleidigt Ihr dann selber die Gläubigen? ... Eine Lehrerin hat meine Tochter wegen des Kirchenbesuchs vor die ganze Klasse gestellt und sie Betschwester, altes Weib, Spätentwickler genannt; an­schließend nahm sie sie in das Lehrerzimmer mit, wo sie weiter über sie spottete und ihr drohte. Das Mädchen kam verweint nach Hause. Nach welchem Recht wurde in diesem Falle vorgegangen?« — »Meinen Sohn haben sie ebenfalls verschiedenartig genötigt, ihm gedroht, daß ihm alle Wege ver­sperrt sein werden, wenn er der Kommunistischen Jugend nicht beitreten werde. Haben denn die Lehrer das Recht, derartig zu handeln?«, fragte ein Mann.

Als die Versammlung zu Ende war, erklärte die Vertreterin des Rayon­exekutivkomitees: »Wir wollen uns jetzt bei unserem Redner für die Leitung einer so interessanten und inhaltsvollen Besprechung bedanken, indem wir Beifall klatschen.« Aber die Teilnehmer dieser »Besprechung« beeilten sich, den Saal zu verlassen, als ob sie die Aufforderung, sich zu bedanken, nicht gehört hätten.

Skuodas

Am 10. April 1985 waren die Vertreter der Kirchenkomitees des ganzen Rayons in das Rayonexekutivkomitee von Skuodas zu einer »Beratung« eingeladen. Unter Teilnahme der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees, Ložienė, der Vorsitzenden der Ortschaften und anderer Regierungsvertreter, hielt der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Kizas, seinen Vortrag. Ziel des Redners war es, die im Jahre 1984 begangenen Verletzungen des Statuts der religiösen Vereinigungen in der Republik bekannt zu machen.

Unter den Verletzern des Statuts wurde auch der Priester der Pfarrei Mosėdis im Rayon Skuodas, Priester Pudžemis genannt, der während seiner Predigt die Gläubigen aufgefordert hatte, keine atheistischen Bücher mehr zu lesen. Der Redner verleumdete grob die verurteilten Priester Alfonsas Svarinskas, Sigitas Tamkevičius und Jonas-Kąstytis Matulionis und bezeichnete eine Aufforderung, für diese Priester zu beten, als Verbrechen. Kizas griff mit Wut die Priester an, die das Untergrundpriesterseminar abgeschlossen haben, nannte sie falsche Priester und Angeber und verlangte, daß die Exekutiv­organe der Pfarreien ihnen nicht erlauben sollen, zu predigen und andere religiöse Dienste zu leisten. Als Vergehen betrachtete er auch die Weih­nachtsbaumfeiern bei den Kindern, die Prozessionen am Allerheiligentag zum Friedhof, das Sammeln von Unterschriften für die verurteilten Priester, das Handeln mit Devotionalien auf den Kirchhöfen der Kirchen, ja sogar die Erläuterung der Glaubenswahrheiten während der Predigt. Kizas nannte viele Namen von Priestern, die sich über die Exzesse der Atheisten, Lehrer oder Regierungsbeamte gegenüber Gläubigen geäußert hatten. Dies betrach­tete er als Mißbrauch der Kanzel und damit als grobe Verletzung des Statuts.

Die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees Ložienė bedauerte, feststellen zu müssen, daß im Rayon Skuodas nur die Evangeli­schen von den der Gemeinschaft gespendeten Geldern einen Teil dem Frie­densfond zugeführt hatten und forderte auch die anderen Gemeinschaften auf, diesem Beispiel zu folgen. Die Stellvertreterin gab zu, zum Zweck der Bespitzelung die Beisetzung des Pfarrers von Truikinai, Priester K. Petriką, beobachtet zu haben. Außerdem war sie nach Šatės gereist, um herauszu­finden, ob dort nicht etwa in der Kirche den Kindern Religionsunterricht erteilt werde, um den Gottesdienst am 1. November zu beobachten und um festzustellen, ob nicht eine Prozession zum Friedhof stattfinde. Der Redner behauptete, daß nur die Eltern selbst das Recht hätten, ihre Kinder in Glau­benswahrheiten zu unterrichten, und wenn diese volljährig seien, dann hätten die Jungmänner die Möglichkeit, an den geistlichen Schulen zu studieren. Hier nannte Kizas alle in der Sowjetunion tätigen geistlichen Kchulen ver­schiedener Religionen, von denen nur zwei den Katholiken gehören: die Priesterseminare in Riga und Kaunas. Er behauptete heuchlerisch, daß die Leitung des Priesterseminars selber die Zahl der Alumnen bestimme, die Regierung helfe aber in jeder Beziehung, das Priesterseminar mit ausrei­chenden Räumlichkeiten und ähnlichem zu versorgen.

Kaišiadorys

Am 12. April 1985 fand im Kulturhaus von Kaišiadorys eine Versammlung, ein Informationsgespräch der Kirchenkomiteemitglieder der Rayonpfarreien statt. Die Versammlung leitete ein Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR und der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees Kaubrys. Die Redner eröffneten die Versammlung mit einer alltäglichen Rede über die Religionsfreiheit und die weitreichenden Freiheiten der Gläubigen, die sie aber mit einer unendlichen Reihe verschiedener Verbote gleich wieder verneinten. »Junge Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, steht es nicht zu, während der Messe oder bei Andachten zu ministrie-ren, im Chor zu singen und an den Prozessionen teilzunehmen; dies alles wird streng kontrolliert«, sagte einer der Redner. Er dohte Strafe für die Ungehorsamen an, sagte aber nicht genau, wen die Strafe treffe, die Kinder, ihre Eltern oder die Pfarrer der Pfarreien. Als man sich erkundigen wollte, warum die minderjährigen Kinder sogar ohne Wissen ihrer Eltern zwangs­weise in die Organisationen der Oktobristen oder der Pioniere eingeschrieben werden, erwiderte der Redner erbost: »Hier ist nicht der Platz zum Politi­sieren, dazu haben wir Euch nicht eingeladen!« Bei der Beantwortung man­cher Fragen redete er sich damit heraus, daß er nichts wisse, weil das alles Moskau oder der Vatikan regele . . .

Kiaukliai (Rayon Širvintai)

Am 22. März 1985 wurde der Pfarrer der Pfarrei Kiaukliai, Priester Rokas Puzonas, in die Rayonstaatsanwaltschaft von Širvintai vorgeladen. In der Staatsanwaltschaft wartete auf den Priester der Stellvertreter des Staatsan­waltes der Republik, J. Bakučionis, der dem Priester eine wiederholte Ver­warnung wegen der »Verletzungen des Statuts der religiösen Gemeinschaften« überreichte. In der Verwarnung waren alle »Vergehen« des Priesters R. Puzonas aufgeführt: Kinderkatechese in Gruppen, Allerheiligen-Prozession zum Friedhof, »Ehrung der besonders gefährlichen Staatsverbrecher«. Staatsanwalt Bakučionis mißfiel besonders, daß der Priester R. Puzonas die Gläubigen auffordert, für die verurteilten Priester Alf. Svarinskas, S. Tam-kevičius und Jonas-Kąstytis Matulionis zu beten und ihrer in seinen Predig­ten gedenkt. Dem Beamten stach auch das in der Kirche zu Kiaukliai ange­brachte Aushängebrett mit Aufnahmen der genannten Priester ins Auge. »Leise für sie beten ist erlaubt, aber sie öffentlich als Märtyrer der Kirche zu betrachten, ist schon eine Agitation gegen die sowjetischen Gesetze. Und damit zeigen Sie auch, daß Sie in ihre Fußstapfen treten wollen«, sagte J. Bakučionis. Priester R. Puzonas erklärte ihm, daß die Katholiken Litauens mit diesen Priestern solidarisch seien, und daß es heute die Pflicht eines jeden Christen sei, so zu handeln wie die gefangenen Priester dies getan hätten. Nach diesen Worten des Priesters R. Puzonas nahm J. Bakučionis zwei Nummern der »Chronik der LKK« und begann zu beweisen, daß dies eine die sowjetische Ordnung verleumdende Veröffentlichung sei. Die inhaf­tierten Priester hätten sie herausgegeben, deswegen seien sie mit Recht verurteilt worden. »Sie sind aber jetzt im Gefängnis, und die »Chronik« erscheint immer noch. Das bedeutet also, daß sie nicht von ihnen heraus­gegeben wird«, bemerkte Priester R. Puzonas. »Sie haben aber bei der Her­ausgabe mitgewirkt«, verbesserte sich der Staatsanwalt. Nachdem er einige Ausschnitte aus der »Chronik« vorgelesen hatte, in denen die jetzige Re­gierung als Besatzungsmacht und die Ermordung des Priesters Leonas Šapoka als Racheakt der Gottlosen betrachtet wird, versuchte J. Bakučionis zu be­haupten, daß dies nicht die Wahrheit ist.

Auf die Frage des Priesters, wie man die Kinder katechisieren könne, ohne die sowjetischen Gesetze zu verletzen, antwortete J. Bakučionis, daß man ihre Kenntnisse nur einzeln überprüfen dürfe. Eine Katechisierung in Grup­pen sei nach der Meinung des Staatsanwaltes schon ein Keim für katholische Schulen. Darauf stellte der Priester klar, daß die Unterrichtung der Kinder eine unmittelbare Pflicht eines Priesters ist, und daß über 500 Priester und zwei Bischöfe Litauens in einem Schreiben sich geweigert hätten, das »Statut der religiösen Gemeinschaften« einzuhalten und es auch niemals einhalten werden. J. Bakučionis erklärte dazu, das werde niemanden beeindrucken und keiner werde diese Bestimmungen widerrufen.

Priester R. Puzonas machte den Staatsanwalt darauf aufmerksam, daß die Atheisten die sowjetischen Gesetze grob verletzen, aber von niemandem dafür bestraft würden. Als Beispiel erinnerte er daran, daß in der Achtjahre­schule von Kiaukliai die gläubigen Kinder gezwungen werden, am Sonntag zu der Zeit der hl. Messe an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Ungehorsamen ruft man ins Lehrerzimmer, wo sie verhört und verspottet werden. Die gläubigen Kinder werden ohne nach ihrem Willen oder dem der Eltern zu fragen, in die Organisationen der Oktobristen und Pioniere, sowie in atheistische Gruppen eingeschrieben. Auf die Frage, ob die sowje­tischen Lehrer das Recht hätten, dies zu tun, antwortete Staatsanwalt J. Bakučionis, daß niemand über ein solches Recht verfüge, behauptete aber, daß es sich dabei nur um Willkürakte vereinzelter Lehrer handle. Priester R. Puzonas wies diese Lüge zurück und sagte, daß dies eine allgemeine Er­scheinung sei; man gehe mit der gläubigen Jugend in allen Schulen Litauens so um.

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An den Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Tauragė

Abschriften an: den Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis,

den Apostolischen Administrator der Diözese Teisiai, Bischof Antanas Vaičius

Erklärung

des Komitees der römisch-katholischen Gemeinschaft von Batakiai

Am 16. März 1985 haben wir an Sie eine Erklärung abgeschickt mit der Bitte, uns zu erlauben, an den Glockenturm der römisch-katholischen Pfarrei von Batakiai einen Anbau zu errichten, damit die Gläubigen wenigstens erträgliche Voraussetzungen haben, an Gottesdiensten teilnehmen zu kön­nen. Aber bis jetzt haben wir leider keine Antwort bekommen. Deswegen wollen wir Sie von neuem daran erinnern, daß wir schon seit 15 Jahren keine geeigneten Räumlichkeiten für Gottesdienste haben. Oft sind wir ge­zwungen, besonders während der Festtage oder bei Beerdigungen, während des Gottesdienstes bei Regen, Wind und Kälte draußen zu stehen. Wir haben zum Beten doch nur unseren Glockenturm, dessen Innenraum nur 25 qm groß ist.

Wir hören, daß die Rayonsleitung dies damit begründet, daß es angeblich an Baumaterial fehlt. Das ist nicht wahr! Erstens werden wir aus dem staat­lichen Baufond kein Material benötigen, und wenn wir etwas brauchen sollten, dann wird es im Vergleich zu den Baumaßnahmen des Rayons Taurage gleich Null sein. Zweitens wird uns das Material reichen, das es im Lager für Baumaterial frei zu verkaufen gibt.

Wir bitten Sie und erwarten von Ihnen, daß Sie uns unverzüglich und deutlich auf unsere Erklärung vom 16. März schriftlich eine klare Antwort geben. Wenn wir innerhalb von 10 Tagen keine Antwort bekommen, werden wir uns an höhere Instanzen der Regierung wenden.

Wir haben uns in den 15 Jahren durch diese unnormalen Bedingungen derart abgeplagt, daß es wohl kaum nötig ist, Sie daran zu erinnern, daß wir nicht ruhen werden, bis wir eine Genehmigung für den Anbau am Glocken­turm haben.

Haben wir, die Gläubigen der römisch-katholischen Pfarrei von Batakiai, die gewissenhaft ihre Arbeit für die Regierung in der Landwirtschaft und auch in anderen Bereichen verrichten, vielleicht kein Recht, geeignete Räum­lichkeiten für Gottesdienste zu haben?

Wir erbitten doch von den Verwaltern unseres Rayons keine Almosen wie Bettler, sondern wir verlangen das, was uns zusteht, worauf wir ein Recht haben und was uns die Verfassung der UdSSR wie auch entsprechende Gesetze und Verordnungen garantieren.

 

Batakiai, am 11. 6. 1985

 

Es unterzeichneten 15 Mitglieder des Pfarrkomitees von Batakiai.

(Die Sprache wurde nicht ausgebessert. — Bern, der Red.).

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An den Generalsekretär der KPSU, Genossen M. Gorbatschow Ministerrat der UdSSR

Rat für Religionsangelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR Erklärung

der Vertreter des Kirchenkomitees und der Gläubigen der Pfarrei Gargždai, Rayon Klaipėda, SSR Litauen

Wir bitten Sie, verehrter Genosse Generalsekretär, herzlichst und flehen Sie an um die Erlaubnis, unsere Kirche, eine Baracke, um einige Meter höher zu machen, damit sie 40 Jahre nach dem Krieg nicht wie ein Schweine­stall einer Kolchose, sondern wie eine richtige Kirche ausschaut, in der aus­reichend Luft, Licht und Platz ist.

Auf unser Gesuch hin gab uns der Rat für Religionsangelegenheiten beim Ministerrat folgende Antwort: »Ihre Erklärung wegen des Umbaus des Bethauses hat das Rauyonexekutivkomitee von Klaipėda überprüft. Um die Frage zu lösen, wurde eine zuständige Kommission gebildet, der Vertreter aus dem Gesundheitswesen (Epidemiologie) und des Exekutivorgans Ihrer Gemeinschaft angehören. Diese Kommission hat vorgeschlagen, im Gebäude Eurer Gemeinschaft einen Ventilator einzubauen.

Leiter der Abteilung, E. S. Golustjan« *

Wir wissen über die Kommission besser Bescheid. Es liegt ein Mißverständnis vor: Die zuständigen Männer kamen in die Kirchenbaracke für drei Minuten hinein und haben alles beschlossen, weil es schon im voraus feststand, daß eine Erhöhung nicht in Frage kommt, sondern der Wille von P. Anilionis erfüllt werde. Die Kommission muß alles gründlich überprüfen, die Ergeb­nisse aufschreiben, der Vertreter des Gesundheitswesens (Epidemiologie) hätte den Rauminhalt, die Luft, das Licht überprüfen sollen und sollte auch testen, wie der Ventilator auf die Menschen wirken würde. Er hat aber nichts dergleichen getan. Wir haben sie schon früher (22. 2. 1983) in einer Er­klärung gebeten, alles zu überprüfen und uns die Ergebnisse zu geben, damit wir eine Grundlage haben, um die Barackenkirche zu erhöhen. Das Rayon­exekutivkomitee hat ihnen aber verboten, dies zu tun. Sie sehen ganz deut­lich, wie »zuständig« diese Kommission gewesen ist — ein reiner Betrug.

Wir hatten uns nach Klaipėda gewandt. Dort teilte man uns mit, daß in öffent­lichen Räumen mindestens 4 Kubikmeter Luft pro Person sein müssen. In unserer Barackenkirche gibt es aber nur 1 Kubikmeter. Deswegen ist es schwer, zu atmen. Die Leute schwitzen und im Sommer fallen sie in Ohn­macht; im Winter fließt Wasser die Wände herunter.

In der Barackenkirche sind in der Decke Löcher für die Lüftung, sie helfen aber wenig. Einen Ventilator einzurichten wäre jedoch ein Unsinn, weil er wie eine Sirene heult und man so nichts mehr hört. So ist es jedenfalls in der kleinen Kirche von Klaipėda. In der unseren wäre es noch schlimmer, weil das nur eine niedrige Baracke ist. Ein Ventilator würde die Menschen aus dem kleinen Kirchlein nur vertreiben. Deswegen protestieren wir gegen diesen Vorschlag, einen Ventilator einzurichten. Die einzige vernünftige Lösung ist die Erhöhung der Barackenkirche.

Wenn auch ein Vertreter des Kirchenkomitees bei der Kommission dabei gewesen ist, durfte er auf keinen Fall eine Entscheidung für das gesamte Komitee und für Tausende von Gläubigen treffen, denn er hat sich mit den anderen überhaupt nicht beraten. Deswegen erheben wir unseren Protest gegen ihn: Bei uns herrscht ja Demokratie und nicht Aristokratie.

Nicht nur wegen der Luft allein bitten wir um diese Erhöhung, sondern auch wegen des äußeren Aussehens des Bauwerks: Jetzt sieht es wie ein Schweinestall einer Kolchose aus. Wir brauchen aber ein Gebäude, das wenigstens in etwa einer Kirche ähnlich sieht. Die ganze Stadt ist wieder aufgebaut, unser Kirchlein aber ist so geblieben, wie es nach dem Krieg war. Jetzt haben wir das 40jährige Jubiläum des Sieges. Diese geringfügige Ge­nehmigung wäre ein Geschenk der Regierung an uns, die Arbeiter auf dem Felde und in den Fabriken. Eine humane Regierung würde von selbst ihren Arbeitern bessere Lebensbedingungen anbieten. Die sowjetische Verfassung unterstreicht: »Die KPdSU ist für das Volk da und dient dem Volke« (Ar­tikel 6).

Die Erhöhung der Kirche wäre kein Kirchen-Neubau: Das Dach liegt auf Säulen auf, man braucht sie nur höher zu machen und einige höher zu stellen. Es ginge am besten von der Außenseite, indem man sie mit Ziegel­steinen ummauert; das Fundament muß überhaupt nicht angerührt werden.

Die Erhöhung der Kirche nicht zu erlauben bedeutet, den eigenen Arbeitein nichts Gutes zu gönnen, während ganz laut über die Religionsfreiheit und Menschlichkeit gesprochen wird.

Verehrter Genosse Sekretär, wir bitten Sie herzlich, uns Menschlichkeit zu zeigen. Erlauben Sie uns, unsere Barackenkirche nach oben zu erweitern. Beilage: Eine Aufnahme der Barackenkirche von Gargždai. Gargždai, am 14. 4. 1985.

Unsere Adresse:

LTRS 235840, Rayon Klaipėda, Gargždai, Tilto 1, Kirchenkomitee

 

651 Unterschriften von uns für Tausende andere.

Die Pfarrei Gargždai hatte eine hohe hölzerne Kirche, aber die Deutschen haben sie zu Beginn des Krieges niedergebrannt. Die Gläubigen bauten aus einer Baracke dann eine provisorische Kirche mit dem Entschluß, später eine aus Steinen zu errichten. Sie fertigten bereits viele große Bausteine aus Zement an, aber bis jetzt ist es nicht nur unmöglich, die Kirche aus Mauer­werk zu errichten, die kommunistische Regierung erlaubt nicht einmal, die Baracke zu erhöhen, obwohl einige Tausend Gläubige schon seit einigen Jahren um diese Genehmigung bitten und betteln. Sie bitten nicht einmal um Material; sie bitten nicht um Hilfe, sondern nur um die Erlaubnis, aber nicht einmal die bekommen sie. Damit zeigt die Regierung, wie weit es mit der von ihr laut proklamierten Religionsfreiheit her ist und wie ihre Huma­nität ausschaut. Das alles kann man aus den Erklärungen der Gläubigen ersehen.

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An den Ministerrat der SSR Litauen Erklärung

des Pfarrkomitees und der Gläubigen der Pfarrei Gargždai, Rayon Klaipėda

 

Wir haben uns mit einer Erklärung vom 19. August dieses Jahres an Sie gewandt. Darin baten wir Sie um die Erlaubnis, unsere Kirche, eine Ba­racke, höher nach oben erweitern zu dürfen. Wir haben darauf eine Benach­richtigung erhalten, daß der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Kulte, P. Anilionis, die Erklärung, die Sie ihm übersandten, nicht überprüft, son­dern »zuständigkeitshaber« direkt an das Rayonexekutivkomitee nach Klai­pėda geleitet hat. Das hat er auch mit den Erklärungen aus Moskau ge­macht.

Als wir erfahren haben, daß alle Instanzen die Entscheidung dem Rayon­exekutivkomitee von Klaipėda überlassen haben, wandten wir uns in kleinen Gruppen mindestens 10 Mal (insgesamt 61 Personen) an den Vorsitzenden, besonders aber an seinen Stellvertreter, um eine Erlaubnis zu erwirken. Sie versprachen uns, den Bevollmächtigten für Kultangelegenheiten anzurufen und sagten uns zu, wir sollen warten und nicht mehr kommen; sie verzöger­ten die Sache ständig. Der Stellvertreter A. Leitag erklärte uns wortwörtlich, daß man uns keine Erlaubnis geben werde, weil kein Material dafür vor­handen sei. »Sie dürfen ruhig nach Moskau schreiben, es wird trotzdem keine Erlaubnis geben.«

Jedes Lebewesen kämpft um seine Existenz. Das tun auch wir, weil uns das Leben dazu zwingt: Wir brauchen Luft, Licht und eine menschliche Kirche, und nicht eine niedrige Baracke. Deswegen wenden wir uns erneut an Sie mit der Bitte um Erlaubnis. Sogar der Stellvertreter des Komiteevorsitzenden für Angelegenheiten der Religionen beim Ministerrat der UdSSR sagte beim Anblick unserer Kirchenbaracke, daß das keine Kirche sei; man solle sie umbauen.

Wir haben nicht um Baumaterial gebeten, sondern nur um die Erlaubnis, unsere Kirchenbaracke erhöhen zu dürfen. Das Material dazu haben wir schon, wie wir bereits in der letzten Erklärung geschrieben haben. Wir wür­den sie auf eigene Kosten erhöhen. Warum soll man also den Arbeitern nicht erlauben, sich bequemer einzurichten? Unsere kleine Baracke nimmt sich neben den mehrstöckigen Verwaltungsbauten jetzt wie ein Negerviertel in Amerika aus. Ist es nicht eine Schande, so mit den Gläubigen umzugehen?

Die sowjetische Verfassung befiehlt: »Die zuständigen Mitarbeiter sind ver­pflichtet, die Vorschläge und Eingaben der Bürger in den festgelegten Fristen zu prüfen, zu beantworten und die notwendigen Maßnahmen zu treffen« (Art. 49). Wer aber überprüft unsere Erklärungen? Die eine Instanz reicht sie der anderen weiter, und alles dreht sich im Kreise. Wenn das Exekutiv­komitee von Klaipeda durch den Bevollmächtigten P. Anilionis von allen Instanzen unsere zurückgeschickten Erklärungen bekommen hat, dann ruft man wieder den Bevollmächtigten an, damit dieser in der Angelegenheit entscheide, obwohl er sie ihnen bereits »aus Zuständigkeitsgründen« über­wiesen hat. Wann haben wir eine schon entschiedene Antwort schriftlich und zum festgelegten Termin bekommen? Es sieht so aus, als ob wir keine Rechte mehr hätten.

Deswegen sagen schon manche der Gläubigen sogar: »Bittet nicht mehr darum, die Kirche höher machen zu dürfen. Sie werden euch auch die noch wegnehmen, wie sie jene in Klaipėda weggenommen haben.« Der Artikel 49 der Verfassung behauptet aber: »Jeder Bürger der UdSSR hat das Recht, den staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen Vorschläge für die Verbesserung ihrer Tätigkeit zu unterbreiten und Mängel in der Arbeit zu kritisieren.«

Wir hoffen, daß der Ministerrat der LSSR über mehr Macht verfügt als das Rayonexekutivkomitee von Klaipėda. Deswegen bitten wir sehr, unsere Er­klärung zu berücksichtigen und uns zu erlauben, unsere Barackenkirche, die Sie auf der Aufnahme sehen, höher zu machen.

 

Wir wollen unsere Gründe für die Erhöhung nicht mehr wiederholen, weil wir sie in unserer letzten Erklärung vom 19. 9. 1984 dargelegt haben. Die Erklärung, die 1094 Personen unterzeichneten, und das Foto legen wir bei.

Diesmal aber unterzeichnen für Tausende nur die Mitglieder des Kirchen­komitees und Vertreter der Gläubigen.

Gargždai, am 6. 12. 1984.        Es unterzeichneten 495 Gläubige.

Marcinkonys (Rayon Varėna)

Am 29. Januar 1985 wurde der Pfarrer der Pfarrei Marcinkonys, Priester P. Pakalka, der in der Pfarrei 45 Jahre lang gearbeitet hat, zu Grabe ge­tragen. Damit die Kinder und die Jugend an der Beisetzung des Priesters nicht teilnehmen konnten, wurden in der Mittelschule von Marcinkonys Aushilfen und ähnliche Veranstaltungen organisiert; besonders aktiv zeigte sich dabei die Lehrerin Severiną.

Vilnius

Am 28. April 1985 wurde in der St. Michaelkirche des 40. Jahrestages seit dem Tode des Priesters Alfonsas Lipniūnas gedacht. Die Gläubigen, Ver­wandten und Bekannten des Priesters A. Lipniūnas und auch nicht wenige Jugendliche aus allen Gegenden Litauens versammelten sich zur hl. Messe. Während des feierlichen Gottesdienstes sprach Priester Vaclovas Aliulis zu den Versammelten über das Leben des Priesters A. Lapniūnas, über seine Tätigkeit, über die charakteristischen Merkmale seiner Person, wie etwa über seinen festen Glauben, über seine heiße Nächstenliebe und seinen un­erschütterlichen Enthusiasmus auch in den schwersten Stunden des Lebens. Nach der hl. Messe sprachen die Jugendlichen ein eigenes Gebet für diesen Anlaß, sangen einige Lieder und legten Blumen auf den Altar. Als die Gedenkfeier zu Ende war, verteilte jemand von seinen Freunden an die Teilnehmer dieser Gedenkfeier Aufnahmen des Priester A. Lipniūnas.

Šiauliai

In der Nacht des 15. März 1985 wurde der Berg der Kreuze verwüstet, die Herz Jesu- und die Herz Mariä-Statuen wurden beschädigt, etwa 50 Kreuze und Säulenkapellen zertrümmert, die Glasscheiben der kleinen Altäre und der Bilder zerschlagen. Wer vermag aber die Tausende von kleinen Kreuzen und Rosenkränzen zu zählen, die aufgestellt bzw. aufgehängt waren, die ordentlich hingelegt oder kunstvoll an größeren Kreuzen befestigt, in sich den Schmerz der Menschen verborgen hielten oder über ihre Dankbarkeit erzählten? In der Nacht des 15. März wurden sie erbarmungslos verstreut und im Schnee zertrampelt.

Žarėnai-Latveliai (Rayon Šiauliai)

Am 16. Mai 1985, am Fest Christi Himmelfahrt, versammelte sich auf dem verwüsteten kleinen Friedhof von Mielaičiai eine Wallfahrergruppe von etwa 30 Personen. Einfache Leute vom Lande, gebildete Menschen, Kinder und Jugendliche knieten auf dem mit Bulldozern aufgewühlten Boden nieder, der sich schon wieder mit neuen Kreuzen schmücken konnte, und beteten so den schmerzhaften Rosenkranz, sangen die Lauretanische Litanei und geist­liche Lieder. Nach den Gebeten trug ein junger Mann ein Gedicht vor:

 

(...)

Hier trauerte Christus, gefesselt an Händen,

Im ärmlichen Häuschen, Kapellchen aus Holz,

Auch Ihm beschlossen sie, sein Obdach zu nehmen

Gleich dem Sohne Litauens in der weiten Ferne. (...)

Mit Traktoren aus Stahl stürmten sie den Friedhof,

In Elternsärgen Gebeine zerbröckelnd.

Was Kosakendegen nicht spalten konnten,

Hat unwürdiger Enkel Blindheit vollbracht.

Von Raupen zerdrückt, zerbrachen die hölzernen Sterne,

Gedungene Knechte zermalmten brutal die Kapellchen,

Im Moor versenkten sie das Erbe der Ahnen,

Tautropfen weinten die Helden der Freiheit.

Hoffnung jedoch keimt auf aus verwundeten Herzen:

Gebrochenes Kreuz kündet von neuem Erstehen;

Es mahnt uns, liebend auf den Morgen zu harren,

Der sich am dritten Tage röten wird.

Sibiriens Eisberge werden Litauen begraben nicht können.

 

 

Vier Männer in Zivilkleidung, einer davon der Sicherheitsbeamte aus Šiauliai, Slankauskas, beobachteten aufmerksam das Kommen und Gehen der Gläubigen und fotografierten sie. Unhöflichkeiten zeigten sie aber nicht und sie hielten sich fern. Näher kamen sie erst, als sich die Leute nach dem Beten leise miteinander unterhielten.

Neben dem großen Kreuz und neben den brennenden Kerzen waren die Gebeine der hier beigesetzten Menschen zusammengetragen, die bei der Vernichtung des Friedhofs ausgegraben wurden. Mitten in dem ausgelich­teten Walde erhoben sich neu aufgerichtete Kreuze als Zeichen nieder­litauischer Zähigkeit, Glaubenstreue und als Zeichen der Hoffnung für das ganze Volk. Nachdem die Leute das Lied »Maria, Maria« gesungen hatten, gingen sie wieder auseinander.

Tryškiai (Rayon Telšiai)

In der Nacht des 2. Mai 1985 brachen unbekannte Übeltäter die Kapellchen der Kreuzwegstationen, die sich auf dem Kirchhof der Kirche von Tryškiai befinden, auf. Die Fenster der Kapellchen wurden aufgerissen, manche auch zerschlagen, die Bilder aus den Rahmen herausgerissen und auf dem Kirch­hof zerstreut. Die Bilder waren auf Leinen gemalt, Kopien eines italienischen Malers.

Dorf Geniai (Rayon Alytus)

Am 15. Januar 1985 kam ein Sicherheitsbeamter zur Familie Baciuškas, wohnhaft im Dorf Geniai. Den Tschekisten interessierte, wo der Sohn Aigis der Familie Baciuškas beschäftigt sei. Als die Mutter geantwortet hatte, daß ihr Sohn in der Fleischwarenfabrik in Alytus arbeite, erklärte der Sicher­heitsbeamte, daß er nicht nur in der Fleischwarenfabrik arbeite, sondern als zweite Tätigkeit religiöse Zeitschriften verbreite. Die Mutter fing an zu wei­nen und erklärte, daß dies nicht wahr sei. »Wir wissen, daß er ein guter Arbeiter ist, aber ein Gläubiger; er soll doch in die Kirche gehen und soll beten, aber er soll sich nicht mit verdächtigen Tätigkeiten beschäftigen«, sagte der Sicherheitsbeamte zu der Mutter. Beim Weggehen drohte der Tschekist: »Wir werden alle einzeln holen!« Der Sicherheitsbeamte befragte dann die Leute in der Ortschaft, ob Familie Baciuškas Verwandte im Aus­land habe, ob sie Paketsendungen bekämen, ob sie oft von Priestern besucht werden. Im Kolchoskontor sagte der Sicherheitsbeamte: »Wir werden alle Gražulis beiseite räumen, und dasselbe Schicksal wartet auch auf Aigis. Schade, daß er noch so jung ist.«

Pabaiskas (Rayon Ukmergė)

Vor Ostern 1985 wandte sich der Ortsvorsitzende von Pabaiskas, Boške-vičius, an die Sekretärin der Gemeinde, Janina Jankauskaitė, und befahl ihr, am Ostermorgen in die Kirche zu gehen und wenigstens schätzungsweise zu zählen, wieviele Leute am Gottesdienst teilnehmen, wieviele Personen­autos bei der Kirche stehen und worüber der Pfarrer der Pfarrei predigt.

J. Jankauskaitė weigerte sich kategorisch, dies zu tun. Dann wandte sich der Ortsvorsitzende an seinen Bruder, einen Arbeiter der mechanischen Werk­stätten, Boleslovas Baškevičius, er solle, wenn er am Gottesdienst teil­nimmt, alles zu erfahren suchen und ihn schriftlich darüber informieren. B. Baškevičius erfüllte den Auftrag des Vorsitzenden nur ungenau, weil er ein Christ ist.

Miroslavas (Rayon Alytus)

Am 7. April 1985, also an Ostern, sammelten die Gläubigen in der Kirche von Miroslavas Unterschriften unter eine Erklärung, die an den Staatsanwalt Litauens adressiert war, mit der Forderung, die Priester Alfonsas Svarinskas, Sigitas Tamkevičius, Jonas-Kąstytis Matulionis und alle anderen, die wegen ihres Glaubens unschuldig gefangengehalten werden, freizulassen.

Als die Unterschriften gesammelt wurden, kam auch Jurgis Grubliauskas, der Ortsvorsitzende von Miroslavas, in den Kirchhof der Kirche herein. Er rief die Unterschriftensammler auf die Seite und versuchte ihnen zu be­weisen, daß es ein Vergehen sei, Unterschriften für die eingekerkerten Priester und andere Personen zu sammeln. Nachdem die Unterschriften­sammler ihm erklärt hatten, daß es kein Vergehen sei, die unschuldig ge­fangengehaltenen Priester zu verteidigen, sondern daß es vielmehr Pflicht einens jeden anständigen Menschen ist, entfernte sich J. Grubliauskas vom Kirchhof. Etwas später benachrichtigte J. Grubliauskas telefonisch die Rayonverwaltung über die Unterschriftensammlung und kam wieder in den Kirchhof zurück, um ein weiteres Unterschriftensammeln zu unterbinden.

Kaunas

Am 8. April 1985 wurde Aldona Raižytė, Erzieherin im Kindergarten Nr. 46 zu Kaunas, die erst vor einigen Monaten hier zu arbeiten begonnen hatte, aus ihrer Arbeit entlassen. A. Raižytė ist auch früher schon aus ihrer Arbeit in einem Kindergarten der Stadt Kaunas entlassen worden.

Einige Wochen später standen nach dem Abendgottesdienst auf dem Kirchhof der Kirche von Petrašiūnai eine Schar Kinder und Jugendliche herum. Auch A. Raižytė war auf dem Kirchhof dabei. Als die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Panemunė, Bužinskienė, die Kinder sah, kam sie zu ihnen. Nachdem sie sich erkundigt hatte, was diese hier so treiben, griff sie A. Raižytė an: »Wie wagtest du nur, mit einer solchen Einstellung im Kindergarten die Arbeit aufzunehmen?« Bužinskienė beschuldigte A. Raižytė, daß sie die Kinder im Katechismus unterrichte, drohte ihr, sie werde sofort eine Akte schreiben und begann, die Kinder zu zählen. Dann aber überlegte sie und drohte nur, das nächste Mal gleich mit der Miliz in die Kirche zu kommen. . . Die Stellvertreterin schlug A. Raižytė vor, in das Exekutivkomitee zu kommen, wenn sie alles gründlich überlegt habe, und sie riet ihr, sich wieder eine Arbeit zu besorgen, aber nicht mehr in Anstalten für Kinder. A. Raižytė bedankte sich für die Ratschläge und sagte, wenn sie wegen ihres Glaubens nicht nach ihren Fachkenntnissen arbeiten dürfe, dann werde sie in der Kirche als Reinigerin arbeiten.

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