Am 1. August 1976, dem Fest des hl. Dominikus, feierte die Kirche von Palėvenė (Rayon Kupiškis) ihr 300jähriges Jubiläum. Die Predigt während der Feierlichkeiten hielt der Priester Pranciškus Masilionis, der in dieser Kirche früher gearbeitet hatte. Er erinnerte kurz an die Geschichte der

Kirche von Palėvenė, an das bei der Kirche gegründete Dominikanerkloster und die von den Ordensleuten geleitete Schule und Bibliothek, durchleuch­tete auch die Bedeutung der anderen Kirchen und Schulen, die es früher in Litauen gab und denen von Palėvenė ähnlich waren. Er sprach z. B. von Pažaislis bei Kaunas, von St. Peter und Paul, von St. Michael, von der Bern­hardiner-Kirche in Vilnius und erwähnte Tytuvėnai, Linkuva und Kražiai. Das waren Zentren der Kunst und der Wissenschaft, die zur Entwicklung der Anschauungen und Bräuche des Landes entscheidend beitrugen.

»Dies alles hat die Litauer für die Kämpfe und für das Leiden vorbereitet, die später auf sie warteten.

Dies alles hat die Litauer gelabt und gestärkt in schweren Stunden.

Dies alles ließ die Litauer aushalten und hat ihren Befreiungswillen angeregt.

Dies alles gab den Litauern Gefühle der Freude und des Vertrauens, ja sogar eines heiligen Stolzes. Und auch jetzt sind dies Kostbarkeiten unseres Volkes, die uns unsere Ahnen geschenkt haben und die uns herausfordern, im Glauben und in der Liebe zur Heimat auszuhalten«, sagte Priester P. Masilionis.

Der Prediger erinnerte die Zuhörer auch daran, daß auch der berühmte Baumeister Litauens, Laurencijus Stuoka Gucevičius, die Kirche von Palėvenė besucht und in der vom Kloster geleiteten Schule gelernt hatte. Auf die Schwierigkeiten der Kirche von Palėvenė (in ihrer ganzen 300jährigen Ge­schichte) eingehend, erinnerte Priester P. Masilionis sehr lebendig an die Feuersbrunst, die 1956 die Kirche traf und an die Nöte, die es im Zusam­menhang mit der Restaurierung der Kirche mit den Vertretern der Regierung und der Behörde des Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegen­heiten gegeben hat. Wir bringen einen Auszug aus dieser Predigt: ».. . Zum Schluß möchte ich Euch auch daran erinnern, was wir gemeinsam mit Euch erlebt haben. Ich erinnere mich an die Feuersbrunst und die Nöte, bis das Dach der Kirche wieder fertig war. Ihr habt damals eine außerordentliche Güte gezeigt! Euer Glaube und Eure Gutherzigkeit brachte sogar die Pfarrer der Nachbargemeinden in Erstaunen. Ich bin Euch allen sehr dankbar.

Wie tüchtig haben damals das Kirchenkomitee mit seinem Vorsitzenden, dem Sekretär und Kassenwart, die Chorsänger und die Anbeterinnen ge­arbeitet, zu denen nicht wenige unserer prachtvollen Jugendlichen gehörten. Ich erinnere mich noch sehr gut an viele gute Menschen und Familien, die auf alle mögliche Weise mitgeholfen haben. Ich bin überzeugt, daß Ihr auch weiter Eurer Kirche helfen werdet, damit dieses unser schönes, teures, altes Mütterchen auch weiter so geliebt wird wie früher. (...) Am 10. Juni 1956 geriet das Dach des Klostern neben dem Kamin, auf der Seite zur Kirche hin und ganz nahe bei der Kirche in Brand. Die Dächer waren aus altem, sehr ausgetrockneten Holz. Ein starker Wind blies gerade in Richtung zur Kirche. Die Kirche ist hoch. Man kann weder hinaufsteigen, noch das Feuer löschen. Die Menschen liefen zusammen. Ich bat einen Knaben, er möchte auf den Dachboden der Kirche hinaufsteigen und durch das Turmfenster die Doku­mente der Kirche und die alten Bücher schnell herunterwerfen, die nicht so wertvoll waren. Der Junge warf einiges herunter, aber auch das, was er her­untergeworfen hat, wurde vom Feuer beschädigt und fiel noch mehr ausein­ander. Als die Feuerwehrleute aus Kupiškis erschienen, und mit ihnen auch die Rayonverwaltungsleute, war das Kloster schon fast ganz niedergebrannt. Die Männer wären beinahe über den Rayonvorsitzenden Paplauskas herge­fallen, weil dieser den Feuerwehrmännern befohlen hatte, das schon fast abgebrannte Kloster zu löschen und nicht erlaubte, die Kirche zu retten. Die Feuersbrunst breitete sich trotz der Feuerwehr immer mehr auf dem Dach der Kirche aus. Das Allerheiligste Sakrament habe ich in meine Woh­nung hinübergebracht. Es bestand Gefahr, daß das Gewölbe der Kirche ein­stürzt, deswegen schaffte ich die liturgischen Gewänder und Gegenstände heraus. Die Hilfsbereitschaft der Helfer hat auch Schaden angerichtet: Ein kräftiger Mann brach den Tabernakel heraus, um ihn hinauszutragen, die anderen rissen etwa vier Kreuzwegstationen von der Wand herunter und beschädigten sie stark, andere sprangen in die Höhe und griffen nach den Kronleuchtern, um sie zu retten; aber sie zerbrachen sie nur dabei. Als ich das alles sah, bat ich sie, aufzuhören. Sie brachten also den Tabernakel nicht mehr heraus, rissen auch keine Kreuzwegstationen mehr herunter, die Kron­leuchter aber waren schon zerbrochen.

Das Feuer näherte sich dem Turm. Die riesigen Turmfenster standen lange Jahre offen. Die Krähen und die Dohlen trugen jeden Frühling Reisig für ihre Nester dort zusammen. Unten, auf dem Gewölbe des Turmes, lag ein großer Haufen von Reisig. Dort lag auch eine tote Krähe. Die Stelle zu reinigen war weder nach unten durch einen Schacht in der Wand möglich, noch nach oben durch die Fenster, die sich sehr weit oben — vielleicht zehn Meter hoch oder noch höher — befanden. Der gute Glöckner Juozas hatte seinerzeit in der Wand auf der Seite nach Lėvenė zu eine Öffnung heraus­gehauen. Damals wurden aus dem Turm 16 große Fuhrwerke voll mit Reisig weggefahren! Das war unser Glück, das wir nicht voraussehen konnten.

Inzwischen hatte das Feuer den Turm erreicht und die Flammen drangen wie goldene Schlangen durch die Fenster hinein und leckten schon das Ge­stühl der beiden riesigen Glocken. Ich flehte die Feuerwehrmänner an, sie möchten doch die Glocken retten. Der Wasserschlauch war aber zu kurz und die Feuerwehrmänner aus Kupiškis konnten nichts machen. Es sah hoffnungs­los aus: Die Glocken würden herunterfallen, das Turmgewölbe durchschlagen und zerschellen. Wir haben sogar befürchtet, daß das Kirchengewölbe ein­stürzen könnte. Ich bat die Leute aus der Kirche hinaus, sperrte die Tür ab.

Aber was soll man mit den Glocken machen?! Ich war machtlos. Ich verließ den Kirchhof und sah, daß das hölzerne Glockengestühl schon brannte! Die Feuerzungen flackerten. Nur noch kurze Zeit, und die Glocken würden herabstürzen .. . Plötzlich braust ein neues Feuerwehrkommando in den Kirchhof herein. Sie hatten Helme auf wie die Soldaten in früheren Zeiten. Der erste, kaum herinnen, schreit: »Wo liegt die Gefahrenstelle?!« Ich ant­wortete, daß es die Glocken sind, d. h. im Turm. Der Turm war aber schon eine Gefahr auch für die Menschen selbst. Die Feuerwehrmänner beeilten sich zu löschen. Das Glockengestühl brannte. Manche Teile waren schon so weit verbrannt, daß sie schon gekippt waren. Es bestand eine Gefahr für Glocken und Feuerwehrmänner...

Es gelang aber, alles zu löschen. Die Einsturzgefahr war aber nicht vorbei, denn das Glockengestühl war stark brandgeschädigt.

Diese Kirche ist ein Kunstdenkmal. Es gibt ein Komitee, um Kunstdenk­mäler zu schützen, das eine Verwaltung hat, die höher ist als die des Kol­chos, der Ortschaft, der Rayons oder der Regionen. Es untersteht nur den Ministern. Seine Abteilung war oder ist vielleicht noch in Šiauliai. Palėvenė gehört zur Region von Šiauliai. Am nächsten Tag reiste ich sofort nach Šiauliai in die genannte Abteilung, und gleich schickte man einen Spezia­listen, einen Ingenieur, den Architekten Nisteiis her. Dieser untersuchte alles und gab Hinweise, was zu machen ist, damit die Glocken nicht abstürzen, bis alles repariert wird; die Kirche selbst zu schließen, befahl er aber nicht. Die Männer haben bald alles gerichtet und wir zogen wieder in die Kirche zurück und haben begonnen, wieder Gottesdienste abzuhalten.

Dieses Komitee besitzt in Vilnius eine spezielle Werkstatt. Auch mit dieser setzte ich mich unverzüglich in Verbindung. Man schickte einen Mann her, um den Reparaturplan aufzustellen und teilte Reparaturmaterial zu. Bischof Paltarokas und die Vertreter des Komitees für Denkmalschutz rieten mir, beim Bevollmächtigten des RfR Pušinis um mehr Material nachzusuchen. Pušinis sprach sonderbar liebevoll und süß. Er hörte mich an. Ich sagte ihm, daß unsere Gottesdienste wieder in der Kirche stattfinden. Er entließ mich ohne Erfolg. Kaum war ich hinausgegangen, gab Pušinis der Rayonverwal­tung von Kupiškis die Anordnung, unsere Kirche zu schließen. Zwei oder drei Tage, nachdem ich aus Vilnius zurückgekommen war, kam der Stell­vertreter des Rayonvorsitzenden von Kupiškis, ein Russe. Wäre das Pap­lauskas gewesen, dann wäre es schlechter ausgegangen. Dem Russen habe ich vorgejammert, daß wir keinen Raum haben, wo wir die Gottesdienste abhalten könnten. Ich bat ihn, er möchte uns erlauben, das in der Sakristei zu tun. Da er vernünftig war und einsah, daß keine Lebensgefahr bestand, ließ er uns schließlich die Sakristei. Bei seiner Abfahrt schloß er alle Türen der Kirche zu und nahm die Schlüssel mit.

In der Sakristei errichteten wir gleich neben der Tür zur Kirche einen provi­sorischen Altar. Den Schlüssel zur Sakristei hatten wir. Die Restaurierungs­arbeiten begannen. Auf dem Kirchhof lagerten schon Bretter, die man her­gebracht hatte. Der Rayonvorsitzende Paplauskas und der Rayonsekretär, der aus derselben Pfarrei Palėvenė aus dem Dorf Aščiagaliai stammte, waren sehr böse auf mich. Sie tadelten mich und drohten mir mit Gefängnis. Der Parteisekretär ist sogar in Hysterie geraten. Auf dem Kirchhof haben die Arbeiter schon den Dachstuhl zusammengebaut und man sollte ihn schon auf die Kirche hinaufheben. .. Ich bat die Rayonverwaltung um die Schlüssel der Kirche, denn es gab nur im Turm eine Treppe hinauf zum Dach der Kirche. Dieser war aber ebenfalls zugesperrt. Die Rayonverwaltung gibt mir die Schlüssel nicht. Man sagt mir, ich soll nach Vilnius zu Pušinis fahren. Ich fahre zu Pušinis, trage meine Angelegenheit vor. Dieser tele­foniert nach Kupiškis: »öffnet die Kirche! Laßt sie darin beten!« und sagt zu mir, ich solle nach Hause fahren. Als ich zurückgekehrt war, fuhr ich zur Rayonverwaltung, um die Schlüssel zu holen. Die Rayonverwaltung gibt mir die Schlüssel wieder nicht. Sie verlangten von mir ein Dokument, das ich aber nicht hatte. Ich fahre wieder zu Pušinis. Und wieder dieselbe Geschichte. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich zu Pušinis gelaufen bin, aber die Geschichte war immer dieselbe.

Die Arbeiter fertigten eine lange Leiter an, stiegen auf das Dach der Kirche, schafften das Dachgestühl und alles Nötige hinauf. Nach einiger Zeit baten mich die Arbeiter um die Schlüssel der Kirche, denn von der Kirche aus ist es leicht, in den Turm hinaufzusteigen, und vom Turm aus ist es nicht schwer, auf das Dach zu gelangen. Ich fahre wieder zu Pušinis.

Ganz am Anfang fragte er mich, anscheinend so ganz nebenbei: »Wo betet ihr jetzt?« Da ich seine Tücke nicht erkannt habe, antwortete ich ihm: »Sie haben uns die Sakristei gelassen, denn irgendwo anders haben wir keinen Platz. Und dort beten wir.« Als ich kaum zurückgekommen war, konnte ich noch die hl. Messe feiern, und schon kam der Rayonvorsitzende Paplauskas selbst und befahl streng, alles aus der Sakristei zu entfernen. Auf meine Erklärungen und Bitten reagierte er nicht. Wie können wir uns retten? Wo sollen wir hin? Ich sagte zu mir: »Ich werde gehen, den Bischof anrufen, und ihn fragen, was wir tun sollen.« Ich nahm den Sakristeischlüssel mit und beeilte mich. Die Post war damals ganz in der Nähe. Vilnius telefonisch zu erreichen ist aber schwer, ich mußte warten. Plötzlich erscheint Paplauskas in der Tür und sagt zu mir: »Die Sakristei habe ich versiegelt! Versucht sie bloß aufzureißen ...« und erfuhr weg. Der Schlüssel zur Sakristei ist bei mir geblieben. Ich kehrte zurück. Die Sakristei war unverschlossen versiegelt. Ich schloß ab. In der Sakristei sind geblieben das Allerheiligste Altar­sakrament, alle Meßgefäße und Hostien, der Meßwein, Bücher, mein Mantel, das Brevier des Vikars. Der Vikar hat mich vertreten, weil ich Tbc-krank gewesen bin.

Der Kirchhof von Palėvenė ist von einem Mauerzaun umgeben. In dem Mauerzaun sind 14 Nischen für Kreuzwegstationen eingerichtet. Die Nischen sind nicht sehr tief. Der Dekan und Pfarrer von Kupiškis hat mir alles ge­liehen, was ein Priester benötigt, um Gottesdienste abzuhalten und die Ver­storbenen zu beerdigen. In einer Nische des Mauerzauns errichteten wir einen Altar. Darin haben zwei Kerzen Platz gehabt. Es gab Schwierigkeiten, wenn der Wind blies, denn dadurch entstand eine Gefahr für das Allerheilig-ste Altarsakrament. In solchen Fällen deckten wir es mit einer vergoldeten Schale zu. An derselben Stelle habe ich an den Sonntagen die Predigt ge­halten, und nach der hl. Messe zogen wir alle zu der Sakristei, knieten uns nieder und sangen »Šventas Dieve« (Heiliger Gott), denn hinter der Tür weilte der Herr. Auch der Kirchenchor und die Leute sangen während der hl. Messe. Wenn eine Beerdigung stattfand, stellten wir den Sarg ebenfalls dort hin auf dem Kirchhof und den Gottesdienst hielten wir genauso wie in der Kirche. Unsere Kirche war der große Kirchhof. Ihr Dach war der schöne Himmel! Die Beichte nahm ich auf einem Stuhl sitzend ab.

So haben wir uns zwei Monate lang abgeplagt. Das Wetter war gut, aber An­fang September wurde es kühler. Morgens bedeckte der graue Nebel unsere ganze Kirche wie Weihrauch. Was wird weiter werden? Der Herbst steht vor der Tür! Und die Arbeiter verlangten immer nach dem Schlüssel zur Kirche. Auch das Baumaterial ging langsam zu Ende. In Vilnius haben mir die Männer der Werkstatt des Komitees für Denkmalschutz geraten, mich mit einer Erklärung an Pušinis zu wenden und um Material und die Schlüssel zu bitten. Ich dachte, daß dadurch nur alles noch schlimmer wird, denn er wird wieder eine Kommission bilden, zu der die Leute aus der ersten Kom­mission gehören werden ...

Nach langen Ermutigungen gab ich nach. Ich schrieb an Pušinis die zweite Erklärung, er möge eine Kommission bilden, den Zustand der Kirche über­prüfen und die Schlüssel zurückgeben. In Vilnius ging ich noch bei einem Mitglied des schon genannten Komitees vorbei. Plötzlich ruft ihn Pušinis an. Dem Beamten gegenüber, der mich nicht kannte, begann Pušinis mich zu bemängeln: »Diese ungeheuerliche Faulheit dieses Pfarrers! Denken Sie nur, ich habe ihm gesagt: »Schreiben Sie eine Erklärung, und wir öffnen die Kirche wieder!« Er weigert sich aber, denn er ist zu faul dazu. Wäre ich der Rayonvorsitzende, würde ich einen Prügel nehmen und ihm den Buckel ver­dreschen! ...« Ich stand ganz nah und hörte alles. Der Beamte schaut mich an und lächelt. Die Aufregung von Pušinis erschien auch ihm sonderbar.

Als ich von Vilnius zurückkam, belagerten zahlreiche Männer den Kirchhof, angeführt von Vertretern der Rayonverwaltung. Das war die neue Kom­mission zur Überprüfung des Zustands der Kirche. In der Mitte des Kirchhofs stand ein Mann, der sich nirgends hineinmischte, nur andauernd rauchte. Irgendjemand informierte mich, daß das eine Person aus Vilnius sei, die speziell vom Komitee für Denkmalschutz hergeschickt sei. Später habe ich erfahren, daß der Mann wirklich aus Vilnius war, der aber wegen der Trak­toren nach dem Rayon Kupiškis geschickt worden war. Die Lüge war aus­gedacht, um der Kommission mehr Gewicht zu verleihen. Die Männer der Kommission selbst waren verschiedenste Leute, die man zusammengerufen hatte, um mehr Eindruck zu machen und der Sache mehr Gewicht zu ver­leihen; überall stiegen sie herum und schnüffelten in alles hinein. Schließlich fuhren sie weg. Wie die ganze Geschichte aussah, war es klar, daß es mit unserer Kirche aus ist. Es bestand ernste Gefahr, daß sie liquidiert wird.

Noch am selben Tag fuhr ich nach Vilnius zum Komitee für Denkmalschutz, um Hilfe zu suchen. Die Behörden in Vilnius waren schon geschlossen. Am Abend ging ich zu einem einflußreichen Ingenieur und als ich ihn nicht antraf, wartete ich vor seinem Haus bis Mitternacht. Wo soll ich jetzt übernachten? Mit großer Vorsicht hielt ich kurz vor der Tür des Bischofs an. Ich irrte mich nicht, bald ließ mich der Kanzler, Kanoniker B. Antanaitis herein und emp­fing mich sehr gern. Alle Bemühungen, am Sonnabend irgend jemanden anzu­treffen, waren vergebens. Am Sonntag sollte ich schon in Panevėžys sein und dort eine Predigt halten. Dafür hat mir der derzeitige Pfarrer, damals noch Kanoniker, Priester Dulksnys, für den Aufbau der Kirche die ganzen Einnahmen der Kollekte versprochen. Ich hatte die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, irgendeine verantwortliche Person noch vor Montag zu treffen, denn ich dachte, am Montag würde die Rayonkommission aus Ku­piškis ein Schreiben an Pušinis schicken; dieser wird eine negative Antwort geben, und es wird mit unserer Kirche aus sein. Nach meiner Überzeugung war es unbegingt notwendig, diesem Unheil entgegenzutreten. Ich habe aber nicht gewußt, daß der Bericht bereits angekommen und das Komitee für Denkmalschutz schon davon unterrichtet war. Ich begreife auch jetzt noch nicht, wie die Rayonverwaltung das alles so schnell erledigen konnte. Ich habe mich beeilt, aber sie waren schneller als ich.

Am Sonnabend habe ich nichts erreichen können und niemand hat mir ge­holfen. Der Bischof mischt sich in solche Angelegenheiten überhaupt nicht ein. Der Kanzler half nur, unter der Parole »Audronaša«, zu Pušinis oder zu seinem Sekretär zu gelangen.

Es war ein früher, schöner Sonntagsmorgen, Fest Maria Geburt in Panevėžys. Dort sollte ich jetzt sein... Ich versuchte mich selbst zu rechtfertigen: Der Pfarrer ist doch ein gütiger Mann, er wird mich verstehen, wird nicht be­leidigt sein. Was soll ich denn tun?

Plötzlich schoß mir ein Gedanke durch den Kopf: Unsere Kirche ist doch ein Kunstdenkmal! Sie ist dem Komitee für Denkmalschutz unterstellt. Das Komitee verfügt über ein höheres juristisches Recht als der Rayon oder seine Abteilungen. Das bedeutet, daß es von den Verwaltungen der Rayons oder der Gebiete unabhängig ist. Die Folgerung ist also klar, man muß sich an sie wenden und sagen: »Diese Kirche untersteht Ihrer Verwaltung. Stellt Ihr selber eine Kommission zusammen, fahrt hin und überprüft alles an Ort und Stelle. Wenn Ihr findet, daß für die Kirche eine Einsturzgefahr besteht, dann repariert sie. Ist sie aber dazu tauglich, dann laßt uns darin Gottes­dienste abhalten und erlaubt den Arbeitern, weiter zu arbeiten.«

Am Montag arbeiteten in dieser Behörde für mich sehr wichtige Leute. Die Männer für Denkmalschutz befürworteten meine Idee. Sie schlugen dem obersten Inspekteur vor, hinzufahren, um alles zu überprüfen. Außer ihm fuhr auch ein junger Ingenieur nach Palėvenė mit, um einen Reparaturplan für das Klosterdach anzufertigen, weil das Kloster ebenfalls durch das Feuer stark beschädigt war. Die Kommission kam also von selbst zustande. Ich schlug vor, so zeitig aus Vilnius wegzufahren, daß wir noch vor 9 Uhr in Kupiškis ankommen, weil später die leitenden Rayonbeamten auf die Kol­chosen hinausfahren. Am Dienstag früh waren wir schon in Palėvenė, weil der Weg vorbei führte. Die Ingenieure fanden die Kirche noch versiegelt. Um 9 Uhr waren wir schon in Kupiškis. Wir haben gleich zwei Führungs­kräfte des Rayons angetroffen: Paplauskas und den schon genannten Partei­sekretär aus dem Dorf Aščiagaliai. Dieser wollte die Schlüssel der Kirche auf keinen Fall herausgeben. Der Mann aus Aščiagaliai verlangte nach im­mer neuen Unterlagen und überprüfte diese immer auf neue. Dann sagte der Inspektor: »Warum kämpfen Sie gegen die Kirche? Das ist doch nicht eure Aufgabe. Eure Aufgabe ist es, sich um die Kolchose zu kümmern. Um die Kirche abzureißen, ist doch Pušinis da.« Der Mann aus Aščiagaliai, dem es gleichgültig war, ob ihm jemand zuhörte oder nicht, mäkelte die ganze Zeit an mir herum und beschuldigte mich, daß ich für den Kolchos ein Hin­dernis sei. Er sagte schließlich zu mir, daß ich nicht mehr lange das wohl­schmeckende Brot von Kupiškis essen würde.

Schließlich händigten uns die Führungskräfte des Rayons die Schlüssel aus, und wir fuhren weiter nach Palėvenė; hinter uns aber eilten nach Palėvenė auch Paplauskas und der Mann aus Aščiagaliai. Die Kommissionsmitglieder waren schon im Begriff, mit der Uberprüfung der Kirche zu beginnen, als der Mann aus Aščiagaliai plötzlich zu ihnen hinsprang und wiederholt nach Unterlagen verlangte. Sein derartiges Benehmen kam uns merkwürdig vor.

Die Kommission riß das Siegel der Eingangstür auf und stieg durch den Turm zur Kirchendecke hinauf. Der Mann aus Aščiagaliai folgte ihnen nach. Es entstand ein Streit: Der Mann aus Aščiagaliai behauptete, daß die

Wände der Kirche aus ungebrannten Ziegelsteinen gebaut sind, diese seien vom Feuer zersetzt worden. Die Wände werden einstürzen! Nach einer Un­tersuchung erwiderte die Kommission, daß die Wände schon steinhart ge­worden sind, es bestehe keine Gefahr. Der Mann aus Aščiagaliai versuchte es weiter mit seinen Beweisen: »Sehen Sie doch, die Kirche ist auseinander­gerissen. Der Turm senkt sich auf die eine Seite, die Kirche auf die andere. Es besteht Lebensgefahr!« Das Gewölbe der Kirche weist wirklich einen Querriß auf, der anscheinend durch die Einwirkungen des Krieges entstanden ist, aber nach Meinung der Kenner ungefährlich ist. Nach einer Untersuchung sagte die Kommission: »Hier können sogar Panzer drüberfahren! Eine Ein­sturzgefahr besteht wirklich nicht.«

Der Rayonvorsitzende blieb unten an der Wand der Kirche. Er stand da und schwieg. Ich bin bei ihm geblieben und versuchte ihm zu erklären, daß wir mit dem Kolchos gut auskommen. Eigentlich wollte ich sehr gerne bei der Kommission dabei sein, blieb aber extra mit dem Vorsitzenden zusam­men, weil der Vikar schon vor etwa einem Monat geschickt den Faden der Versiegelung herausgelöst hat. Wir haben die Sakristei aufgemacht, das Kommunionsgefäß mit dem Allerheiligsten und alles, was wir brauchten, herausgebracht. Nachher brachte der Vikar den Faden wieder so hin, daß der Vorsitzende die Sakristeitür anschauen könnte, die er selbst versiegelt hatte, und dabei irgendetwas Verdächtiges bemerken würde. Deswegen bin ich bei ihm geblieben und habe mich mit ihm unterhalten. Der Vorsitzende bewegte sich nicht einmal von der Stelle und wartete traurig, bis die Kom­mission wieder herunterkam.

Als die Kommission zurück war, sagte der Oberinspektor zu mir: »Sie dürfen die Sakristei aufmachen.« Ich erwiderte: »Die Rayonverwaltung hat sie zugemacht. Möchten Sie nicht aufmachen, damit später kein Anschuldi­gungen entstehen.« Inzwischen hatte ich die Tür schon aufgesperrt.

Der Inspekteur riß beim Aufmachen der Tür das Siegel ab und ging hinein. Ich ging hinter ihm, und nach mir stürmte der Mann aus Aščiagaliai herein und wiederholte immer wieder deutlich nervös und hastig, aber ohne daß ihm jemand zugehört hätte: »Hier besteht keine Lebensgefahr! Hier besteht keine Lebensgefahr! Wirklich, hier sind die Wände meterbreit aus einem steinharten Mauerwerk. Hier besteht keine Lebensgefahr!« Uns haben sie aber gerade wegen dieser »Gefahr« aus der Kirche und aus der Sakristei hinausgeworfen!

In der Sakristei setzten sie ein Protokoll auf, daß die Kirche überprüft wurde, daß keine Einsturzgefahr bestehe, und daß erlaubt werde, darin Gottesdienste abzuhalten; man wies uns darauf hin, daß wir die Glocken solange nicht läuten dürften, bis der Glockenstuhl gerichtet sei. Eine Ab­schrift ließen sie mir zurück.

Die Rayonvertreter waren niedergeschlagen. Beide schwiegen. Die Kom­mission ging, um das abgebrannte Kloster zu besichtigen, in dem sich auch die Kolchoskanzlei befand. Später redeten die Leute, daß die Kolchoseleitung nicht wenig Angst gehabt hatte, weil in den Räumen des Klosters eine fürchterliche Unordnung herrschte. Ich begleitete die Gäste bis zum Tor des Klosterhofes.

Nach der Besichtigung am vergangenen Freitag, die, wie schon erwähnt, mit einer tückischen Feierlichkeit durchgeführt wurde, gab die Rayonverwaltung sofort eine Nachricht nach Vilnius, daß die Kirche von Palėvenė in einem katastrophalen Zustand sei, weil der Turm sich nach der einen Seite senke, die Kirche nach der anderen. Jetzt schwieg die Rayonverwaltung. Das war aber noch nicht alles. Vielleicht ein gutes halbes Jahr später versammelten sich die Architekten Litauens. Als der Vertreter des Denkmalschutzes seine Rede hielt, beklagte er sich, daß es Rayons gebe, wo die Verwaltung nicht nur keine Hilfe leistet zur Erhaltung der Denkmäler, sondern sogar die Restaurierungsarbeiten noch behindere. Als Beispiel eines solchen Rayons nannte er den Rayon Kupiškis, der die Kirche von Palėvenė zu restaurieren verhindert habe.

Die Rayonverwaltung beruhigte sich nicht... Sie hatte noch die Möglichkeit, die Kolchosbauern anzugreifen, und sie tat es auch. Sie machte bekannt, daß sie bei jenen Kolchosbauern, die an Werktagen bei der Restaurierung der Kirche helfen würden, die Vorräte in den Scheunen überprüfen werde. Eine Mithilfe war aber unerläßlich. Damals gab es eine Verordnung, viel­leicht besteht sie auch heute noch, daß neun Zehntel des zugeteilten Grund­stücks für das Vieh zum Abgrasen bestimmt ist und nur ein Zehntel abge­mäht werden darf, um Heu für den Winter zu machen. Die Leute machten es aber gerade umgekehrt; ein Zehntel ließen sie abgrasen und neun Zehntel mähten sie für den Winter. Also waren alle schuldbewußt. Die Verwaltung wußte dies und drohte: »Wer am Werktag zur Aushilfe bei der Kirchen­restaurierung geht, bei dem wird die Heureserve überprüft. Wenn mehr als erlaubt gefunden wird, wird das ganze Heu weggenommen.« Deswegen kamen die Leute nicht am Werktag zur Mithilfe, sondern nur an Feiertagen. Als es schon so weit war, daß man das Dachgestühl mit Dachlatten versehen mußte, war nach dem Gottesdienst das Dachgestühl so voll von Menschen, wie ein Honigfaß von Bienen!

Endlich ging alles dem Ende zu: Das Dach der Kirche war schon herge­richtet, das morsche hölzerne Kreuz auf dem Turm durch ein eisernes er­setzt, die Kreuze der Kreuzwegstationen auf dem Kirchhof durch eiserne ersetzt, und in dem festlichen Portal befand sich anstelle des verbrannten Kreuzes schon ein eisernes. Nur im Tor wollte man noch zwei etwas origi­nelle Verzierungen aus Eisen anbringen. Die Montage stand nur deswegen noch aus, weil der, der sie anfertigen sollte, sich zu spät an die Arbeit ge­macht hatte. Der Klempner Guoba hat es immer versprochen und immer wieder hinausgezögert. Schließlich kam er mit seinem Sohn, richtete ein kleines Gerüst auf, nahm das Tordach herunter und war schon dabei, die Verzierung anzumontieren, die an beiden Seiten des Kreuzes angebracht werden sollten (sie sind jetzt an diesen Stellen), als zwei Männer auf dem Kirchhof erschienen und sich vorstellten: »Ich bin der Rayonarchitekt in Kupiškis, und dieser kommt aus Vilnius, vom Komitee für Denkmalschutz. Mit welchem Recht wird diese Restaurierung durchgeführt? Haben Sie eine Genehmigung dafür?« Ich antwortete, daß wir eine allgemeine Genehmi­gung haben. Der Architekt sagte streng: »Hören Sie sofort mit der Arbeit auf, das darf man nicht restaurieren!« Wie sollte so ein gebildeter Architekt, ein hoher Beamter lügen?! Ich glaubte ihm. Ich bat den Klempner, alles so herzustellen, wie es gewesen war, und die Restaurierung nicht fortzusetzen.

Nachher verjagte man mich aus Palėvenė und entzog mir die Erlaubnis, das priesterliche Amt auszuüben. Nach einiger Zeit kam der Vorsitzende des Komitees für Denkmalschutz, ein junger Mann, selbst zur Besichtigung nach Palėvenė. Und der Hochwürdige Priester Jonas Uogintas, der neue Pfarrer, sagt ihm: »Ihre Behörde hat da und da einen Mann hierher geschickt. Er ist mit dem Rayonarchitekt hier gewesen, der damals verboten hat, eine kleine Restaurierung am Kirchhoftor abzuschließen!« Nach einer Überlegung sagte der Gast: »Nein. Zu der Zeit haben wir keinen Mann hierher geschickt!« Der amtliche Mann aus dem Rayon Kupiškis hat uns also angelogen! Die Schnüffler hatten bei der Rayonverwaltung von der Restaurierung des Tores eine Mitteilung gemacht, und die Rayonverwaltung hat den Architekten her­geschickt, damit dieser durch eine Lüge die Arbeit verhindere.

Die Arbeit vollendete Priester J. Uogintas, der neue Pfarrer von Palėvenė. Der Mann aus Aščiagaliai wurde bald aus seinem Amt entlassen; die Leute erzählten, daß es wegen des Schwarzhandels mit Mehl aus der Bäckerei geschah. Der Vorsitzende Paplauskas ist schon gestorben.«